"Das erste Buch in der arabischen Literatur, das die Gesellschaft von Israel von innen behandelt"
Der irakische Schriftsteller Najem Wali hat Israel besucht, um das Land kennenzulernen. Es war eine politisch brisante Reise, die erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen seinem Heimatland und dem Staat der Juden zeigte. Darüber verfasste Wali nun das Buch über die "Reise in das Herz des Feindes".
Ulrike Timm: "Wenn in Israel oder bei uns jemand zur Welt kommt, dann steckt ihm die Geschichte des arabisch-israelischen Kampfes schon in der Nabelschnur", schrieb der irakische Schriftsteller Najem Wali einmal. Najem Wali, 1956 in Basra geboren, lebt seit fast 30 Jahren in Deutschland. 1980 floh er vor Haft und Folter aus dem Irak des Saddam Hussein. Heute erscheint ein Buch von ihm, "Reise in das Herz des Feindes", ein Essay, ein Mittelding aus Reisebeschreibung und politischer Analyse. Najem Wali ist 2007 durch Israel gereist und hat seine Beobachtungen aufgeschrieben. Und jetzt ist er unser Gast. Schönen guten Tag!
Najem Wali: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Anlass der Reise, Herr Wali, war eine Irak-Konferenz in Haifa. Sie hätten wieder nach Hause fahren können, Sie sind aber stattdessen kreuz und quer durch Israel gereist. Was hat Sie an Israel so sehr interessiert?
Wali: Also diese Einladung zu der Konferenz war wie ein Geschenk für mich, weil das ist ein alter Traum bei mir, dass ich durch Israel verreise. Nicht nur wegen meiner Neugierde, um diesen Feind von innen zu sehen – was heißt, dieser Feind und wie leben die Menschen da –, sondern es ist auch persönliches Anliegen. Ich war auf der Suche nach meinem Kinderarzt, der mir das Leben geschenkt hat, als ich klein war, Dr. (…).
Timm: Das war im Irak, ein jüdischer Arzt, der erst Arzt war und dann Jude?
Wali: Ja, klar. Das war auch Anfang der Sechziger, ich war fünf oder sechs Jahre alt, als ich aus Versehen oder absichtlich, ich wollte den Älteren nachahmen und dachte, es ist Schnaps und ich habe Petroleum getrunken und fiel in Koma, und er hat mir das Leben gerettet.
Timm: "Reise in das Herz des Feindes", der Titel kommt ja nicht von ungefähr. In allen arabischen Ländern ist Israel primär erst mal der Feind, auch in der Sprache. Dem haben Sie dann ins Herz geguckt, und das provoziert doch Widerspruch von beiden Seiten. Von arabischer Seite erwartet man, gelinde gesagt, Erstaunen und von israelischer nicht unbedingt Gastfreundschaft. Hatten Sie keine Befürchtungen oder sogar Angst?
Wali: Ja, natürlich, Angst ist da drin, dass ich auf Ablehnung stoße da bei den Israelis, dass man vielleicht skeptisch guckt. Was heißt, als ich bei den Formularen eingetragen habe am Flughafen, ich wollte nicht nur bei der Konferenz bleiben, sondern länger hier bleiben und eine kulturelle soziologische, sagen wir mal, Studienreise machen, was heißt das. Stellen Sie sich vor im Zweiten Weltkrieg, dass Sie als Deutsche nach Moskau fahren, das wäre natürlich fast unmöglich. Aber ich gehöre zu den Menschen, die wirklich das Unmögliche suchen auch, das gehört zu meiner Art vom Schreiben auch. Und ich erinnere mich, als ich meinen Verleger, Michael Krüger, Geschäftsführer vom Hanser Verlag, gefragt habe und gesagt habe, ich möchte länger, hat er gesagt: Oh, Najem, was willst du da machen? Und er hat mich auch sogar ermuntert, dass ich länger bleibe. Aber das hat sich gelohnt. Es ist eine abenteuerliche Reise, aber es hat sich gelohnt. Und ich glaube, auf beiden Seiten brauchen wir, dass wir mehr Vertrauen zueinander haben.
Timm: Sie haben dann Intellektuelle gesprochen, Schriftsteller, aber auch ganz normale Leute, und da gibt es zum Teil sehr unerwartete Erlebnisse: Ein jüdischer Taxifahrer freut sich so sehr, dass er Sie umsonst kutschiert, Sie übernachten mit Ihrer Frau bei israelischen Gastgebern im Bett der Tochter, die israelische Soldatin ist. Von heute aus betrachtet, das klingt manchmal fast zu schön, um wahr zu sein. Was wollten Sie damit sagen?
Wali: Ja, ich wollte bezwecken das Unmögliche, das Surreale manchmal im Leben, weil in unserem Leben, wenn man verfeindet ist, alles entwickelt sich zu einem Symbol. Das heißt, das Bett einer Soldatin, die irgendwo in dem besetzten Gebiet oder in Gaza kämpft oder irgendwo, und das ist ein Feind an sich für die Araber, und ich bin auch ein Feind für sie, also diese Symbole, obwohl ihre Eltern Freunde von mir geworden sind. Aber dieses Symbol wollte ich darstellen, das ist möglich. Das ist möglich, das Unmögliche zum Möglichen zu machen.
Timm: Haben Sie das auch immer vergrößert in dem Buch oder ist Ihnen das alles wirklich so geschehen? Man staunt ja, dass es so viel gewöhnliches Leben geben soll neben großer Politik.
Wali: Ja, ich meine, ich habe das nicht vergrößert, Literatur ist so. Ich glaube, das Leben ist größer als Literatur. Die Geschichten, die ich erzähle, sind echte Geschichten, sind wahre Geschichten, und deshalb sind sie Geschichten von Menschen. Ich glaube, außergewöhnliche Menschen muss man entdecken. Und die machen Geschichte.
Timm: Nun haben Sie die Reise 2007 gemacht, Ihr Buch erscheint heute, während eines brüchigen Waffenstillstands im Gazakrieg, und das provoziert Fragen, zum Beispiel: Würden Sie noch mal im Bett einer israelischen Soldatin übernachten dürfen heute?
Wali: Ja, der Krieg in Gaza, das ist nicht der erste Krieg, ich meine, das ist der siebte oder der achte oder der zehnte. Und es wird Kriege geben zwischen den beiden Seiten. Dieser Krieg hat weder meine Sympathie der Menschen in Israel geringer gemacht noch meine Sympathie der Palästinenser größer gemacht. Nein.
Timm: Aber vielleicht umgekehrt.
Wali: Oder umgekehrt auch nicht, nein. Es geht um Menschen. Nein. Gerade dieser Krieg zeigt auch, wie verzweifelt alle Seiten sind und warum. Also mein Buch behandelt nicht das Alltägliche, es ist nichts Provisorisches, ich erzähle nicht von einer Phase in unserem Leben. Ich erzähle von 61 Jahren jetzt Geschichte zwischen den beiden Lagern. Und das wird weitergehen. Das, was ich versuche, das ist was Einmaliges, weil bei uns kennt man auch diese Gesellschaft von innen nicht. Das ist das erste Buch in der arabischen Literatur, das die Gesellschaft von Israel von innen behandelt und literarisch. Und ich hoffe, dass auch israelische Autoren das tun, auch, dass sie nach Kairo oder nach Amman verreisen.
Timm: Ihr Buch wird erscheinen auf Deutsch, auf Englisch und auf Hebräisch, nicht auf Arabisch. Heißt das, dort werden Sie nicht gehört?
Wali: Ich weiß, das ist schwierig, das ist eine komplizierte Frage, weil auf Arabisch das Problem ist, es ist nicht die Zensur, es gibt einen Boykott, Sanktionen gegen den Verleger. Wenn so ein Verleger mein Buch verlegt, dann werden seine anderen Bücher auch boykottiert.
Timm: Es ist lebensgefährlich.
Wali: Es ist nicht nur lebensgefährlich, es ist auch wirtschaftlich gefährlich. Das ist ein Ruin, wenn er seine Bücher nicht vertreiben kann und verkaufen konnte. Aber trotzdem, es ist im Gespräch, und ich hoffe, dass es in diesem Jahr rauskommt auf Arabisch. Sonst werde ich es auf einen Blog stellen, vielleicht viele junge Leute dieses Buch lesen werden. Übrigens, ein Teil von meinem Buch, einige Kapitel, habe ich schon auf Arabisch veröffentlicht. Und ich habe viele, viele Briefe, ich meine, auf Abstoßung, auf Hass auch gestoßen, aber auf anderer Seite habe ich viele E-Mails von jungen Leuten gekriegt, die mich ermuntert haben.
Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem irakischen Schriftsteller Najem Wali, der heute ein Buch seiner israelischen Reise veröffentlicht. In dem steht auch ein Satz: "Wann immer man in den kurzen Friedenszeiten optimistisch in die Zukunft blickt, wird einem bewusst, wie schnell man diesen Optimismus vergessen muss." Sind wir nicht gerade heute in Tagen, wo man diesen Optimismus vergessen kann?
Wali: Nein, ich glaube, wenn ich Optimismus vergessen werde, werde ich nie ein Wort schreiben. Ich glaube, wir Literaten, wir schreiben gegen das Vergessen, gegen den Pessimismus, damit die Menschen weiter nach vorne gucken, und das Leben geht weiter.
Timm: Von israelischen Autoren wie Amos Oz oder David Grossmann kennt man solche Stimmen, die sich immer wieder für Aussöhnung einsetzen. Die arabischen Stimmen dazu sind seltener und auch leiser. Woran liegt das?
Wali: Es liegt an Repressalien, Sanktionen, (…) Freiheit, wir haben mörderische auch Diktatoren. Also gucken Sie mal einen brutalen Diktator, der in Syrien, in Damaskus sitzt auf dem Sessel, oder auch in anderen arabischen Ländern. Und daher sind die leisen Töne, weil die Intellektuellen, die solche Töne wie mein Ton zeigen, dann werden sie boykottiert oder sie verlieren ihren Job. Und wenn Leute Familien haben und Kinder, wird das für sie wirklich schwierig.
Timm: "Danke, wir leben noch", das scheint ein Gruß zu sein der Araber und Israelis auch verbindet. Sie waren sehr fasziniert von der Modellstadt Haifa, wo das Zusammenleben im Großen und Ganzen gelingt. Warum klappt hier was, was anderswo nicht gelingt?
Wali: Ja, das ist die Frage, der ich auch nachforschen wollte, also was mich auch bei diesem multikulturellen Modell, Haifa als Symbol für Israel insgesamt, fasziniert hat. Also wir hatten eine Gesellschaft, die aus verschiedenen Kulturen kommt, einen Staat, einen funktionierenden, modernen Staat, zu schaffen in 60 Jahren. Da hatten Sie keinen Staat, und jetzt haben wir den Staat Israel. Und wir, zum Beispiel im Irak, wenn ich vom Irak rede, wir gehen in die Geschichte rein, 5000 Jahre und mehr – Mesopotamien, Sumeretin, Babylonien, alte Kultur, und wir haben bis heute nicht geschafft, ein funktionierenden Staat zu schaffen. Das sind die Fragen, die ich auch wirklich nachforschen wollte. Also bis jetzt habe ich keine Antwort, ich glaube aber, durch die Geschichten, die ich mache, vielleicht gebe ich eine Antwort unter den Zeilen.
Timm: Sie beschreiben den Nahen Osten immer wieder als einen Melting Pot, dessen Vielfalt wir uns in Europa vielleicht gar nicht bewusst sind, wenn wir ein bisschen sehr schematisch scheinbar sauber teilen nach Israelis und Arabern. Wir das zu wenig gesehen, dass das von Natur aus ein ganz großer Mischmasch von Menschen ist?
Wali: Natürlich, es ist ein großer Mischmasch von Menschen, übrigens ist das Mediterranian, also Mittelmeerraum, ist so. Und das ist auch, also wenn man daran denkt, das ist Mischmasch, das ist auch ein schöner Mischmasch, man muss an diese Mischmaschkultur denken, vielleicht ist es eine Lösung gegen den Krieg, das, was mir Optimismus gibt. Also auch in Israel, die Leute, die ich gesprochen habe, ich habe gesagt, es wundert mich bei den Eliten auch in Israel, dass sie nicht langfristig denken, dass sie nicht denken manchmal, dass sie Teil dieser Kultur ist, nicht Teil des Westens, sondern Teil von dem Mediterranian. Und wenn man sich bemüht, an den Mediterranian, an den Menschen da, vielleicht wird man auch näher kommen und Lösungen finden, mit den anderen zusammenzuleben.
Najem Wali: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Anlass der Reise, Herr Wali, war eine Irak-Konferenz in Haifa. Sie hätten wieder nach Hause fahren können, Sie sind aber stattdessen kreuz und quer durch Israel gereist. Was hat Sie an Israel so sehr interessiert?
Wali: Also diese Einladung zu der Konferenz war wie ein Geschenk für mich, weil das ist ein alter Traum bei mir, dass ich durch Israel verreise. Nicht nur wegen meiner Neugierde, um diesen Feind von innen zu sehen – was heißt, dieser Feind und wie leben die Menschen da –, sondern es ist auch persönliches Anliegen. Ich war auf der Suche nach meinem Kinderarzt, der mir das Leben geschenkt hat, als ich klein war, Dr. (…).
Timm: Das war im Irak, ein jüdischer Arzt, der erst Arzt war und dann Jude?
Wali: Ja, klar. Das war auch Anfang der Sechziger, ich war fünf oder sechs Jahre alt, als ich aus Versehen oder absichtlich, ich wollte den Älteren nachahmen und dachte, es ist Schnaps und ich habe Petroleum getrunken und fiel in Koma, und er hat mir das Leben gerettet.
Timm: "Reise in das Herz des Feindes", der Titel kommt ja nicht von ungefähr. In allen arabischen Ländern ist Israel primär erst mal der Feind, auch in der Sprache. Dem haben Sie dann ins Herz geguckt, und das provoziert doch Widerspruch von beiden Seiten. Von arabischer Seite erwartet man, gelinde gesagt, Erstaunen und von israelischer nicht unbedingt Gastfreundschaft. Hatten Sie keine Befürchtungen oder sogar Angst?
Wali: Ja, natürlich, Angst ist da drin, dass ich auf Ablehnung stoße da bei den Israelis, dass man vielleicht skeptisch guckt. Was heißt, als ich bei den Formularen eingetragen habe am Flughafen, ich wollte nicht nur bei der Konferenz bleiben, sondern länger hier bleiben und eine kulturelle soziologische, sagen wir mal, Studienreise machen, was heißt das. Stellen Sie sich vor im Zweiten Weltkrieg, dass Sie als Deutsche nach Moskau fahren, das wäre natürlich fast unmöglich. Aber ich gehöre zu den Menschen, die wirklich das Unmögliche suchen auch, das gehört zu meiner Art vom Schreiben auch. Und ich erinnere mich, als ich meinen Verleger, Michael Krüger, Geschäftsführer vom Hanser Verlag, gefragt habe und gesagt habe, ich möchte länger, hat er gesagt: Oh, Najem, was willst du da machen? Und er hat mich auch sogar ermuntert, dass ich länger bleibe. Aber das hat sich gelohnt. Es ist eine abenteuerliche Reise, aber es hat sich gelohnt. Und ich glaube, auf beiden Seiten brauchen wir, dass wir mehr Vertrauen zueinander haben.
Timm: Sie haben dann Intellektuelle gesprochen, Schriftsteller, aber auch ganz normale Leute, und da gibt es zum Teil sehr unerwartete Erlebnisse: Ein jüdischer Taxifahrer freut sich so sehr, dass er Sie umsonst kutschiert, Sie übernachten mit Ihrer Frau bei israelischen Gastgebern im Bett der Tochter, die israelische Soldatin ist. Von heute aus betrachtet, das klingt manchmal fast zu schön, um wahr zu sein. Was wollten Sie damit sagen?
Wali: Ja, ich wollte bezwecken das Unmögliche, das Surreale manchmal im Leben, weil in unserem Leben, wenn man verfeindet ist, alles entwickelt sich zu einem Symbol. Das heißt, das Bett einer Soldatin, die irgendwo in dem besetzten Gebiet oder in Gaza kämpft oder irgendwo, und das ist ein Feind an sich für die Araber, und ich bin auch ein Feind für sie, also diese Symbole, obwohl ihre Eltern Freunde von mir geworden sind. Aber dieses Symbol wollte ich darstellen, das ist möglich. Das ist möglich, das Unmögliche zum Möglichen zu machen.
Timm: Haben Sie das auch immer vergrößert in dem Buch oder ist Ihnen das alles wirklich so geschehen? Man staunt ja, dass es so viel gewöhnliches Leben geben soll neben großer Politik.
Wali: Ja, ich meine, ich habe das nicht vergrößert, Literatur ist so. Ich glaube, das Leben ist größer als Literatur. Die Geschichten, die ich erzähle, sind echte Geschichten, sind wahre Geschichten, und deshalb sind sie Geschichten von Menschen. Ich glaube, außergewöhnliche Menschen muss man entdecken. Und die machen Geschichte.
Timm: Nun haben Sie die Reise 2007 gemacht, Ihr Buch erscheint heute, während eines brüchigen Waffenstillstands im Gazakrieg, und das provoziert Fragen, zum Beispiel: Würden Sie noch mal im Bett einer israelischen Soldatin übernachten dürfen heute?
Wali: Ja, der Krieg in Gaza, das ist nicht der erste Krieg, ich meine, das ist der siebte oder der achte oder der zehnte. Und es wird Kriege geben zwischen den beiden Seiten. Dieser Krieg hat weder meine Sympathie der Menschen in Israel geringer gemacht noch meine Sympathie der Palästinenser größer gemacht. Nein.
Timm: Aber vielleicht umgekehrt.
Wali: Oder umgekehrt auch nicht, nein. Es geht um Menschen. Nein. Gerade dieser Krieg zeigt auch, wie verzweifelt alle Seiten sind und warum. Also mein Buch behandelt nicht das Alltägliche, es ist nichts Provisorisches, ich erzähle nicht von einer Phase in unserem Leben. Ich erzähle von 61 Jahren jetzt Geschichte zwischen den beiden Lagern. Und das wird weitergehen. Das, was ich versuche, das ist was Einmaliges, weil bei uns kennt man auch diese Gesellschaft von innen nicht. Das ist das erste Buch in der arabischen Literatur, das die Gesellschaft von Israel von innen behandelt und literarisch. Und ich hoffe, dass auch israelische Autoren das tun, auch, dass sie nach Kairo oder nach Amman verreisen.
Timm: Ihr Buch wird erscheinen auf Deutsch, auf Englisch und auf Hebräisch, nicht auf Arabisch. Heißt das, dort werden Sie nicht gehört?
Wali: Ich weiß, das ist schwierig, das ist eine komplizierte Frage, weil auf Arabisch das Problem ist, es ist nicht die Zensur, es gibt einen Boykott, Sanktionen gegen den Verleger. Wenn so ein Verleger mein Buch verlegt, dann werden seine anderen Bücher auch boykottiert.
Timm: Es ist lebensgefährlich.
Wali: Es ist nicht nur lebensgefährlich, es ist auch wirtschaftlich gefährlich. Das ist ein Ruin, wenn er seine Bücher nicht vertreiben kann und verkaufen konnte. Aber trotzdem, es ist im Gespräch, und ich hoffe, dass es in diesem Jahr rauskommt auf Arabisch. Sonst werde ich es auf einen Blog stellen, vielleicht viele junge Leute dieses Buch lesen werden. Übrigens, ein Teil von meinem Buch, einige Kapitel, habe ich schon auf Arabisch veröffentlicht. Und ich habe viele, viele Briefe, ich meine, auf Abstoßung, auf Hass auch gestoßen, aber auf anderer Seite habe ich viele E-Mails von jungen Leuten gekriegt, die mich ermuntert haben.
Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem irakischen Schriftsteller Najem Wali, der heute ein Buch seiner israelischen Reise veröffentlicht. In dem steht auch ein Satz: "Wann immer man in den kurzen Friedenszeiten optimistisch in die Zukunft blickt, wird einem bewusst, wie schnell man diesen Optimismus vergessen muss." Sind wir nicht gerade heute in Tagen, wo man diesen Optimismus vergessen kann?
Wali: Nein, ich glaube, wenn ich Optimismus vergessen werde, werde ich nie ein Wort schreiben. Ich glaube, wir Literaten, wir schreiben gegen das Vergessen, gegen den Pessimismus, damit die Menschen weiter nach vorne gucken, und das Leben geht weiter.
Timm: Von israelischen Autoren wie Amos Oz oder David Grossmann kennt man solche Stimmen, die sich immer wieder für Aussöhnung einsetzen. Die arabischen Stimmen dazu sind seltener und auch leiser. Woran liegt das?
Wali: Es liegt an Repressalien, Sanktionen, (…) Freiheit, wir haben mörderische auch Diktatoren. Also gucken Sie mal einen brutalen Diktator, der in Syrien, in Damaskus sitzt auf dem Sessel, oder auch in anderen arabischen Ländern. Und daher sind die leisen Töne, weil die Intellektuellen, die solche Töne wie mein Ton zeigen, dann werden sie boykottiert oder sie verlieren ihren Job. Und wenn Leute Familien haben und Kinder, wird das für sie wirklich schwierig.
Timm: "Danke, wir leben noch", das scheint ein Gruß zu sein der Araber und Israelis auch verbindet. Sie waren sehr fasziniert von der Modellstadt Haifa, wo das Zusammenleben im Großen und Ganzen gelingt. Warum klappt hier was, was anderswo nicht gelingt?
Wali: Ja, das ist die Frage, der ich auch nachforschen wollte, also was mich auch bei diesem multikulturellen Modell, Haifa als Symbol für Israel insgesamt, fasziniert hat. Also wir hatten eine Gesellschaft, die aus verschiedenen Kulturen kommt, einen Staat, einen funktionierenden, modernen Staat, zu schaffen in 60 Jahren. Da hatten Sie keinen Staat, und jetzt haben wir den Staat Israel. Und wir, zum Beispiel im Irak, wenn ich vom Irak rede, wir gehen in die Geschichte rein, 5000 Jahre und mehr – Mesopotamien, Sumeretin, Babylonien, alte Kultur, und wir haben bis heute nicht geschafft, ein funktionierenden Staat zu schaffen. Das sind die Fragen, die ich auch wirklich nachforschen wollte. Also bis jetzt habe ich keine Antwort, ich glaube aber, durch die Geschichten, die ich mache, vielleicht gebe ich eine Antwort unter den Zeilen.
Timm: Sie beschreiben den Nahen Osten immer wieder als einen Melting Pot, dessen Vielfalt wir uns in Europa vielleicht gar nicht bewusst sind, wenn wir ein bisschen sehr schematisch scheinbar sauber teilen nach Israelis und Arabern. Wir das zu wenig gesehen, dass das von Natur aus ein ganz großer Mischmasch von Menschen ist?
Wali: Natürlich, es ist ein großer Mischmasch von Menschen, übrigens ist das Mediterranian, also Mittelmeerraum, ist so. Und das ist auch, also wenn man daran denkt, das ist Mischmasch, das ist auch ein schöner Mischmasch, man muss an diese Mischmaschkultur denken, vielleicht ist es eine Lösung gegen den Krieg, das, was mir Optimismus gibt. Also auch in Israel, die Leute, die ich gesprochen habe, ich habe gesagt, es wundert mich bei den Eliten auch in Israel, dass sie nicht langfristig denken, dass sie nicht denken manchmal, dass sie Teil dieser Kultur ist, nicht Teil des Westens, sondern Teil von dem Mediterranian. Und wenn man sich bemüht, an den Mediterranian, an den Menschen da, vielleicht wird man auch näher kommen und Lösungen finden, mit den anderen zusammenzuleben.