Der Historiker Martin Rupps ist sicher, dass vonseiten der CSU mit taktischen Bewegungen gegen Merkel zu rechnen ist. Hören und lesen Sie hier unser Gespräch mit ihm.
Den Königinnen-Mördern zuvorkommen
Kanzlerin Angela Merkel steht eine Herausforderung bevor, die nur wenige zu meistern in der Lage sind: Sie muss selbst den Machtwechsel im Kanzler- und Parteiamt einleiten - die Uhr tickt.
Der Koalitionsvertrag steht – und er hat das Potenzial zum Katalysator für das Ende der Ära Merkel zu werden, anstatt die Macht der alten und neuen Kanzlerin zu sichern.
Vor allem die Ressortaufteilung, über die in der letzten Verhandlungsnacht entschieden worden ist, und bei der sich Merkel offenbar nicht gegen SPD und CSU durchsetzen konnte, sorgt bei den Christdemokraten für Katerstimmung anstatt Feierlaune. Kaum einer freut sich, dass nun wieder regiert werden kann, stattdessen brechen die bislang geschlossenen Reihen auf und die Unzufriedenen melden sich zu Wort. Passend zu Karneval ließe sich sagen: Früher war mehr Konfetti.
Landwirtschaft und Wirtschaft bleiben der CDU
Denn das wichtige Finanzministerium hat die SPD bekommen, genauso wie das Auswärtige Amt – für die zukünftige Europapolitik ein Pfund –, das sowieso schon mächtige Innenministerium wurde mit Bau und Heimat aufgewertet und der CSU gegeben. Der kleinste Koalitionspartner sicherte sich außerdem noch zwei weitere Ministerien.
Und was haben die Christdemokraten dafür bekommen: Landwirtschaft und Wirtschaft. Letzteres hatte die CDU zwar schon lange nicht mehr, allerdings: Noch nicht einmal die Wirtschaftspolitiker können sich richtig darüber freuen. Diese – aber nicht nur die, sondern auch andere in der CDU – finden teilweise deutliche Worte. Von einem Fehler ist die Rede, andere, wie der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, sprechen sogar von einer Zäsur, die das Ende der Volkspartei CDU bedeuten könnte.
Das Grummeln wird lauter
Manche sind hingegen noch etwas zurückhaltend. Aber Kritik ist Kritik, das Grummeln wird immer lauter. Noch sagt es zwar keiner direkt, aber indirekt richtet dies sich natürlich vor allem gegen eine Person: Parteichefin Angela Merkel. Ihre Gegner dürften sich die Hände reiben.
Es war schon in den vergangenen Monaten klar, dass in der CDU nicht mehr jeder für die Chefin die Hand ins Feuer legen würde, dass sich Unzufriedenheit breit macht, sei es einfach nur auf Grund einer Sehnsucht nach etwas Neuem, sei es wegen eigener Machtambitionen oder sei es, weil man sich mehr Profilschärfe für die CDU wünscht. Die Reihen blieben nur geschlossen, weil jedem klar war, dass eine geschwächte CDU-Chefin und eine Nachfolgedebatte für den Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen mehr schadet als nützt.
Mit etwas Geschick und Glück hätte Merkel dennoch diese Legislaturperiode im Kanzleramt und auf dem Chefsessel der CDU beenden können. Der Koalitionsvertrag könnte aber nun der berühmte Tropfen sein, auf den so mancher noch gewartet hat, der das Fass zum Überlaufen bringt und der jetzt eine Dynamik in Gang setzt, die den Übergangsprozess deutlich beschleunigt.
Zuerst kommt der Parteitag
Noch hat Merkel allerdings nichts zu befürchten. Denn zunächst muss die CDU ihren Parteitag hinter sich bringen. Dort werden die Delegierten, viele wahrscheinlich zähneknirschend, dem Koalitionsvertrag zustimmen. Die CDU ist nun mal ein Kanzlerwahlverein – und Neuwahlen, das wissen die meisten, könnte auch die CDU nicht gebrauchen.
Ist der SPD-Mitglieder-Entscheid auch positiv ausgegangen, beginnt für Merkel die Uhr zu ticken. Und nur sie selbst kann einen unangenehmen Übergangsprozess vermeiden.
Sie muss zum einen, um nicht noch mehr Unmut zu provozieren, die Jungen ins Kabinett stärker mit einbinden. Die fordern das bereits öffentlich ein. Ein Generationswechsel muss sichtbar sein. Die Kabinettslisten, die im Moment kursieren, dürften dahingehend nicht zufriedenstellend sein.
Kampf um die Nachfolge
Sie muss außerdem etwas schaffen, was nur wenigen gelingt: Sie muss den Königinnenmördern zuvorkommen und entsprechend den Machtwechsel an der Parteispitze und dem Kanzleramt selbst einleiten. Nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch, um zu verhindern, dass sich die Christdemokraten innerparteilich im Kampf um die Nachfolge und die künftige politische Richtung der CDU zu sehr zerstreiten.
Seehofer hat dies schon geschafft, Schulz hat es zumindest versucht. Aber Merkel macht noch keine Anstalten, sich in diese Richtung zu bewegen. Es wird ihr aber nichts anderes übrig bleiben. Denn entweder bewegt sie sich oder sie wird eben bewegt.