Das "doppelte Gesicht der Realität"
Mit "Solo Sunny" schrieb er einen der berühmtesten Filmstoffe der DDR, aber auch nach der Wende konnte Wolfgang Kohlhaase mit den Drehbüchern zu "Sommer vorm Balkon" oder "Whisky mit Wodka" begeistern. Jetzt erhält er den Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk.
Alexandra Mangel: Wolfgang Kohlhaase ist einer der herausragenden deutschen Drehbuchautoren, und das im doppelten Sinne: Einmal, weil seine Bücher herausragen, weil sie sich durch eine seltene Wahrhaftigkeit und Alltäglichkeit im allerbesten Sinne auszeichnen, und weil auch er selbst herausragt. Normalerweise steht ja immer der Regisseur im Zentrum der Aufmerksamkeit, und der Autor, der sich die Geschichten ausgedacht hat, bleibt in seinem Schatten – bei Wolfgang Kohlhaase war und ist das anders, ob er nun mit Konrad Wolf oder mit Andreas Dresen zusammengearbeitet hat. Und weil das so ist, wird er heute Abend in Berlin mit dem Ehrenpreis für hervorragende Verdienste um den deutschen Film ausgezeichnet. Mein Kollege Frank Meyer hat mit Wolfgang Kohlhaase gesprochen, vor fast genau einem Monat, als Wolfgang Kohlhaase 80 geworden, und er hat ihn nach der Bedeutung der Zusammenarbeit von Drehbuchautor und Regisseur gefragt.
Wolfgang Kohlhaase: Ich glaube, dass die Frage, mit wem man arbeitet, soweit man das beeinflussen kann oder entscheiden kann oder sich wünschen kann, das ist die wichtigste Frage, bevor man überhaupt anfängt. Man sollte sich kennen, in einem nicht unbedingt privaten Verständnis, aber in Bezug auf Arbeit. Man sollte ähnliche Filme gut finden und ähnliche Filme schlecht finden. Man sollte, wenn zu einem Problem zehn Punkte gehören, in acht Punkten einer Meinung sein – die zwei, die dann offen sind, sind schwierig genug. Das heißt, man muss versuchen, in einer Konstellation zu arbeiten, wo es keine großen Missverständnisse gibt, in welche Richtung ein Film geht.
Frank Meyer: Wenn Sie sagen, die Partnerschaft ist wichtig, mit wem man zusammenarbeitet: Eine, glaube ich, für beide Seiten ziemlich beglückende Partnerschaft der letzten Jahre war die mit Andreas Dresen. Mit ihm haben Sie ja zwei Spielfilme gemacht, "Sommer vorm Balkon" und "Whisky mit Wodka". Man hat auch von außen den Eindruck, dass Sie vieles miteinander verbindet. Wie würden Sie das benennen, was sind da die acht von zehn Punkten, die übereinstimmen?
Kohlhaase: Er guckt ähnlich auf das Alltägliche, glaube ich. Er ist auf eine ähnliche Weise an Menschen interessiert und an sozialer Genauigkeit. Er hat für meine Art von Lakonie ein Verständnis und geht darüber hinaus. Und er ist ein ausgesprochen kollegialer Partner, kein Vertreter dieser Art von Regieimperialismus, wo sich dann plötzlich alles auf eine Person zu beziehen scheint. Dazu kommt, dass wir zwar weit auseinander liegen im Alter, Gott sei es geklagt, aber doch einen ähnlichen Hintergrund haben. Das sind die Filme, die in der DEFA gedreht worden sind, und wir haben, glaube ich, ein Bewusstsein der großen Theaterlandschaft, die es gab in der DDR, und der Schauspieler, die es gab.
Und er war auch für mich wichtig, weil er mich durchaus gestärkt hat in meiner Meinung, dass ich ja eigentlich nur – wenn man oft danach gefragt hat, wie war das vor der Wende, wie war das nach der Wende – dass ich ja eigentlich nur machen kann, was ich kann. Das heißt also auch weitermachen, was ich bisher gemacht habe.
Meyer: Andreas Dresen hat, als Sie vergangenes Jahr den Ehrenbären der Berlinale bekommen haben, eine Hommage an Wolfgang Kohlhaase geschrieben für das Wochenmagazin "Die Zeit", und da findet man den Satz drin, dass Sie, also Wolfgang Kohlhaase, die Menschen und ihre Figuren mit den Augen der Liebe betrachten. Sagen Sie dazu, das stimmt im Prinzip, oder sagen Sie, Andreas Dresen, in aller Freundschaft, das ist mir doch ein bisschen zu harmonisch?
Kohlhaase: Na ja, stimmt im Prinzip. Man kann es ja auch sozusagen ein bisschen nüchterner ausdrücken. Ich glaube, kein Mensch hat nur unrecht, und Drama entsteht, wenn von verschiedenen Standpunkten aus die Personen recht haben. Das entsteht nicht, wenn Recht und Unrecht sehr übersichtlich sortiert sind. Jeder Mensch hat möglicherweise einen großen Moment, bei den meisten wird er nie bemerkt. Und man erfindet keine Figur, um sie auftreten zu lassen und ihr nur Unrecht zu geben. Man schuldet ihm diese Art von mittlerer Gerechtigkeit, auch als Person in einer Geschichte.
Meyer: Was aber dazukommt zu dieser Menschenliebe – einer der menschenverliebtesten Drehbuchautoren, habe ich auch mal über Sie gelesen – was dazukommt ist ja auch so eine spezifische Form der Heiterkeit, so als ob Sie aber auch auf dieses Leben schauen, als ob das letzten Endes bei aller Mühe, die sich die Figuren geben und wie sie sich abzappeln, um an ihre Ziele zu kommen, als ob alles auch so etwas wie eine große Komödie wäre? Ist das Ihr Blick?
Kohlhaase: Ja, vielleicht. Also sagen wir mal, ich habe immer sehr gern gehabt den Berliner Satz, der da heißt: Wer weeß, wofür et jut is. Das heißt, in jedem Vorteil steckt ein Nachteil, in jedem Glück ist auch ein Unglück verborgen, wo etwas gewonnen wird, geht etwas verloren. Also dieses doppelte Gesicht der Realität, das gehört zu meinem Lebensgefühl. Jede große Veranstaltung enthält ihre eigene Parodie, wenn man genau hinsieht. Und Dinge komisch zu finden, bedeutet, sich ihrer blinden Gewalt nicht zu unterwerfen. Wer etwas komisch findet, sich selbst eingeschlossen, das ist ganz wichtig, geht vielleicht nicht so leicht unter.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. In den 60er-Jahren, da war Gerhard Klein ganz wichtig für Sie, mit ihm haben Sie zusammen "Berlin um die Ecke" gemacht, einen Film, der dann dem 11. Plenum des ZK der SED zum Opfer fiel, 1965. Damals wurde ja fast eine ganze Jahresproduktion von DEFA-Filmen aus dem Verkehr gezogen, für lange Zeit in vielen Fällen. Wie haben Sie eigentlich danach wieder das Vertrauen gefunden, es lohnt sich, hier an diesem Ort in der DDR weiterzuarbeiten?
Kohlhaase: Vertrauen hat auch mit Selbstvertrauen zu tun, aber auch mit Vertrauen auf Gegenseitigkeit. Zunächst war das eine einigermaßen schockierende Erfahrung, und zwar nicht, weil es Einwände gab oder weil es Streit gab. Ich habe nie geglaubt, dass es bequem sein könnte oder müsste oder sollte, sogenannte unbequeme Filme zu machen – das schließt sich ja eigentlich aus. Also auf ein bestimmtes Ausmaß an Streit, an mangelnder Freundlichkeit, an Zweifel aus der Richtung der Politik konnte man sich ja einrichten. Natürlich ist das Gespräch zu Ende, wenn Filme verboten werden. Worüber will man da noch reden?
Und ich hab dann auch ein Jahr lang das Ganze gelassen, hab ein bisschen Prosa geschrieben, hab ein Hörspiel geschrieben, was dann ein Theaterstück wurde und noch heute läuft, "Fisch zu viert". Wunderlicherweise gibt es davon inzwischen fast 250 Inszenierungen, nicht Aufführungen. Ein privates Wunder!
Aber wissen Sie, die Kulturpolitik, die dieses törichte Plenum veranstaltet hat, war ja nicht nur ein Film- oder Literaturproblem. Es war aus vielerlei Gründen, wie man nicht im selben Moment wusste, aber wie man später wusste, war es ein Versuch, die Gesellschaft zu disziplinieren. Es ist der Politik immer leichter gefallen, über Kunst zu reden als über die wirklichen Umstände, um die es ging. Und ein Gedanke, den wir dann immer gepflegt haben – ich meine, weil man ja, bei aller Bedrängnis, auch eine Menge gelacht hat –, sagten wir, es gibt keine Kartoffeln, wir werden große Lyrikdiskussionen haben. Also gut, das Geringste, was man tun konnte: Es nicht einsehen. Das war man sich aber auch selbst schuldig. Mein Freund und Partner Gerhard Klein war krank, da fing die Zusammenarbeit mit Konrad Wolf an, und daraus wurde dann der Film "Ich war neunzehn", weil er überlegte für sich auch, was kann ich denn mit Anstand machen?
Meyer: Konrad Wolf war ja ein ganz wichtiger Partner für Sie, für mehrere Filme. "Ich war neunzehn" haben Sie erwähnt, "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" gehört dazu, dann natürlich "Solo Sunny". "Solo Sunny" ist ja ein Film, der, man hört es schon am Titel, eine Frau im Zentrum hat, bei "Sommer vorm Balkon" stehen zwei Frauen im Zentrum. "Die Stille vor dem Schuss", ein Film, den Sie mit Volker Schlöndorff gemacht haben, da geht es um Frauen im Mittelpunkt. Ihr neuestes Werk, da geht es um eine, ich glaube, etwa 20-jährige junge Frau, die aus China kommt. Woher kommt eigentlich, Wolfgang Kohlhaase, Ihr Faible für Filme mit Frauen im Mittelpunkt?
Kohlhaase: Man kommt an ihnen nicht vorbei. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben mich Frauen und das, was mit ihnen geschieht, was um sie herum geschieht, vielleicht hat mich das oft mehr berührt oder vielleicht hat sich in der Zeit meines Lebens, also solange ich dabei bin, für Frauen sehr viel mehr verändert als für Männer. Die alten Rollenmuster sind gekündigt und wirken trotzdem weiter. Und man muss bei Filmen ja nicht nur an Filmkunst denken – dieses Wort, das ich sehr liebe, ist Kino, und dann sind eben die törichten oder die redlichen Mädchen, auf jeden Fall die schönen Mädchen sind eben im Kino unverzichtbar. Deshalb geht man hin, jedenfalls der männliche Teil des Publikums.
Es ist auch wirklich ein klassisches Kinomuster: das Mädchen, das es besser verdient hätte. Funktioniert bis heute, es hat einen universellen Aspekt, man kann sie in einem Satz erzählen: Jemand hat eine besondere Idee von sich selbst, und schon beginnt der Ärger.
Du kommst doch in eine vorbereitete Welt, die bietet dir ihre Muster an, ihre Normen, die bringt dich in ihre soziale Realität, in der du günstiger oder ungünstiger platziert bist. Du suchst dir dein Land nicht aus, deine Zeit nicht aus, deine Eltern nicht aus. Erst wenn du das begreifst, gewinnst du eine gewisse Handlungsfreiheit, aber die ist in sich auch wieder beschränkt. Und dann hast du ein paar Jahrzehnte Zeit, dich mit dem Gegebenen einzurichten oder nicht einzurichten.
Also der Einzelne und die Gesellschaft und wie viel Freiheit gibt es und ist Freiheit ein magischer Begriff oder gibt es sie in diesem manchmal ausgerufenen Verständnis vielleicht gar nicht. Vielleicht gibt es Freiheiten, und davon nimmt sich jeder, so viel er kann. Und für viele ist da nicht viel da.
Meyer: Herr Kohlhaase, Sie werden jetzt den Deutschen Filmpreis für Ihr Lebenswerk bekommen, vergangenes Jahr gab es ja schon den Ehrenbären der Berlinale für Sie. Manchmal sagen einem Künstler im Gespräch, mir sind solche Preise eigentlich gar nicht lieb, weil da für mich die Botschaft drinsteckt, du hast dein Lebenswerk getan, jetzt gib mal so ein bisschen Ruhe. Wie geht es Ihnen mit solchen Preisen? Hören Sie da auch so eine Botschaft heraus?
Kohlhaase: Na sicher, Lebenswerk ist so ein Endwort, und natürlich versucht man, sowohl dem kleinen Wörtchen noch zu entkommen wie auch der Magie einer Zahl wie 80 – da sagen wir, kann ja wohl nicht sein. Aber dann sage ich aber, an starken Tagen fühle ich mich wie 79.
Mangel: Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase im Gespräch mit Frank Meyer. Im März ist er 80 geworden, heute Abend wird er in Berlin mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und wer außer ihm noch einen Deutschen Filmpreis bekommt, eine Lola, das berichten wir dann heute Abend in unserer Sendung "Fazit" um 23 Uhr.
Wolfgang Kohlhaase: Ich glaube, dass die Frage, mit wem man arbeitet, soweit man das beeinflussen kann oder entscheiden kann oder sich wünschen kann, das ist die wichtigste Frage, bevor man überhaupt anfängt. Man sollte sich kennen, in einem nicht unbedingt privaten Verständnis, aber in Bezug auf Arbeit. Man sollte ähnliche Filme gut finden und ähnliche Filme schlecht finden. Man sollte, wenn zu einem Problem zehn Punkte gehören, in acht Punkten einer Meinung sein – die zwei, die dann offen sind, sind schwierig genug. Das heißt, man muss versuchen, in einer Konstellation zu arbeiten, wo es keine großen Missverständnisse gibt, in welche Richtung ein Film geht.
Frank Meyer: Wenn Sie sagen, die Partnerschaft ist wichtig, mit wem man zusammenarbeitet: Eine, glaube ich, für beide Seiten ziemlich beglückende Partnerschaft der letzten Jahre war die mit Andreas Dresen. Mit ihm haben Sie ja zwei Spielfilme gemacht, "Sommer vorm Balkon" und "Whisky mit Wodka". Man hat auch von außen den Eindruck, dass Sie vieles miteinander verbindet. Wie würden Sie das benennen, was sind da die acht von zehn Punkten, die übereinstimmen?
Kohlhaase: Er guckt ähnlich auf das Alltägliche, glaube ich. Er ist auf eine ähnliche Weise an Menschen interessiert und an sozialer Genauigkeit. Er hat für meine Art von Lakonie ein Verständnis und geht darüber hinaus. Und er ist ein ausgesprochen kollegialer Partner, kein Vertreter dieser Art von Regieimperialismus, wo sich dann plötzlich alles auf eine Person zu beziehen scheint. Dazu kommt, dass wir zwar weit auseinander liegen im Alter, Gott sei es geklagt, aber doch einen ähnlichen Hintergrund haben. Das sind die Filme, die in der DEFA gedreht worden sind, und wir haben, glaube ich, ein Bewusstsein der großen Theaterlandschaft, die es gab in der DDR, und der Schauspieler, die es gab.
Und er war auch für mich wichtig, weil er mich durchaus gestärkt hat in meiner Meinung, dass ich ja eigentlich nur – wenn man oft danach gefragt hat, wie war das vor der Wende, wie war das nach der Wende – dass ich ja eigentlich nur machen kann, was ich kann. Das heißt also auch weitermachen, was ich bisher gemacht habe.
Meyer: Andreas Dresen hat, als Sie vergangenes Jahr den Ehrenbären der Berlinale bekommen haben, eine Hommage an Wolfgang Kohlhaase geschrieben für das Wochenmagazin "Die Zeit", und da findet man den Satz drin, dass Sie, also Wolfgang Kohlhaase, die Menschen und ihre Figuren mit den Augen der Liebe betrachten. Sagen Sie dazu, das stimmt im Prinzip, oder sagen Sie, Andreas Dresen, in aller Freundschaft, das ist mir doch ein bisschen zu harmonisch?
Kohlhaase: Na ja, stimmt im Prinzip. Man kann es ja auch sozusagen ein bisschen nüchterner ausdrücken. Ich glaube, kein Mensch hat nur unrecht, und Drama entsteht, wenn von verschiedenen Standpunkten aus die Personen recht haben. Das entsteht nicht, wenn Recht und Unrecht sehr übersichtlich sortiert sind. Jeder Mensch hat möglicherweise einen großen Moment, bei den meisten wird er nie bemerkt. Und man erfindet keine Figur, um sie auftreten zu lassen und ihr nur Unrecht zu geben. Man schuldet ihm diese Art von mittlerer Gerechtigkeit, auch als Person in einer Geschichte.
Meyer: Was aber dazukommt zu dieser Menschenliebe – einer der menschenverliebtesten Drehbuchautoren, habe ich auch mal über Sie gelesen – was dazukommt ist ja auch so eine spezifische Form der Heiterkeit, so als ob Sie aber auch auf dieses Leben schauen, als ob das letzten Endes bei aller Mühe, die sich die Figuren geben und wie sie sich abzappeln, um an ihre Ziele zu kommen, als ob alles auch so etwas wie eine große Komödie wäre? Ist das Ihr Blick?
Kohlhaase: Ja, vielleicht. Also sagen wir mal, ich habe immer sehr gern gehabt den Berliner Satz, der da heißt: Wer weeß, wofür et jut is. Das heißt, in jedem Vorteil steckt ein Nachteil, in jedem Glück ist auch ein Unglück verborgen, wo etwas gewonnen wird, geht etwas verloren. Also dieses doppelte Gesicht der Realität, das gehört zu meinem Lebensgefühl. Jede große Veranstaltung enthält ihre eigene Parodie, wenn man genau hinsieht. Und Dinge komisch zu finden, bedeutet, sich ihrer blinden Gewalt nicht zu unterwerfen. Wer etwas komisch findet, sich selbst eingeschlossen, das ist ganz wichtig, geht vielleicht nicht so leicht unter.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. In den 60er-Jahren, da war Gerhard Klein ganz wichtig für Sie, mit ihm haben Sie zusammen "Berlin um die Ecke" gemacht, einen Film, der dann dem 11. Plenum des ZK der SED zum Opfer fiel, 1965. Damals wurde ja fast eine ganze Jahresproduktion von DEFA-Filmen aus dem Verkehr gezogen, für lange Zeit in vielen Fällen. Wie haben Sie eigentlich danach wieder das Vertrauen gefunden, es lohnt sich, hier an diesem Ort in der DDR weiterzuarbeiten?
Kohlhaase: Vertrauen hat auch mit Selbstvertrauen zu tun, aber auch mit Vertrauen auf Gegenseitigkeit. Zunächst war das eine einigermaßen schockierende Erfahrung, und zwar nicht, weil es Einwände gab oder weil es Streit gab. Ich habe nie geglaubt, dass es bequem sein könnte oder müsste oder sollte, sogenannte unbequeme Filme zu machen – das schließt sich ja eigentlich aus. Also auf ein bestimmtes Ausmaß an Streit, an mangelnder Freundlichkeit, an Zweifel aus der Richtung der Politik konnte man sich ja einrichten. Natürlich ist das Gespräch zu Ende, wenn Filme verboten werden. Worüber will man da noch reden?
Und ich hab dann auch ein Jahr lang das Ganze gelassen, hab ein bisschen Prosa geschrieben, hab ein Hörspiel geschrieben, was dann ein Theaterstück wurde und noch heute läuft, "Fisch zu viert". Wunderlicherweise gibt es davon inzwischen fast 250 Inszenierungen, nicht Aufführungen. Ein privates Wunder!
Aber wissen Sie, die Kulturpolitik, die dieses törichte Plenum veranstaltet hat, war ja nicht nur ein Film- oder Literaturproblem. Es war aus vielerlei Gründen, wie man nicht im selben Moment wusste, aber wie man später wusste, war es ein Versuch, die Gesellschaft zu disziplinieren. Es ist der Politik immer leichter gefallen, über Kunst zu reden als über die wirklichen Umstände, um die es ging. Und ein Gedanke, den wir dann immer gepflegt haben – ich meine, weil man ja, bei aller Bedrängnis, auch eine Menge gelacht hat –, sagten wir, es gibt keine Kartoffeln, wir werden große Lyrikdiskussionen haben. Also gut, das Geringste, was man tun konnte: Es nicht einsehen. Das war man sich aber auch selbst schuldig. Mein Freund und Partner Gerhard Klein war krank, da fing die Zusammenarbeit mit Konrad Wolf an, und daraus wurde dann der Film "Ich war neunzehn", weil er überlegte für sich auch, was kann ich denn mit Anstand machen?
Meyer: Konrad Wolf war ja ein ganz wichtiger Partner für Sie, für mehrere Filme. "Ich war neunzehn" haben Sie erwähnt, "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" gehört dazu, dann natürlich "Solo Sunny". "Solo Sunny" ist ja ein Film, der, man hört es schon am Titel, eine Frau im Zentrum hat, bei "Sommer vorm Balkon" stehen zwei Frauen im Zentrum. "Die Stille vor dem Schuss", ein Film, den Sie mit Volker Schlöndorff gemacht haben, da geht es um Frauen im Mittelpunkt. Ihr neuestes Werk, da geht es um eine, ich glaube, etwa 20-jährige junge Frau, die aus China kommt. Woher kommt eigentlich, Wolfgang Kohlhaase, Ihr Faible für Filme mit Frauen im Mittelpunkt?
Kohlhaase: Man kommt an ihnen nicht vorbei. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben mich Frauen und das, was mit ihnen geschieht, was um sie herum geschieht, vielleicht hat mich das oft mehr berührt oder vielleicht hat sich in der Zeit meines Lebens, also solange ich dabei bin, für Frauen sehr viel mehr verändert als für Männer. Die alten Rollenmuster sind gekündigt und wirken trotzdem weiter. Und man muss bei Filmen ja nicht nur an Filmkunst denken – dieses Wort, das ich sehr liebe, ist Kino, und dann sind eben die törichten oder die redlichen Mädchen, auf jeden Fall die schönen Mädchen sind eben im Kino unverzichtbar. Deshalb geht man hin, jedenfalls der männliche Teil des Publikums.
Es ist auch wirklich ein klassisches Kinomuster: das Mädchen, das es besser verdient hätte. Funktioniert bis heute, es hat einen universellen Aspekt, man kann sie in einem Satz erzählen: Jemand hat eine besondere Idee von sich selbst, und schon beginnt der Ärger.
Du kommst doch in eine vorbereitete Welt, die bietet dir ihre Muster an, ihre Normen, die bringt dich in ihre soziale Realität, in der du günstiger oder ungünstiger platziert bist. Du suchst dir dein Land nicht aus, deine Zeit nicht aus, deine Eltern nicht aus. Erst wenn du das begreifst, gewinnst du eine gewisse Handlungsfreiheit, aber die ist in sich auch wieder beschränkt. Und dann hast du ein paar Jahrzehnte Zeit, dich mit dem Gegebenen einzurichten oder nicht einzurichten.
Also der Einzelne und die Gesellschaft und wie viel Freiheit gibt es und ist Freiheit ein magischer Begriff oder gibt es sie in diesem manchmal ausgerufenen Verständnis vielleicht gar nicht. Vielleicht gibt es Freiheiten, und davon nimmt sich jeder, so viel er kann. Und für viele ist da nicht viel da.
Meyer: Herr Kohlhaase, Sie werden jetzt den Deutschen Filmpreis für Ihr Lebenswerk bekommen, vergangenes Jahr gab es ja schon den Ehrenbären der Berlinale für Sie. Manchmal sagen einem Künstler im Gespräch, mir sind solche Preise eigentlich gar nicht lieb, weil da für mich die Botschaft drinsteckt, du hast dein Lebenswerk getan, jetzt gib mal so ein bisschen Ruhe. Wie geht es Ihnen mit solchen Preisen? Hören Sie da auch so eine Botschaft heraus?
Kohlhaase: Na sicher, Lebenswerk ist so ein Endwort, und natürlich versucht man, sowohl dem kleinen Wörtchen noch zu entkommen wie auch der Magie einer Zahl wie 80 – da sagen wir, kann ja wohl nicht sein. Aber dann sage ich aber, an starken Tagen fühle ich mich wie 79.
Mangel: Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase im Gespräch mit Frank Meyer. Im März ist er 80 geworden, heute Abend wird er in Berlin mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und wer außer ihm noch einen Deutschen Filmpreis bekommt, eine Lola, das berichten wir dann heute Abend in unserer Sendung "Fazit" um 23 Uhr.