"Das Böse ist aufgearbeitet worden"
Vom Gehilfen der Nazis zum modernen Pharmakonzern: Der Bayer-Konzern blickt auf eine Geschichte voll Licht und Schatten. Der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe sagt, die dunklen Seiten seien von der Wissenschaft gut aufgearbeitet worden. Insgesamt sei das Wirken Bayers "ganz positiv" zu bewerten.
Ute Welty: Dienstag, der 16. Juli, Sie hören die "Ortszeit". Das ist jetzt mal keine ganz kleine Geburtstagsfeier: 150 Jahre Bayer. Da kommen dann die Bundeskanzlerin, die Ministerpräsidentin und tausend geladene Gäste. Und sollten sie einen Schluck zu viel nehmen, keine Sorge: Aspirin ist ja nicht weit. Aber nicht jedes Produkt aus der Apotheke der Nation war erfolgreich. Der Blutfett-Senker Lipobay musste 2001 sogar vom Markt genommen werden. In Zusammenhang mit der Einnahme von Lipobay war es zu zahlreichen Todesfällen gekommen. Wie sich also Licht und Schatten auf 150 Jahre Bayer verteilen, das bespreche ich jetzt mit dem Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe. Guten Morgen!
Werner Plumpe: Guten Morgen!
Welty: Was fällt Ihnen eher ein, wenn Sie Bayer hören, der Mega-Seller Aspirin oder der Killer Lipobay?
Plumpe: Ich glaube, bei einem forschenden Pharmaunternehmen, das die Bayer AG oder die Vorgänger immer gewesen sind, wird man wahrscheinlich sehr viele Beispiele für ganz unterschiedliche Dinge finden. Es ist ja nicht nur Lipobay ein Medikament, das Probleme gehabt hat; das gab es ja früher auch. Auf der anderen Seite hat Bayer aber auch eine große Anzahl hochwirksamer Medikamente hervorgebracht. Von daher, wenn man eine Bilanz zieht, würde ich sagen, war wahrscheinlich das Wirken dieses forschenden Pharmaunternehmens insgesamt ganz positiv.
Welty: Auch Traditionsunternehmen und große Namen sind ja vor Krise und Pleite nicht sicher. Warum hat es Bayer bislang immer wieder geschafft, sich als Konzern auf schwierige Situationen einzustellen?
Plumpe: Ich glaube, das Unternehmen hat, wenn man das als Historiker betrachtet – die Gegenwart ist natürlich für mich nicht so einfach zu beurteilen -, bestimmte Dinge richtig gemacht. Und ich glaube, das Zentrale, was für den Aufstieg des Unternehmens steht, ist die enge Verbindung von Wissenschaft und Industrie. Es ging bei Bayer – in der Zeit vor allen Dingen, als man groß wurde, vor dem Ersten Weltkrieg – nicht primär darum, Geld zu verdienen, sondern es ging darum, wissenschaftliche Chemie in industrielle Produktion umzusetzen, hierfür günstige Bedingungen zu schaffen und mit den dann hochwertigen Produkten am Markt erfolgreich zu sein. Und das ist eigentlich das Geheimnis. Das war im 19. Jahrhundert, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor dem Krieg, dann vor allen Dingen auch damit verbunden, dass die Unternehmensleitung sich selber den Anforderungen der wissenschaftlichen Chemie untergeordnet hat. Also dass akademisch gebildete Chemiker nach oben gekommen sind, dass man im Unternehmen so etwas wie chemischen Korpsgeist hatte und dass von daher auch klar war, wir wollen den Bedingungen der Chemie entsprechend ein Unternehmen aufbauen. Das war sehr erfolgreich, weil man auf diese Weise im Grunde so eine Art Innovationsmechanismus im Unternehmen eingebaut hatte, der über lange Zeit getragen hat.
Werner Plumpe: Guten Morgen!
Welty: Was fällt Ihnen eher ein, wenn Sie Bayer hören, der Mega-Seller Aspirin oder der Killer Lipobay?
Plumpe: Ich glaube, bei einem forschenden Pharmaunternehmen, das die Bayer AG oder die Vorgänger immer gewesen sind, wird man wahrscheinlich sehr viele Beispiele für ganz unterschiedliche Dinge finden. Es ist ja nicht nur Lipobay ein Medikament, das Probleme gehabt hat; das gab es ja früher auch. Auf der anderen Seite hat Bayer aber auch eine große Anzahl hochwirksamer Medikamente hervorgebracht. Von daher, wenn man eine Bilanz zieht, würde ich sagen, war wahrscheinlich das Wirken dieses forschenden Pharmaunternehmens insgesamt ganz positiv.
Welty: Auch Traditionsunternehmen und große Namen sind ja vor Krise und Pleite nicht sicher. Warum hat es Bayer bislang immer wieder geschafft, sich als Konzern auf schwierige Situationen einzustellen?
Plumpe: Ich glaube, das Unternehmen hat, wenn man das als Historiker betrachtet – die Gegenwart ist natürlich für mich nicht so einfach zu beurteilen -, bestimmte Dinge richtig gemacht. Und ich glaube, das Zentrale, was für den Aufstieg des Unternehmens steht, ist die enge Verbindung von Wissenschaft und Industrie. Es ging bei Bayer – in der Zeit vor allen Dingen, als man groß wurde, vor dem Ersten Weltkrieg – nicht primär darum, Geld zu verdienen, sondern es ging darum, wissenschaftliche Chemie in industrielle Produktion umzusetzen, hierfür günstige Bedingungen zu schaffen und mit den dann hochwertigen Produkten am Markt erfolgreich zu sein. Und das ist eigentlich das Geheimnis. Das war im 19. Jahrhundert, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor dem Krieg, dann vor allen Dingen auch damit verbunden, dass die Unternehmensleitung sich selber den Anforderungen der wissenschaftlichen Chemie untergeordnet hat. Also dass akademisch gebildete Chemiker nach oben gekommen sind, dass man im Unternehmen so etwas wie chemischen Korpsgeist hatte und dass von daher auch klar war, wir wollen den Bedingungen der Chemie entsprechend ein Unternehmen aufbauen. Das war sehr erfolgreich, weil man auf diese Weise im Grunde so eine Art Innovationsmechanismus im Unternehmen eingebaut hatte, der über lange Zeit getragen hat.
Akademiker haben das Unternehmen groß gemacht
Welty: Was meinten Sie mit chemischem Korpsgeist?
Plumpe: Es waren akademisch gebildete Chemiker, die das Unternehmen groß gemacht haben. Die deutsche chemische Industrie im 19. Jahrhundert ist ja zunächst – ich könnte es etwas despektierlich nennen – von pöbelnden Handwerkern gegründet worden, und die Chemiker übernehmen erst nach und nach in den unterschiedlichen Unternehmen in unterschiedlichem Tempo, wenn man so will, das Kommando. Und da setzt sich dann letztlich die Idee der an der Universität geborenen wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Chemie durch. Das sind häufig professionell geprägte, forschende Chemiker, die in die Industrie hineingehen, in der Industrie dann eine große Rolle spielen und die natürlich dann diesen Habitus des akademisch geprägten, forschenden Chemikers auch in ihre industrielle Verantwortung mitnehmen.
Welty: Die Kanzlerin hat es gerade noch einmal betont: Der Chemieindustrie in Deutschland kommt eine besondere Verantwortung zu. Und das war mehr als eine Anspielung auf das tiefschwarze Kapitel der IG Farben, zu der auch Bayer gehörte, auf Auschwitz, Zyklon B und Zwangsarbeit. Hat man dieses Kapitel der Unternehmensgeschichte ausreichend aufgearbeitet?
Plumpe: Ich würde sagen, die IG Farben sind sicher eines der Unternehmen, das völlig zurecht am meisten im Fokus kritischen Nachfragens gestanden hat. Und wenn Sie heute – nehmen Sie irgendeine populäre Sache wie Wikipedia –, wenn Sie dort einmal die führenden Männer der IG Farben eingeben, dann werden Sie sehr schnell merken, dass man über sehr viele dieser Männer weiß, sowohl im Bösen als auch im Guten. Aber das Böse ist aufgearbeitet worden. Die IG Farben haben ja den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt, sie sind aufgelöst worden, ein großer Teil ihres Führungspersonals ist in Nürnberg angeklagt worden. Es hat danach eine intensive Debatte darüber gegeben, wie das weitergewirkt hat. Ich finde, man kann das, was bis 1945 gewesen ist, in keiner Weise irgendwie wieder ausgleichen. Aber in diesem Fall, glaube ich, hat die historische Forschung ihre Arbeit einigermaßen gut erledigt.
Welty: Inzwischen an der Spitze von Bayer steht Marijn Dekkers, ein US-Niederländer, und der hat pünktlich zum Geburtstag den Deutschen ins Stammbuch geschrieben, sie sollten endlich mehr wagen, sie seien sehr, sehr konservativ. Ist das wagemutig, oder einfach frech?
Plumpe: Das ist für mich sehr schwer, wenn ich ehrlich bin, zu beurteilen, da ich ja nun hier mitten in diesem nicht risikoaffinen Land lebe und gleichwohl als Wirtschaftshistoriker sehe, dass diese Neigung dazu, Dinge zu überlegen und vielleicht nicht immer der Erste zu sein, sondern bestimmte Dinge als Zweiter zu tun – in der Wirtschaftswissenschaft oder in der Wirtschaftsgeschichte spricht man vom second mover -, das muss ja nicht immer nur nachteilig sein. Wenn man etwas bedächtiger vorgeht, wenn man sich die Dinge gar genauer überlegt. Und wenn ich das Interview, in dem Marijn Dekkers das gesagt hat, richtig gelesen habe, dann geht es ja vor allen Dingen darum, dass er aktuell das Problem sieht, dass bei den neuen Projekten, die jetzt auftauchen, vor allen Dingen die negativen Seiten gesehen werden. Das kann man so diskutieren, das kann man so begreifen, wie er das sieht, aber generell, würde ich sagen, ist gerade die Geschichte der deutschen chemischen Industrie eher die Geschichte davon, dass man mit Risiken und auch mit Neuem einigermaßen verantwortungsvoll umgegangen ist.
Welty: 150 Jahre Bayer – ein Vorgeschmack auf Festakt und Geburtstagskuchen heute in Leverkusen. Nicht mit der Kanzlerin, aber mit dem Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe. Ich danke dafür!
Plumpe: Ja, ebenso! Danke schön!
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