Das Comeback aus der Grauzone
Zwölf Jahre lang hat der Schriftsteller Wolfgang Hegewald einen Verlag für seinen Roman "Fegefeuernachmittag" gesucht, in dem er über die Leiden eines erfolglosen Schriftstellers schreibt. Nun ist das Buch erschienen - und wurde vom Bestsellerautor Daniel Kehlmann vorgestellt.
"Nathan Niedlich, ein zur Rundlichkeit neigendes Kind, war fünf und schrieb an seinem ersten Roman."
Wolfgang Hegewald liest aus seinem neuen Roman "Fegefeuernachmittag". Zwölf Jahre hat der Autor keinen Verlag gefunden, der ihn veröffentlichen wollte und war genauso wie die Hauptfigur seines stark autobiografischen Romans, Nathan Niedlich, aus dem Literaturbetrieb verschwunden. Das wollte der Bestsellerautor Daniel Kehlmann ändern, in einem Saal, der mit rund 150 Zuschauern nicht ganz gefüllt war:
"Es ist eine gängige Formel, dass man sagt, man freut sich sehr, dies tun zu dürfen, wenn man ein Buch vorstellt. In diesem Fall stimmt diese Formel aber noch viel mehr, als sie unter anderen Umständen schon stimmen würde."
Einerseits sind Daniel Kehlmann und Wolfgang Hegewald seit einigen Jahren befreundet. Andererseits hat Kehlmann sich darum bemüht, lange übrigens vergeblich, für seinen Freund einen Verlag zu finden. Und das eben nicht nur als Freundschaftsdienst, sondern weil er viel von dem Roman hält. Hegewald wie Kehlmann interessiert die Frage, ob ein Autor noch ein Autor ist, wenn er nicht mehr veröffentlicht:
"Diese Frage stellt Wolfgang Hegewalds Buch mit einer ironischen Subtilität, die fern von aller Bitterkeit und aller Larmoyanz sowohl des Autors, der ebenfalls lange nicht gedruckt wurde, als auch der Hauptfigur ist, dass man schon verblüfft vor einer solchen Leichtigkeit des Schweren steht."
In Ostdeutschland durfte Wolfgang Hegewald nicht publizieren. Als er 1983 nach Hamburg übersiedelte, fand er schnell zum renommierten S. Fischer Verlag. Er erhielt zahlreiche Preise und Stipendien. Viele Kritiker zeigten sich beeindruckt von seiner Prosa. Seit 1997 konnte er seine Manuskripte bei keinem Verlag mehr unterbringen. Bis der Berliner Matthes & Seitz Verlag nun seinen Roman "Fegefeuernachmittag" veröffentlichte. "Mein Leben. Von ihm selbst erzählt. Kolportageroman" lautet der Untertitel des Buchs. Darin verarbeitet Hegewald unter dem Gewand der Hauptfigur Nathan Niedlich, kurz N.N., sein eigenes Scheitern als Schriftsteller und schießt ironische Pfeile auf den Literaturbetrieb ab. Ist Hegewald also ein schlechter Verlierer?
"Haben Sie in dem Buch irgendwo einen Tonfall angetroffen, der darauf hindeutet, dass hier ein schlechter Verlierer erzählt? Das allerdings würde mich sehr treffen. Ich glaube es aber nicht. Der Roman handelt sehr wohl von einer Möglichkeit des Scheiterns. Aber Scheitern ist etwas, was sozusagen existenziell und biografisch in jedem angelegt ist. Diese fruchtbare Erfahrung des eigenen Überflüssigwerdens, des Zum-eigenen-Gespenst-Werdens, wer kennt die in seinem Erwerbsleben nicht?!"
Wolfgang Hegewald sitzt in einem italienischen Restaurant in Hamburg. Ein Ort aus dem Roman. In einem anderen Lokal trifft sich der glücklose Schriftsteller Niedlich mit einem deutlich jüngeren und extrem erfolgreichen Schriftsteller namens David Wellensteyn. Jetzt sitzt Wolfgang Hegewald im Restaurant neben Daniel Kehlmann, der das eindeutige Vorbild für diese Figur Wellensteyn ist:
"Mir ist bewusst, dass die Umstände, die zu diesem gewaltigen Erfolg der Vermessung der Welt geführt haben, eben zu einem großen Teil auch Glücksumstände waren. Und wenn einige Kleinigkeiten anders gekommen wären, hätte auch dieser Erfolg ganz anders kommen können."
Hatte Wolfgang Hegewald also zwölf Jahre lang einfach nur Pech, dass er nicht publiziert wurde? Hegewalds neuer Roman ist durchaus klug und witzig erzählt, wenn auch der Humor gewöhnungsbedürftig ist: "Blonde Locken, eine wilde Pracht", heißt es an einer Stelle über den heranwachsenden Nathan, "ein Indizienprozess hätte unweigerlich zu dem Urteil: Ein Mädchen! geführt." Andererseits darf man diese Sprache nicht mit der des Wolfgang Hegewald gleichsetzen. Denn der Erzähler, Nathan Niedlich, ist ein akademischer Oberrat in allgemeiner und vergleichender Religionswissenschaft. Trotzdem sind wir versucht, immer wieder Hegewald selbst zu entdecken:
"Das ist natürlich eine kalkulierte Versuchung. Ich glaube aber, in diesem Buch gibt es einen Erzählkosmos eben aus Figuren, die rein fiktiv sind und Figuren, wo man gewisse Doppelgänger in der Realität wiedererkennen mag. Aber all das gehört zur Erzählstrategie genau dieses Buches."
So ist unter anderem von einer gewissen "Gertraude Molinek", der "Wiener Nobelsirene" die Rede, die unschwer als Elfriede Jelinek zu identifizieren ist. Viele Leser werden kaum die verschlüsselten Anspielungen auf reale Personen aus dem Literaturzirkus erkennen. Ein Insider hat wohl mehr von dem Roman. Ein Insider wie Daniel Kehlmann. Der las in der Freien Akademie der Künste in Hamburg jene Stelle, die seine eigenen Gedanken wiedergibt. Wolfgang Hegewald hat diese Ausführungen jedoch David Wellensteyn in den Mund gelegt hat:
Kehlmann: "Und überhaupt: Bilden die Un- und Kaumbemerkten nicht in vielerlei Hinsicht eine notwendige Grauzone um diejenigen, die das Licht des Betriebes genießen? Allein schon aus Gründen der Beleuchtungstechnik und Lichtökonomie, um dafür zu sorgen, dass die Ressource Aufmerksamkeit knapp bleibt. Leute wie ich, die auf der nachtabgewandten Seite des Betriebs schreiben dürfen oder sich kaum noch vor den Spots der Verfolgerscheinwerfer retten können, habituell Geblendete, wir zehren auf komplizierte Weise von denen, die im Dreivierteldustern oder in der reinen Finsternis, in der Dunkelhaft des schwarzen Quadrats vorsichtig ein Wort hinter das andere stellen."
An einer Stelle im Roman denkt die Hauptfigur darüber nach, welcher Autor wohl der glücklichste wäre. Die Antwort: der Schriftsteller, der einen "mittleren Erfolg" und "maßvolle Anerkennung" erfährt.
Wolfgang Hegewald: Fegefeuernachmittag. Mein Leben. Von ihm selbst erzählt. Kolportageroman.
Matthes & Seitz, Berlin 2009
250 Seiten. 19,80 Euro
Wolfgang Hegewald liest aus seinem neuen Roman "Fegefeuernachmittag". Zwölf Jahre hat der Autor keinen Verlag gefunden, der ihn veröffentlichen wollte und war genauso wie die Hauptfigur seines stark autobiografischen Romans, Nathan Niedlich, aus dem Literaturbetrieb verschwunden. Das wollte der Bestsellerautor Daniel Kehlmann ändern, in einem Saal, der mit rund 150 Zuschauern nicht ganz gefüllt war:
"Es ist eine gängige Formel, dass man sagt, man freut sich sehr, dies tun zu dürfen, wenn man ein Buch vorstellt. In diesem Fall stimmt diese Formel aber noch viel mehr, als sie unter anderen Umständen schon stimmen würde."
Einerseits sind Daniel Kehlmann und Wolfgang Hegewald seit einigen Jahren befreundet. Andererseits hat Kehlmann sich darum bemüht, lange übrigens vergeblich, für seinen Freund einen Verlag zu finden. Und das eben nicht nur als Freundschaftsdienst, sondern weil er viel von dem Roman hält. Hegewald wie Kehlmann interessiert die Frage, ob ein Autor noch ein Autor ist, wenn er nicht mehr veröffentlicht:
"Diese Frage stellt Wolfgang Hegewalds Buch mit einer ironischen Subtilität, die fern von aller Bitterkeit und aller Larmoyanz sowohl des Autors, der ebenfalls lange nicht gedruckt wurde, als auch der Hauptfigur ist, dass man schon verblüfft vor einer solchen Leichtigkeit des Schweren steht."
In Ostdeutschland durfte Wolfgang Hegewald nicht publizieren. Als er 1983 nach Hamburg übersiedelte, fand er schnell zum renommierten S. Fischer Verlag. Er erhielt zahlreiche Preise und Stipendien. Viele Kritiker zeigten sich beeindruckt von seiner Prosa. Seit 1997 konnte er seine Manuskripte bei keinem Verlag mehr unterbringen. Bis der Berliner Matthes & Seitz Verlag nun seinen Roman "Fegefeuernachmittag" veröffentlichte. "Mein Leben. Von ihm selbst erzählt. Kolportageroman" lautet der Untertitel des Buchs. Darin verarbeitet Hegewald unter dem Gewand der Hauptfigur Nathan Niedlich, kurz N.N., sein eigenes Scheitern als Schriftsteller und schießt ironische Pfeile auf den Literaturbetrieb ab. Ist Hegewald also ein schlechter Verlierer?
"Haben Sie in dem Buch irgendwo einen Tonfall angetroffen, der darauf hindeutet, dass hier ein schlechter Verlierer erzählt? Das allerdings würde mich sehr treffen. Ich glaube es aber nicht. Der Roman handelt sehr wohl von einer Möglichkeit des Scheiterns. Aber Scheitern ist etwas, was sozusagen existenziell und biografisch in jedem angelegt ist. Diese fruchtbare Erfahrung des eigenen Überflüssigwerdens, des Zum-eigenen-Gespenst-Werdens, wer kennt die in seinem Erwerbsleben nicht?!"
Wolfgang Hegewald sitzt in einem italienischen Restaurant in Hamburg. Ein Ort aus dem Roman. In einem anderen Lokal trifft sich der glücklose Schriftsteller Niedlich mit einem deutlich jüngeren und extrem erfolgreichen Schriftsteller namens David Wellensteyn. Jetzt sitzt Wolfgang Hegewald im Restaurant neben Daniel Kehlmann, der das eindeutige Vorbild für diese Figur Wellensteyn ist:
"Mir ist bewusst, dass die Umstände, die zu diesem gewaltigen Erfolg der Vermessung der Welt geführt haben, eben zu einem großen Teil auch Glücksumstände waren. Und wenn einige Kleinigkeiten anders gekommen wären, hätte auch dieser Erfolg ganz anders kommen können."
Hatte Wolfgang Hegewald also zwölf Jahre lang einfach nur Pech, dass er nicht publiziert wurde? Hegewalds neuer Roman ist durchaus klug und witzig erzählt, wenn auch der Humor gewöhnungsbedürftig ist: "Blonde Locken, eine wilde Pracht", heißt es an einer Stelle über den heranwachsenden Nathan, "ein Indizienprozess hätte unweigerlich zu dem Urteil: Ein Mädchen! geführt." Andererseits darf man diese Sprache nicht mit der des Wolfgang Hegewald gleichsetzen. Denn der Erzähler, Nathan Niedlich, ist ein akademischer Oberrat in allgemeiner und vergleichender Religionswissenschaft. Trotzdem sind wir versucht, immer wieder Hegewald selbst zu entdecken:
"Das ist natürlich eine kalkulierte Versuchung. Ich glaube aber, in diesem Buch gibt es einen Erzählkosmos eben aus Figuren, die rein fiktiv sind und Figuren, wo man gewisse Doppelgänger in der Realität wiedererkennen mag. Aber all das gehört zur Erzählstrategie genau dieses Buches."
So ist unter anderem von einer gewissen "Gertraude Molinek", der "Wiener Nobelsirene" die Rede, die unschwer als Elfriede Jelinek zu identifizieren ist. Viele Leser werden kaum die verschlüsselten Anspielungen auf reale Personen aus dem Literaturzirkus erkennen. Ein Insider hat wohl mehr von dem Roman. Ein Insider wie Daniel Kehlmann. Der las in der Freien Akademie der Künste in Hamburg jene Stelle, die seine eigenen Gedanken wiedergibt. Wolfgang Hegewald hat diese Ausführungen jedoch David Wellensteyn in den Mund gelegt hat:
Kehlmann: "Und überhaupt: Bilden die Un- und Kaumbemerkten nicht in vielerlei Hinsicht eine notwendige Grauzone um diejenigen, die das Licht des Betriebes genießen? Allein schon aus Gründen der Beleuchtungstechnik und Lichtökonomie, um dafür zu sorgen, dass die Ressource Aufmerksamkeit knapp bleibt. Leute wie ich, die auf der nachtabgewandten Seite des Betriebs schreiben dürfen oder sich kaum noch vor den Spots der Verfolgerscheinwerfer retten können, habituell Geblendete, wir zehren auf komplizierte Weise von denen, die im Dreivierteldustern oder in der reinen Finsternis, in der Dunkelhaft des schwarzen Quadrats vorsichtig ein Wort hinter das andere stellen."
An einer Stelle im Roman denkt die Hauptfigur darüber nach, welcher Autor wohl der glücklichste wäre. Die Antwort: der Schriftsteller, der einen "mittleren Erfolg" und "maßvolle Anerkennung" erfährt.
Wolfgang Hegewald: Fegefeuernachmittag. Mein Leben. Von ihm selbst erzählt. Kolportageroman.
Matthes & Seitz, Berlin 2009
250 Seiten. 19,80 Euro