Das geplante Ende

Von Volker Trauth |
In den Niederlanden ist erlaubt, was in Deutschland strafbar ist: aktive Sterbehilfe für unheilbar Kranke. Im Stück "Der gute Tod", das im Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin läuft, nimmt sich der erfahrene Theatermann Wannie de Wijn diesem Thema an – vor dem Hintergrund einer Familientragödie.
Der 1961 geborene Autor ist ein vielseitiger Mann. Er arbeitet für Film, Fernsehen und Theater, er ist als Schauspieler, Regisseur, Dramatiker und Dozent in Erscheinung getreten, und er hat Theatergruppen wie "de Appel" gegründet und geleitet. Wesentlicher aber ist seine Nähe zur berühmten "Toneeelgroup", jener Theatergruppe, die zu den sozialen Brennpunkten geht, in ihren Vorstellungen in Werkhallen und auf öffentlichen Plätzen brisante soziale und gesellschaftliche Fragen zur Sprache bringt und mit ihrem Publikum ins Streitgespräch kommen will. Ein solches brisantes Thema ist das der aktiven Sterbehilfe, des von Ärzten assistierten Suizids, der in den Niederlanden gesetzlich gestattet, in Deutschland aber streng verboten ist.

De Wijn hat zur szenischen Veranschaulichung des Problems eine über weite Strecken berührende Geschichte gefunden. Der 45-jährige Journalist Bernhard ist unheilbar an Lungenkrebs erkrankt und hat unerträgliche Schmerzen. Um seinem Leben und seinem Leiden ein Ende zu setzen, hat er sich entschieden, auf die Möglichkeit des überwachten Suizids zurückzugreifen. Dazu versichert er sich der Dienste des befreundeten Arztes Robert, der in Sachen Sterbehilfe Erfahrungen hat und alle gesetzlichen Regelungen und Auflagen kennt. Die Verabreichung der Spritze, die den "guten Tod" bringen soll, ist für einen bestimmten Morgen genau um 9 Uhr verabredet, am Vorabend versammelt Bernhard noch einmal die engsten Verwandten: seine Brüder, den Geschäftsmann Michael und den Autisten Ruben, seine Tochter aus erster Ehe, Sam, sowie seine Geliebte und fürsorgliche Betreuerin Hannah.

Das Zusammentreffen löst schwelende Konflikte aus. Es droht eine Eskalation; das Ende aber läuft unspektakulär, eher bürokratisch ab. Es ist, als ob ein Leben in organisierter Weise verglimmt. De Wijns Stück ordnet sich ein in eine ganze Reihe von dramatischen Versuchen, die sich um die Zerstörung von Familien drehen. Neu ist der Auslöser (das letzte Treffen vor dem Suizid), neu ist auch das Ausbleiben von Katastrophe und handgreiflicher Selbstzerfleischung.

Der erfahrene Theatermann de Wijn hat die Gefahr des Übergewichts von Diskussion und Erörterung gesehen. Deshalb versucht er dem Text szenisches Leben einzuhauchen. Er lässt den Figuren ihre Geheimnisse und gibt die nur in Andeutungen preis. Und: er deutet an, dass zwischen den Figuren seit langem unaufhebbare Interessengegensätze walten. Dass zwischen den Brüdern Michael und Bernhard ein permanenter Konkurrenzkampf ausgetragen wird, lässt sich erst bei näherem Hinsehen erahnen. Um Sentimentalität und Tränenseligkeit entgegenwirken zu können, sucht der Autor nach der komischen Wirkung. Unentwegt werden, zumeist um die Peinlichkeit der Situation zu überspielen, Witze gerissen. Lakonische Selbstironie Bernhards schafft einen Kontrapunkt zum tragischen Geschehen.

Regisseur Manuel Schöbel hat eine uneitle, lange Zeit dichte Inszenierung geschaffen. Lediglich im zweiten Teil, wenn sich die Trauergemeinde zu endlosem Chor- und Einzelgesang findet, geht der Fluss der Ereignisse verloren, ebenso wie die Balance zwischen Komischem und Tragischem. Schöbel setzt auf die Bloßlegung eines unterschwelligen Beziehungsgeflechts. Die Figuren reden anders als sie denken und handeln.

Um die szenische Spannung zu erhalten, spitzt der Regisseur die schon vom Autor notierten abrupten Brüche zu. Der als Spaßvogel eingeführte Doktor Robert (Klaus Bieligk) wird überraschend von Gewissensbissen gelähmt; eben noch haben sich die beiden Brüder Michael und Bernhard einem entfesselten Tanz hingegeben, da schreit der Sterbewillige beim Versuch, eine Sektflasche zu entkorken, schmerzverzerrt auf und gesteht, unerträgliche Schmerzen zu erleiden. Die vom Regisseur angestrebte enthüllende Spielweise verlangt vom Schauspieler, die Fähigkeit, die zweite und dritte Schicht eines Vorgangs spielen zu können. Das ist unterschiedlich gelungen. Die Leistung des Abends liefert ohne Zweifel Brigitte Peters als Geliebte Hannah. Ihr gelingt es mit einem belanglosen Text, der verbal oft etwas ganz anderes sagt, tiefe Gefühle wie Trauer um die verlorene Liebe, Abscheu und Verachtung oder menschliches Mitgefühl auszudrücken.

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