"Das Fahrrad symbolisiert für mich das Grundkonzept der Moderne"
Sie habe die Welt, in der sie aufgewachsen sei, in ihren Film einbringen wollen, sagt Regisseurin Haifaa Al-Mansour. Es ist der erste in Saudi-Arabien gedrehte Spielfilm. Die Menschen sollten die Geschichte - ein Mädchen, das verbotenerweise Radfahren lernen will - als Teil ihres Alltags erkennen.
Susanne Burg: Ein Fahrrad steht im Zentrum der Geschichte. Aber anhand des Fahrrads entwickeln sie ja auch ein gesellschaftliches Porträt Saudi-Arabiens. Wie kamen Sie auf dieses Motiv des Fahrrads?
Haifaa Al-Mansour: Ich wollte eine Geschichte über ein Mädchen erzählen und auch meine Heimatstadt zeigen. Ich bin in einer kleinen saudi-arabischen Stadt aufgewachsen als eines von zwölf Kindern. Ich war auf einer staatlichen Schule und meine Familie spricht kein Englisch. Ich wollte diese Welt mit in den Film einbringen. Außerdem wollte ich die Spannung zwischen der modernen Welt und der Traditionen Saudi-Arabiens zeigen.
Saudi-Arabien ist ein reiches Land, wir haben Flachbildschirme, unglaubliche Gebäude, schicke Autos - aber die Leute sind immer noch sehr traditionell, und das Konzept der Moderne ist hier nie richtig angekommen. Das Fahrrad symbolisiert für mich das Grundkonzept der Moderne: Es geht um Beschleunigung, Lenkung, darum, Herr seines eigenen Schicksals zu sein. Für mich ist das sehr modern. Gleichzeitig ist ein Fahrrad aber auch ein Spielzeug, es ist also keinesfalls einschüchternd. Ich hatte also die Figur des Mädchens, ich hatte das Fahrrad und dazwischen hatte ich nichts. Nun musste ich das zu einer Geschichte verbinden, was eine Weile gedauert hat.
Burg: Nun haben die aktuellen Ereignisse Ihren Film quasi überrollt, eingeholt. Frauen dürfen Fahrrad fahren, das hat die Religionspolizei im April beschlossen. Wie kam es dazu?
Al-Mansour: Das ist erstaunlich, nicht wahr? Ich glaube, der Film hat viele Diskussionen ausgelöst darüber, ob es sinnvoll ist, dass Mädchen nicht Fahrrad fahren dürfen oder doch. Ich würde gerne glauben, dass diese Erlaubnis jetzt eine Reaktion auf den Film ist. Zeitlich passt es ja auf jeden Fall. Erst die Debatte über den Film - und dann dürfen Mädchen Fahrrad fahren, das ist schon cool. Aber für mich ist es nur eine kleine Veränderung.
Noch ist das Radfahren nur in bestimmten Parks und auf Spielplätzen unter männlicher Aufsicht erlaubt. Dennoch ist es sehr wichtig, diese neuen Veränderungen zugunsten der Frauen zu würdigen. Saudi-Arabien ist sehr konservativ. Die Regierung ist konservativ, aber die Leute selber sind sehr, sehr konservativ und sträuben sich gegen Veränderungen. Langfristig können solche kleinen Schritte etwas in den Köpfen dieser Leute bewegen.
Burg: Es gibt die Religionspolizei in Saudi-Arabien. Wie präsent war die denn bei Ihrem Dreh?
Al-Mansour: Die haben unsere Dreharbeiten nicht beeinflusst, aber wir haben so gut wir konnten, uns bemüht, nicht mit der saudischen Kultur aneinanderzugeraten. Es war mir wichtig, einen Film zu machen, der unsere Kultur würdigt, aber gleichzeitig auch meine Stimme als Frau enthält, die möchte, dass junge Frauen die Möglichkeit haben, ihr Potenzial zu nutzen und sich zu entwickeln. Es ist ein Film über die Hoffnung. Ich wollte einen Film machen, der die Leute inspiriert und nicht ihre Kultur angreifen. Da muss man schon aufpassen. Nackte Körper zum Beispiel, Liebesszenen, Küsse, all diese Dinge sind nicht erlaubt. Also habe ich versucht, sie zu vermeiden.
Ich denke, ich kann eine Geschichte erzählen, die etwas aussagt und sehr schön ist, die den Leuten aber das Gefühl gibt, repräsentiert zu werden und die sie nicht provoziert. Wenn ich etwas erzählen möchte, finde ich immer eine Möglichkeit, das zu tun, und zwar so, dass die Leute es als Teil ihres Alltags wiedererkennen, und das Alltagsleben in Saudi-Arabien ist interessant genug. Ich muss mich nicht zwischen den Zuschauer und das Leben stellen. Es ist natürlich immer noch ein sehr weiter Weg zur Durchsetzung von Frauenrechten und vielen anderen Dingen in Saudi-Arabien, aber immerhin geht man jetzt in diese Richtung.
Burg: Wie stark ist denn der Wunsch der Gesellschaft, sich zu verändern und auf welche Art und Weise? Denn im Rest der Welt oder gerade im Nahen Osten gibt es ja sehr viel Gewalt.
Al-Mansour: Ich denke, in vielen Ländern, in denen diese Revolutionen stattfinden, sind die Umstände ganz anders. Viele dieser Revolutionen haben meiner Ansicht nach aus wirtschaftlichen Gründen begonnen. Die Menschen in Saudi-Arabien sind nicht so verzweifelt wie anderswo. Nichts desto trotz denke ich, dass es viel mehr Möglichkeiten für Frauen und bessere Berufschancen für junge Leute allgemein geben muss. Das wird dann auch das Land stabilisieren. Frauen müssen gehört werden, ein Dialog muss stattfinden.
Aber ich möchte zur Durchsetzung dieser Ziele keine Gewalt sehen und definitiv keine Revolution in Saudi-Arabien. Ich möchte, dass das Land Fortschritte macht und sich Stück für Stück der modernen Welt annähert. Radikale Veränderungen machen mir Angst. Bei einer großen Revolution glauben die Leute immer, dass die Dinge sich verändern werden, und sie sind am Ende so enttäuscht, wenn das nicht passiert, weil sie sich innerlich nicht mit verändert haben. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Einstellungen der Menschen zu ändern, ihr Denken, ihr Verhalten auf persönlicher Ebene. Erst das kann wirkliche Veränderungen im Nahen Osten hervorrufen. Der Kern ist die Veränderung in den Herzen der Menschen.
Burg: Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al-Mansour ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über ihren Film "Das Mädchen Wadjda". Der Film ist auch eine deutsche Koproduktion. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Al-Mansour: Schon als ich das Skript schrieb, wusste ich, dass ich mit dem Westen zusammen arbeiten wollte. Der Nahe Osten ist gegenüber arabischen Filmen, die von außerhalb des Mainstreams kommen, sehr verschlossen. Der Mainstream, das ist das ägyptische Kino - viele Filme aus anderen Ländern finden keinen Verleih. Deshalb wollte ich andere Märkte erschließen, freundlichere Märkte mit einer Arthouse-Kultur, wo es auch einen Platz für den Film gibt.
Also habe ich viele Produktionsfirmen überall in Europa angeschrieben und natürlich keine Antwort erhalten. Bis schließlich Razor Film sagte: Ja, schicke uns eine Zusammenfassung. Und das war super. Die hatten "Waltz with Bashir" und "Paradise Now" gemacht. Sie sind eine der besten Produktionsfirmen der Welt, ich war begeistert!
Sie arbeiten sehr präzise, sehr geplant, alles wird dokumentiert. Es war faszinierend, sie in Riad zu erleben, weil unsere Kultur überhaupt nicht so ist. In Saudi-Arabien ist die Zeit ziemlich relativ. In der ersten Woche konnte man das gut sehen, wie sie in Panik gerieten mit ihren Notizbüchern und ihren Zeitplänen, die Saudis dagegen ganz entspannt eine halbe Stunde zu spät beim Dreh. Aber nach einer Weile war es toll, zu sehen, wie sich Freundschaften entwickelten. Es tut gut, zu sehen, wie die Leute voneinander lernen, ihre Lebenserfahrungen und ihr Fachwissen austauschen. Darum geht es für mich bei einer Koproduktion: Brücken zu bauen zwischen den Kulturen und um gegenseitiges Verständnis.
Burg: Ich glaube, man muss sich auch noch mal ins Gedächtnis rufen, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass Sie einen Spielfilm machen. In Saudi-Arabien gibt es eine Tradition an TV-Soaps, aber nicht unbedingt an Spielfilmen. Sie selber haben Literatur studiert. Wie kamen Sie überhaupt zum Film?
Al-Mansour: Als ich nach der Uni zurück nach Saudi-Arabien kam und anfing zu arbeiten, war das für mich eine ziemlich frustrierende Lebensphase. Ich fühlte mich vollkommen unsichtbar. Niemand nahm mich an meinem Arbeitsplatz wahr, weil ich eine Frau bin. Das war ein richtiger Tiefpunkt.
Was ich wollte, war ein Hobby, das mir erlaubte, mich auszudrücken und meine Stimme zu finden. Als ich klein war - ich war das achte von zwölf Kindern und es ging ziemlich wild zu bei uns zu Hause, das kann man sich ja vorstellen -, da brachte mein Vater immer ganz viele Filme aus der Videothek mit, damit wir beschäftigt waren und er seine Ruhe hatte und die Zeitung lesen konnte. Ich habe also sehr viele Filme gesehen, und diese Filme haben mir Kraft gegeben.
Ich machte also einen Film, bei dem mein Bruder die Kamera hielt und meine Schwester sich ums Licht kümmerte, eine richtige Familienproduktion, die ich dann bei einem kleinen Wettbewerb in Abu-Dhabi einreichte und die tatsächlich angenommen wurde. Die Leute dort erzählten mir, dass sie noch nie einen Film aus Saudi-Arabien gesehen hatten und mit Sicherheit noch keinen von einer saudischen Frau. Sie sind also die erste weibliche saudische Filmemacherin! Und ich sagte: Das sieht so aus.
Burg: Sie machen sich auch seit Jahren dafür stark, dass Kinos in Saudi-Arabien gebaut werden. Gibt es denn inzwischen ein Kino in Saudi-Arabien?
Al-Mansour: Nein, es gibt kein Kino in Saudi-Arabien, hoffentlich eines Tages. Wenn es um Film geht werden die Leute hier nervös, weil sie nicht verstehen was Film ist. Sie denken, der Film stellt die Leute bloß, ist nicht anständig, nicht rein genug und so weiter. Ich möchte, dass die Leute sich in das Medium Film verlieben. Dass sie sehen, dass es unterhaltend ist, Spaß macht, dass es um Liebe geht, die Liebe zum Leben. Ich möchte, dass sie das Gefühl von Stolz und etwas Eigenem mit dem Film in Zusammenhang bringen. Und ich denke, das wird die Art und Weise verändern in der die Leute bei uns Filme aufnehmen und auch ermöglichen, dass Kinos entstehen. Natürlich ist es eine kulturelle Erfahrung, aber es hat auch etwas Erhebendes.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Saudi-Arabien ist ein reiches Land, wir haben Flachbildschirme, unglaubliche Gebäude, schicke Autos - aber die Leute sind immer noch sehr traditionell, und das Konzept der Moderne ist hier nie richtig angekommen. Das Fahrrad symbolisiert für mich das Grundkonzept der Moderne: Es geht um Beschleunigung, Lenkung, darum, Herr seines eigenen Schicksals zu sein. Für mich ist das sehr modern. Gleichzeitig ist ein Fahrrad aber auch ein Spielzeug, es ist also keinesfalls einschüchternd. Ich hatte also die Figur des Mädchens, ich hatte das Fahrrad und dazwischen hatte ich nichts. Nun musste ich das zu einer Geschichte verbinden, was eine Weile gedauert hat.
Burg: Nun haben die aktuellen Ereignisse Ihren Film quasi überrollt, eingeholt. Frauen dürfen Fahrrad fahren, das hat die Religionspolizei im April beschlossen. Wie kam es dazu?
Al-Mansour: Das ist erstaunlich, nicht wahr? Ich glaube, der Film hat viele Diskussionen ausgelöst darüber, ob es sinnvoll ist, dass Mädchen nicht Fahrrad fahren dürfen oder doch. Ich würde gerne glauben, dass diese Erlaubnis jetzt eine Reaktion auf den Film ist. Zeitlich passt es ja auf jeden Fall. Erst die Debatte über den Film - und dann dürfen Mädchen Fahrrad fahren, das ist schon cool. Aber für mich ist es nur eine kleine Veränderung.
Noch ist das Radfahren nur in bestimmten Parks und auf Spielplätzen unter männlicher Aufsicht erlaubt. Dennoch ist es sehr wichtig, diese neuen Veränderungen zugunsten der Frauen zu würdigen. Saudi-Arabien ist sehr konservativ. Die Regierung ist konservativ, aber die Leute selber sind sehr, sehr konservativ und sträuben sich gegen Veränderungen. Langfristig können solche kleinen Schritte etwas in den Köpfen dieser Leute bewegen.
Burg: Es gibt die Religionspolizei in Saudi-Arabien. Wie präsent war die denn bei Ihrem Dreh?
Al-Mansour: Die haben unsere Dreharbeiten nicht beeinflusst, aber wir haben so gut wir konnten, uns bemüht, nicht mit der saudischen Kultur aneinanderzugeraten. Es war mir wichtig, einen Film zu machen, der unsere Kultur würdigt, aber gleichzeitig auch meine Stimme als Frau enthält, die möchte, dass junge Frauen die Möglichkeit haben, ihr Potenzial zu nutzen und sich zu entwickeln. Es ist ein Film über die Hoffnung. Ich wollte einen Film machen, der die Leute inspiriert und nicht ihre Kultur angreifen. Da muss man schon aufpassen. Nackte Körper zum Beispiel, Liebesszenen, Küsse, all diese Dinge sind nicht erlaubt. Also habe ich versucht, sie zu vermeiden.
Ich denke, ich kann eine Geschichte erzählen, die etwas aussagt und sehr schön ist, die den Leuten aber das Gefühl gibt, repräsentiert zu werden und die sie nicht provoziert. Wenn ich etwas erzählen möchte, finde ich immer eine Möglichkeit, das zu tun, und zwar so, dass die Leute es als Teil ihres Alltags wiedererkennen, und das Alltagsleben in Saudi-Arabien ist interessant genug. Ich muss mich nicht zwischen den Zuschauer und das Leben stellen. Es ist natürlich immer noch ein sehr weiter Weg zur Durchsetzung von Frauenrechten und vielen anderen Dingen in Saudi-Arabien, aber immerhin geht man jetzt in diese Richtung.
Burg: Wie stark ist denn der Wunsch der Gesellschaft, sich zu verändern und auf welche Art und Weise? Denn im Rest der Welt oder gerade im Nahen Osten gibt es ja sehr viel Gewalt.
Al-Mansour: Ich denke, in vielen Ländern, in denen diese Revolutionen stattfinden, sind die Umstände ganz anders. Viele dieser Revolutionen haben meiner Ansicht nach aus wirtschaftlichen Gründen begonnen. Die Menschen in Saudi-Arabien sind nicht so verzweifelt wie anderswo. Nichts desto trotz denke ich, dass es viel mehr Möglichkeiten für Frauen und bessere Berufschancen für junge Leute allgemein geben muss. Das wird dann auch das Land stabilisieren. Frauen müssen gehört werden, ein Dialog muss stattfinden.
Aber ich möchte zur Durchsetzung dieser Ziele keine Gewalt sehen und definitiv keine Revolution in Saudi-Arabien. Ich möchte, dass das Land Fortschritte macht und sich Stück für Stück der modernen Welt annähert. Radikale Veränderungen machen mir Angst. Bei einer großen Revolution glauben die Leute immer, dass die Dinge sich verändern werden, und sie sind am Ende so enttäuscht, wenn das nicht passiert, weil sie sich innerlich nicht mit verändert haben. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Einstellungen der Menschen zu ändern, ihr Denken, ihr Verhalten auf persönlicher Ebene. Erst das kann wirkliche Veränderungen im Nahen Osten hervorrufen. Der Kern ist die Veränderung in den Herzen der Menschen.
Burg: Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al-Mansour ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über ihren Film "Das Mädchen Wadjda". Der Film ist auch eine deutsche Koproduktion. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Al-Mansour: Schon als ich das Skript schrieb, wusste ich, dass ich mit dem Westen zusammen arbeiten wollte. Der Nahe Osten ist gegenüber arabischen Filmen, die von außerhalb des Mainstreams kommen, sehr verschlossen. Der Mainstream, das ist das ägyptische Kino - viele Filme aus anderen Ländern finden keinen Verleih. Deshalb wollte ich andere Märkte erschließen, freundlichere Märkte mit einer Arthouse-Kultur, wo es auch einen Platz für den Film gibt.
Also habe ich viele Produktionsfirmen überall in Europa angeschrieben und natürlich keine Antwort erhalten. Bis schließlich Razor Film sagte: Ja, schicke uns eine Zusammenfassung. Und das war super. Die hatten "Waltz with Bashir" und "Paradise Now" gemacht. Sie sind eine der besten Produktionsfirmen der Welt, ich war begeistert!
Sie arbeiten sehr präzise, sehr geplant, alles wird dokumentiert. Es war faszinierend, sie in Riad zu erleben, weil unsere Kultur überhaupt nicht so ist. In Saudi-Arabien ist die Zeit ziemlich relativ. In der ersten Woche konnte man das gut sehen, wie sie in Panik gerieten mit ihren Notizbüchern und ihren Zeitplänen, die Saudis dagegen ganz entspannt eine halbe Stunde zu spät beim Dreh. Aber nach einer Weile war es toll, zu sehen, wie sich Freundschaften entwickelten. Es tut gut, zu sehen, wie die Leute voneinander lernen, ihre Lebenserfahrungen und ihr Fachwissen austauschen. Darum geht es für mich bei einer Koproduktion: Brücken zu bauen zwischen den Kulturen und um gegenseitiges Verständnis.
Burg: Ich glaube, man muss sich auch noch mal ins Gedächtnis rufen, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass Sie einen Spielfilm machen. In Saudi-Arabien gibt es eine Tradition an TV-Soaps, aber nicht unbedingt an Spielfilmen. Sie selber haben Literatur studiert. Wie kamen Sie überhaupt zum Film?
Al-Mansour: Als ich nach der Uni zurück nach Saudi-Arabien kam und anfing zu arbeiten, war das für mich eine ziemlich frustrierende Lebensphase. Ich fühlte mich vollkommen unsichtbar. Niemand nahm mich an meinem Arbeitsplatz wahr, weil ich eine Frau bin. Das war ein richtiger Tiefpunkt.
Was ich wollte, war ein Hobby, das mir erlaubte, mich auszudrücken und meine Stimme zu finden. Als ich klein war - ich war das achte von zwölf Kindern und es ging ziemlich wild zu bei uns zu Hause, das kann man sich ja vorstellen -, da brachte mein Vater immer ganz viele Filme aus der Videothek mit, damit wir beschäftigt waren und er seine Ruhe hatte und die Zeitung lesen konnte. Ich habe also sehr viele Filme gesehen, und diese Filme haben mir Kraft gegeben.
Ich machte also einen Film, bei dem mein Bruder die Kamera hielt und meine Schwester sich ums Licht kümmerte, eine richtige Familienproduktion, die ich dann bei einem kleinen Wettbewerb in Abu-Dhabi einreichte und die tatsächlich angenommen wurde. Die Leute dort erzählten mir, dass sie noch nie einen Film aus Saudi-Arabien gesehen hatten und mit Sicherheit noch keinen von einer saudischen Frau. Sie sind also die erste weibliche saudische Filmemacherin! Und ich sagte: Das sieht so aus.
Burg: Sie machen sich auch seit Jahren dafür stark, dass Kinos in Saudi-Arabien gebaut werden. Gibt es denn inzwischen ein Kino in Saudi-Arabien?
Al-Mansour: Nein, es gibt kein Kino in Saudi-Arabien, hoffentlich eines Tages. Wenn es um Film geht werden die Leute hier nervös, weil sie nicht verstehen was Film ist. Sie denken, der Film stellt die Leute bloß, ist nicht anständig, nicht rein genug und so weiter. Ich möchte, dass die Leute sich in das Medium Film verlieben. Dass sie sehen, dass es unterhaltend ist, Spaß macht, dass es um Liebe geht, die Liebe zum Leben. Ich möchte, dass sie das Gefühl von Stolz und etwas Eigenem mit dem Film in Zusammenhang bringen. Und ich denke, das wird die Art und Weise verändern in der die Leute bei uns Filme aufnehmen und auch ermöglichen, dass Kinos entstehen. Natürlich ist es eine kulturelle Erfahrung, aber es hat auch etwas Erhebendes.
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