Hören Sie auch unser Interview mit Dilan Örs, der Tochter der derzeit im Frauengefängnis Bakırköy inhaftierten Kölner Sängerin Hozan Canê:
Audio Player
Knast mit Kindergarten
Das Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakırköy hatte schon prominente Insassinnen: die Autorin Aslı Erdoğan sowie die Journalistin Meşale Tolu. Seit einem halben Jahr lebt hier die deutsche Sängerin Hozan Canê – mit 30 Frauen in einer Zelle.
Von Mitte August bis Ende Dezember 2016 war eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Türkei im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy inhaftiert: Aslı Erdoğan. Die 51-Jährige war wegen angeblicher Terroropropaganda festgenommen worden. Der Auslöser: Sie hatte symbolisch für einen Tag die Chefredaktion der pro-kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem übernommen. So wie es beispielsweise auch der prominente türkische Journalist Can Dündar gemacht hatte, der inzwischen in Berlin lebt.
Die Staatsanwaltschaft forderte für Aslı Erdoğan lebenslange Haft wegen "Propaganda für eine illegale Organisation", "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" und "Volksverhetzung". Das Frauengefängnis im Stadteil Bakırköy auf der europäischen Seite Istanbuls kannte Aslı Erdoğan zuvor nur von außen. Der Moment, wie sich das hohe Gefängnistor hinter ihr schloss und die ersten Tage sind ihr noch gut in Erinnerung:
"Die schwierigste Zeit im Gefängnis das sind die ersten Tage. Es kommt einem wie eine Theaterbühne vor. Zwar sind einem alle Sinnbilder eines Gefängnisses sehr vertraut. Versperrte Türen, Wärter... Metaphern aus Filmen. Die werden dann aber zu deiner einzigen Realität. Und du fühlst dich wie im falschen Film."
Das Frauengefängnis Bakırköy wurde vor zehn Jahren unweit des Marmarameeres gebaut. Damals am westlichen Stadtrand Istanbuls. Inzwischen ist die Stadt weiter gewachsen doch das Gefängnis ist weiterhin isoliert. Eine Brachfläche trennt es von der Stadtautobahn E5, einem Sportzentrum und der nächsten Wohnbebauung. Im Winter pfeifft ein eisiger Wind um die Gefängnismauern. Besucher, die vor dem Eisentor warten müssen oder Menschenrechtsaktivisten, die dort hin und wieder demonstrieren, fürchten das raue Klima von Bakırköy. Hinter den Gefängnismauern ist es keineswegs behaglicher.
"Alles ist Beton und Eisen"
Schriftstellerin Aslı Erdoğan erinnert sich an die Kälte Ende 2016. Manchmal seien es kaum mehr als zehn Grad gewesen – innerhalb der Zellen. Um sich zu wärmen, hätten die Insassinnen Wasser erhitzt, es in Plastikflaschen gefüllt und sich auf den Körper gelegt. So kalt wie es im Inneren war, so trüb der Blick nach Draußen.
"Im Gefängnis blickt man, wenn man aus dem Fenster schaut, auf die Wand und die vergitterten Fenster des gegenüberliegenden Traktes. Dazwischen ein kleiner Innenhof. Schaut man nach oben sieht man durch das Drahtdach des Innenhofs circa 50 Quadratmeter Himmel. Im Herbst kann man die Vögelschwärme beobachten. Manchmal haben wir auch den Vollmond gesehen. Und einmal sah ich einen Regenbogen. Ansonsten ist alles Beton und Eisen."
Was Aslı Erdoğan meint, kann man am besten nachvollziehen, wenn man das Gefängnis aus der Luft sieht. Etwa wenn man vom nahegelegenen Atatürkflughafen in nordöstlicher Richtung startet. Die Innenhöfe zwischen den einzelnen Gebäudetrakten wirken eng und dunkel. Rechts und links vom Mittelgang, der beide Gebäudehälften teilt, befinden sich Zellen der verschiedendensten Größen für insgesamt 912 Gefangene.
In einem separaten Trakt können noch einmal 88 Frauen untergebracht werden, dort auch mit ihren Kindern. In der Praxis wird die Kapazität von 1000 Häftlingen weit überschritten. Wie viele andere türkischen Gefängnisse ist auch Bakırköy überfüllt, seit die Regierung vehement gegen vermeintliche Terroristen und Terrorunterstützer aller Art vorgeht. Für die einsitzenden Frauen bedeutet das nicht nur verstärkten Stress, sondern auch ein Gesundheitsrisiko.
30 Frauen in einer Zelle
So berichtet Hicran Ürün, eine ehemalige Redakteurin der per Notstandsdekret geschlossenen Tageszeitung Özgürlükçü Demokrasi, dass eine Mitgefangene im November 2018 an Tuberkulose erkrankt sei. Da die Gefängnisleitung nicht schnell genug reagiert habe, hätten sich von den 30 Frauen in der Zelle fünf infiziert. Ihre Mitgefangene Dilan Turan berichtete Mitte November von erschwerten Haftbedingungen und willkürlichen Rechtsverletzungen. In einem Brief an ihren Rechtsbeistand schildert die 24-Jährige, dass noch nicht einmal menschliche Grundbedürfnisse erfüllt würden. Räume zur gemeinsamen Nutzung dürften von den Gefangenen nicht aufgesucht werden, außerdem werde es nicht erlaubt, kulturelle Veranstaltungen durchzuführen.
Dramatischer sei aber, dass kranke Frauen nicht auf die Krankenstation gebracht würden. So würde eine Krebspatientin bereits seit einem Jahr auf die Verlegung in die Krankenstation warten, schreibt Dilan Turan. Besuche in Krankenhäusern seien fast unmöglich. Turan beklagt sich auch, dass Besucherinnen und Besucher meist stundenlang außerhalb des Gefängnisses warten müssten, obwohl laut Gefängnisverordnung Besuche für die Morgenstunden geregelt seien.
"Der Tag wird ständig unterbrochen"
Liest man derartige Berichte, wird einem schnell klar, warum die Autorin Aslı Erdoğan im Gefängnis nicht eine Zeile zu Papier gebracht hat. Auch wenn man denken könnte, es gebe ja wenig Ablenkung und viel Zeit.
"Es klingt komisch, ich weiss, aber man findet irgendwie nicht die Zeit zum Schreiben. Um schreiben zu können braucht man – wie Virgina Woolf schon sagte – ein eigenes kleines Zimmer. Im Gefängnis gehört einem weder der Raum, noch die Zeit. Man liest zum Beispiel ein Buch und bommm... plötzlich kommt eine Aufseherin rein, oder man wird zum Anwaltsgespräch gerufen. Der Tag wird ständig unterbrochen. Die Zeit gehört dir nicht, der Raum gehört dir nicht.
Dazu kommen die Umstände: Eine zehn Quadratmeter-Zelle, für zwei Personen. An diese Umstände, da kann man sich zwar gewöhnen. Aber in der Haftanstalt war mir sogar das Essen fremd. Unter diesen Bedingungen hat meine Beziehung zu den Worten ein bisschen gelitten."
Zu den bekannten Häftlingen in Bakırköy zählte auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu. Sie war dort von Mai bis Dezember 2017 inhaftiert. Drei Monate dieser Zeit lebte sie gemeinsam mit ihrem damals zweijährigen Sohn im Gefängnis. Er war nicht das einzige Kind dort. Ende 2017 lebten etwa 50 Kinder im Alter bis sechs Jahren gemeinsam mit ihren Müttern in der Haftanstalt. Zwar gibt es dort so etwas wie einen Kindergarten, aber Spielzeug ins Gefängnis zu bringen, das sei so gut wie unmöglich gewesen, berichtete Tolu später. Die 34-Jährige durfte im August 2018 nach Deutschland ausreisen.
Fünf Deutsche sind derzeit in der Türkei inhaftiert
Damit sitzen nach Informationen des Auswärtigen Amtes noch fünf Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. In der Regel haben sie einen deutsch-türkischen Hintergrund.
So etwa Enver Altayli. Der 74-Jährige sitzt seit mehr als einem Jahr in Ankara in Untersuchungshaft. Der ehemalige Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes wird beschuldigt, Verbindungen zur Gülen-Organisation unterhalten zu haben, die die Regierung für den Putschversuch vom Sommer 2016 verantwortlich macht. Wegen der gleichen Vorwürfe wurde im Juli 2017 der deutsche Staatsbürger Nejat U. zu neun Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Dem 32-jährigen Kölner Adil Demirci wird hingegen vorgeworfen, Propaganda für die linksextreme MLKP gemacht zu haben. Er muss sich deshalb seit November in Istanbul vor Gericht verantworten. Der Hamburger Dennis E. wartet hingegen noch auf seine Anklage. Der Grund für seine Untersuchungshaft: angebliche Propaganda für die PKK mittels Facebook-Einträgen. Wegen derartiger Vorwürfe wurde die Kölner Sängerin Hozan Canê zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Für die Schriftstellerin Aslı Erdoğan sind diese Strafen völlig ungerechtfertigt. Doch auch ihre Untersuchungshaft empfand die Autorin als große psychische Belastung. Vor allem wegen der Ungewissheit ihrer Dauer.
" Ein Mensch kann alles aushalten, sofern er weiß, wann es anfängt und wann es aufhört. Sogar Folter und Misshandlung kann man dann aushalten – wenn man beispielsweise weiß: in drei Monaten ist alles vorbei. Aber keine Antwort zu haben, auf die Frage, ob man schon morgen herauskommt, oder nie wieder... das ist schrecklich."
Aslı Erdoğan lebt inzwischen im Exil in Frankfurt am Main. Der Prozess gegen sie wird Mitte Januar in Istanbul fortgesetzt.