Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin.
Terroganz – Sexismus macht mächtig
Mit der Wahl des Donald Trump ist es amtlich: Zu den westlichen Werten gehört ganz offiziell auch der Sexismus. Die Übersetzerin und Schriftstellerin Pieke Biermann beschreibt im Politischen Feuilleton eine tief sitzende, fein verästelte Frauenverachtung – vom dirty old white man bis zum arroganten Feuilletonchef.
Ist irgendjemandem heute, am 11.11.2016, nach Jux und Dollerei zumute? Im notorisch nüchternen Preußen wohl eher nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass nachher um 11:11 Uhr selbst notorische rheinische Feierbiester mit gemischten Gefühlen den Karneval einläuten.
Also das tolle Treiben, das Spiel aus mutwilligem Exzess und Entgrenzung und Sau-Rauslassen, das ursprünglich ein inszenierter höhnischer Aufstand der Untertanen gegen die Obrigkeiten war. Ob auch diesmal wieder allzu viele das rituelle Ausrufen der Kussfreiheit als Lizenz zum sexuellen Übergriff missverstehen?
Oder fällt allen die arrogante Selbstermächtigung zum "grab the pussy" ein, trotz der soeben ein laut bekennender Sexist und Rassist zum Chef der mächtigsten Nation der Welt gekürt wurde?
Die betonierte Hierarchie von Oben und Unten
Ab jetzt ist nämlich Schluss mit lustig. Das ist kein Spiel mehr. Das ist eine reale historische Zäsur. Die US-Wähler allerlei Geschlechts hätten eine Frau ins Weiße Haus schicken und eine neue Ära einläuten können – sie haben einen Mann vorgezogen, der die alte Ära neu beleben will. Einen genitalintellektuellen Potenzprotz, der seine eigene Tochter als hübschen Arsch anpreist, der meint, jeder Frau Küsse aufdrücken und zwischen die Beine grapschen zu dürfen, und der damit durchkommt.
Die neue Verkörperung der westlichen Wertewelt ist ein alter weißer Mann, ein dirty old white man, der bisher nur die neue Social-Botwork-Medien-Industrie verkörpert hatte – jenen Fantasy Industrial Complex, wie der Schriftsteller Ben Fountain sie nennt.
Da kann ein anderer young white man wie Prinz Harry noch so aufgeklärt seine Freundin gegen medialen Sexismus und Rassismus verteidigen – ab sofort steht "der Westen" amtlich beglaubigt für dieselbe Arroganz, für die IS-Terroristen zurecht bekämpft werden: eine tief sitzende, fein verästelte Frauenverachtung.
Mit ihr ist ein Berlusconi dreimal gewählt worden, dank ihr kann ein Erdoğan Frauen ins Haus verbannen, können Pseudo-Muslime sie in Ganzkörperkondome verpacken, auf dass kein Mann von Weiblichkeit angesteckt werde.
Mit derselben, nur einen Hauch subtileren, misogynen Arroganz degradieren deutsche Feuilletonchefs Carolin Emckes Hinweise auf gewisse eklatante Ungerechtigkeiten in unserer achso gender-sensiblen Wirklichkeit zu "Oberflächenphänomenen" – da lebt der marxistische Nebenwiderspruch wieder auf, mitsamt seiner betonierten Hierarchie von Oben und Unten.
"The winner grabs us all"
Sexismus beschreibt ein Machtverhältnis, ebenso wie Rassismus. Beide pflegen aufseiten der jeweils Oberen die tückische Art Arroganz, die sich selbst nicht erkennen muss. Wer sie benennt, wird verlacht. Oder für verrückt erklärt. Sexistische wie rassistische Arroganz macht Angst, sie ist der tägliche Tropfen Terror für alle, die das "falsche Geschlecht", die "falsche Hautfarbe" haben. Ich nenne sie Terroganz.
Und eben die hat gerade gesiegt. Wir wissen nicht, ob das passiert wäre, wenn statt einer Frau ein zweiter old white man zur Wahl gestanden hätte. Aber eins ist sicher: Ab jetzt dürfen wir uns alle gegrapscht fühlen. "The winner grabs us all!" Pussy oder nicht.