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Lesen mit dem ganzen Körper
Leseforscher haben herausgefunden, dass Texte besser verstanden werden, wenn man sie auf Papier liest. Der Philosoph Wolfram Eilenberger unterstützt diesen Befund: Denn man lese nicht nur mit Augen und Hirn, sondern mit dem ganzen Körper.
Lesen Sie Bücher lieber als E-Book oder auf Papier? Sie meinen, das sei doch egal? Keineswegs, hat eine Gruppe von mehr als 130 Leseforschern herausgefunden. Zumindest nicht bei Sachtexten. Die versteht man nämlich besser, wenn man sie auf Papier liest.
In ihrer kürzlich veröffentlichten Stavanger-Erklärung heißt es, eine Analyse von 54 Studien mit mehr als 170 000 Teilnehmern aus unterschiedlichen Teilen der Welt habe eindeutig gezeigt, dass beim Textverständnis der Bildschirm dem Druck unterlegen ist. "Die digitale Technik macht das Lernen nicht automatisch leichter und erfolgreicher. Der Druck hat immer noch seine Vorzüge, vor allem bei der Lektüre langer und komplexerer Texte", so Miha Kovač, einer der beteiligten Leseforscher in der FAZ.
"Ich drucke sogar längere Texte aus dem Netz aus"
Der Philosoph Wolfram Eilenberger kann den Befund der Forscher aus seiner eigenen Erfahrung heraus nur bestätigen: "Ich kann längere Texte oder Texte, mit denen ich mich intensiver beschäftigen will, gar nicht digital lesen, sondern die brauche ich vor mir als gedruckten Text. Und ich bin tatsächlich einer dieser schamvollen Menschen, die sogar längere Texte aus dem Netz ausdrucken, um sie dann ausgedruckt zu lesen."
Man lese eben nicht nur mit den Augen und mit dem Hirn, sondern der ganze Körper sei kognitiv wichtig. "Philosophisch ist es so, dass es eine von Descartes herkommende Idee gibt, dass es eine Trennung zwischen Geist und Körper gibt und dass der Geist mit dem Körperlichen auch in der Entwicklung des Geistes wenig zu tun hat", so Eilenberger im Deutschlandfunk Kultur. "Wir wissen heute, dass das vollkommen falsch ist. Und so wäre es geradezu überraschend, wenn es keine Differenz gäbe zwischen einem taktilen Lesen auf Papier und einem Lesen, das nur digital ist und sich nur über das Auge definiert."
Dem schon oft totgesagten Papierbuch räumt Eilenberger insofern durchaus eine Zukunft ein: "Wann lesen wir heute in welchen Kontexten wirklich noch ein Buch? Das sind ja geradezu rituell angeleitete Verfahren, in denen man sich zurückzieht, Ruhe sucht", sagt er. "Es ist ein Sammlungsmedium, ein Medium der geistigen Sammlung, dass Menschen Bücher lesen, so wie sie heute Yoga betreiben, einfach als ein kontinuierliches aufmerksames Fokussieren auf einen inhaltlichen Gegenstand und das ist etwas, was man mit dem Digitalen lebensweltlich nur so ganz schwer verbindet."
Natürlich habe auch das digitale Lesen sehr viele Vorteile, räumt Eilenberger ein. Zum Beispiel die Möglichkeit, zu verlinken und andere Markierungen zu setzen. Und dennoch: "Es wird klar sein aus meiner Sicht, dass Menschen, die sich konzentriert mit Texten beschäftigen, sehr, sehr lange beim Papier bleiben und dass es vielleicht auch gar nicht stirbt, wie manche Menschen – das scheint ja geradezu — es erhoffen."
(uko)