Das Ende der Sinne

Waltraud Tschirner im Gespräch mit Ulrike Timm |
In der kommenden Woche kommt mit "Perfect Sense" der neue Film des Schotten David Mackenzie in die Kinos. In dem Arthouse-Drama zeigt er, was den Menschen bleibt, wenn sie ihre Sinneswahrnehmung verlieren. Unsere Rezensentin Waltraud Tschirner hat Mackenzie getroffen.
Ulrike Timm: Waltraud Tschirner, es ist ja nicht ganz leicht, vom Lesen her zu verstehen, was da wirklich passiert - und gleichzeitig hört es sich ein wenig kitschig an. Also Romanze vor apokalyptischem Hintergrund?

Waltraud Tschirner: Na ja, es ist wirklich eine ungewöhnliche Mischung - deshalb habe ich ihn auch gleich gefragt, warum er - wo doch die halbe Filmwelt gerade auf romantische Komödien schwört - eine romantische Tragödie gedreht hat:

"Ich weiß nicht, ob es eine totale Tragödie ist, ich glaube, es ist ein optimistischer Film, aber er ist wirklich romantisch und wahrscheinlich nicht sehr komisch. Es gibt aber auch komische Momente. Ich glaube ja ohnehin - die schönsten Romanzen sind oft irgendwie verloren. Eine der Aussagen des Filmes ist, Liebe kann wachsen und in extremen Zeiten sogar stärker und richtig stark werden. Und wenn dieser Film dann so etwas wie eine Botschaft hat, dann hoffe ich, dass sie darin liegt, dass die Menschheit die Kraft hat, sich anzupassen und an der Liebe in schwierigen Zeiten festzuhalten."

Tschirner: Die Menschen müssen sich hier anpassen an etwas, das man sich eigentlich nicht vorstellen möchte, denn eine rätselhaft Seuche sucht die Welt heim, eine, die den Menschen buchstäblich die Sinne raubt. Und diese beiden Protagonisten sind dafür sehr gut ausgewählt. Hier Susan, die ratlose Seuchenforscherin, dort Michael, der erfolgsverwöhnte Koch, der mit seinen Lebensmitteln und Kräutern Wunderbares kreiert und auch Susan zunächst mit seinem Kochtalent verzaubert. Und dann verschwindet plötzlich der Geschmackssinn, der Geruchssinn.

Der Film ist so etwa wie eine Verkehrung des allerorten adaptierten olympischen Prinzips - schneller, höher, weiter. Jetzt wird reduziert, minimiert, entschleunigt. Die Wahrnehmungen werden immer mehr eingeschränkt und es bleibt am Ende nur die Konzentration auf das Wesentliche, das Eigentliche - jedenfalls eine wirkliche Nähe, die gemeinsam alles durchstehen lässt. David Mackenzie beobachtet in seinen Filmen ohnehin gern Menschen in extremen Situation und man erkennt schnell, dass es ihm um die Fassaden und das Dahinter geht:

"Was ist dahinter? Ja, ich glaube, einer der Gründe, warum in meinen Filmen relativ extreme Dinge geschehen, ist, dass es so natürlich dramatischer wird. Wenn man Menschen an ihre Grenzen drängt, wird vieles klarer und definierter. Die Oberfläche reicht nie aus, wenn man der Wahrheit der Dinge auf den Grund gehen möchte. Und wir leben in einer Zeit ,wo die bildliche Darstellung und die Ikonografie von Sehnsucht, Begehren und Wünschen oberflächlich erscheinen. Wenn man Menschen erkunden will, muss man also mehr in die Tiefe gehen. Ja, so suche ich wohl nach Geschichten, in denen die Lebensumstände, die verschiedenen Schichten einer Fassade und die Oberflächlichkeit infrage stehen."

Timm: Vielleicht sollten wir noch einmal den Begriff der Apokalypse aufgreifen. Wie stellt David Mackenzie denn dieses katastrophale Szenario dar, mit so unvorstellbar einschneidenden Folgen für die Menschen? Man will das ja wirklich nicht zu Ende denken - was es bedeutet, nach und nach alle seine Sinne zu verlieren ...

Tschirner: Der Film ist so ganz anders, als man sich Katastrophenfilme vorstellt und als man sie auch kennt - leise, verinnerlicht, mit Bildern natürlich, die Verzweiflung zeigen, mit Tränen, aber eben auch mit Humor und viel menschlicher Wärme. Und es schwingt immer die Frage nach der Identität mit:

"Wenn man die Frage nach der Identität stellt, dann ist es auch eine Frage, was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Das sind Fragen die sich jeder seit dem Ursprung unserer Zeit stellt. Mir gehen sowieso immer viele Fragen im Kopf herum und Identitätsfragen sind wichtig, vor allem dann, wenn man sich unwohl fühlt, wenn man wieder einmal herausfinden möchte, wer man ist, an welche Grenzen man drängt und stößt. Ich glaube, ich bin irgendwie ein Rebell und habe mich auch immer einsam gefühlt, weil ich rebellisch bin. Und wenn man sich wirklich auflehnt, ist man einsam, weil man es ja nicht wirklich mit anderen teilt. Einige meiner Figuren sind irgendwie isoliert, sie stehen ein wenig am Rand der Gesellschaft und das könnte eine Art Selbstreflexion sein."

Timm: Eva Green, bekannt unter anderem aus Bertoluccis "Träumern" und der James Bond-Episode "Casino Royal", spielt also die weibliche Hauptrolle in "Perfect Sense", Ewan McGregor die männliche. Mit ihm hat McGregor ja nicht zum ersten Mal gedreht ...

Tschirner: Das stimmt. McGregor sagt sogar, dass Mackenzie sein Lieblingsregisseur ist - ein Satz, den der Regisseur natürlich gerne gehört hat:

"Ich liebe es, mit Ewan McGregor zu arbeiten. Ich halte ihn für einen Gentleman, er ist ein sehr kreativer Schauspieler, es macht Spaß mit ihm, er stürzt sich in die Arbeit und er ist einfallsreich. Außerdem ist es interessant, erneut mit jemandem zusammenzuarbeiten, mit dem man schon gedreht, mit dem man einmal eine andere Figur entwickelt hat. Wenn man die Möglichkeit hat, Vertrauen aufzubauen und die Dinge weiter zu entwickeln, dann kommt man schneller voran und kann auf der Leiter gleich auf einer höheren Sprosse einsteigen. Ich glaube, das war der erste Film seit langem, den Ewan wieder in Schottland gedreht hat. Glasgow ist für ihn ja fast wie zu Hause. Und ich kam gerade aus den USA zurück, also für mich war das in gewisser Weise auch ein zu Hause."

Timm: David Mackenzie hat also als Regisseur die die Erfahrung Hollywood gemacht. Welchen Blick hat er darauf?

Tschirner: Ja, er hat dort den gerade vor kurzem noch einmal bei uns im Fernsehen gezeigten Film "Toyboy" mit Ashton Kutscher gedreht - eine Satire auf den oberflächlichen Filmstarwahnsinn von L.A. Und er hat ganz interessant von diesem Erlebnis erzählt:

"Als ich zurück nach Schottland kam, dachte ich, da ich Freunde in Los Angeles habe und wieder zurück möchte, werde ich etwa einen Monat bleiben, meine Wohnung auflösen und dann zurück nach Los Angeles gehen. Doch dann war Herbst - meine Lieblingsjahreszeit, ich konnte den Rauch der Feuer riechen, die Wärme und die Seele von Glasgow waren sofort fühlbar. Und plötzlich wurde mir klar: Los Angeles ist ein Ort, der keine wirkliche Seele hat. Man kann sie vielleicht finden, wie überall auf der Welt, aber diese Seele ist nicht Teil des Programms. Alles ist dort Oberfläche. Der Wunsch nach Los Angeles zurück zu kehren verdampfte regelrecht und zwar fast sofort. Das war schon komisch. Dann erhielt ich das Drehbuch zu 'Perfect Sense' und ich bekam die Möglichkeit, einen Film zu machen, der die großen Themen eines Hollywoodfilms beinhaltet, aber den Geschmack eines europäischen Films behielt. Poetisch, intim, eine große Geschichte erzählt auf eine poetisch-intime Weise. Es gab mir die Möglichkeit einer Rückkehr. Und so änderte ich sehr schnell meine Meinung über die Möglichkeit, in Hollywood Filme zu drehen und wurde wieder zum Europäer. Und auch meine nächsten zwei, drei Projekte halten mich in Europa."