Das Dilemma der modernen Liebe
Die Liebe muss neu erfunden werden, meint Wilhelm Schmid. - Warum? Weil Liebe Bindung bedeutet, Bindung an andere Menschen, und wir alle dieser Bindung bedürfen. Einerseits. Andererseits leben wir in einer Welt, die das Wort "FREIHEIT" mit Großbuchstaben schreibt. Das Verlangen nach Liebe aber und die Sehnsucht nach Freiheit sind gegensätzliche Bestrebungen.
"Die erhoffte Verschmelzung ihrer Ichs, die die Liebenden in ihr suchen, kollidiert heillos mit dem Anspruch auf Freiheit ihrer Ichs, bei der sie keine Einschränkung dulden."
So beschreibt der Autor das Dilemma der modernen Liebe. Wie ist ihm abzuhelfen? – Schmid, der Philosoph, sieht die Lösung im Denken: Denken wir um! Entwickeln wir einen Begriff von Liebe, der unserem modernen Drang nach Freiheit Rechnung trägt, und eine Auffassung von Freiheit, die unsere Fähigkeit zu lieben nicht beschädigt. Denn die wachsende Zahl der Ein-Personen-Haushalte in diesem Land, vermutet der Autor, ist nicht nur die Folge des gestiegenen Anspruchs, selbstbestimmt zu leben, sondern auch das Symptom einer unheilvollen Entwicklung:
"Immer mehr Menschen gleiten vom gewollten in's ungewollte Alleinsein ab, da ist kein Zusammenhang mehr von Mensch zu Mensch."
In den ersten Kapiteln dieses Buches geht es um Geschichte, um Geistes- und Realgeschichte. In der Antike zum Beispiel, Schmid erinnert uns daran, ist viel Geistreiches über die Liebe gesagt worden, das in der bürgerlichen Welt vergessen wurde. Hier rümpft man auch gern die Nase über Formen von Zweisamkeit, die im Mittelalter hoch geschätzt worden sind: Schmid stellt uns einen Liebeskodex aus dem 12. Jahrhundert vor, die "Regulae amoris":
"Sie handelt davon, dass in der Ehe Pflichterfüllung vorherrschen solle, die wahre Liebe aber die außereheliche sei …, eine begehrte Freude in der mittelalterlichen Welt des Leids und der Verzweiflung."
Die Kapitel über Historie sind zweifellos die besten in diesem Buch. Auch wenn Schmid hin und wieder nebulös formuliert. Zum Beispiel in einem Part über die hohe Minne im Mittelalter. Dort heißt es:
"Die ritterliche Aufwertung der Frau wird im Christentum mit der Verehrung Marias nachvollzogen."
Was ist eine "ritterliche Aufwertung"? Und was heißt "nachvollzogen"? Die christliche Marienverehrung ist wesentlich älter als das Rittertum.
Der Stil also nicht eben brillant, aber es gibt reichlich Stoff zum Nachdenken. Zum Beispiel erfahren wir, wie, wo und warum das Ideal der romantischen Liebe geboren wurde. Und dass sich unsere moderne Gesellschaft zwar ausgiebig mit Sexualwissenschaft beschäftigt, ihr das Nachdenken über die Kunst des Liebens aber verloren gegangen ist. Ein Gedanke, den Michel Foucault vor mehr als 30 Jahren geäußert hat, in seinem Buch "Sexualität und Wahrheit". Was Foucault als verloren beklagt, möchte Schmid gern wiedergewinnen.
"Darauf zielen die philosophischen Fragen in Bezug auf die Liebe. Was ist sie eigentlich, woher kommt sie, wozu dient sie? Welche Bedeutung hat bereits die Sehnsucht nach ihr?"
Was folgt, ist eine metaphysische Besinnung coram publico. Schmid stellt Überlegungen an über "Die Spannung zwischen Freiheit und Bindung", über die "Logik des Lebens in Beziehungen", über die "Statik und Dynamik von Beziehungen", zu jedem Thema hat er ein Kapitel verfasst.
Am ehesten gewinnbringend ist der letzte Teil des Buches: eine Art philosophischer Ratgeber für ein geglücktes Liebesleben. Da gibt es kluge Gedanken über die Kunst des Schenkens. Oder das Thema "Was ist Verführung?" Schmid empfiehlt dem Leser auch immer wieder, er möge in Liebesdingen doch bitte einen kühlen Kopf bewahren und rational entscheiden, was er von einer konkreten Zweierbeziehung möchte: Leidenschaft? Oder eher Freundschaft? Oder vielleicht nur partnerschaftliche Kooperation?
"Denn nicht nur die Bindung in Form von leidenschaftlicher Liebe, die wohl die meisten Einbußen an Freiheit mit sich bringt, ist möglich, sondern auch die freundschaftliche Liebe, die mit weniger heftigen Gefühlen mehr Spielräume der Freiheit in der Bindung zu realisieren versucht. Auch in der kooperativen Liebe können die Beteiligten ein freieres Verständnis von Bildung verwirklichen."
Was aber mag das genau sein "kooperative Liebe?" Egal. Schön wär’s ja, wenn wir a priori die Wahl hätte, wie heftig die Gefühle für einen anderen Menschen ausfallen. Aber näher am wirklichen Leben scheint trotz allem Arthur Schopenhauer und seine "Metaphysik der Geschlechtsliebe". Denn Schopenhauer hat Mitgefühl für die "große Zahl derer, welche die Leidenschaft in’s Irrenhaus bringt". Und er staunt, dass "sie selbst die größten Köpfe in Verwirrung setzt", wenigstens für eine Weile.
Was Arthur Schopenhauer "den Willen", Nietzsche "das Dionysische", Sigmund Freud "das Unbewusste" nennt: Bei Schmid kommt es nur in Fußnoten vor, und wo es vorkommt, wird es nicht ernst genommen. Darum hat er ein Buch geschrieben, wie wir die Liebe gerne hätten, aber keins, wie die Liebe in Wirklichkeit ist.
Besprochen von Susanne Mack
Wilhelm Schmid: Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen
Suhrkamp, Berlin 2010
399 Seiten, 19,90 Euro
So beschreibt der Autor das Dilemma der modernen Liebe. Wie ist ihm abzuhelfen? – Schmid, der Philosoph, sieht die Lösung im Denken: Denken wir um! Entwickeln wir einen Begriff von Liebe, der unserem modernen Drang nach Freiheit Rechnung trägt, und eine Auffassung von Freiheit, die unsere Fähigkeit zu lieben nicht beschädigt. Denn die wachsende Zahl der Ein-Personen-Haushalte in diesem Land, vermutet der Autor, ist nicht nur die Folge des gestiegenen Anspruchs, selbstbestimmt zu leben, sondern auch das Symptom einer unheilvollen Entwicklung:
"Immer mehr Menschen gleiten vom gewollten in's ungewollte Alleinsein ab, da ist kein Zusammenhang mehr von Mensch zu Mensch."
In den ersten Kapiteln dieses Buches geht es um Geschichte, um Geistes- und Realgeschichte. In der Antike zum Beispiel, Schmid erinnert uns daran, ist viel Geistreiches über die Liebe gesagt worden, das in der bürgerlichen Welt vergessen wurde. Hier rümpft man auch gern die Nase über Formen von Zweisamkeit, die im Mittelalter hoch geschätzt worden sind: Schmid stellt uns einen Liebeskodex aus dem 12. Jahrhundert vor, die "Regulae amoris":
"Sie handelt davon, dass in der Ehe Pflichterfüllung vorherrschen solle, die wahre Liebe aber die außereheliche sei …, eine begehrte Freude in der mittelalterlichen Welt des Leids und der Verzweiflung."
Die Kapitel über Historie sind zweifellos die besten in diesem Buch. Auch wenn Schmid hin und wieder nebulös formuliert. Zum Beispiel in einem Part über die hohe Minne im Mittelalter. Dort heißt es:
"Die ritterliche Aufwertung der Frau wird im Christentum mit der Verehrung Marias nachvollzogen."
Was ist eine "ritterliche Aufwertung"? Und was heißt "nachvollzogen"? Die christliche Marienverehrung ist wesentlich älter als das Rittertum.
Der Stil also nicht eben brillant, aber es gibt reichlich Stoff zum Nachdenken. Zum Beispiel erfahren wir, wie, wo und warum das Ideal der romantischen Liebe geboren wurde. Und dass sich unsere moderne Gesellschaft zwar ausgiebig mit Sexualwissenschaft beschäftigt, ihr das Nachdenken über die Kunst des Liebens aber verloren gegangen ist. Ein Gedanke, den Michel Foucault vor mehr als 30 Jahren geäußert hat, in seinem Buch "Sexualität und Wahrheit". Was Foucault als verloren beklagt, möchte Schmid gern wiedergewinnen.
"Darauf zielen die philosophischen Fragen in Bezug auf die Liebe. Was ist sie eigentlich, woher kommt sie, wozu dient sie? Welche Bedeutung hat bereits die Sehnsucht nach ihr?"
Was folgt, ist eine metaphysische Besinnung coram publico. Schmid stellt Überlegungen an über "Die Spannung zwischen Freiheit und Bindung", über die "Logik des Lebens in Beziehungen", über die "Statik und Dynamik von Beziehungen", zu jedem Thema hat er ein Kapitel verfasst.
Am ehesten gewinnbringend ist der letzte Teil des Buches: eine Art philosophischer Ratgeber für ein geglücktes Liebesleben. Da gibt es kluge Gedanken über die Kunst des Schenkens. Oder das Thema "Was ist Verführung?" Schmid empfiehlt dem Leser auch immer wieder, er möge in Liebesdingen doch bitte einen kühlen Kopf bewahren und rational entscheiden, was er von einer konkreten Zweierbeziehung möchte: Leidenschaft? Oder eher Freundschaft? Oder vielleicht nur partnerschaftliche Kooperation?
"Denn nicht nur die Bindung in Form von leidenschaftlicher Liebe, die wohl die meisten Einbußen an Freiheit mit sich bringt, ist möglich, sondern auch die freundschaftliche Liebe, die mit weniger heftigen Gefühlen mehr Spielräume der Freiheit in der Bindung zu realisieren versucht. Auch in der kooperativen Liebe können die Beteiligten ein freieres Verständnis von Bildung verwirklichen."
Was aber mag das genau sein "kooperative Liebe?" Egal. Schön wär’s ja, wenn wir a priori die Wahl hätte, wie heftig die Gefühle für einen anderen Menschen ausfallen. Aber näher am wirklichen Leben scheint trotz allem Arthur Schopenhauer und seine "Metaphysik der Geschlechtsliebe". Denn Schopenhauer hat Mitgefühl für die "große Zahl derer, welche die Leidenschaft in’s Irrenhaus bringt". Und er staunt, dass "sie selbst die größten Köpfe in Verwirrung setzt", wenigstens für eine Weile.
Was Arthur Schopenhauer "den Willen", Nietzsche "das Dionysische", Sigmund Freud "das Unbewusste" nennt: Bei Schmid kommt es nur in Fußnoten vor, und wo es vorkommt, wird es nicht ernst genommen. Darum hat er ein Buch geschrieben, wie wir die Liebe gerne hätten, aber keins, wie die Liebe in Wirklichkeit ist.
Besprochen von Susanne Mack
Wilhelm Schmid: Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen
Suhrkamp, Berlin 2010
399 Seiten, 19,90 Euro