Das erfundene Paradies

Von Klaus Hart |
Vor 65 Jahren veröffentlichte Stefan Zweig sein Buch "Brasilien - ein Land der Zukunft". Darin begeistert er sich für die Errungenschaften des Tropenlandes, ohne es jedoch richtig zu kennen, wie sein Biograph, der brasilianische Autor Alberto Dines, kritisiert. In seiner Zweig-Biographie schildert Dines, wie sich Zweig ein Brasilien zurechtfantasierte, das es so nicht gab und wie er dabei Aspekte wie Antisemitismus und Rassismus einfach ausblendete.
Der Journalist und Autor Alberto Dines zählt zu den bekannten jüdischen Persönlichkeiten Brasiliens und hat als Junge Stefan Zweig in Rio de Janeiro noch persönlich kennen gelernt. Wer heute dessen Werk "Brasilien - ein Land der Zukunft" lesen und verstehen wolle, so Dines, müsse stets die Persönlichkeit, das Charakterprofil des Dichters sowie den damaligen historischen Kontext im Blick haben. Dies betreffe Zweigs Lob für Brasiliens Rassenharmonie ebenso wie seine Beschönigung des Lebens in den Slums.

"Stefan Zweig war kein Sozialwissenschaftler, kein Anthropologe, kein Wirtschaftsexperte - und sprach auch nicht portugiesisch. Es ist unbestreitbar, dass man viele Jahre braucht, um in das Leben Brasiliens wirklich einzutauchen - und Stefan Zweig sagt selbst, er sei nur kurze Zeit hier gewesen, habe nur wenige Orte besucht. Er war auch kein politisierter Mensch, er täuschte, irrte sich, auch in politischen Fragen Brasiliens. Ich denke, er hat die Augen vor vielem verschlossen, ich bin da sehr kritisch."

Alberto Dines erinnert daran, dass damals, 1941, in Brasilien der Diktator Getulio Vargas an der Macht war, es eine faschistische Partei mit 600.000 Mitgliedern gab, die Politik von grauenhaftem Antisemitismus geprägt war. Ein Vargas-Dekret verbot zur Hitlerzeit, europäischen Juden, die nach Brasilien flüchten wollten, ein Einreisevisum auszustellen - ungezählte endeten deshalb in den KZs. Schon 1936 hatte Diktator Vargas in Rio Stefan Zweig empfangen - genau zwei Tage später lieferte Vargas die Jüdin Olga Benario an Hitlerdeutschland aus, in Bernburg wurde sie vergast.

"Dieses Visum war damals eine kostbare Sache für jeden Juden, der aus Europa flüchten wollte. Und Stefan Zweig machte eben ein Geschäft mit der Vargas-Regierung - er schrieb ein Buch zugunsten Brasiliens im Tausch gegen ein Dauervisum, erhielt es mit unglaublicher Leichtigkeit. Und wenn er ein Buch verfasst, das günstig für das Land ist, wird er eben bestimmte Dinge nicht sagen. Zudem war Stefan Zweig eine empfindsame, ängstliche Person, die nicht polemisierte und auch nicht diskutierte. Ich hätte nicht wie Zweig reagiert - der damals bereits tief depressiv war. Denn Zweig hatte ja Angst vor dem Krieg, flüchtete deshalb nach Brasilien - doch der Krieg kam ihm nach. In Rio wurden Zivilschutzübungen abgehalten, wegen der deutschen U-Boote lag nachts die Copacabana im Dunkel."

Als "Brasilien - ein Land der Zukunft" herauskam, wurde es von der Presse wegen verschiedenster Ungereimtheiten arg verrissen - doch jeglicher Hinweis auf politische Aspekte, gar auf die unterlassene Kritik am Antisemitismus, fehlte durchweg. Denn wer dies gewagt hätte, so Alberto Dines, wäre unter der Vargas-Diktatur womöglich verhaftet worden.

Zweig brilliert in dem Werk mit anschaulichen Beschreibungen der brasilianischen Industrie, der enormen Bodenschätze, der Landwirtschaft. Nichts davon stammt von ihm, alles hat er von dem Wirtschaftsexperten Roberto Simonsen übernommen, wie Alberto Dines betont.

Dann zählt er verschiedene Irrtümer Zweigs auf. In Sao Paulo begeisterte sich dieser an einem Modellgefängnis, das nach den Methoden eines deutschen Pädagogen und Mediziners geführt wurde.

"Stefan Zweig glaubte damals, Brasilien nutze Wissen und Erfahrung anderer Völker landesweit und habe daher alle Möglichkeiten zum Wachsen. Doch just dieses Modellgefängnis von Sao Paulo wurde zu einer entsetzlichen riesigen Anstalt ausgebaut, zur Hölle für unzählige Häftlinge. Zweig konnte nicht voraussehen, dass Brasilien ins Stocken, ja zum Stillstand kommen würde. Man investierte weder in die Gefängnisse noch in die Schulbildung. Statt echter Entwicklung nur pharaonische Projekte, dazu die Auswirkungen der Bevölkerungsexplosion, der Korruption und vieler anderer negativer Faktoren. Brasilien hat sich brutalisiert."

Stefan Zweig hätte auch die Folgen der tief verwurzelten Sklavenhaltermentalität erwähnen müssen - doch stattdessen gewinnt er dem elenden Leben der schwarzen Sklavennachfahren sogar pittoreske Seiten ab, beschreibt die Schwarzen als fröhlich und glücklich.

"Nur ein einziges Mal war er in einem Slum und idealisierte daraufhin das einfache Leben der Leute dort. Zweig täuschte sich - aber das entsprach ja seinem idealisierenden, romantisierenden Naturell. Er erfand das Paradies. Sicherlich hatte er dafür einige konkrete Elemente, denn es gab gute Dinge in Brasilien. Doch jenes Paradies, das er da erdichtete, hat seinen Selbstmord nicht verhindert."