"Das Gelächter war ihm eigen"
In seiner Heimat Österreich galt der Schriftsteller Thomas Bernhard vielen als Nestbeschmutzer, dabei habe er nur "bittere Wahrheiten" ausgesprochen, sagt der Dramaturg Hermann Beil. Im Gegensatz zu seinem düsteren Image habe er Bernhard "als einen sehr freundlichen und lachbedürftigen und lachbereiten Menschen erlebt".
Jörg Degenhardt: Thomas Bernhard, der Übertreibungskünstler, der heute vor 80 Jahren geboren wurde und der bis zu seinem Tod am 12. Februar 1989 bei aller eigenen Verletzlichkeit immer wieder gerne ausgeteilt hat, zuallererst gegen seine Landsleute.
"In jedem Wiener steckt ein Massenmörder, aber man darf sich die Laune nicht verderben lassen." "Heldenplatz" hieß das Schauspiel, aus dem dieses Zitat stammt, das Stück von 1988 erinnert an den Einmarsch der deutschen Truppen 1938, und Bernhard behauptet darin, die Österreicher hätten sich seitdem kaum verändert. Mit dem Stück hat er wohl für den größten Skandal der österreichischen Theatergeschichte gesorgt.
Einer, der eng mit ihm zusammen gearbeitet hat, ist der Dramaturg Hermann Beil, ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Beil!
Hermann Beil: Ja, guten Morgen, ich grüße Sie!
Degenhardt: Warum hat Bernhard seine Landsleute immer wieder gerne irritiert, freundlich ausgedrückt? Man kann es auch härter sagen: Warum hat er sie immer wieder beleidigt?
Beil: Ach er hat sie ja nicht beleidigt, er hat nur gewisse Wahrheiten ausgesprochen, bittere Wahrheiten, die er im Laufe der Jahre eben erlebt hat hier in Österreich. Und wie berechtigt seine bittere Klage war zum Beispiel mit "Heldenplatz", hat sich ja die Jahre später gezeigt: Der Rechtsruck in Österreich ist ja gewaltig, bis ins Parlament hinein, zeitweise sogar bis in die Regierung hinein. Also insofern gab es ja den Protest damals gegen "Heldenplatz" wahrscheinlich deswegen, weil er wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Degenhardt: Ist denn die Anti-Bernhard-Fraktion über die Jahre kleiner geworden? Oder anders gefragt: Haben die Österreicher inzwischen ihren Frieden mit Bernhard gemacht, die Qualität seiner Arbeit anerkannt?
Beil: Nun ich glaube, die Menschen, die immer gewusst haben, dass Thomas Bernhard ein großartiger Schriftsteller ist, die sind mehr geworden. Aber die Gegner gibt es nach wie vor, heute ist zum Beispiel in einer Wiener Zeitung ein Artikel erschienen, der sich absolut dagegen ausspricht, dass man Thomas Bernhard zum 80. Geburtstag feiert. Und die Gegner gibt es nach wie vor, weil das ja unverbesserliche Menschen sind. Aber das wusste der Thomas Bernhard auch und er hat immer gut damit leben können.
Degenhardt: Wir haben es gehört: Einsamkeit, Krankheit, Tod, das waren Themen, die in seinen Romanen und auch Theaterstücken immer wieder auftauchten. Es ging aber auch komisch bei ihm zu, etwa in diesem Stück "Der Theatermacher". War das eine typische Bernhard-Figur?
Beil: Absolut, absolut! Er sagt ja selbst in einem seiner autobiografischen Bücher: Ein Kind ist ein Schauspieldirektor und ich bin von Anfang an ein Schauspieldirektor gewesen. Thomas Bernhard habe ich ja als einen sehr freundlichen und lachbedürftigen und lachbereiten Menschen erlebt, also das Gelächter war ihm eigen. Und Komik, den Witz, den Humor, also das war etwas, was für ihn also sehr kennzeichnend war.
Degenhardt: Sie sagen, Sie haben ihn als lachbedürftigen Menschen kennengelernt. Auf der anderen Seite galt er auch als Pessimist. Wie passte das zusammen?
Beil: Ja, das ist eben die Ambivalenz. Also, ich glaube, man lacht umso lieber und umso berechtigter, wenn man auch pessimistisch ist. Aber er war ja auch ein sehr praktischer Mensch, also sein Pessimismus, den konnte er sehr schön immer in die Waage bringen, in die Balance bringen. Also eben von der Komödie in die Tragödie, von der Tragödie in die Komödie. Also dieses Wechselspiel, das beherrschte er absolut.
Degenhardt: Wie war überhaupt die Zusammenarbeit mit ihm, wie haben Sie ihn erlebt?
Beil: Ich habe ihn persönlich als einen sehr, sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen erlebt. Nun, ich war ja nicht ständig mit ihm zusammen, das war der Peymann viel, viel mehr als ich. Aber die Begegnungen, die ich hatte, die waren sehr schön, das war also völlig unkompliziert und überhaupt nicht düster und pessimistisch, sondern freundlich, hilfsbereit und eben auch ganz praktisch. Er war ein Praktiker.
Degenhardt: In Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich mehrmals gelesen, das Werk Bernhards, es sei schwierig. Was ist das Schwierige daran?
Beil: Er war nicht schwierig, er war nur sehr genau und er war sehr fordernd. Was er absolut nicht mochte, und das hat er gehasst, er war ja kein Hassprediger, aber er hat Verlogenheit gehasst, er hat Betrug gehasst, er hat Schlamperei gehasst, er hat Unehrlichkeit gehasst. Wenn an alles das nicht war, dann war es völlig unkompliziert und überhaupt nicht schwierig. Also man konnte mit ihm reden, wie man einfach von Mensch zu Mensch reden konnte. Aber man konnte nicht oberflächlich und verlogen mit ihm reden, sondern man musste es wirklich ehrlich mit ihm meinen.
Degenhardt: Bernhard gilt als österreichischer Autor, aber seine Stücke wurden auch in Stuttgart gespielt oder in Bochum. Was macht sie so besonders, dass sie auch außerhalb Wiens funktionieren?
Beil: Ja, seine Stücke werden ja nicht nur im deutschsprachigen Raum gespielt, sie werden auf der ganzen Welt gespielt, auf allen Erdteilen, ich hab das genau mir vom Suhrkamp Verlag sagen lassen, wo Bernhard überall gespielt wird. Ich glaube, er trifft eine menschliche Problematik, die immer wieder gültig ist und auch anderswo gültig ist. Und deswegen haben ja seine Theaterstücke auch so einen enormen Publikumserfolg. Also es ist ja nicht die Theaterkritik, die Thomas Bernhard gemacht hat, sondern es waren die Zuschauer. "Heldenplatz" triumphierte durch die Zuschauer, nicht durch die Theaterkritik. 120 Vorstellungen im Burgtheater, im großen Burgtheater, das haben die Zuschauer bewerkstelligt, weil sie einfach hineingerast sind.
Degenhardt: Erlauben Sie zum Schluss noch eine persönliche Frage: Ich habe ja schon gesagt, am 12. Februar 1989, kurz nach seinem 58. Geburtstag, ist Thomas Bernhard gestorben. Besuchen Sie noch gelegentlich das Grab des Dichters in Wien?
Beil: Selten. Und zwar deswegen, weil ich ja ständig mit Thomas Bernhard zugange bin. Ich persönlich habe viele Thomas-Bernhard-Lesungen, ich bin an Aufführungen beteiligt. Das heißt, für mich ist Thomas Bernhard kein toter Dichter, sondern ein höchst lebendiger Dichter.
Degenhardt: Der Dramaturg Hermann Beil, heute wäre der Dramatiker und Romancier Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. Vielen Dank für das Gespräch!
Beil: Ich danke Ihnen!
"In jedem Wiener steckt ein Massenmörder, aber man darf sich die Laune nicht verderben lassen." "Heldenplatz" hieß das Schauspiel, aus dem dieses Zitat stammt, das Stück von 1988 erinnert an den Einmarsch der deutschen Truppen 1938, und Bernhard behauptet darin, die Österreicher hätten sich seitdem kaum verändert. Mit dem Stück hat er wohl für den größten Skandal der österreichischen Theatergeschichte gesorgt.
Einer, der eng mit ihm zusammen gearbeitet hat, ist der Dramaturg Hermann Beil, ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Beil!
Hermann Beil: Ja, guten Morgen, ich grüße Sie!
Degenhardt: Warum hat Bernhard seine Landsleute immer wieder gerne irritiert, freundlich ausgedrückt? Man kann es auch härter sagen: Warum hat er sie immer wieder beleidigt?
Beil: Ach er hat sie ja nicht beleidigt, er hat nur gewisse Wahrheiten ausgesprochen, bittere Wahrheiten, die er im Laufe der Jahre eben erlebt hat hier in Österreich. Und wie berechtigt seine bittere Klage war zum Beispiel mit "Heldenplatz", hat sich ja die Jahre später gezeigt: Der Rechtsruck in Österreich ist ja gewaltig, bis ins Parlament hinein, zeitweise sogar bis in die Regierung hinein. Also insofern gab es ja den Protest damals gegen "Heldenplatz" wahrscheinlich deswegen, weil er wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Degenhardt: Ist denn die Anti-Bernhard-Fraktion über die Jahre kleiner geworden? Oder anders gefragt: Haben die Österreicher inzwischen ihren Frieden mit Bernhard gemacht, die Qualität seiner Arbeit anerkannt?
Beil: Nun ich glaube, die Menschen, die immer gewusst haben, dass Thomas Bernhard ein großartiger Schriftsteller ist, die sind mehr geworden. Aber die Gegner gibt es nach wie vor, heute ist zum Beispiel in einer Wiener Zeitung ein Artikel erschienen, der sich absolut dagegen ausspricht, dass man Thomas Bernhard zum 80. Geburtstag feiert. Und die Gegner gibt es nach wie vor, weil das ja unverbesserliche Menschen sind. Aber das wusste der Thomas Bernhard auch und er hat immer gut damit leben können.
Degenhardt: Wir haben es gehört: Einsamkeit, Krankheit, Tod, das waren Themen, die in seinen Romanen und auch Theaterstücken immer wieder auftauchten. Es ging aber auch komisch bei ihm zu, etwa in diesem Stück "Der Theatermacher". War das eine typische Bernhard-Figur?
Beil: Absolut, absolut! Er sagt ja selbst in einem seiner autobiografischen Bücher: Ein Kind ist ein Schauspieldirektor und ich bin von Anfang an ein Schauspieldirektor gewesen. Thomas Bernhard habe ich ja als einen sehr freundlichen und lachbedürftigen und lachbereiten Menschen erlebt, also das Gelächter war ihm eigen. Und Komik, den Witz, den Humor, also das war etwas, was für ihn also sehr kennzeichnend war.
Degenhardt: Sie sagen, Sie haben ihn als lachbedürftigen Menschen kennengelernt. Auf der anderen Seite galt er auch als Pessimist. Wie passte das zusammen?
Beil: Ja, das ist eben die Ambivalenz. Also, ich glaube, man lacht umso lieber und umso berechtigter, wenn man auch pessimistisch ist. Aber er war ja auch ein sehr praktischer Mensch, also sein Pessimismus, den konnte er sehr schön immer in die Waage bringen, in die Balance bringen. Also eben von der Komödie in die Tragödie, von der Tragödie in die Komödie. Also dieses Wechselspiel, das beherrschte er absolut.
Degenhardt: Wie war überhaupt die Zusammenarbeit mit ihm, wie haben Sie ihn erlebt?
Beil: Ich habe ihn persönlich als einen sehr, sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen erlebt. Nun, ich war ja nicht ständig mit ihm zusammen, das war der Peymann viel, viel mehr als ich. Aber die Begegnungen, die ich hatte, die waren sehr schön, das war also völlig unkompliziert und überhaupt nicht düster und pessimistisch, sondern freundlich, hilfsbereit und eben auch ganz praktisch. Er war ein Praktiker.
Degenhardt: In Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich mehrmals gelesen, das Werk Bernhards, es sei schwierig. Was ist das Schwierige daran?
Beil: Er war nicht schwierig, er war nur sehr genau und er war sehr fordernd. Was er absolut nicht mochte, und das hat er gehasst, er war ja kein Hassprediger, aber er hat Verlogenheit gehasst, er hat Betrug gehasst, er hat Schlamperei gehasst, er hat Unehrlichkeit gehasst. Wenn an alles das nicht war, dann war es völlig unkompliziert und überhaupt nicht schwierig. Also man konnte mit ihm reden, wie man einfach von Mensch zu Mensch reden konnte. Aber man konnte nicht oberflächlich und verlogen mit ihm reden, sondern man musste es wirklich ehrlich mit ihm meinen.
Degenhardt: Bernhard gilt als österreichischer Autor, aber seine Stücke wurden auch in Stuttgart gespielt oder in Bochum. Was macht sie so besonders, dass sie auch außerhalb Wiens funktionieren?
Beil: Ja, seine Stücke werden ja nicht nur im deutschsprachigen Raum gespielt, sie werden auf der ganzen Welt gespielt, auf allen Erdteilen, ich hab das genau mir vom Suhrkamp Verlag sagen lassen, wo Bernhard überall gespielt wird. Ich glaube, er trifft eine menschliche Problematik, die immer wieder gültig ist und auch anderswo gültig ist. Und deswegen haben ja seine Theaterstücke auch so einen enormen Publikumserfolg. Also es ist ja nicht die Theaterkritik, die Thomas Bernhard gemacht hat, sondern es waren die Zuschauer. "Heldenplatz" triumphierte durch die Zuschauer, nicht durch die Theaterkritik. 120 Vorstellungen im Burgtheater, im großen Burgtheater, das haben die Zuschauer bewerkstelligt, weil sie einfach hineingerast sind.
Degenhardt: Erlauben Sie zum Schluss noch eine persönliche Frage: Ich habe ja schon gesagt, am 12. Februar 1989, kurz nach seinem 58. Geburtstag, ist Thomas Bernhard gestorben. Besuchen Sie noch gelegentlich das Grab des Dichters in Wien?
Beil: Selten. Und zwar deswegen, weil ich ja ständig mit Thomas Bernhard zugange bin. Ich persönlich habe viele Thomas-Bernhard-Lesungen, ich bin an Aufführungen beteiligt. Das heißt, für mich ist Thomas Bernhard kein toter Dichter, sondern ein höchst lebendiger Dichter.
Degenhardt: Der Dramaturg Hermann Beil, heute wäre der Dramatiker und Romancier Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. Vielen Dank für das Gespräch!
Beil: Ich danke Ihnen!