Das Geheimnis von Liebesmenüs
Ein tamilischer Asylbewerber steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Martin Suter. Die Hauptfigur in "Der Koch" ist ein kulinarisches Genie, der mit seinem Cateringservice "Love Food" zunächst erfolgreich ist.
Der Schweizer Martin Suter versteht den Unterhaltungsroman als Qualitätsprodukt. Bei aller Leichtfüßigkeit des Erzähltons spürt man, wie genau sich dieser Autor vertraut macht mit den Dingen, Orten und Situationen, die er beschreibt. In seinem neuen Roman ist das die exotische Küche.
Die Hauptfigur Maravan, ein tamilischer Asylbewerber, ist eine geschundene Hilfe im Nobelrestaurant "Huwyler" – aber eigentlich ist er ein kulinarisches Genie. Seine aufwendig zubereiteten tamilisch-aryurvedisch-molekularen Kompositionen und Veredelungsrezepturen bringen nicht nur Geschmacksknospen zum Blühen; sie zeitigen noch ganz andere Wirkungen. Als er seine Kollegin Andrea bekocht, will die bekennende Lesbe sofort mit ihm ins Bett steigen.
Daraus ergibt sich ein Geschäftsmodell.
Als Maravan im "Huwyler" fristlos entlassen wird, macht er mit Andrea den Cateringservice "Love Food" auf. Eine Sexualtherapeutin führt ihnen abgenutzte Ehepaare zu, bei denen es mal wieder funken soll. Die sensationellen Wirkungen der Liebesmenüs sprechen sich herum, und bald hagelt es Angebote von Geschäftsmännern, die sich bei ihren Treffen mit Prostituierten von Maravans aphrodisischen Liebesmenüs befeuern lassen wollen. Der Tamile leidet am Gewissenskonflikt zwischen seinen rigiden moralischen Normen und der Lustwelt des Westens.
Die Schweiz erlebt derzeit einen Schub an Einwanderung (nicht nur aus Ostasien, sondern auch aus Deutschland). Wacker stellt sich Suter der wachsenden Ausländerfeindlichkeit entgegen, indem er die tamilische Gemeinschaft in verklärenden Farben schildert. Einfühlsam zeigt er, mit welch starken Strippen die von Bürgerkrieg und Not versehrte Heimat an den geplagten Seelen der Exilanten zerrt. Die "Befreiungstiger" pressen ihnen das schwer verdiente Geld ab, kranke Angehörige müssen aus der Ferne versorgt werden.
Martin Suter gilt als Autor, der nicht nur viel versteht von ökonomischen Zusammenhängen, sondern auch weiß, wie es menschlich unter Machern und Managern zugeht. Umso enttäuschender ist die Art, wie er in "Der Koch" die Finanzkrise thematisiert. Der Roman spielt zwischen März 2008 und April 2009. Zu Beginn der meisten Kapitel werden aktuelle politische Schlagzeilen referiert und Wasserstandsangaben zur Krise gemacht. Mit ein, zwei flotten Scharniersätzen werden die Ereignisse auf der Weltbühne dann jeweils mit dem Leben und Leiden der Figuren kurzgeschlossen. Für kurzgebratene Kolumnen mag ein solches Hauruckverfahren genügen; von einem politischen Roman verspricht man sich eine subtilere Durchdringung der Ebenen.
Der Unternehmer Dalmann ist als schäbiger Schweizer die Gegenfigur zu den liebenswürdigen Tamilen. Er ist ein Kapitalist, der alle Forderungen des Klischees erfüllt. Kein Geschäft ist ihm zu anrüchig; die Verluste durch die Finanzkrise macht er wett mit Waffenschiebereien. Die srilankische Armee stattet er mit alten Schweizer Schützenpanzern aus und wird so mitschuldig am Tod von Maravans geliebtem Neffen, einem Kindersoldaten. Da Dalmann als herzinfarktgefährdeter Genussmensch in den besten Lokalen verkehrt und bald auch Kunde von "Love Food" ist, ergibt sich für Maravan die Gelegenheit zur Rache.
Kochen wird in diesem eher spannungsarmen Roman als Kunst der Alchemie gepriesen. Es gehe dabei um die Verwandlung von edlen Substanzen und die Entfaltung des Zaubers, der in den Zutaten verborgen liegt. Genau das ist diesem Roman nicht gelungen. Martin Suter hat gekocht, aber die recherchierten Realien liegen halbgar auf dem Teller. Der Zauber der Verwandlung von Welt in Literatur hat nicht richtig funktioniert. Die ambitionierte Mischung von Lifestyle (es gibt einen Anhang mit Maravans Rezepten), Erotik, Finanzkrisenreport und Politthriller ist nicht aufgegangen.
Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Bekannt wurde er mit seinen Kolumnen "Business Class" und dem Roman "Small World". Suter ist den Schweizer Problemen verpflichtet, wenn auch aus globaler Perspektive. Er lebt mit seiner Familie auf Ibiza und in Guatemala. Zuletzt erschien der Roman "Der letzte Weynfeldt".
Besprochen von Wolfgang Schneider
Martin Suter: Der Koch. Roman.
Diogenes 2010, 312 S., 21,90 Euro
Die Hauptfigur Maravan, ein tamilischer Asylbewerber, ist eine geschundene Hilfe im Nobelrestaurant "Huwyler" – aber eigentlich ist er ein kulinarisches Genie. Seine aufwendig zubereiteten tamilisch-aryurvedisch-molekularen Kompositionen und Veredelungsrezepturen bringen nicht nur Geschmacksknospen zum Blühen; sie zeitigen noch ganz andere Wirkungen. Als er seine Kollegin Andrea bekocht, will die bekennende Lesbe sofort mit ihm ins Bett steigen.
Daraus ergibt sich ein Geschäftsmodell.
Als Maravan im "Huwyler" fristlos entlassen wird, macht er mit Andrea den Cateringservice "Love Food" auf. Eine Sexualtherapeutin führt ihnen abgenutzte Ehepaare zu, bei denen es mal wieder funken soll. Die sensationellen Wirkungen der Liebesmenüs sprechen sich herum, und bald hagelt es Angebote von Geschäftsmännern, die sich bei ihren Treffen mit Prostituierten von Maravans aphrodisischen Liebesmenüs befeuern lassen wollen. Der Tamile leidet am Gewissenskonflikt zwischen seinen rigiden moralischen Normen und der Lustwelt des Westens.
Die Schweiz erlebt derzeit einen Schub an Einwanderung (nicht nur aus Ostasien, sondern auch aus Deutschland). Wacker stellt sich Suter der wachsenden Ausländerfeindlichkeit entgegen, indem er die tamilische Gemeinschaft in verklärenden Farben schildert. Einfühlsam zeigt er, mit welch starken Strippen die von Bürgerkrieg und Not versehrte Heimat an den geplagten Seelen der Exilanten zerrt. Die "Befreiungstiger" pressen ihnen das schwer verdiente Geld ab, kranke Angehörige müssen aus der Ferne versorgt werden.
Martin Suter gilt als Autor, der nicht nur viel versteht von ökonomischen Zusammenhängen, sondern auch weiß, wie es menschlich unter Machern und Managern zugeht. Umso enttäuschender ist die Art, wie er in "Der Koch" die Finanzkrise thematisiert. Der Roman spielt zwischen März 2008 und April 2009. Zu Beginn der meisten Kapitel werden aktuelle politische Schlagzeilen referiert und Wasserstandsangaben zur Krise gemacht. Mit ein, zwei flotten Scharniersätzen werden die Ereignisse auf der Weltbühne dann jeweils mit dem Leben und Leiden der Figuren kurzgeschlossen. Für kurzgebratene Kolumnen mag ein solches Hauruckverfahren genügen; von einem politischen Roman verspricht man sich eine subtilere Durchdringung der Ebenen.
Der Unternehmer Dalmann ist als schäbiger Schweizer die Gegenfigur zu den liebenswürdigen Tamilen. Er ist ein Kapitalist, der alle Forderungen des Klischees erfüllt. Kein Geschäft ist ihm zu anrüchig; die Verluste durch die Finanzkrise macht er wett mit Waffenschiebereien. Die srilankische Armee stattet er mit alten Schweizer Schützenpanzern aus und wird so mitschuldig am Tod von Maravans geliebtem Neffen, einem Kindersoldaten. Da Dalmann als herzinfarktgefährdeter Genussmensch in den besten Lokalen verkehrt und bald auch Kunde von "Love Food" ist, ergibt sich für Maravan die Gelegenheit zur Rache.
Kochen wird in diesem eher spannungsarmen Roman als Kunst der Alchemie gepriesen. Es gehe dabei um die Verwandlung von edlen Substanzen und die Entfaltung des Zaubers, der in den Zutaten verborgen liegt. Genau das ist diesem Roman nicht gelungen. Martin Suter hat gekocht, aber die recherchierten Realien liegen halbgar auf dem Teller. Der Zauber der Verwandlung von Welt in Literatur hat nicht richtig funktioniert. Die ambitionierte Mischung von Lifestyle (es gibt einen Anhang mit Maravans Rezepten), Erotik, Finanzkrisenreport und Politthriller ist nicht aufgegangen.
Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Bekannt wurde er mit seinen Kolumnen "Business Class" und dem Roman "Small World". Suter ist den Schweizer Problemen verpflichtet, wenn auch aus globaler Perspektive. Er lebt mit seiner Familie auf Ibiza und in Guatemala. Zuletzt erschien der Roman "Der letzte Weynfeldt".
Besprochen von Wolfgang Schneider
Martin Suter: Der Koch. Roman.
Diogenes 2010, 312 S., 21,90 Euro