Bayreuth jenseits der Wagner-Festspiele
Ohne die Markgräfin Wilhelmine wäre Bayreuth heute nicht die weltweit bekannte Musikstadt: Sie etablierte dort Opernkultur auf Weltniveau. An die von Wilhelmine von Bayreuth erschaffene Tradition knüpfte Richard Wagner später an.
Wenn mich noch vor kurzem jemand gebeten hätte, eine berühmte Persönlichkeit zu nennen, die Bayreuth geprägt hat und die mit dem Buchstaben "W" anfängt, dann hätte ich sofort "Wagner" gesagt. Heute würde ich den Namen einer Frau zuerst nennen.
"Bayreuth wäre heute nicht diese Musikhauptstadt, die es in aller Welt ist, ohne Wilhelmine. Wilhelmine hat hier Opernkultur auf Weltniveau eingeführt und an diese Tradition knüpfte Richard Wagner später an."
Wilhelmine von Bayreuth machte gemeinsam mit ihrem Mann aus dem fränkischen Provinznest eine glanzvolle Residenz. Von diesem kulturellen Reichtum profitiert die Stadt bis heute.
Das Opernhaus - ein barockes Juwel
Bayreuth hat 73.000 Einwohner und zwei Opernhäuser. Keine schlechte Leistung für eine Stadt dieser Größe. Richard Wagners Festspielhaus auf dem Grünen Hügel kennt hier jedes Kind. Weniger bekannt dagegen ist das alte Markgräfliche Opernhaus, obwohl es mitten in der Stadt steht und sich Weltkulturerbe nennen darf. Ein barockes Juwel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, zu dem in den letzten sieben Jahren allerdings nur Denkmalschützer und Restauratoren Zutritt hatten.
Die letzten Handwerker sind noch zugange, als ich das Opernhaus besichtigen darf. Ich wäre gern durch den Haupteingang an der repräsentativen Straßenseite gegangen, doch die beiden Experten von der bayerischen Schlösserverwaltung, die mich herumführen wollen, nehmen den Weg durch den Hintereingang oder genauer gesagt: durch das riesige Tor an der Rückseite des Gebäudes, "durch das man Kulissen auf die Bühne direkt transportieren konnte. Es wird auch berichtet, dass hier Pferde auf die Bühne geführt worden sind, denen man Beutel für den Pferdemist untergebunden hat, wie es in Chroniken des 18. Jahrhunderts so schön heißt und noch heute werden also hier durch dieses Tor die Kulissen für die Aufführungen angeliefert", erklärt Museumsreferent Thomas Rainer, einer meiner beiden Führer.
"Wir sind hier im Bühnenhaus. Wir sind durch den rückwärtigen Eingang sozusagen direkt auf die Bühne gelangt und was einem sofort ins Auge fällt und überrascht, ist die Dimension dieses Bühnenhauses", das mit einer Länge von 27 Metern fast die Hälfte des gesamten Theaters einnimmt. Trotzdem bin ich etwas enttäuscht. Ich hatte barocke Kulissen, altertümliche Bühnenmaschinen und knarrendes Gebälk erwartet, schließlich ist das Haus mehr als 270 Jahre alt. Doch alles, was ich sehe, ist hochmodern.
Blumengirlanden, Putten, gedrechselte Geländer
"Die Bühnentechnik und die technische Infrastruktur ist heute eine komplett moderne Infrastruktur, die eben auch für einen modernen Spielbetrieb tauglich ist und entsprechend saniert wurde. Der Verlust der ursprünglichen barocken Maschinerie, der ist kontinuierlich im 19. Jahrhundert passiert und dann die letzten Reste wurden in den 60er-Jahren ausgebaut. Ist ein herber Verlust", den ich aber augenblicklich vergesse, sobald wir den Zuschauerraum betreten. Der Kontrast könnte auch von einem barocken Theatermeister nicht effektvoller inszeniert sein: Nach dem nüchternen Bühnenraum plötzlich opulente Pracht: Blumengirlanden, Putten, gedrechselte Geländer und Balustraden. Drei Zuschauerränge bis unter die Decke. Der gesamte Raum ist vollständig aus Holz gearbeitet, kunstvoll bemalt in warmen Gold-, Meergrün- und Blautönen.
"Das ist einfach ein gigantischer Effekt und wir sind wirklich glücklich, dass wir über die letzten Jahre diesen Innenraum restaurieren konnten und ein Gutteil der originalen Farbfassungen auch wiederherstellen konnten."
Hier im Zuschauerraum scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, mal abgesehen von den modernen Sitzen im Parkett. Es ist, als könnten jeden Augenblick Seidenroben und Puderperücken auf den Rängen erscheinen.
Logentheater mit Weltkulturerbe-Status
So ein bis ins Detail erhaltenes Logentheater aus dem Barock wie das Markgräfliche Opernhaus gibt es kein zweites in Europa. Weltkulturerbe würdig sei es, beschied deshalb 2012 die UNESCO. Alexander Wiesneth ist bei der bayrischen Schlösserverwaltung für Denkmalpflege zuständig und hat den Nominierungsprozess damals als Projektleiter begleitet.
"Das Spektakuläre an diesem Logenhaus, das es letztlich wie eingefroren von 1748 uns erhalten geblieben ist und kaum Veränderungen oder auch Schäden hier in diesem künstlerischen Illusionsraum hat. Und auch wenn man nach Italien schaut, dort gibt es ganz viele Theater natürlich, landauf, landab, aber die wurden alle verändert, die sind abgebrannt, wurden zerstört, modernisiert, den neuen technischen Anforderungen angepasst und hier ist wie durch einen Glücksfall das Logenhaus, wenn man so will, eingeschlafen. Einzigartig."
Der Mann, der dieses architektonische Kunstwerk schuf, hat seinen Namen selbstbewusst in einer lateinischen Inschrift über der Fürstenloge verewigt: "Iosephus Gallus Bibiena fecit." Giuseppe Galli Bibiena hat es gemacht. Das Copyright eines Stararchitekten. Die Theaterbauten des Italieners waren in ganz Europa gefragt.
"Der hat in Wien schon ein kaiserliches Hofopernhaus installiert, in Dresden war er gerade am Arbeiten, wurde letztlich schnell ausgeliehen aus Dresden, kam hierher und hat in wenigen Monaten hier dieses grandiose Werk geschaffen."
Unterstützt von seinem Sohn Carlo, der sich später vor allem als Theatermaler einen Namen machte.
Eine kunstliebende Fürstin in der kleinen Residenzstadt
Steigt man in den obersten dritten Rang dann sieht man an den Dekorationen, wieviel Eile hier am Werk war. Der Kunsthistoriker Thomas Rainer zeigt auf eine Skulptur.
"Ein weiß gefasstes Gesicht, unglaublich feingezeichnet und auf der anderen Seite, wenn man auf die Rückseite der Konsole blickt, dann ist es rohes Holz und die Illusion ist ganz auf die Ansicht vom Zuschauerraum hin konzipiert."
Auch der steinerne Außenbau wurde in einer Rekordzeit von nur vier Jahren fertiggestellt. Die aktuelle Grundsanierung hat erheblich länger gedauert.
"Wir sind seit 2009 dabei und schließen es jetzt eben im April 2018 ab. Wir sind ein bisschen genauer, wenn man so will, und ein bisschen detaillierter herangegangen als die Bibienas. Wir haben hier wirklich jeden Zentimeter von der Decke, vom Plafond bis hier runter restauratorisch behandelt, das kriegen Sie nicht in so kurzer Zeit hin, da brauchen sie Zeit"
Damals aber hatte man es eilig. Das Opernhaus musste nämlich zu einem ganz bestimmten Termin fertig werden: Hier sollte die Hochzeit der Markgrafentochter Friederike Sophie gefeiert werden. Das hatte sich die Mutter der Braut, Wilhelmine von Bayreuth, in den Kopf gesetzt. Dieser ehrgeizigen und kunstliebenden Fürstin ist es zu verdanken, dass in der kleinen fränkischen Residenzstadt ein Opernhaus entstand, das sich mit denen in Wien, Dresden und Berlin messen sollte und konnte.
Der Ehrgeiz wurde Wilhelmine von Bayreuth, die 1709 in Potsdam zur Welt kam, sozusagen in die Wiege gelegt. Schließlich war sie die älteste Tochter des preußischen Königs Wilhelm I., bekannt als der Soldatenkönig, und seiner Frau Sophie Dorothea von Hannover. Ihr Bruder Friedrich ging später als "der Große" in die Geschichte ein. Und eigentlich hätte auch Wilhelmine einmal auf einem Thron sitzen sollen; ihre Mutter hatte für sie die Heirat mit dem künftigen englischen König geplant. Doch das ehrgeizige Vorhaben scheiterte: Die preußische Prinzessin wurde stattdessen mit dem künftigen Markgrafen von Bayreuth verheiratet und landete im Winter 1732 zu ihrem Entsetzen in einem Provinznest mit gerade einmal 200 Häusern. Ihr erstes Zusammentreffen mit den fränkischen Adligen hat sie in ihren Memoiren beschrieben.
"Sie sahen alle aus wie Knecht Ruprecht; statt der Perücken ließen sie ihre Haare tief ins Gesicht hineinfallen, und Läuse von ebenso alter Herkunft wie sie selbst hatten in diesen Strähnen seit undenklichen Zeiten ihren Wohnsitz aufgeschlagen."
Ihr Ehemann aber ist ein echter Glücksgriff
Die Möbel des Schlosses, in das sie zieht, sind zerschlissen, der Schwiegervater, Markgraf Georg Friedrich, ein Trinker, die Schwägerinnen intrigant und hochmütig.
"Ich war wie das Schaf unter die Wölfe, mitten unter böse und gefährliche Unmenschen an einen Hof geraten, der eher ein Bauernhof zu nennen war."
Zumindest ihr Ehemann aber ist ein echter Glücksgriff, die beiden lieben sich, haben ähnliche Interessen und Pläne. Als 1735 der alte Markgraf stirbt, kann das junge Fürstenpaar endlich nach eigenen Vorstellungen schalten und walten. Wilhelmine behauptet selbstbewusst ihren Platz an der Seite ihres Mannes.
"Der Markgraf Friedrich hat ihr die Kulturhoheit sozusagen übertragen gehabt, denn sie durfte wirklich da alleine regieren und Opern aussuchen und Opern aufführen lassen und hatte da sicherlich auch einen Etat, der nicht zu verachten war. Und da ließ er ihr freie Hand und das ist auch etwas ganz Ungewöhnliches im 18. Jahrhundert", erzählt Barbara Zöller, die sich seit vielen Jahren mit Wilhelmine beschäftigt.
Wir stehen am Fenster von Zöllers geräumiger Dachgeschoss-Wohnung und blicken direkt auf den Hofgarten, der einst vor der Stadtmauer lag. Unter Wilhelmine wurde er zu einer großzügigen Parkanlage ausgebaut.
"Heute ist es ein Garten, ein Park mitten in der Stadt, der sehr belebt ist, immer, aber Wilhelmine ist hier auch lustgewandelt und der Geist, diese Ideen, die sie hatte, dieses geistige Leben, das sie geführt hat, im 18. Jahrhundert, das hat mich schon geprägt und das freut mich immer wieder, wenn ich hier runterschaue."
Barbara Zöller lebt seit 35 Jahren in Bayreuth. Wie Wilhelmine kam sie durch ihren Mann hierher.
"Und das ist auch ein bisschen was mich mit ihr verbunden hat, sie ist auch nicht ganz freiwillig gekommen und hat es sich auch anders vorgestellt vielleicht."
Und wie Wilhelmine suchte auch sie nach einer Aufgabe.
"Und was macht man in der Provinz, aus München kommend? Man guckt, was gibt's hier und dann kam Wilhelmine. Und dann habe ich alsbald angefangen, Stadtführungen zu machen, das heißt erst für Freunde, die kamen, ja Gästeappartement gab es im Haus, und dann heißt das, diese Gäste kommen sonst nicht in die Provinz, sondern denen muss man was bieten."
Wenn Barbara Zöller Freunde oder Fremde durch die Stadt führt, dann geht es fast immer zu einer ganz bestimmten Skulptur der Wilhelmine. Nicht zu der zeitgenössischen, die genau gegenüber dem Markgräflichen Opernhaus platziert ist. An dieser Büste hält sie nur kurz inne.
"Dieses Gesicht ist so leer, es ist einfach nichtssagend, es ist keine Vision drin, es ist keine Perspektive, es ist hübsch gemacht, aber nichts sagend."
Die wahre Wilhelmine thront in Bronze gegossen ein paar Schritte weiter gleich um die Ecke, inmitten einer terrassenförmigen kleinen Gartenanlage. Barbara Zöller liebt kunsthistorische Details, sie ist mindestens so belesen, wie es einst Wilhelmine war, und über diese Skulptur könnte sie stundenlang reden.
"Wenn ich mit Gästen hier stehe, dann wundern die sich immer, wieviel man über eine Person dann aussagen kann, wie man schließen kann von einer Statue auf die Persönlichkeit und manch einen bringt es auch dazu, ein bisschen genauer hinzuschauen - und das ist dann eigentlich ganz schön."
Die lebensgroße Figur hat der Bayreuther Bildhauer Johann Lorenz Wilhelm Räntz geschaffen. Er kannte Wilhelmine, das sieht man an vielen Details. Auf dem Schoß der Fürstin sitzt ein kleiner Spaniel. Foulichon, ihr Lieblingshund, "der nämlich auch Briefe geschrieben hat, der sie aus der Situation gebracht hat, in die sie durch die Zeit gekommen war, nämlich über ihre eigene Befindlichkeit nicht schreiben zu dürfen und nicht reden zu dürfen, das war nicht schicklich. Contenance war angesagt, und so hat sie das umgangen, in dem sie Foulichon hat Briefe schreiben lassen an La Biche, den Hund von Friedrich."
Den Kopf hat Wilhelmine in die Hand gestützt, sie scheint nachzudenken.
"Worüber sie sinniert, das sehen wir dann, wenn man näherkommt, denn dann wird das Buch wichtig." - Ein Buch, in dem es um die Freundschaft geht.
"Das ist das Traité d'amitié, das sie gelesen hat, das wissen wir von einem Gemälde und sie hat ihren Daumen in diese Seite gepresst, richtig runter gepresst, um festzuhalten. Das Buch fällt so ein bisschen über ihren Schoß, sie denkt nach, sie schaut in die Ferne, nach innen eigentlich, sie schaut nichts Konkretes an, sondern sie schaut nach innen und sie denkt. Sie denkt darüber nach, was Freundschaft ist."
Das Original dieser Statue steht übrigens im Park von Sanssouci in Potsdam, im Freundschaftstempel, den Friedrich II. zu Ehren seiner Schwester errichten ließ. Der Architekt dieses Tempels, Carl von Gontard, war viele Jahre für Wilhelmine tätig, bevor er nach ihrem Tod in den Dienst des Preußenkönigs trat. Gontards Bauten prägen das Stadtbild von Bayreuth bis heute. Gleich hinter dem Denkmal steht auf einer kleinen Anhöhe sein Wohnhaus.
Bayreuth hat zwei Gesichter
"Er muss gute Bauaufträge bekommen haben vom Markgrafen und konnte sich dieses Haus mit 27 Jahren bauen. Den rechten Pavillon hat er sich auch gebaut und so ist auch die Wilhelmine hier richtig vor diesem Haus."
Bayreuth hat zwei Gesichter. Eines zeigt sich, wenn man auf der Autobahn 9 an der Stadt vorbeifährt: Neubauten und Industrieanlagen breiten sich aus. Das andere sieht man erst, wenn man näherkommt. Innerhalb des Stadtkernrings, einer mehrspurigen Umgehungsstraße, findet sich noch das alte Bayreuth.
Keine mittelalterlichen Fachwerkhäuser allerdings, die wurden bei zwei großen Stadtbränden zerstört. Bayreuths Altstadt ist barock, die meisten Gebäude stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert und sind aus Sandstein.
"Der in Bayreuth und in der Umgebung völlig typisch ist, weil er aus den Steinbrüchen kommt, hier aus der Gegend. Charakteristische Farbe."
Erklärt der Schriftsteller und Stadtführer Frank Piontek, mit dem ich durch die historische Innenstadt spaziere.
"Im Zweiten Weltkrieg gab es Zerstörungen, aber wie durch ein Wunder hat tatsächlich das Opernhaus keinen Treffer abbekommen, auch die Spitalkirche hat keine Treffer abbekommen, in St. Georgen gab es keine Treffer bei der historischen Bausubstanz. Also in diesem Punkt ist Bayreuth relativ glimpflich durch den Zweiten Weltkrieg gekommen. Relativ."
Größere Zerstörungen haben die Stadtplaner der Nachkriegszeit angerichtet: Für den Stadtring mussten etliche historische Häuser weichen; für das neue Rathaus, ein 70er-Jahre-Hochhaus, wurde sogar ein ganzes Viertel plattgemacht. Die Straßen und Gassen innerhalb des großen Straßenrings sind gottlob verschont geblieben, so auch die Römergasse. Sie ist "ich würde sagen, doch eine der schönsten Straßen überhaupt in Bayreuth, das ist dann schon wieder fast romantisches altes Franken. Es ist auch eine Straße, die ist relativ schmal, die ist eigentlich wie so riesiges langes Wohnzimmer und wenn hier so abends die Lichter sind und man hat so zwei, drei Glas Wein getrunken, dann kann es einem auch in Bayreuth im Sommer sehr, sehr gut gehen."
Allerdings sind die Sommer kurz in Franken. Schon Wilhelmine hat sich über die langen kalten Winter beklagt.
"Ja, das Wetter ist ja heute noch ein Problem, das stimmt schon, aber wir dürfen nicht vergessen, diese Memoiren sind sehr subjektiv, wie jedes Memoirenwerk, es sind literarische Memoiren, das ist eine Gattung aus dem 18. Jahrhundert, man erfindet auch Sachen, man übertreibt ganz bewusst Sachen." Etwa wenn sich Wilhelmine über das Essen in ihrer neuen Heimat beschwerte. Heute wirbt man mit der Genussregion Oberfranken.
"Ehrlich gesagt, in Oberfranken sind selten Leute verhungert und man isst hier wirklich sehr gut in der Region, das muss man sagen, und zu den sagenhaften oberfränkischen Preisen"
Frank Piontek ist vor 29 Jahren in Bayreuth hängen geblieben.
"Ich wollte eigentlich in Wien studieren und dann durch verschiedene Umstände bin ich hier in Bayreuth ausgestiegen und bin einfach praktisch nie wieder in den Zug eingestiegen, so kann man es sagen."
Geboren und aufgewachsen ist er in Berlin. Von der elterlichen Wohnung sah er auf das Charlottenburger Schloss, in dem übrigens Wilhelmines Großmutter zu Hause war. Vielleicht fühle er sich deshalb in Bayreuth so wohl, weil es ihn unbewusst ein bisschen an Charlottenburg erinnere, sagt der 53-Jährige.
"Und dann kommt eines zum anderen und plötzlich klebt man in so einer Stadt und dann ist man so ein kultureller Platzhirsch und hat sein Netzwerk vor allem und dann kann man nicht einfach so die Stadt wechseln, das ist dann ein bisschen schwierig. Und wenn ich heute sage, ich hätte Berlin nie verlassen sollen, ich weiß nicht, was aus mir in Berlin geworden wäre. Alles hypothetisch."
Genauso hypothetisch wie die Frage, was aus Bayreuth geworden wäre, wenn es Wilhelmine nicht hierher verschlagen hätte, wenn sie den englischen Thronfolger geheiratet hätte und nicht den Markgrafen Friedrich. Der wäre vielleicht weniger ehrgeizig gewesen, ohne eine preußische Königstochter an seiner Seite und hätte nie so schöne Straßen anlegen lassen, solche wie die Friedrichstraße mit ihren barocken Stadtpalais, in die wir gerade einbiegen.
"Diese Straße wird von Architektur- und Stadthistorikern als - ich zitiere – die bedeutendste spätbarocke Straßenanlage in Deutschland bezeichnet, die überhaupt noch vorhanden ist."
Bevor aber in der Friedrichstraße der erste Pflasterstein verlegt wurde, musste noch viel Wasser den Roten Main, Bayreuths kleinen Fluss, hinunterfließen. Erst einmal baute sich die junge Markgräfin nämlich ihr ganz persönliches Paradies. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Dort in einer Schlaufe des Roten Mains lag eine Parkanlage, die Wilhelmine von ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt bekam: Die Eremitage. Hier wollte sie nun einen Musenhof errichten, Künstler und Philosophen um sich versammeln, ganz so wie es Ihr Bruder Friedrich in Rheinsberg tat.
Ihren Namen hatte die Eremitage von einem der vorherigen Markgrafen erhalten. Der spielte nämlich in der ländlichen Idylle mit seinen Gästen das einfache Eremiten-Leben. So still wie heutzutage, wenn man sich zum Abschalten ein paar Tage ins Kloster zurückzieht, ging es allerdings nicht zu.
"Ja, hier war es durchaus turbulent, wenn man sich anschaut, dass man gemeinsam Spiele veranstaltet hat, man hat den Damen Schaukeln in die Bäume gehängt, man hat Kegelspiele veranstaltet, Schießspiele, all so etwas und man hatte hölzerne Eremitenhütten im Wald errichtet, in die man sich dann zur inneren Einkehr zurückziehen konnte."
Ich laufe mit Ingo Behrens, dem stellvertretenden Leiter der Schloss- und Gartenbauverwaltung von Bayreuth, durch den 50 Hektar großen Park. Es gibt nur wenige gerade Wege, keine großen zentralen Sichtachsen wie sonst in barocken Gärten. Diese Anlage ist nicht auf dem Reißbrett entstanden, hier hat jeder Besitzer seine Spuren hinterlassen – am deutlichsten Markgräfin Wilhelmine.
"Den ganzen Monat August hindurch war ich damit beschäftigt, die Wege nach der Eremitage instand setzen zu lassen, und legte eine Menge von Spazierwegen an. Täglich fuhr ich hinaus, und es machte mir Spaß, die Pläne selbst zu entwerfen und diesen Ort anziehend zu machen."
Vielleicht legte Wilhelmine auch diesen Laubengang an, auf dem wir gerade entlanggehen. An seinem Ende steht das Alte Schloss der Eremitage. Dieses Schlösschen ist eine ganz eigentümliche Mischung: Ausgestattet mit repräsentativen Räumen zum höfischen Amüsement, aber auch mit Mönchszellen wie in einer Klosteranlage. Der Weg hinein führt durch eine Grotte, in der die Gäste durch versteckte Wasserdüsen nass gespritzt wurden. Die Diener hielten Kleider zum Wechseln bereit.
Sie komponierte Opern, schrieb Libretti und malte
"Damit war der Übergang in den Eremitenorden vollzogen und man konnte dann als Eremit hier den Tag verbringen."
All das findet Wilhelmine bereits vor und es passt zu ihrem Wunsch nach beschaulicher Abgeschiedenheit. Sie will aber auch ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen und so lässt sie zwei Flügel anbauen, geht dabei aber sehr umsichtig vor. Man sieht kaum, wo das Alte aufhört und das Neue beginnt.
In den Räumen findet sich die ganze Gefühls- und Gedankenwelt der preußischen Königstochter, ihre Leidenschaft für Philosophie, Musik und Theater. Ein Motiv kehrt immer wieder in den Geschichten, die in den Gemälden an Decken und Wänden erzählt werden: Die heldenhafte Frau, die sich für eine höhere Idee opfert. Als ihr ganz persönliches Opfer, als einen Gang ins Exil, empfand Wilhelmine nämlich ihre Heirat nach Bayreuth, die ihr der Vater befohlen hatte. Trost spendete der geliebte Hund, der auch hier wieder verewigt ist. Ingo Behrens zeigt auf das Gemälde an der Decke.
"Der kleine Spaniel dort oben. Sehen sie es? Das ist der Foulichon, der kleine Verrückte und wenn wir aus dem Fenster schauen würde, dann kann man auch sehen, wo er beerdigt worden ist, also ähnlich wie ihr Bruder das in Sanssouci auch macht, wenn er von seinen Lieblingsräumen aus auf die Grabstellen der Hunde schauen kann."
Mit ihrem Bruder Friedrich teilte sie überhaupt so vieles: Sie war ebenso hochmusikalisch und belesen; sie führte wie er einen Briefwechsel mit Voltaire, komponierte Opern, schrieb Libretti und malte.
Auf Wilhelmines Vorliebe für die Antike stößt man auch im Park. Damit folgte sie dem Zeitgeschmack und setzte doch eigene Akzente. Nur wenige Meter vom Alten Schloss entfernt steht eine riesige künstliche Theaterruine – eine Bühne unter freiem Himmel, auf der seit einigen Jahren wieder jeden Sommer Aufführungen stattfinden.
"Wir haben hier den Sonderfall von Ruinentheatern, die es sonst in der Geschichte der Gartenkunst in Deutschland eigentlich überhaupt nicht gibt. Das erste entsteht hier in der Eremitage, wenig später das Felsentheater in ihrem Garten in Sanspareil, 30 Kilometer westlich von Bayreuth, in einem auch sehr speziellen Garten."
Ein kurzer Blick noch auf das Neue Schloss der Eremitage, das Wilhelmine bauen ließ, um mehr Platz für sich und ihre Gäste zu schaffen. Auf der Kuppel lenkt ein vergoldeter Sonnengott Apoll seinen Streitwagen mit vier Rössern, die Mauern und Säulen sind mit bunten Mosaiksteinchen belegt. Das Rokokoschlösschen wurde nach einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut und zieht vor allem im Sommer zahlreiche Besucher hier her. An diesem Nachmittag außerhalb der Saison aber sind nur wenige Spaziergänger unterwegs. Und so bekomme ich eine vage Vorstellung von der Abgeschiedenheit vergangener Zeiten.
Ganz in der Ferne taucht plötzlich das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel auf. Zu verdanken ist dieser Blick einer Sichtachse, die der bayrische König Ludwig II. anlegen ließ.
"Der hat sich tatsächlich hier zurückgezogen, abseits vom Bayreuther Trubel und er hat sogar mit der Kutsche die Fahrt über einen Umweg geplant zum Festspielhaus, damit er der Bayreuther Bevölkerung eben entgehen konnte."
Ohne Wilhelmine gäbe es übrigens gar kein Festspielhaus. Hätte sie nämlich nicht ihr Opernhaus mit dieser ungewöhnlich großen Bühne gebaut, wäre Wagner nie nach Bayreuth gekommen.
"Richard Wagner ist durch einen Hinweis von Hans Richter und durch einen Lexikoneintrag auf das markgräfliche Opernhaus gekommen. Er wollte in Bayern bleiben, im Reiche Ludwigs, aber weit genug von München entfernt, dass er da ruhig vor sich hin werkeln kann und er dachte, er kann in diesem Opernhaus seinen Ring aufführen, hat es besucht, fand es ganz schön, aber er hat sofort gesehen, es ist für sein Werk nicht geeignet, aber die Stadt hat ihm dann gefallen und dann konnte er sein Festspielhaus bauen", erzählt Frank Piontek, den ich nach meinem Abstecher zur Eremitage in der Innenstadt treffe. Die Lebensspuren von Wagner und Wilhelmine verweben sich auch hier auf wundersame Weise.
"Wir gehen jetzt zum Steingräber-Palais. Steingräber ist eine berühmte Klavierbaufirma, die haben schon für Richard Wagner gebaut, das Gralsglockenklavier zum Beispiel und dieses Steingräberpalais aus der Mitte des 18. Jahrhunderts enthält einen der entzückendsten und schönsten Rokokoräume überhaupt, die in Bayreuth noch vorhanden sind."
"Bayreuth ist keine Theaterstadt"
Prunkstück in diesem Rokokosaal ist ein Konzertflügel, auf dem Wagners Schwiegervater Friedrich Liszt gespielt hat. Noch aus der Wilhelmine-Zeit stammt die Stuckdecke.
"Das Bemerkenswerte, ein echter Eyecatcher, ist ein kleiner Drache, der eine Rankengirlande in seinem Maul hat, über einer Tür befindet er sich hier an der Decke und wenn man in Bayreuth ist, denkt man bei Drachen selbstverständlich sofort an den Drachen Fafner, in Richard Wagners Siegfried, also aus dem Ring des Nibelungen, und hier hat man bereits so eine Art Fafner aus der Mitte des 18. Jahrhunderts."
Häuser wie diese gibt es noch einige in Bayreuth, ganz normale Wohnhäuser, "die nicht öffentlich zugänglich sind, wo die Leute aber ganz selbstverständlich unter diesen Stuckdecken wohnen."
Im Steingräber-Palais kann man durch die Jahrhunderte wandeln. Vom Rokoko geht es in einen Salon des 19. Jahrhunderts, das Treppenhaus ist mit einer wunderbaren Tapete aus den 1920er Jahren ausgestattet, aus unseren Tagen stammt der Konzertsaal.
"Bayreuth ist keine Theaterstadt, es gibt kein Theater, kein Sinfonieorchester, nur Gastspiele, aber in Bayreuth werden wahnsinnig viele Konzerte veranstaltet und es gab auch Zeiten, wo sehr viel Musik aus der Wihelminischen Epoche gespielt wurde, war jetzt schon lange nicht mehr der Fall."
In den Ausstellungsräumen im Erdgeschoss stehen Flügel und Klaviere aus allen Epochen. Frank Piontek klimpert ein bisschen auf einem weißen Cembalo mit Rokoko-Verzierungen aus der Zeit Wilhelmines – und wechselt dann zu einem Instrument, das entfernt an eine Harfe erinnert. Das Gralsglockenklavier.
"Wagner hat 1882 in seinem Parzival diese vier berühmten Noten komponiert und dafür die sogenannte Gralsglocke erfunden und das ist ein Nachbau des Instruments, das Eduard Steingräber für Wagner und für die Festspielhaus-Uraufführung gebaut hat."
So, Schluss mit Wagner, den lassen wir ab jetzt auf unserem Stadtrundgang links liegen. Was nicht schwerfällt, denn viele originale Bauten aus seiner Zeit gibt es nicht mehr.
"Wenn sie heute durch Bayreuth laufen, haben sie die Villa Wahnfried, das ist wunderbar, hochinteressant, sie haben das Festspielhaus, sie haben das Grab hinter Wahnfried und das war es dann eigentlich auch schon mit Richard Wagner in Bayreuth. Der spielt fürs Stadtbild so gut wie überhaupt keine Rolle, für die Festspiele und den Tourismus sicherlich, aber nicht fürs Stadtbild."
Wir kreuzen die Maximilianstraße, Bayreuths Fußgängerzone und stehen vor dem Alten Schloss, in dem heute das Finanzamt untergebracht ist.
"Ein riesiger Kasten, hochbedeutend eigentlich", in dem aber eines Nachts im Januar 1753 ein Feuer ausbrach. Als Brandstifter wurde sofort das Markgrafenpaar Wilhelmine und Friedrich verdächtigt. "Damals ging ja das Gerücht, sie hätten es angezündet, das Alte Schloss, damit sie sich ein neues bauen können. Das ist aber offensichtlich Unsinn." Aber trotzdem endlich die Gelegenheit für Wilhelmine, um zu ihrem neuen Traumschloss zu kommen.
"Ich habe mir das Vergnügen gemacht, den Plan meines Palastes selbst zu entwerfen." Schrieb sie an Ihren Bruder Friedrich und etwas ganz Eigenes ist hier tatsächlich entstanden, jedenfalls was die Innengestaltung der Räume betrifft. Nicht umsonst spricht man vom Bayreuther Rokoko. Der zeigt sich vor allem in den ungewöhnlichen Stuckarbeiten an Decken und Wänden: Zum Beispiel in diesem Raum, den Wilhelmine und ihre Gäste dazu genutzt haben könnten, "um Kaffee und Tee zu trinken. Exotische Getränke, die damals ja nur der Oberschicht zugedacht, möglich waren. Und man hat zu dem tollen Getränk, das man für sich entdeckt hat, den passenden Raum geschaffen. Man sieht wunderschön: Da wachsen die Kakteen, da gibt es eine Kakaobohne, die ihre Schale aufmacht, da gibt es viele exotische Vögel, der schönste ist der Papagei da oben."
Das Neue Schloss ist der Arbeitsplatz von Kornelia Weiß. Die Museumspädagogin führt Erwachsene und Schulklassen durch die Räume und erklärt ihnen, was Stuck und Bilder über Wilhelmine erzählen. Deren originelle Denkweise zeigt sich ganz besonders im sogenannten Spiegelscherbenkabinett. Auch in anderen Schlössern gibt es Säle mit Spiegeln, aber dort hängen sie ordentlich nebeneinander an den Wänden. Die Markgräfin dachte unkonventioneller.
"Sie nimmt Spiegel in unterschiedlichen Formen, durchbrochene Stücke, platziert sie an der Decke und das Ganze eingebettet in eine Landschaft, die keinerlei Ähnlichkeit mit Franken hat, in eine Landschaft, die China ist."
Und mitten drin, unschwer an ihren Gesichtszügen zu erkennen, sitzt Wilhelmine, gekleidet in chinesische Gewänder und liest in einer Schriftrolle mit geheimnisvollen Hieroglyphen. Die Fabelwesen, die exotischen Pflanzen und Landschaften an Decken und Wänden sind wie geschaffen, um auf Entdeckungsreise zu gehen.
Die 22 Zweitklässler, die Kornelia Weiß am nächsten Tag durchs Schloss führt, haben jedenfalls hörbar ihren Spaß. Die Museumspädagogin hat sich einiges einfallen lassen, damit dieser Besuch nicht zu einer staubtrockenen Angelegenheit wird. Die Kinder dürfen das komplizierte Muster des alten Holzparketts als Puzzle nachlegen, suchen einen Drachen an der Stuckdecke und erfahren viel über das Leben der damaligen Schlossbewohner.
"Wir waschen uns nicht, weil Wasser ist bedrohlich, Wasser macht uns krank. Man hat unter den Kleidern Flohfallen, weil Ungeziefer war natürlich ein Problem, wenn man sich nicht wäscht und nur parfümiert. Wir haben so ein Teeei mit Schlitz, da kommt ein kleines Stück Stoff rein, man macht Blut oder Honig oder was auch immer drauf, der Floh hüpft hinein, frisst sich voll und ist dann zu dick, dass er nimmer rauskommt."
Zwei Mädchen stehen vor einer Vitrine mit einem prachtvollen Rokoko-Kleid und überlegen, wo genau diese Flohfalle wohl befestigt war."
"Die ist immer unterm Kleid. Die war unterm Kleid versteckt." Was den Kindern im Schloss wohl am besten gefallen hat? Darüber gehen die Meinungen nach der Führung auseinander.
"Mir hat das am besten gefallen, wo alles aus Holz war." "Und mir hat das auch gut gefallen, wo das China- oder Japanerland war, an der Decke mit den Spiegeln." "Mir hat das Blattgold gefallen." Mir die Palmen." "Mir hat das Zimmer gefallen, wo die ganzen Spiegel waren."
Einig sind sich aber alle Zweitklässler darüber, wer Wilhelmine von Bayreuth denn nun war.
"Das ist eine Prinzessin." – "Die Prinzessin." – "Das war so ne Prinzessin."
Und das wissen längst nicht alle Schulkinder in Bayreuth, sagt Kornelia Weiß: "Ich habe ganz oft Schulklassen hier, die das neue Schloss noch nie gesehen haben und die von mir das allererste Mal etwas von Wilhelmine hören. Ich glaube Richard Wagner ist in Bayreuth tatsächlich bekannter als Wilhelmine, obwohl Wilhelmine für Bayreuth ja sehr, sehr viel bewirkt hat oder viel hinterlassen hat."
Wilhelmine hat ihr Neues Schloss nicht lange genießen können. Als sie 1758 mit nicht einmal fünfzig Jahren überraschend starb, waren die letzten Handwerker wahrscheinlich noch nicht abgezogen. Ihr Gatte Friedrich blieb auch in seiner zweiten Ehe ohne männlichen Erben. Bayreuth verlor seinen Glanz. Geld war keines mehr vorhanden. Die Einrichtung der Schlösser wurde nach und nach verkauft. Heute sind die meisten Räume fast leer.
"In den Schlössern steht nur das, was Staatsbesitz war, und das Privateigentum wurde entweder verkauft oder vererbt, wie es halt bei jeder anderen Familie auch üblich war."
Peter Rothenbücher ist Inhaber eines Bayreuther Auktionshauses, das mittlerweile seit vier Generationen geführt wird. Seine Familie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wilhelmines Möbel aufzuspüren – "von den Erben, die haben wir dann eruiert, wer das alles geerbt hat und haben das dann im Lauf der letzten hundert Jahre zurückgekauft."
All diese Möbel, Bilder und anderen Kunstgegenstände stehen heute im kleinen Schloss Birken, das einst einem Minister des Markgrafenpaares gehörte und seit 1975 im Besitz der Familie Rothenbücher ist. Jahrzehntelang war Peter Rothenbücher auf der Jagd nach den verschollenen Schätzen. Auf eine ganz bestimmte Barockkommode hat er zum Beispiel fast sein ganzes Leben lang warten müssen.
"Ich habe da als junger Mann, 1965 bei dieser Adelsfamilie ein erstes Preisangebot abgeben und bekommen habe ich sie vor vier Jahren." Ein Jugendtraum sozusagen."Und vor allem, dass es der Wilhelmine ihre private Kommode war und die hat unbedingt nach Bayreuth zurückgemusst."
Wilhelmines Kommode steht im prachtvollen Audienzsaal von Schloss Birken, in dem wohl auch die Markgräfin und ihr Mann oft zu Gast waren. Peter Rothenbücher ist Mitglied der Markgräfin- Wilhelmine-Gesellschaft. Die besteht nur aus wenigen Mitgliedern, hat aber ein ehrgeiziges Ziel: Nämlich einen richtig großen Spielfilm über das Leben der Fürstin auf die Beine zu stellen. Auf die Idee mit dem Filmprojekt kam der ehemalige Bundeswehroffizier Bernd Saupe, als er 2013 als Komparse bei Dreharbeiten in Bayreuth mit dem Aufnahmeleiter Michael von Hohenberg ins Gespräch kam.
"Und irgendwann habe ich dann mal zu Michael gesagt, warum hat man eigentlich noch nie das Leben der Wilhelmine aufgegriffen und in einem Spielfilm, denn es ist ausgesprochen spannend."
Michael von Hohenberg arbeitet auch als Regisseur und Situationen wie diese kennt er schon.
"Naja, es kommen ganz viele Leute zu mir und sagen, ich hätte ne ganz tolle Geschichte, meine Lebensgeschichte, die Lebensgeschichte meines Opas oder sonst irgendwas müsste verfilmt werden, das würde ich immer wahnsinnig gern, aber man kann nicht immer alle Geschichten verfilmen."
Aber ein Spielfilm über Wilhelmine – diese Idee gefiel ihm. Er versuchte Bernd Saupe aber auch klarzumachen, auf was er sich da einließ:
"So ein Film, zumal so ein historischer, kostet richtig, richtig viel Geld und dann habe ich ihm auch mal gesagt, was das kosten könnte und dass das ein paar Milliönchen sind und dann hat er gesagt, ja das kriegen wir hin, er ist da guter Dinge und dann gehen wir das Projekt doch einfach mal zusammen an."
Als Michael von Hohenberg dann zwei Filmpreise in den USA gewann, beschloss man, aus der ganzen Sache ein internationales Projekt zu machen. "Wilhelmine goes Hollywood" sozusagen. Irgendwie passt das auch zu dieser Frau, die sich ebenfalls nie mit kleinen, bescheidenen Ideen begnügte.
Das Ganze soll keine trockene Biografie-Verfilmung werden. Den Männern von der Wilhelmine-Gesellschaft schwebt ein Spionagefilm vor, der Bayreuth und Franken ins Rampenlicht setzen soll.
"Denn hier in der Gegend, das war auch so eine Agentengegend nämlich und ihr wurde ja immer mal wieder vorgeworfen, sie würde spionieren und das ist so eigentlich der Ansatzpunkt für mich als Regisseur, wo ich sag, da könnte man unter Umständen eigentlich eine international massenkompatible Geschichte draus stricken und jetzt wollen wir eben schauen, dass wir das Geld zusammen kriegen für ein Drehbuch und dann muss man hausieren gehen bei den Schauspielern und bei den großen Produktionsfirmen."
Auch Wilhelmine regierte selbstbewusst mit
Michael von Hohenberg würde das Drehbuch gerne selber schreiben. Fachkundige Unterstützung hat er: Günter Berger, emeritierter Romanistik-Professor der Uni Bayreuth, hat gerade ein Buch über die Markgräfin geschrieben. Darin zeichnet er das Bild einer Frau, die hoch politisch dachte und handelte. Für Berger ist Wilhelmine mehr als die schöngeistige Lieblingsschwester Friedrich II., die nur mit ihrem Musenhof beschäftigt war.
"Die kann man darauf nicht reduzieren." Als Ihr Mann an die Macht kommt, hat auch Wilhelmine selbstbewusst mitregiert, "was für Frauen, solange die Männer, die regierenden Männer, noch lebten, in der damaligen Zeit eigentlich mehr als problematisch war."
Politik war damals übrigens noch stärker eine Frage der Inszenierung als heute.
"Wir haben ja in der letzten Zeit uns so mokiert über die Politiker bei der Jamaika-Geschichte mit dem Balkonien, aber in der damaligen Zeit war das mit das Wichtigste überhaupt."
Das Leben bei Hofe war ein Theaterspiel und Wilhelmine spielte viele Rollen, nur eine nie: Die der gütigen Landesmutter. Zu ihren Lebzeiten war sie wenig beliebt bei den Bayreuthern. Die mussten für all die prächtigen Bauten, Musiker und Künstler hohe Abgaben und Steuern leisten. Als das alte Stadtschloss brannte, habe niemand von den "hiesigen Leuten" bei den Löscharbeiten geholfen, schreibt die Markgräfin empört an den königlichen Bruder. Heute ist man hier stolz auf sie. Die meisten wüssten wahrscheinlich nicht, mit welchem Dünkel die preußische Königstochter auf die Stadt und ihre Bewohner blickte, vermutet Professor Berger.
"Die ist ja immer Jahrhunderte herangezogen worden, verbürgerlicht worden, verintimisiert worden. Das hat alles wenig mit der Wirklichkeit zu tun, aber vielleicht geht es auch nicht anders, als sich historischen Personen auf eine modernisierende, aktualisierende Weise zu nähern."
Es ist gar nicht so einfach, sich in die Markgräfin zu verwandeln – rein kleidertechnisch gesehen jedenfalls.
"Also, die komplette Anzieherei ist schon recht aufwändig. Es geht los mit so einer Chemise, ist so eine Art Unterkleid, Nachthemd, dann kommt die Schnürbrust, eine Art alter Korsage, dann kommt der Poschen drüber, vergleichbar mit einem Reifrock, dann der Rock drüber, dann noch das Obergewand und dann ist man gut eingeschnürt, eingepackt und fertig."
Sabine Bittner ist Mitglied im Verein "Barock Oberfranken" und spielt bei öffentlichen Auftritten die Wilhelmine. Dann lässt sie den Alltag hinter sich, schlüpft in eine andere Rolle.
"Dann bin ich nicht mehr ich, dann bin ich eben die Wilhelmine und lebe es regelrecht. Das ist ein ganz anderes Gefühl, auf einmal erhabener, man ist ja schon durch die Schnürbrust gerade aufgerichtet, man kann ja gar nicht mehr einsacken und allein das dann noch mit dem Prinzessinnenkleid, sag ich, schwebt man dahin. Das ist ein ganz anderes Gefühl."
Das Kleid hat sie sich selbst genäht, dafür extra Urlaub genommen, 160 Arbeitsstunden reingesteckt. Vorbild für den Rokokotraum aus silberweißem Stoff war ein Portrait der Markgräfin, das im Neuen Schloss in Bayreuth hängt. Sabine Bittner, die im normalen Leben für einen Sicherheitsdienst arbeitet, liebt diese Epoche. Das Elegante, Charmante daran. Sie tritt mit den anderen Vereinsmitgliedern bei den Bayreuther Residenztagen auf, dann wandelt man im Kostüm durch die Parkanlagen oder man fährt zu Bällen und trifft Gleichgesinnte. Ein Wochenende im Barock sei erholsamer als eine Woche Strandurlaub, sagt sie. Über Wilhelmine hat sie einiges gelesen.
"Ich kann mich doch recht stark mit ihr identifizieren, hab einige Parallelen schon entdecken können, natürlich nicht so krass wie bei ihr, aber, ja doch. Sie war eine total taffe Powerfrau, finde ich cool."
Die Liebe zum Barock eint alle im Verein, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Udo Leikem, der erste Vorsitzende, spielt den Markgrafen und ihn interessiert vor allem:
"Friedrich der Große. Das Militärische. Also ich bin Militär mit Leib und Seele."
Jetzt aber geht es gerade gar nicht militärisch zu. Udo Leikem schreitet mit fast zierlichen Schritten über den Boden einer Turnhalle. Die Barockgruppe trifft sich jeden Sonntag zum Tanzen, mal in Bayreuth, mal in Kronach.
"Barocktanz ist sehr anstrengend"
"Ja, ich habe mich am Anfang sehr schwergetan, ich bin sonst von der schnelleren Gangart und dann die kurzen Schritte, um die Wege richtig im Takt mithalten zu können, das war sehr umständlich für mich."
Acht Frauen und vier Männer haben sich zu Paaren zusammengefunden. Einige beherrschen die komplizierten Schritte schon ganz gut und können dabei gemütlich parlieren, anderen sieht man die Konzentration noch an. Die Kostüme haben sie zu Hause gelassen: Wilhelmine trägt Turnschuhe, graue Jeans und Kapuzenjacke, der Markgraf an ihrer Seite T-Shirt und Sporthose. Die Tänzer stehen sich in zwei Reihen gegenüber, schreiten aufeinander zu und reichen sich die Hand. Jeder Schritt, jeder Knicks, jede Drehung ist festgelegt. Abweichungen sind nicht erlaubt.
"Barocktanz ist sehr anstrengend, geistig, du musst ja ständig konzentriert bleiben, von vorn bis hinten. Wenn du da einmal pennst, schmeißt du das Ganze. Sie haben es ja ein bisserl schon gesehen, in dem Moment, wo in der Mitte irgend ein Paar nicht spurt oder nicht das macht, was es machen soll und im Weg steht, sind die anderen rettungslos verloren."
Meint Michaela Hoppe, die an diesem Sonntag das Training leitet. Gerade hat sie den anderen eine gute Nachricht verkündet: Bei der Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses wird die Barockgruppe als Hofstaat der Wilhelmine den Platz in der Fürstenloge einnehmen. Wie der Einzug des Fürstenpaares damals von statten ging, hat sie sich von einem Experten erklären lassen und so ähnlich will man es dann nachspielen:
"Die erste Inszenierung mit Kutsche vorfahren, wow, wir sind da. Dann der erste schmucklose Vorraum, da ist nichts passiert, dann geht man ins Treppenhaus, da standen die Untertanen oben. Da inszeniert sich der Markgraf noch mal, dann die Treppe hoch und dann in dem Moment, wo er die Fürstenloge betritt, dann inszeniert er sich noch mal. Einfach gesehen werden. Sehen und gesehen werden."
Ganz so wie zu Wilhelmines Zeiten wird es bei der Einweihung der alten Oper allerdings nicht zu gehen: Damals gab es Mandelmilch-Punsch und Konfekt vom Hofkonditor, man spielte Karten und verfolgte nur beiläufig das Bühnengeschehen. Das Sehen und Gesehen werden gilt jedoch damals wie heute. Manche Dinge ändern sich eben nie.