Das Ende des Urchristentums
Der Übergang vom Urchristentum zu einer Weltreligion ist mit einem Namen verbunden: Kaiser Konstantin. Er sorgte für die Kirchlichwerdung des Urchristentums. Und das - so die These von Paul Veyne in "Als unsere Welt christlich wurde" - nicht nur aus reiner Machtgier, sondern weil der Kaiser wirklich vom Christentum überzeugt war.
Christen, die glauben wollen, aber mit ihrer Kirche hadern, suchen gern nach dem idealen, ursprünglichen Christentum. Dieses Christentum war egalitär und sanft und entsprach dem Willen Jesu – bis es dann im vierten Jahrhundert brutal überrannt wurde. Und zwar vom eigenen Erfolg. Dieses Ende des Idealisierten hat einen Namen: Kaiser Konstantin. Er ist der Schurke bei der Kirchlichwerdung des Urchristentums. Der französische Historiker Paul Veyne wirft gegen diese Interpretation einen völlig anderen Blick auf Konstantin und das frühe Christentum. Konstantin sei wirklich vom Christentum überzeugt gewesen und habe es nicht nur als Mittel zur Macht benutzt. Mehr noch: dass der Kaiser selber sich des Christentums angenommen habe, habe der jungen Kirche gut getan und sie gefördert, nicht etwa im eigentlichen Kern zerstört.
"Eines schönen Tages im Jahr 312 fasste Konstantin den Entschluss, Christ zu sein." So einfach ist das für Paul Veyne, und doch auch kompliziert. Denn damit fallen all die einfachen Erklärungen für diese spektakulärste aller Bekehrungen weg. Konstantin habe nicht aus Kalkül gehandelt – er bekehrte sich als Herrscher zur Minderheitsreligion in seinem Reich, welche Heerscharen hätte er dadurch gewinnen können? Es war auch kein Synkretismus aus Unwissenheit oder Überzeugung, dafür spricht die konstante Bevorzugung der christlichen Religion und der Verbot heidnischer Opfer in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers. Konstantin war wirklich von dem begeistert, was er tat. Über den ganz persönlichen Glauben des Herrschers sind keine Aussagen mehr möglich, aber Paul Veyne ist überzeugt: Für Konstantin war allein die immer noch neue Religion des Christentums des kaiserlichen Throns würdig, sie hatte Glanz und eine Leidenschaft, die den zur Gewohnheit erstarrten römisch-heidnischen Ritualen lange fehlte und die auch andere neue Glaubensmoden wie orientalische Mysterienkulte und Neuplatonismus nicht aufbringen konnten.
Das Christentum im dritten Jahrhundert ist für Veyne eine Religion auf dem Gipfel ihrer Ausstrahlungskraft und Modernität. Sie bietet eine auf leidenschaftlicher Wechselseitigkeit basierende Beziehung von Gott und Mensch. Und sie ermöglicht durch ihre Organisation als eine Kirche, die auf Autorität gründet, sie höchst produktiv in den Staat zu integrieren. Dennoch brauchte dieses Christentum den Kaiser. Denn vor Konstantin waren die Christen eine elitäre Parallelgesellschaft – von den traditionellen Eliten misstrauisch beäugt, vom einfachen Volk durch die Betonung persönlicher Tugenden viel zu weit entfernt. Erst als Kaiser Konstantin das Christentum als Gläubiger propagierte, wo er nur konnte, setzte es sich binnen weniger Jahrzehnte als neue Staatsreligion durch. Dabei hat Konstantin, so Veyne, das Christentum nicht gefügig gemacht, sondern nur pragmatisch alle Potenziale seiner persönlichen Entscheidung genutzt. Die Kirche wurde nicht zerstört, machte allerdings Zugeständnisse an die Massen: Die äußerte elitäre Schärfe der neuen Überzeugung schliff sich ab zugunsten von Elementen des Volksglaubens, wie zum Beispiel dem Glauben an dämonische Mächte.
Paul Veyne bezieht klar Partei in seiner Darstellung: Er bewundert Kaiser Konstantin als großen Herrscher, der seinen Moment in der Geschichte konsequent und zum Nutzen vieler ergriffen hat. Als Christ schreibt der französische Historiker nicht. Aber als leidenschaftlicher Gegner einer Geschichtsdeutung, die rein auf Kosten-Nutzen-Denken basiert und in der jede neue Entwicklung immer schon weit vorher angelegt schien. Veyne votiert für die Leidenschaft des Unerwarteten – Kaiser Konstantin und sein christlicher Glaube sind ihm dafür die Gewährsleute: "Alles in allem stellte das Christentum Innovation, Erfindung, Schöpfung dar – alles Dinge, aus denen Geschichte besteht, obwohl manche Historiker das nicht zugeben können, weil sie sich eine falsche Vorstellung vom historischen Determinismus und der Rolle von Ausgangsbedingungen machen."
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Paul Veyne: "Als unsere Welt christlich wurde. Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht"
Aus dem Französischen von Matthias Grässlin
Verlag C. H. Beck 2008
223 Seiten, 19,90 Euro
"Eines schönen Tages im Jahr 312 fasste Konstantin den Entschluss, Christ zu sein." So einfach ist das für Paul Veyne, und doch auch kompliziert. Denn damit fallen all die einfachen Erklärungen für diese spektakulärste aller Bekehrungen weg. Konstantin habe nicht aus Kalkül gehandelt – er bekehrte sich als Herrscher zur Minderheitsreligion in seinem Reich, welche Heerscharen hätte er dadurch gewinnen können? Es war auch kein Synkretismus aus Unwissenheit oder Überzeugung, dafür spricht die konstante Bevorzugung der christlichen Religion und der Verbot heidnischer Opfer in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers. Konstantin war wirklich von dem begeistert, was er tat. Über den ganz persönlichen Glauben des Herrschers sind keine Aussagen mehr möglich, aber Paul Veyne ist überzeugt: Für Konstantin war allein die immer noch neue Religion des Christentums des kaiserlichen Throns würdig, sie hatte Glanz und eine Leidenschaft, die den zur Gewohnheit erstarrten römisch-heidnischen Ritualen lange fehlte und die auch andere neue Glaubensmoden wie orientalische Mysterienkulte und Neuplatonismus nicht aufbringen konnten.
Das Christentum im dritten Jahrhundert ist für Veyne eine Religion auf dem Gipfel ihrer Ausstrahlungskraft und Modernität. Sie bietet eine auf leidenschaftlicher Wechselseitigkeit basierende Beziehung von Gott und Mensch. Und sie ermöglicht durch ihre Organisation als eine Kirche, die auf Autorität gründet, sie höchst produktiv in den Staat zu integrieren. Dennoch brauchte dieses Christentum den Kaiser. Denn vor Konstantin waren die Christen eine elitäre Parallelgesellschaft – von den traditionellen Eliten misstrauisch beäugt, vom einfachen Volk durch die Betonung persönlicher Tugenden viel zu weit entfernt. Erst als Kaiser Konstantin das Christentum als Gläubiger propagierte, wo er nur konnte, setzte es sich binnen weniger Jahrzehnte als neue Staatsreligion durch. Dabei hat Konstantin, so Veyne, das Christentum nicht gefügig gemacht, sondern nur pragmatisch alle Potenziale seiner persönlichen Entscheidung genutzt. Die Kirche wurde nicht zerstört, machte allerdings Zugeständnisse an die Massen: Die äußerte elitäre Schärfe der neuen Überzeugung schliff sich ab zugunsten von Elementen des Volksglaubens, wie zum Beispiel dem Glauben an dämonische Mächte.
Paul Veyne bezieht klar Partei in seiner Darstellung: Er bewundert Kaiser Konstantin als großen Herrscher, der seinen Moment in der Geschichte konsequent und zum Nutzen vieler ergriffen hat. Als Christ schreibt der französische Historiker nicht. Aber als leidenschaftlicher Gegner einer Geschichtsdeutung, die rein auf Kosten-Nutzen-Denken basiert und in der jede neue Entwicklung immer schon weit vorher angelegt schien. Veyne votiert für die Leidenschaft des Unerwarteten – Kaiser Konstantin und sein christlicher Glaube sind ihm dafür die Gewährsleute: "Alles in allem stellte das Christentum Innovation, Erfindung, Schöpfung dar – alles Dinge, aus denen Geschichte besteht, obwohl manche Historiker das nicht zugeben können, weil sie sich eine falsche Vorstellung vom historischen Determinismus und der Rolle von Ausgangsbedingungen machen."
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Paul Veyne: "Als unsere Welt christlich wurde. Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht"
Aus dem Französischen von Matthias Grässlin
Verlag C. H. Beck 2008
223 Seiten, 19,90 Euro