"Das Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt

Apokalypse im Konzertsaal

Ein Smartphone mit einem Text aus der Offenbarung des Johannes liegt am 21.10.2014 auf einer Bibel.
Ein Smartphone mit einem Text aus der Offenbarung des Johannes liegt auf einer Bibel. © imago / epd
Gast: Jens Malte Fischer, Publizist, Moderation: Olaf Wilhelmer |
Die Offenbarung des Johannes als Oratorium: Nur wenige Komponisten stellten sich dieser Herausforderung. Die wohl bedeutendste Vertonung der Apokalypse stammt von dem österreichischen Spätromantiker Franz Schmidt – ein Werk, das vor allem viele bedeutende Sänger fasziniert hat.
1874 wurde Franz Schmidt geboren, im gleichen Jahr wie Gustav Holst, Charles Ives und Arnold Schönberg. Mit seinen Jahrgangsgenossen teilt Schmidt die geschichtliche Stellung zwischen Romantik und Moderne; sein monumentales Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln" nach Worten der Offenbarung des Johannes scheint aus heutiger Sicht die Universalmusiken von Holsts "Planeten", Ives' Vierter Sinfonie und Schönbergs "Jakobsleiter" fortzusetzen. Allerdings schrieb Schmidt sein Werk in den Jahren 1935-38 in völliger Abgeschiedenheit, bereits schwer erkrankt – er starb 1939, nachdem er noch die Apokalypse Österreichs erlebt hatte: Die Uraufführung des Oratoriums im Juni 1938 fand bereits nach dem "Anschluss" an das Deutsche Reich statt. Schmidts Unglück war es, dass er Beifall aus dem nationalsozialistischen Lager erhielt und sich in den letzten Monaten seines Lebens auch noch zur Komposition eines – unvollendet gebliebenen – propagandistischen Machwerks hinreißen ließ.
Die NS-Kulturpolitik "brauchte" Schmidt nicht zuletzt deswegen, weil sich dessen vier Sinfonien als Ersatz für verfemte Werke zu eignen schienen. Doch ausgerechnet der im damals ungarischen Pozsony (heute Bratislava) geborene Schmidt hatte einen alles andere als urdeutschen Hintergrund, kam vielmehr aus einer typischen Vielvölker-Familie des Habsburgerreichs, in der sich deutsche, slawische und ungarische Elemente mischten. So ist beispielsweise das "Halleluja" am Ende seines Oratoriums nur vor dem Hintergrund des ungarischen Sprachrhythmus verständlich.

Für den Wiener Singverein komponiert

"Der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zur Feier des 125-jährigen Bestehens gewidmet" ist das Oratorium, das Schmidt vor allem für den Chor der Gesellschaft – den Wiener Singverein – komponierte. Neben außerordentlich schwierigen Chorpartien birgt Schmidts "Buch mit sieben Siegeln" auch einen virtuosen Orgelpart sowie die extrem anspruchsvolle Tenorpartie des Johannes, der wie in einer Bachschen Passion durch das Werk führt. In den frühen Jahren war es vor allem Julius Patzak, der in dieser Rolle glänzte, später wurde er durch Peter Schreier abgelöst, der sich mit Franz Schmidt auch als Dirigent beschäftigt hat. In der Basspartie "Die Stimme des Herrn" bewährte sich wiederum Robert Holl über Jahrzehnte hinweg, und auch unter den Dirigenten findet sich manch prominenter Name – von Dimitri Mitropoulos über Nikolaus Harnoncourt bis zu Franz Welser-Möst.
Gast im Studio ist der Münchner Theaterwissenschaftler und Publizist Jens Malte Fischer. Als Biograf Gustav Mahlers kennt er Franz Schmidt noch von einer anderen Seite: Schmidt war zu Zeiten Mahlers Cellist im Orchester der Wiener Hofoper und empfand die Arbeit seines Chefs als ein "Erdbeben von unerhörter Intensität".
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