"Das Ergebnis kann nur in einem Konsens gefunden werden"
Tipps für Heiner Geißler: Bei Stuttgart 21 sollte ein Ergebnis im Dialog gefunden werden, sagt der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch. Er vermittelte beim Streit um den Ausbau des Frankfurter Flughafens zwischen den Streitparteien.
Katrin Heise: Der Konflikt um Stuttgart 21 scheint festgefahren. Arroganz der Macht gegen demokratisch legitimiertes Bauvorhaben.
"Aufhören, aufhören!"
"Also ich war ganz vorne bei der Demonstration dabei mit einem Freund und wir haben uns eingekettet. Und die Polizisten haben dann angefangen, mit Schlagstöcken auf uns einzuhauen, uns wegzudrängen. Und wir sind einfach nicht weggegangen, wir wollten uns dann hinsetzen. Und dann haben die aus dem Gürtel so Pfefferspraydosen gezogen und uns ins Gesicht gesprüht. Und mein ganzes Gesicht brennt noch."
"Wer auf Arbeiter oder Polizeibeamte Flaschen wirft, selbst mit Pfeffersprays sprüht und sich nicht an die Anweisungen der Polizeibeamten hält, handelt rechtswidrig."
"Die Alternative wäre, die Polizei zieht sich zurück, kommt ihrem Auftrag nicht nach und signalisiert der Bevölkerung: Der Staat ist nicht in der Lage, für Recht und Ordnung zu sorgen."
"Das ist das Brutalste, was ich je in meinem Leben gesehen hab!"
"Ich bin im Hungerstreik schon sechs Tage, und ich schlafe hier und das ist kein Vergnügen. Und ich bin demnächst 81, aber ich hab Hoffnung. Denn das ist himmelschreiend, was hier gemacht wird."
"Das Projekt ist nach allen Regeln des Rechtsstaats zustande gekommen, es ist umsetzbar. Aber ich bitte um die entsprechende kommunikative Begleitmusik zwischen allen Beteiligten!"
Heise: Na, das ist wahrscheinlich noch Wunschdenken von Verkehrsminister Peter Ramsauer, im Moment spricht niemand miteinander. Die Lage erinnert an den Konflikt um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens, die in den 80er-Jahren zu massiven Protesten geführt hatte, die mit schwerverletzten Demonstranten und zwei erschossenen Polizisten ihren tragischen Höhepunkt fanden. Als 1997 dann Pläne für eine weitere Startbahn für den Frankfurter Flughafen auf den Tisch kamen, da vermittelte der damals scheidende Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, zwischen den Streitparteien. Was kann Stuttgart aus den Ergebnissen in Frankfurt lernen, das fragen wir Klaus Hänsch im "Radiofeuilleton". Herr Hänsch, ich grüße Sie!
Klaus Hänsch: Schönen guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Lassen Sie uns doch anfangs auf den Vermittlungsprozess in Frankfurt damals blicken. Der hat im Jahr 2000 ja ein Paket von Empfehlungen herausgebracht und die haben heute noch Wirkung. Was für eine Stimmung war das aber, was für eine Stimmung fanden Sie vor, als das Mediationsverfahren auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel begonnen hat, wie war da die Lage?
Hänsch: Eine sehr große Skepsis gab es bei allen Beteiligten. Selbst bei der Regierung, die das Mediationsverfahren vorgeschlagen hat, auch trug organisatorisch, als auch bei den Betroffenen, bei den Umweltverbänden, bei den umliegenden Gemeinden um den Flughafen herum. Also es war durchaus nicht ausgemacht, dass es ein Ergebnis geben würde. Und ich selbst war mir auch klar darüber, dass ich mich da auf eine Art Abenteuer einlasse. Ich war zu keinem Zeitpunkt mit dem Konflikt oder mit dem Ausbau des Flughafens, mit den Plänen befasst gewesen, nie in Berührung gekommen, aber ich dachte damals – und das war auch der Ausgangspunkt meiner Mitmediatoren –, das Wagnis dieses bürgerschaftliche Engagement einzugehen, das lohnt sich einfach.
Heise: Denn ansonsten riskiert man eben wieder Proteste, die man schon kannte. Die Gegner des Ausbaus wollten sich ja überhaupt nicht an den Tisch setzen. – Wie bringt man die denn miteinander zum Reden?
Hänsch: Ja alle, es ist auch nicht gelungen, alle an einen Tisch zu bekommen. Aber jedenfalls doch große Teile der Betroffenen auf beiden Seiten. Und man kriegt sie eigentlich dazu zu reden, indem alle Informationen, die vorliegen, noch einmal auf den Tisch kommen und im gemeinsamen Gespräch beraten werden. Also und die Mediatoren damals, wir waren uns klar, dass wir in diesem Prozess selbst lernen müssten gemeinsam mit den Betroffenen und den Beteiligten. Und das Dritte ist: Es muss klar sein, dass man zu einem Ergebnis kommen will, das müssen beide Seiten wollen, und das Ergebnis kann nur in einem Konsens gefunden werden, nicht durch Abstimmung.
Heise: Im Januar 2000 hat dann eben dieses Mediationspaket quasi vorgelegen, fünf Empfehlungen an die Politik: Optimierung des Bahnsystems war eins, Ausbau des Flughafens, Nachtflugverbot, Antilärmpaket, Einrichtung eines regionalen Dialogforums. Wie bindend war das denn oder ist das? Ist ja inzwischen, das Nachtflugverbot ist ja inzwischen aufgeweicht.
Hänsch: Es war uns von Anfang an klar, dass man die politischen Entscheidungen nicht ersetzen kann. Die Politik, die dafür befugten Organe, müssen ihre Entscheidungen fällen. Aber wir wussten auch – jedenfalls haben wir uns darum bemüht und eigentlich auch mit Erfolg bemüht –, dass das Ergebnis der Mediation beachtet wird und in sich so schlüssig ist, dass es von beiden Seiten trotz aller Kritik, die es ja immer noch auch danach noch gegeben hat, akzeptiert wird als die Grundlage für die politischen Entscheidungen, für die es allerdings – das war uns immer klar und das ist auch in Frankfurt so gewesen – keinen Ersatz gibt.
Heise: Gestern wurde von FDP-Generalsekretär Christian Lindner zitiert, ein jetzt angestrebter moderierter Diskussionsprozess in Bezug auf Stuttgart 21 solle die Akzeptanz für die bestehenden Pläne erhöhen, aber nicht das Projekt als Ganzes infrage stellen. Wie ergebnisoffen wurde eigentlich damals in Sachen Flughafenausbau diskutiert, tatsächlich ergebnisoffen, oder wie war das?
Hänsch: Die Mediationsgespräche waren ergebnisoffen und sie mussten es auch sein. Weder ich als Moderator noch meine beiden Komoderatoren wussten am Anfang, wie es ausgehen könnte. Und das wusste eigentlich keiner der Beteiligten. Anders kann man sich auch eine Mediation nicht vorstellen. Es müssen ja beide Seiten einen Konsens finden am Ende, und das bedeutet, beide Seiten müssen sich mit einem Teil ihrer Vorstellungen wiederfinden.
Heise: Das heißt doch aber, dass diejenigen, die da für die Planung zuständig sind, von ihren Plänen eben auch abrücken können müssen?
Hänsch: Das weiß ich nicht, dazu bin ich in der Stuttgarter Problematik nicht tief genug drin. Aber es ist völlig klar, dass in einer Mediation alles auf den Tisch kommen muss.
Heise: Was bringt der Dialog bei der Umsetzung von Großbauprojekten? Wir vergleichen die Beispiele Stuttgart 21 mit dem aktuellen Ausbau des Frankfurter Flughafens in Deutschlandradio Kultur mit Klaus Hänsch, der in Frankfurt eben vermittelte. Ihre Einschätzung, Herr Hänsch, wie könnte im Konflikt um den Bahnhof Stuttgart 21 denn ganz konkret vermittelt werden zum jetzigen Zeitpunkt?
Hänsch: Also das Allererste ist: Die Politik muss es wirklich wollen. Und sie muss zumindest potenziell bereit sein, sich auf das Ergebnis einer solchen Vermittlung einzulassen, sonst hat das ja alles gar keinen Zweck. Und das Zweite ist: Es ist auch völlig klar, dass jeder Vermittler, wer immer es ist, voraussetzungsfrei an die Aufgabe herangehen muss. Wenn der ein Ergebnis im Kopf hat, selbst wenn er es verschweigt, dann wird er zu keinem Erfolg kommen. Es muss klar sein, dass es zu einem Ergebnis kommen muss, aber es muss auch klar sein, dass das Ergebnis im Dialog gefunden werden muss. Und dann ist nur zu hoffen, dass die Beteiligten so viel Bürgersinn entwickeln – das gilt für die Regierung, für die politischen Parteien wie auch für die Protestierenden –, dass man sich selbst auch auf ein Ergebnis einlässt und nicht von der anderen Seite her ein bestimmtes Ergebnis vorhat, von dem man nicht abweichen will.
Heise: Das heißt, ich meine das ist ja alles schon kompliziert genug, aber jetzt ist ja der Karren sozusagen schon vollkommen vor die Wand gefahren. Sehen Sie da überhaupt noch eine Möglichkeit?
Hänsch: Also man soll in solchen politischen Streitfällen und in solchen schwierigen Konflikten nicht aufgeben, sondern man kann und muss hoffen, dass trotz aller Festlegungen es möglich ist zu einem Ergebnis im vernünftigen Dialog zu kommen. Es gibt keine Regeln dafür, wie man es schaffen kann. Der Stuttgarter Fall ist ein anderer, völlig anderer als der Frankfurter Fall. Aber der Frankfurter Fall hat gezeigt, dass eine solche Mediation beide Seiten klüger machen kann.
Heise: Der Mediator selber kann ja eigentlich, also der kann nicht eigentlich, sondern der kann nichts erzwingen. Es muss von den Betroffenen her kommen, die müssen sich bewegen wollen. Sie sind aber damals wahrscheinlich auch häufig angefeindet worden, oder?
Hänsch: Ja natürlich hat es Anfeindungen gegeben, ganz massive sogar. Auf der anderen Seite hat sich im Verlaufe der Zeit herausgestellt, dass die Art und Weise, wie wir Mediatoren das Gespräch geführt haben, auch wie wir uns auf die Argumente und auf die Informationen von der einen wie auch von der anderen Seite eingelassen haben, auch dazu geführt wird, dass sich das Klima derjenigen, die beteiligt waren, die direkt an den Gesprächen beteiligt waren, im Laufe der Zeit enorm verbessert hat und sich die Notwendigkeit zu einem Ergebnis zu kommen immer mehr herausgeschält hat. Und das ist ja die Aufgabe eines solchen Mediators, nicht von Anfang an ein Ergebnis vorzuschlagen, sondern die Beteiligten darauf hinzudrängen, dass es ein Ergebnis gibt, das beide Seiten – oder vielleicht gibt es auch mehrere Seiten – mittragen können.
Heise: Realistisch betrachtet: Die Prozessflut gegen den Ausbau in Frankfurt hat ja auch nicht nachgelassen, aber es ist eben nicht mehr zu solchen Protesten gekommen wie bei der Startbahn West. Es ist also nicht zu unterschätzen, muss man daraus schließen, was erreicht wird, wenn über Großbauprojekte im Vorhinein mit betroffenen Bürgern kommuniziert wird, wenn es noch überhaupt keine protestierende Masse gibt. Das heißt man politisiert diese Masse ja eigentlich im Vorfeld. Man hat in Stuttgart so ein bisschen den Eindruck, dass man da vorher keine schlafenden Hunde wecken wollte?
Hänsch: Das weiß ich nicht. Das mag so sein, jedenfalls scheint es im Augenblick so auszusehen. Frankfurt hat gezeigt, dass es möglich ist, rechtzeitig vor einer Entscheidung zu einem Gespräch zu kommen und dann auch das Ergebnis dieses Gesprächs in die Entscheidung einfließen zu lassen.
Heise: Man hat ja vielleicht noch Bahnchef Grube im Ohr, der vor Kurzem sagte, scheitert das Stuttgart 21, ist in Deutschland kein Großbauprojekt mehr durchzusetzen. Wie sehen Sie so eine Äußerung?
Hänsch: Also solche Äußerungen halte ich weder für hilfreich noch für wahr. Es wird auch künftig in Deutschland Großbauprojekte geben, vielleicht wird der eine oder andere aus dem, was in Stuttgart jetzt läuft oder nicht läuft, Lehren ziehen für die nächste Planung eines großen Projektes, die ja in Deutschland gar nicht ausgeschlossen werden können. Solche Festlegungen, was geht oder was nicht geht, die hat es im Vorfeld der Frankfurter Mediation auch gegeben. Es ist hilfreich für alle Beteiligten, wenn weder die einen noch die anderen sich vorher festlegen.
Heise: Ärgern Sie sich ...
Hänsch: ... – wenn Sie eine Mediation wollen! Wenn man das nicht will, dann kann man natürlich mit voller Brust harte Töne sprechen.
Heise: Ärgern Sie sich nicht manchmal darüber, dass man so wenig Lehren aus Frankfurt, aus Ihrem Beispiel sozusagen gezogen hat?
Hänsch: Ich glaube, dass, als die Entscheidungen in der Politik fielen, das Frankfurter Beispiel in der Praxis noch nicht hat zeigen können, dass es funktioniert. Das war ja auch damals umstritten. Nicht alle haben erwartet, dass die Politik sich überhaupt auf das Ergebnis des Frankfurter Mediationsverfahrens einlässt. Also so haben die in Stuttgart vielleicht nicht das Beispiel Frankfurt schon sehen können. Ich könnte mir vorstellen, wenn sie es sich rechtzeitig angesehen hätten, dann hätten sie möglicherweise die Vorbereitung auf das, was dort jetzt angefangen worden ist, besser organisiert.
Heise: Auf jeden Fall hören sich die Töne jetzt fast so an, als ob man das jetzt anders überlegen wollte bei künftigen Großbauprojekten. Klaus Hänsch, Mediator des Frankfurter Flughafenausbaus, vielen Dank für dieses Gespräch!
Hänsch: Ich bedanke mich auch!
"Aufhören, aufhören!"
"Also ich war ganz vorne bei der Demonstration dabei mit einem Freund und wir haben uns eingekettet. Und die Polizisten haben dann angefangen, mit Schlagstöcken auf uns einzuhauen, uns wegzudrängen. Und wir sind einfach nicht weggegangen, wir wollten uns dann hinsetzen. Und dann haben die aus dem Gürtel so Pfefferspraydosen gezogen und uns ins Gesicht gesprüht. Und mein ganzes Gesicht brennt noch."
"Wer auf Arbeiter oder Polizeibeamte Flaschen wirft, selbst mit Pfeffersprays sprüht und sich nicht an die Anweisungen der Polizeibeamten hält, handelt rechtswidrig."
"Die Alternative wäre, die Polizei zieht sich zurück, kommt ihrem Auftrag nicht nach und signalisiert der Bevölkerung: Der Staat ist nicht in der Lage, für Recht und Ordnung zu sorgen."
"Das ist das Brutalste, was ich je in meinem Leben gesehen hab!"
"Ich bin im Hungerstreik schon sechs Tage, und ich schlafe hier und das ist kein Vergnügen. Und ich bin demnächst 81, aber ich hab Hoffnung. Denn das ist himmelschreiend, was hier gemacht wird."
"Das Projekt ist nach allen Regeln des Rechtsstaats zustande gekommen, es ist umsetzbar. Aber ich bitte um die entsprechende kommunikative Begleitmusik zwischen allen Beteiligten!"
Heise: Na, das ist wahrscheinlich noch Wunschdenken von Verkehrsminister Peter Ramsauer, im Moment spricht niemand miteinander. Die Lage erinnert an den Konflikt um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens, die in den 80er-Jahren zu massiven Protesten geführt hatte, die mit schwerverletzten Demonstranten und zwei erschossenen Polizisten ihren tragischen Höhepunkt fanden. Als 1997 dann Pläne für eine weitere Startbahn für den Frankfurter Flughafen auf den Tisch kamen, da vermittelte der damals scheidende Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, zwischen den Streitparteien. Was kann Stuttgart aus den Ergebnissen in Frankfurt lernen, das fragen wir Klaus Hänsch im "Radiofeuilleton". Herr Hänsch, ich grüße Sie!
Klaus Hänsch: Schönen guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Lassen Sie uns doch anfangs auf den Vermittlungsprozess in Frankfurt damals blicken. Der hat im Jahr 2000 ja ein Paket von Empfehlungen herausgebracht und die haben heute noch Wirkung. Was für eine Stimmung war das aber, was für eine Stimmung fanden Sie vor, als das Mediationsverfahren auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel begonnen hat, wie war da die Lage?
Hänsch: Eine sehr große Skepsis gab es bei allen Beteiligten. Selbst bei der Regierung, die das Mediationsverfahren vorgeschlagen hat, auch trug organisatorisch, als auch bei den Betroffenen, bei den Umweltverbänden, bei den umliegenden Gemeinden um den Flughafen herum. Also es war durchaus nicht ausgemacht, dass es ein Ergebnis geben würde. Und ich selbst war mir auch klar darüber, dass ich mich da auf eine Art Abenteuer einlasse. Ich war zu keinem Zeitpunkt mit dem Konflikt oder mit dem Ausbau des Flughafens, mit den Plänen befasst gewesen, nie in Berührung gekommen, aber ich dachte damals – und das war auch der Ausgangspunkt meiner Mitmediatoren –, das Wagnis dieses bürgerschaftliche Engagement einzugehen, das lohnt sich einfach.
Heise: Denn ansonsten riskiert man eben wieder Proteste, die man schon kannte. Die Gegner des Ausbaus wollten sich ja überhaupt nicht an den Tisch setzen. – Wie bringt man die denn miteinander zum Reden?
Hänsch: Ja alle, es ist auch nicht gelungen, alle an einen Tisch zu bekommen. Aber jedenfalls doch große Teile der Betroffenen auf beiden Seiten. Und man kriegt sie eigentlich dazu zu reden, indem alle Informationen, die vorliegen, noch einmal auf den Tisch kommen und im gemeinsamen Gespräch beraten werden. Also und die Mediatoren damals, wir waren uns klar, dass wir in diesem Prozess selbst lernen müssten gemeinsam mit den Betroffenen und den Beteiligten. Und das Dritte ist: Es muss klar sein, dass man zu einem Ergebnis kommen will, das müssen beide Seiten wollen, und das Ergebnis kann nur in einem Konsens gefunden werden, nicht durch Abstimmung.
Heise: Im Januar 2000 hat dann eben dieses Mediationspaket quasi vorgelegen, fünf Empfehlungen an die Politik: Optimierung des Bahnsystems war eins, Ausbau des Flughafens, Nachtflugverbot, Antilärmpaket, Einrichtung eines regionalen Dialogforums. Wie bindend war das denn oder ist das? Ist ja inzwischen, das Nachtflugverbot ist ja inzwischen aufgeweicht.
Hänsch: Es war uns von Anfang an klar, dass man die politischen Entscheidungen nicht ersetzen kann. Die Politik, die dafür befugten Organe, müssen ihre Entscheidungen fällen. Aber wir wussten auch – jedenfalls haben wir uns darum bemüht und eigentlich auch mit Erfolg bemüht –, dass das Ergebnis der Mediation beachtet wird und in sich so schlüssig ist, dass es von beiden Seiten trotz aller Kritik, die es ja immer noch auch danach noch gegeben hat, akzeptiert wird als die Grundlage für die politischen Entscheidungen, für die es allerdings – das war uns immer klar und das ist auch in Frankfurt so gewesen – keinen Ersatz gibt.
Heise: Gestern wurde von FDP-Generalsekretär Christian Lindner zitiert, ein jetzt angestrebter moderierter Diskussionsprozess in Bezug auf Stuttgart 21 solle die Akzeptanz für die bestehenden Pläne erhöhen, aber nicht das Projekt als Ganzes infrage stellen. Wie ergebnisoffen wurde eigentlich damals in Sachen Flughafenausbau diskutiert, tatsächlich ergebnisoffen, oder wie war das?
Hänsch: Die Mediationsgespräche waren ergebnisoffen und sie mussten es auch sein. Weder ich als Moderator noch meine beiden Komoderatoren wussten am Anfang, wie es ausgehen könnte. Und das wusste eigentlich keiner der Beteiligten. Anders kann man sich auch eine Mediation nicht vorstellen. Es müssen ja beide Seiten einen Konsens finden am Ende, und das bedeutet, beide Seiten müssen sich mit einem Teil ihrer Vorstellungen wiederfinden.
Heise: Das heißt doch aber, dass diejenigen, die da für die Planung zuständig sind, von ihren Plänen eben auch abrücken können müssen?
Hänsch: Das weiß ich nicht, dazu bin ich in der Stuttgarter Problematik nicht tief genug drin. Aber es ist völlig klar, dass in einer Mediation alles auf den Tisch kommen muss.
Heise: Was bringt der Dialog bei der Umsetzung von Großbauprojekten? Wir vergleichen die Beispiele Stuttgart 21 mit dem aktuellen Ausbau des Frankfurter Flughafens in Deutschlandradio Kultur mit Klaus Hänsch, der in Frankfurt eben vermittelte. Ihre Einschätzung, Herr Hänsch, wie könnte im Konflikt um den Bahnhof Stuttgart 21 denn ganz konkret vermittelt werden zum jetzigen Zeitpunkt?
Hänsch: Also das Allererste ist: Die Politik muss es wirklich wollen. Und sie muss zumindest potenziell bereit sein, sich auf das Ergebnis einer solchen Vermittlung einzulassen, sonst hat das ja alles gar keinen Zweck. Und das Zweite ist: Es ist auch völlig klar, dass jeder Vermittler, wer immer es ist, voraussetzungsfrei an die Aufgabe herangehen muss. Wenn der ein Ergebnis im Kopf hat, selbst wenn er es verschweigt, dann wird er zu keinem Erfolg kommen. Es muss klar sein, dass es zu einem Ergebnis kommen muss, aber es muss auch klar sein, dass das Ergebnis im Dialog gefunden werden muss. Und dann ist nur zu hoffen, dass die Beteiligten so viel Bürgersinn entwickeln – das gilt für die Regierung, für die politischen Parteien wie auch für die Protestierenden –, dass man sich selbst auch auf ein Ergebnis einlässt und nicht von der anderen Seite her ein bestimmtes Ergebnis vorhat, von dem man nicht abweichen will.
Heise: Das heißt, ich meine das ist ja alles schon kompliziert genug, aber jetzt ist ja der Karren sozusagen schon vollkommen vor die Wand gefahren. Sehen Sie da überhaupt noch eine Möglichkeit?
Hänsch: Also man soll in solchen politischen Streitfällen und in solchen schwierigen Konflikten nicht aufgeben, sondern man kann und muss hoffen, dass trotz aller Festlegungen es möglich ist zu einem Ergebnis im vernünftigen Dialog zu kommen. Es gibt keine Regeln dafür, wie man es schaffen kann. Der Stuttgarter Fall ist ein anderer, völlig anderer als der Frankfurter Fall. Aber der Frankfurter Fall hat gezeigt, dass eine solche Mediation beide Seiten klüger machen kann.
Heise: Der Mediator selber kann ja eigentlich, also der kann nicht eigentlich, sondern der kann nichts erzwingen. Es muss von den Betroffenen her kommen, die müssen sich bewegen wollen. Sie sind aber damals wahrscheinlich auch häufig angefeindet worden, oder?
Hänsch: Ja natürlich hat es Anfeindungen gegeben, ganz massive sogar. Auf der anderen Seite hat sich im Verlaufe der Zeit herausgestellt, dass die Art und Weise, wie wir Mediatoren das Gespräch geführt haben, auch wie wir uns auf die Argumente und auf die Informationen von der einen wie auch von der anderen Seite eingelassen haben, auch dazu geführt wird, dass sich das Klima derjenigen, die beteiligt waren, die direkt an den Gesprächen beteiligt waren, im Laufe der Zeit enorm verbessert hat und sich die Notwendigkeit zu einem Ergebnis zu kommen immer mehr herausgeschält hat. Und das ist ja die Aufgabe eines solchen Mediators, nicht von Anfang an ein Ergebnis vorzuschlagen, sondern die Beteiligten darauf hinzudrängen, dass es ein Ergebnis gibt, das beide Seiten – oder vielleicht gibt es auch mehrere Seiten – mittragen können.
Heise: Realistisch betrachtet: Die Prozessflut gegen den Ausbau in Frankfurt hat ja auch nicht nachgelassen, aber es ist eben nicht mehr zu solchen Protesten gekommen wie bei der Startbahn West. Es ist also nicht zu unterschätzen, muss man daraus schließen, was erreicht wird, wenn über Großbauprojekte im Vorhinein mit betroffenen Bürgern kommuniziert wird, wenn es noch überhaupt keine protestierende Masse gibt. Das heißt man politisiert diese Masse ja eigentlich im Vorfeld. Man hat in Stuttgart so ein bisschen den Eindruck, dass man da vorher keine schlafenden Hunde wecken wollte?
Hänsch: Das weiß ich nicht. Das mag so sein, jedenfalls scheint es im Augenblick so auszusehen. Frankfurt hat gezeigt, dass es möglich ist, rechtzeitig vor einer Entscheidung zu einem Gespräch zu kommen und dann auch das Ergebnis dieses Gesprächs in die Entscheidung einfließen zu lassen.
Heise: Man hat ja vielleicht noch Bahnchef Grube im Ohr, der vor Kurzem sagte, scheitert das Stuttgart 21, ist in Deutschland kein Großbauprojekt mehr durchzusetzen. Wie sehen Sie so eine Äußerung?
Hänsch: Also solche Äußerungen halte ich weder für hilfreich noch für wahr. Es wird auch künftig in Deutschland Großbauprojekte geben, vielleicht wird der eine oder andere aus dem, was in Stuttgart jetzt läuft oder nicht läuft, Lehren ziehen für die nächste Planung eines großen Projektes, die ja in Deutschland gar nicht ausgeschlossen werden können. Solche Festlegungen, was geht oder was nicht geht, die hat es im Vorfeld der Frankfurter Mediation auch gegeben. Es ist hilfreich für alle Beteiligten, wenn weder die einen noch die anderen sich vorher festlegen.
Heise: Ärgern Sie sich ...
Hänsch: ... – wenn Sie eine Mediation wollen! Wenn man das nicht will, dann kann man natürlich mit voller Brust harte Töne sprechen.
Heise: Ärgern Sie sich nicht manchmal darüber, dass man so wenig Lehren aus Frankfurt, aus Ihrem Beispiel sozusagen gezogen hat?
Hänsch: Ich glaube, dass, als die Entscheidungen in der Politik fielen, das Frankfurter Beispiel in der Praxis noch nicht hat zeigen können, dass es funktioniert. Das war ja auch damals umstritten. Nicht alle haben erwartet, dass die Politik sich überhaupt auf das Ergebnis des Frankfurter Mediationsverfahrens einlässt. Also so haben die in Stuttgart vielleicht nicht das Beispiel Frankfurt schon sehen können. Ich könnte mir vorstellen, wenn sie es sich rechtzeitig angesehen hätten, dann hätten sie möglicherweise die Vorbereitung auf das, was dort jetzt angefangen worden ist, besser organisiert.
Heise: Auf jeden Fall hören sich die Töne jetzt fast so an, als ob man das jetzt anders überlegen wollte bei künftigen Großbauprojekten. Klaus Hänsch, Mediator des Frankfurter Flughafenausbaus, vielen Dank für dieses Gespräch!
Hänsch: Ich bedanke mich auch!