Das folgsame Chamäleon
Er war Schriftsteller, Kampfflieger, Diplomat und Ehemann der Schauspielerin Jean Seberg. In "Ein frühes Versprechen" beschreibt Romain Gary sein eigenes buntes Leben. Im Mittelpunkt steht seine fordernde Mutter, die ihre unausgelebten Wünsche auf ihn projiziert. Er erzählt seine Geschichte "eines folgsamen Chamäleons" mit Selbstironie.
Er war ein Mann mit vielen Berufen - Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg, Diplomat und Filmregisseur. Er war ein Liebhaber der Frauen – seine Ehe mit Jean Seberg beschäftigte bis zu deren Selbstmord 1979 die Klatschpresse. Und er war der Schriftsteller der Pseudonyme. Unter fünf verschiedenen Namen veröffentlichte er mehr als 30 Romane, Erzählungen, Drehbücher und Essays. Als einziger Autor erhielt er zweimal den Prix Goncourt, den angesehensten Literaturpreis Frankreichs.
In Deutschland ist Romain Gary nahezu vergessen, obwohl er in den 60er Jahren vielfach übersetzt wurde. Seine großen Erfolge feierte er mit höchst unterhaltsamen Romanen in einer Zeit, als man in Frankreich ganz anders schrieb. Damals gab der Nouveau Roman den Ton an. Dessen Galionsfiguren, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Claude Simon und Nathalie Sarraute, wandten sich von den Traditionen des Erzählens ab, man verzichtete auf die Chronologie einer Geschichte, verabschiedete individuelle Charaktere und deren Psychologie. Die Sprache wurde zum Experiment, die Welt ein Oberflächenphänomen. Gary widersetzte sich störrisch diesem Diktat. Die Auflagenzahlen seiner großen Romane, die auch verfilmt wurden, wie "Die Wurzeln des Himmels" (1957), "Der Tanz des Dschingis Cohn" (1967), "Clair de Femme" (1977) gaben ihm recht.
Nach seinem Tod 1980 allerdings vergaß man ihn auch in Frankreich. Erst seit einigen Jahren wird dort eine Gary-Renaissance eingeleitet, an der uns der SchirmerGraf Verlag mit verdienstvollen Neuübersetzungen teilhaben lässt. Nach dem Erzählungsband "Das Gewitter", der Romain Gary vor einem Jahr als einen Autor zwischen verschiedensten Stilarten vorstellte, enthüllt der Roman "Frühes Versprechen" das fabelhaft bunte Leben von Romain Gary selbst. Er schildert den Aufstieg eines begabten Jungen im russischen Wilna über ein gefährdetes Emigrantenschicksal in den 30er Jahren an der Cote d`Azur bis zur schillernden Karriere eines hoch dekorierten Piloten und der Laufbahn eines Botschafters, der Frankreich auf internationalem Parkett repräsentierte.
Doch der Roman ist mehr als die sprichwörtliche Tellerwäschergeschichte. In seinem Zentrum steht vielmehr die Mutter, eine jüdische Schauspielerin, die all die gescheiterten Erwartungen an ihr eigenes Leben auf den Sohn überträgt. Hingebungsvoll und despotisch, launenhaft und kapriziös verfolgt sie als einzigen Daseinszweck, ihren Prinzen dereinst in einer strahlenden Existenz zu erleben.
Zuerst soll er als Wunderkind auf der Geige Yehudi Menuhin übertreffen, dann wahlweise als zweiter Nijinsky oder als neuer Einstein brillieren. Ob Garibaldi, Richard Löwenherz oder Lord Byron – nichts scheint zu hoch gegriffen für den Erfindungsreichtum und den Aufstiegswillen der alleinerziehenden Mutter. Wie ihr Selbstaufopferungswille, so kennt auch ihre Liebe keine Grenzen: sie betreibt ein Restaurant, macht eine Pension für Hunde und Katzen auf, sie verdingt sich als Putzfrau. Rastlos weiht sie ihren Sohn dem Erfolg. Nur um die erste Frau seines Lebens nicht zu enttäuschen, unterwirft er sich ihren hochfliegenden Ambitionen – und machte aus sich denjenigen, den sie sich erhoffte.
Romain Gary schreibt diesen Roman als Nachruf auf eine alles beherrschende Mutterliebe. Darunter verbergen sich aber auch die Verletzungen des jungen Mannes von einst, der mit den hochfliegenden Plänen nicht immer Schritt halten konnte. "Frühes Versprechen" ist in erster Linie ein Roman – mit autobiografischen Zügen. Man wird den Tonfall und die Gestaltungsprinzipien, die seit Rousseaus Bekenntnissen zum Genre der reinen Autobiografie gehören, deshalb vergeblich suchen: Härte, Unerbittlichkeit, Anklage, die Unversöhnlichkeit einer Abrechnung eben. Vielmehr fasst Gary seine Geschichte "eines folgsamen Chamäleons, das die Farbe seiner Umgebung annimmt", in viele Schattierungen von Selbstironie. Für seine Heldin zieht er alle Register des Humors, die in Giò Waeckerlin Indunis neuer Übersetzung aufs Schönste erblühen. So steht sie am Ende vor uns wie ein anderes großes Muttertier, die legendäre Anna Magnani, in Viscontis unvergessenem Film "Bellissima".
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Romain Gary, Frühes Versprechen.
Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin Induni, SchirmerGraf Verlag München 2008,
416 Seiten, 22,80 Euro
In Deutschland ist Romain Gary nahezu vergessen, obwohl er in den 60er Jahren vielfach übersetzt wurde. Seine großen Erfolge feierte er mit höchst unterhaltsamen Romanen in einer Zeit, als man in Frankreich ganz anders schrieb. Damals gab der Nouveau Roman den Ton an. Dessen Galionsfiguren, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Claude Simon und Nathalie Sarraute, wandten sich von den Traditionen des Erzählens ab, man verzichtete auf die Chronologie einer Geschichte, verabschiedete individuelle Charaktere und deren Psychologie. Die Sprache wurde zum Experiment, die Welt ein Oberflächenphänomen. Gary widersetzte sich störrisch diesem Diktat. Die Auflagenzahlen seiner großen Romane, die auch verfilmt wurden, wie "Die Wurzeln des Himmels" (1957), "Der Tanz des Dschingis Cohn" (1967), "Clair de Femme" (1977) gaben ihm recht.
Nach seinem Tod 1980 allerdings vergaß man ihn auch in Frankreich. Erst seit einigen Jahren wird dort eine Gary-Renaissance eingeleitet, an der uns der SchirmerGraf Verlag mit verdienstvollen Neuübersetzungen teilhaben lässt. Nach dem Erzählungsband "Das Gewitter", der Romain Gary vor einem Jahr als einen Autor zwischen verschiedensten Stilarten vorstellte, enthüllt der Roman "Frühes Versprechen" das fabelhaft bunte Leben von Romain Gary selbst. Er schildert den Aufstieg eines begabten Jungen im russischen Wilna über ein gefährdetes Emigrantenschicksal in den 30er Jahren an der Cote d`Azur bis zur schillernden Karriere eines hoch dekorierten Piloten und der Laufbahn eines Botschafters, der Frankreich auf internationalem Parkett repräsentierte.
Doch der Roman ist mehr als die sprichwörtliche Tellerwäschergeschichte. In seinem Zentrum steht vielmehr die Mutter, eine jüdische Schauspielerin, die all die gescheiterten Erwartungen an ihr eigenes Leben auf den Sohn überträgt. Hingebungsvoll und despotisch, launenhaft und kapriziös verfolgt sie als einzigen Daseinszweck, ihren Prinzen dereinst in einer strahlenden Existenz zu erleben.
Zuerst soll er als Wunderkind auf der Geige Yehudi Menuhin übertreffen, dann wahlweise als zweiter Nijinsky oder als neuer Einstein brillieren. Ob Garibaldi, Richard Löwenherz oder Lord Byron – nichts scheint zu hoch gegriffen für den Erfindungsreichtum und den Aufstiegswillen der alleinerziehenden Mutter. Wie ihr Selbstaufopferungswille, so kennt auch ihre Liebe keine Grenzen: sie betreibt ein Restaurant, macht eine Pension für Hunde und Katzen auf, sie verdingt sich als Putzfrau. Rastlos weiht sie ihren Sohn dem Erfolg. Nur um die erste Frau seines Lebens nicht zu enttäuschen, unterwirft er sich ihren hochfliegenden Ambitionen – und machte aus sich denjenigen, den sie sich erhoffte.
Romain Gary schreibt diesen Roman als Nachruf auf eine alles beherrschende Mutterliebe. Darunter verbergen sich aber auch die Verletzungen des jungen Mannes von einst, der mit den hochfliegenden Plänen nicht immer Schritt halten konnte. "Frühes Versprechen" ist in erster Linie ein Roman – mit autobiografischen Zügen. Man wird den Tonfall und die Gestaltungsprinzipien, die seit Rousseaus Bekenntnissen zum Genre der reinen Autobiografie gehören, deshalb vergeblich suchen: Härte, Unerbittlichkeit, Anklage, die Unversöhnlichkeit einer Abrechnung eben. Vielmehr fasst Gary seine Geschichte "eines folgsamen Chamäleons, das die Farbe seiner Umgebung annimmt", in viele Schattierungen von Selbstironie. Für seine Heldin zieht er alle Register des Humors, die in Giò Waeckerlin Indunis neuer Übersetzung aufs Schönste erblühen. So steht sie am Ende vor uns wie ein anderes großes Muttertier, die legendäre Anna Magnani, in Viscontis unvergessenem Film "Bellissima".
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Romain Gary, Frühes Versprechen.
Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin Induni, SchirmerGraf Verlag München 2008,
416 Seiten, 22,80 Euro