"Das geht durch das Herz"
"Anuschka" - so hieß ein berühmter wodkaseliger Schlager von Udo Jürgens. "Anuschka" - so nennt sich auch der Spätaussiedlerinnen-Chor in Halle an der Saale. Der Name des Chores weist auf die besondere Geschichte der Russlanddeutschen hin, von denen heute in der Bundesrepublik über zwei Millionen leben.
Das Vereinszentrum der Russlanddeutschen liegt etwas versteckt zwischen den typischen Plattenbauten, die das Bild von Halle-Neustadt prägen. Jeden Mittwoch kommen hier für zwei Stunden die Sängerinnen des Anuschka-Chores zusammen.
Die meisten von ihnen sind Spätaussiedlerinnen aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Viele der Frauen sind im Rentenalter, eine hat auch ihr Enkelkind zur Probe mitgebracht. Gesungen wird abwechselnd auf Deutsch und auf Russisch, begleitet auf dem Knopfakkordeon von Chorleiterin Anna Geiger.
Ihr Akkordeon hat Anna Geiger aus Sibirien mitgebracht, wo sie früher in einem Dorfklub gearbeitet hatte. Vor zehn Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Ihren Lebensunterhalt verdient die Mittfünfzigerin und dreifache Mutter nun als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Für ihre Tätigkeit als Chorleiterin kann der Verein nur eine kleine Aufwandsentschädigung bezahlen.
Anna Geiger: "Eine meiner Bekannten hat gesagt, die Frauen wollen singen, kannst Du dazu spielen, kannst Du ein bisschen mehr zeigen, wie muss man singen und ich sage: Wie ich singe, das geht durch das Herz und anders kann ich nicht."
Der Anuschka-Chor ist beliebt in Halle und bekommt häufig Auftrittsangebote. Auch für die Theaterbühne wurden die Sängerinnen schon verpflichtet. Das Repertoire besteht größtenteils aus deutschen und russischen Volksliedern. Eine russische Tracht gehört zur Ausstattung, für traditionelle deutsche Kostüme fehlt momentan noch das Geld. Sigrid Lange wurde nicht in Russland geboren, sondern in Halle. Sie lernte den Chor als Zuhörerin bei einer Interkulturellen Veranstaltung kennen.
Sigrid Lange: "Schon nach dem ersten Lied war ich bezaubert und dachte, ist das herrlich, diese Stimmen und diese Musik, und wagte dann in der Pause zu fragen, ob ich nicht mal vielleicht mitsingen dürfte. Sie waren zuerst erst ein bisschen überrascht, dann aber sehr erfreut. Seit Oktober 2008 bin ich also dabei, habe mich bemüht, meine verschütteten Russischkenntnisse auszugraben. Anfangs mit Schwierigkeiten, inzwischen geht es schon besser. Aber das Wichtigste sind ja doch die Lieder für mich, von denen wir eine ganze Reihe auf Lager haben."
Geprobt wird im Sitzen an Schultischen, in einem bescheidenen Raum - an den Wänden Prospekte für Deutschkurse, Tipps für Existenzgründer und jede Menge Fotos. Die circa 18 Quadratmeter bieten keine optimale Raumakustik, doch das tut der Stimmung keinen Abbruch. Die Vereinsvorsitzende Olga Ebert singt selbst zwar nicht mit, fühlt sich aber sehr mit dem Chor verbunden.
Olga Ebert: "Der Chor ist für unseren Verein das Herz, unsere Seele. Es gibt kein Vereinsfest ohne den Chor. Jeden Mittwoch sitze ich nebenan in meinem Büro und denke 'Wie schön, sie singen wieder'."
Jahrhundertelang bewahrten die deutschen Kolonisten in Russland ihre Sprache und Kultur. Das änderte sich schlagartig vor 70 Jahren. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wurden per Stalin-Erlass allen dort lebenden Deutschen die Bürgerrechte aberkannt. Deportation, Zwangsarbeit und ein Verbot der deutschen Sprache haben tiefe Spuren hinterlassen. Die sprachlichen Barrieren zu überwinden, das ist heute ein wichtiges Ziel des Chores und der Vereinsarbeit, sagt Olga Ebert:
Olga Ebert: "Für uns Zuwanderer ist das so, dass wir die Einheimischen oft als zu perfekt ansehen. Und dann fühlen wir uns auch ein bisschen zurückhaltend mit der Sprache, ihr versteht mich sowieso nicht. Das hindert uns. Wir müssen versuchen, so viel wie möglich miteinander zu kommunizieren. Wir sind hier und wir bleiben hier. Deswegen ist es besser, wir kommunizieren, damit auch die Einheimischen uns als neue Bürger ansehen und nicht als Fremde."
Lidia Dippel ist eine rüstige 81-jährige Wolgadeutsche und kam 2005 mit ihrer Tochter in die Bundesrepublik. Bis zu ihrem elften Lebensjahr hieß sie Charlotte. Nachdem sie 1941 mit ihren Eltern zwangsumgesiedelt wurde, verlor sie außer ihrer Heimat auch ihren deutschen Vornamen.
Lidia Dippel: "Ich bin dort auch in den Chor gegangen, aber es war alles auf Russisch. 65 Jahre habe ich unter den Russen gelebt. Ich konnte gar kein deutsch, weiß gar nicht, wie das jetzt in den Kopf kommt, dass ich ein bisschen erzählen kann. Wenn Weihnachten und Ostern war in Russland, haben wir immer gefeiert wie die Deutschen."
Und weil die Erinnerungen jetzt wachgerufen sind, lässt sich Lidia-Charlotte nicht nehmen, solo ein Weihnachtslied anzustimmen.
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
Die meisten von ihnen sind Spätaussiedlerinnen aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Viele der Frauen sind im Rentenalter, eine hat auch ihr Enkelkind zur Probe mitgebracht. Gesungen wird abwechselnd auf Deutsch und auf Russisch, begleitet auf dem Knopfakkordeon von Chorleiterin Anna Geiger.
Ihr Akkordeon hat Anna Geiger aus Sibirien mitgebracht, wo sie früher in einem Dorfklub gearbeitet hatte. Vor zehn Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Ihren Lebensunterhalt verdient die Mittfünfzigerin und dreifache Mutter nun als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Für ihre Tätigkeit als Chorleiterin kann der Verein nur eine kleine Aufwandsentschädigung bezahlen.
Anna Geiger: "Eine meiner Bekannten hat gesagt, die Frauen wollen singen, kannst Du dazu spielen, kannst Du ein bisschen mehr zeigen, wie muss man singen und ich sage: Wie ich singe, das geht durch das Herz und anders kann ich nicht."
Der Anuschka-Chor ist beliebt in Halle und bekommt häufig Auftrittsangebote. Auch für die Theaterbühne wurden die Sängerinnen schon verpflichtet. Das Repertoire besteht größtenteils aus deutschen und russischen Volksliedern. Eine russische Tracht gehört zur Ausstattung, für traditionelle deutsche Kostüme fehlt momentan noch das Geld. Sigrid Lange wurde nicht in Russland geboren, sondern in Halle. Sie lernte den Chor als Zuhörerin bei einer Interkulturellen Veranstaltung kennen.
Sigrid Lange: "Schon nach dem ersten Lied war ich bezaubert und dachte, ist das herrlich, diese Stimmen und diese Musik, und wagte dann in der Pause zu fragen, ob ich nicht mal vielleicht mitsingen dürfte. Sie waren zuerst erst ein bisschen überrascht, dann aber sehr erfreut. Seit Oktober 2008 bin ich also dabei, habe mich bemüht, meine verschütteten Russischkenntnisse auszugraben. Anfangs mit Schwierigkeiten, inzwischen geht es schon besser. Aber das Wichtigste sind ja doch die Lieder für mich, von denen wir eine ganze Reihe auf Lager haben."
Geprobt wird im Sitzen an Schultischen, in einem bescheidenen Raum - an den Wänden Prospekte für Deutschkurse, Tipps für Existenzgründer und jede Menge Fotos. Die circa 18 Quadratmeter bieten keine optimale Raumakustik, doch das tut der Stimmung keinen Abbruch. Die Vereinsvorsitzende Olga Ebert singt selbst zwar nicht mit, fühlt sich aber sehr mit dem Chor verbunden.
Olga Ebert: "Der Chor ist für unseren Verein das Herz, unsere Seele. Es gibt kein Vereinsfest ohne den Chor. Jeden Mittwoch sitze ich nebenan in meinem Büro und denke 'Wie schön, sie singen wieder'."
Jahrhundertelang bewahrten die deutschen Kolonisten in Russland ihre Sprache und Kultur. Das änderte sich schlagartig vor 70 Jahren. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wurden per Stalin-Erlass allen dort lebenden Deutschen die Bürgerrechte aberkannt. Deportation, Zwangsarbeit und ein Verbot der deutschen Sprache haben tiefe Spuren hinterlassen. Die sprachlichen Barrieren zu überwinden, das ist heute ein wichtiges Ziel des Chores und der Vereinsarbeit, sagt Olga Ebert:
Olga Ebert: "Für uns Zuwanderer ist das so, dass wir die Einheimischen oft als zu perfekt ansehen. Und dann fühlen wir uns auch ein bisschen zurückhaltend mit der Sprache, ihr versteht mich sowieso nicht. Das hindert uns. Wir müssen versuchen, so viel wie möglich miteinander zu kommunizieren. Wir sind hier und wir bleiben hier. Deswegen ist es besser, wir kommunizieren, damit auch die Einheimischen uns als neue Bürger ansehen und nicht als Fremde."
Lidia Dippel ist eine rüstige 81-jährige Wolgadeutsche und kam 2005 mit ihrer Tochter in die Bundesrepublik. Bis zu ihrem elften Lebensjahr hieß sie Charlotte. Nachdem sie 1941 mit ihren Eltern zwangsumgesiedelt wurde, verlor sie außer ihrer Heimat auch ihren deutschen Vornamen.
Lidia Dippel: "Ich bin dort auch in den Chor gegangen, aber es war alles auf Russisch. 65 Jahre habe ich unter den Russen gelebt. Ich konnte gar kein deutsch, weiß gar nicht, wie das jetzt in den Kopf kommt, dass ich ein bisschen erzählen kann. Wenn Weihnachten und Ostern war in Russland, haben wir immer gefeiert wie die Deutschen."
Und weil die Erinnerungen jetzt wachgerufen sind, lässt sich Lidia-Charlotte nicht nehmen, solo ein Weihnachtslied anzustimmen.
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.