Das Gefühl für den richtigen Moment

Von Jürgen König · 19.09.2012
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zeigt über vierhundert Fotografien von Dennis Hopper. Entstanden sind sie in den 60er-Jahren. Darunter Aufnahmen, die nach dem Tod des 2010 verstorbenen Künstlers und Filmschauspielers entdeckt wurden: eine Ausstellung wie ein Tagebuch.
Letztes Jahr, ein Jahr nach seinem Tod, wurden im Familienanwesen von Dennis Hopper fünf Kisten mit Fotos gefunden, nachdem die Kuratorin Petra Giloy-Hirtz und die Tochter Dennis Hoppers, Malin Hopper, sich im Rahmen einer Forschungsarbeit über ihren Vater auf die Suche nach Unterlagen gemacht hatten.

Mehr als 400 Fotografien, nahezu alle Fotos, die Dennis Hopper 1970 für eine Ausstellung in Fort Worth selbst zusammengestellt hatte, ausgewählt aus Tausenden von Fotos, entstanden zwischen 1961 und -67. Alle in Schwarz-Weiß, alle mit natürlichem Licht fotografiert, alle im DIN-A5-Format von Dennis Hopper selber auf Karton gezogen, rahmenlos.

Gezeigt werden diese Tafeln im Berliner Martin-Gropius-Bau hinter Plexiglas, aber so, wie Dennis Hopper sie 1970 gezeigt hatte: eng nebeneinander und in mehreren Reihen übereinander. Man muss sehr dicht herantreten, man kommt dem, was Dennis Hopper wichtig war, sehr nahe - in jeder Hinsicht. 1961 hatte seine Frau, die Schauspielerin Brooke Hayward, ihm eine Kamera geschenkt, nach einer charakteristischen Begebenheit, die Brooke Hayward der Kuratorin Petra Giloy-Hirtz so beschrieb:

"Und dann gibt es diese schöne Geschichte, dass Dennis auf der Straße stand und ein Viereck formte und sagte: 'Komm mal her und guck mal, schau Dir das mal an ...' und dann sagt sie: 'And it was a beautiful photograph!' und sagt 'Hey, warum wirst Du nicht Fotograf?' Also das ist die Geschichte, die sie erzählt und die auch er erzählt, und da beginnt seine Fotografie."

1961 war Dennis Hopper 25 Jahre alt und durch den Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" bereits ein Star geworden. Schnell hat der Besucher den Eindruck, dass Dennis Hopper im Amerika der 60er-Jahre so gut wie jeden gekannt haben muss, der im Film, aber auch in der Musik und in der Kunst, zur Avantgarde zählte. Seine Tochter Malin Hopper:

"Er sagte immer, Hollywood-Schauspieler zu fotografieren hieß, meine Freunde zu fotografieren. Sie waren liebenswürdig, das schon, aber sie standen ständig vor der Kamera und wenn man dann mal alleine mit ihnen war, wollten sie nicht unbedingt schon wieder fotografiert werden. Aber wenn Sie mit Künstlern zusammen sind - meine Künstlerfreunde in den 60er-Jahren, die ließen sich gerne fotografieren, sie liebten es!"

Nur die fotografierte Dennis Hopper, die Neues machten. Und wie in Momentaufnahmen tauchen sie auf, viele von ihnen noch sehr jung: Andy Warhol, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, C laus Oldenburg, Niki de Saint-Phalle, Jean Tinguely. Paul Newman sitzend mit dem Schattenmuster eines Maschendrahtzaunes auf seinem nacktem Oberkörper, John Wayne und Dean Martin sehr privat in einer Drehpause.

Kennedys Beerdigung; Mädchen mit Springseil auf einer vermüllten Straße vor einer Hauswand mit abbröckelndem Putz; einen Soldat im Regen; eine Gruppe junger Schwarzer mit ernsten Blicken in öder Vorstadtszenerie: der im Vordergrund trägt eine US-Fahne eine Kappe, auf der steht: full employment / Vollbeschäftigung.

Eine Leine mit zerlöcherter, zerlumpter Wäsche im Wind; Hippies beim Tanzen, Hippies beim Kiffen, Hippies beim Love-In, ein Liebespaar der Hells Angels, Biker am Strand, Stierkampf in Tijuana, Hauswände wie Gemälde - Dennis Hopper interessierte sich für alles. Kuratorin Petra Giloy-Hirtz:

"Fotografie in Obsession. Also er hatte diese Kamera, wie Brooke sagt, Tag und Nacht um den Hals, er hat immer fotografiert und hat seine ganze Zeit und seine ganze Epoche eingefangen. Und eben nicht nur - und das ist so unser kleines Vorurteil, seine Freunde, die ja alle so berühmt sind. Diese Freunde haben ihn umgeben, natürlich, die Künstler der Pop Art, die Schauspieler, sein Haus war damals so etwas, was man früher als Salon bezeichnet hätte, da haben sich alle getroffen, aber es geht nicht darum, dass er Schnappschüsse gemacht hätte von den Menschen, die ihn umgeben, sondern er hat seine Zeit dokumentiert.

Und er war dabei außerordentlich ambitioniert, er war ein sehr ernsthafter Künstler. Wir sehen Dennis Hopper immer als enfant terrible, und er mag crazy gewesen sein, aber sein fotografisches Werk hat er sehr, sehr ernst genommen."

Die Fotos des jungen Dennis Hopper haben nichts Gestelltes, wirken spontan, und sind es auch, aber mit dem Blick des glänzenden Porträtisten gemacht und mit dem Gefühl für genau den richtigen Moment. Seine Bilder wirken gleichermaßen öffentlich wie privat, erscheinen ebenso Abbilder der realen Welt wie als Kunstwerke.

Hopper beobachtet scharf, hält ebenso den Glanz wie die Misere dieser 60er-Jahre fest, die er als ein Zeitalter großer Umbrüche erlebte. Wie ein Tagebuch der 60er-Jahre wirkt diese Ausstellung, einer Zeit aus Beat und Pop und Film und Kunst. Großartig.
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