Das Buch zum Aufstand

Die Freiheitsbewegung in der arabischen Welt ist noch in vollem Gange, da erscheint schon das erste Buch zu den Ereignissen. Der in Marokko geborene Autor Tahar Ben Jelloun beschreibt die Machtgier von Despoten wie Ben Ali oder Mubarak - und die Erfolgsstrategien der jungen Demonstranten.
Es war ein bewegender, ja ergreifender, und vor allem historischer Moment, als der ägyptische Vize-Präsident Omar Suleiman am 11. Februar 2011 vor die Fernsehkameras trat und den Rücktritt von Hosni Mubarak verkündete, der 23 Jahre an der Macht war. Plötzlich schien alles möglich, der Duft von Freiheit, friedlicher Revolution und einer übergreifenden arabischen Revolution lag in der Luft. Nun, knapp drei Monate später, machen in Ägypten muslimische Fanatiker Jagd auf die Kopten, in Syrien fahren Panzer auf, in Bahrain sind die ersten Blogger und Demonstranten zum Tode verurteilt, während Libyen und Jemen von gewalttätigen bis blutigen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der jeweiligen Herrscher heimgesucht werden. Das auffälligste Merkmal dieser Revolutionen aber ist und bleibt: Es ist ein Sieg ausdrücklich der jungen Generation, die qua Internet, Mobiltelefon und Twitter ihre Stimme laut und vernehmlich erhoben und die Fenster zum Westen hin geöffnet hat.

Nun hat der marokkanische, 1944 in Fès geborene Autor Tahar Ben Jelloun aus Anlass der Ereignisse einen Essayband vorgelegt mit dem Untertitel "Vom Wiedererlangen der arabischen Würde". Es ist ein schmaler Band, unterteilt in drei Kapitel, in denen Jelloun sich seinem Sujet auch mit literarischen Mitteln nähert: Der erste Teil rekapituliert das Geschehen in Ägypten, Tunesien, Algerien, Jemen und Marokko, teilweise erzählt aus der Perspektive der Despoten Mubarak und Ben Ali. Der zweite Teil ist eine Novelle, in der der Autor wie in Nahaufnahme die letzten Tage von Mohamed Bouazizi nacherzählt, jenes jungen Tunesiers, dessen Selbstmord im Dezember 2010 zum Fanal der arabischen Revolte wurde. Das letzte Kapitel besteht allein aus zwei kritischen Zeitungsartikeln Jellouns zur Lage der arabischen Nationen, die jedoch bereits aus dem Jahr 2003 stammen.

Eloquent und doch bissig führt Jelloun das fatale Spiel der arabischen Herrscher vor, sich als Väter der Nation zu stilisieren, Volk und Land aber auszubeuten und zu unterdrücken. Er geißelt Korruption, Bereicherung und Machtgier der arabischen Despoten – und die westlichen Regierenden für ihre willige Kooperation mit diesen. Er deutet (sein Wort in Gottes Ohr!) den Sieg der Jungen als klare und endgültige Niederlage der Islamisten – und verbittet sich, so schreibt er ausdrücklich im Vorwort, fortan aus Europa den Vorwurf zu hören, die arabischen Intellektuellen hätten sich nicht gewehrt. Wenn Jelloun (der zeitweilig noch immer in Tanger lebt) jedoch den marokkanischen König für seine Reformen bis an die Grenze der Anbiederung lobt, beschleicht einen leider ein Verdacht: Dass der Autor, der im Westen als bedeutendster Autor des Maghreb wahrgenommen wird, hier unter der Hand am eigenen Ruhm zu stricken und ohne große Gefahr am eigenen Leben an einem Sieg teilzuhaben sucht, den nicht seine eigene Generation, sondern die der Töchter und Söhne errungen hat. Insofern ist "Arabischer Frühling" eine zwiespältige Lektüre – nichtsdestotrotz aber die derzeit aktuellste Lektüre zu den Umbrüchen in der arabischen Welt.

Besprochen von Claudia Kramatschek

Tahar Ben Jelloun: Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde
Aus dem Französischen von Christiane Kayser
Berlin Verlag, Berlin 2011
128 Seiten, 10 Euro

Linktipp:
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