Das Geschäft mit dem Acker

Von Alexander Göbel |
Sierra Leone besitzt viel fruchtbaren Boden, den die Regierung jedoch an ausländische Investoren verkauft hat. Jetzt wird dort statt Nahrung für die Bevölkerung Zuckerrohr für Biosprit angebaut. Zum Ausgleich für dieses "Land Grabbing" soll ein millionenschweres Entwicklungsprojekt gestartet werden, gefördert auch von deutscher Seite. Doch nicht jeder glaubt den Versprechungen.
Abbas Kamara schüttelt den Kopf - und vergräbt das Gesicht in den Händen. Er ist hier geboren, in Makeni, im Herzen von Sierra Leone. Hier kennt er jeden Stein. Seit Monaten besucht der Menschenrechtsaktivist die Dörfer der Region. Und er kann nicht begreifen, wie rasant sich seine Heimat verändert hat.

"Wir sind sehr beunruhigt. Denn wir sehen hier nur noch Zuckerrohrplantagen. Weit und breit kein Reis mehr, kein Maniok - dabei sind das die Grundnahrungsmittel in Sierra Leone. Aus dem Zuckerrohr soll Biosprit hergestellt werden, aber das können wir nicht essen. Dieses Produkt ist nur für den Export bestimmt. Was aber wird aus uns? Das macht uns große Sorgen."

Eine staubige Sandstraße führt Abbas Kamara nach Lungi Acre. Ein ärmliches Bauerndorf, wie es viele gibt im ländlichen Afrika. Rund 600 Menschen leben hier in einfachsten Lehmhütten. Es gibt eine Laube für die Dorfversammlungen, ein paar Palmen, Feuerstellen auf dem Boden - aber noch immer keinen Strom, kein fließendes Wasser.

Bis vor kurzem haben sie hier noch Reis, Maniok und Bohnen angebaut. Doch seit Addax das Land rund ums Dorf gepachtet hat, ist alles anders. Dabei waren sie hier so froh über das Projekt. Ihren Grundbesitz haben sie gern abgegeben. Die Addax-Manager haben schließlich Entwicklung versprochen. Krankenhäuser, Schulen, bis zu 4000 gut bezahlte Jobs für die ganze Region, eine moderne landwirtschaftliche Ausbildung. Und außerdem haben sie versprochen, dass die Bauern für ihr Land entschädigt werden. Mit Geld - und mit anderen, besseren Feldern.

Die Bolilands, die fruchtbaren Sümpfe, auf denen traditionell Reis angebaut wird, wollte Addax ursprünglich nicht antasten. Weil Zuckerrohr nicht auf feuchtem Boden wächst. Doch zumindest dieses Versprechen hat Addax nicht gehalten: In Lungi Acre wurden auch Sümpfe trockengelegt, damit Zuckerrohr wachsen kann.

"Das Wasser läuft hier in diesen Kanal. Den hat Addax während der letzten Regenzeit gegraben, als Drainage. Das Feld ist jetzt komplett trocken, damit hier Zuckerrohr wachsen kann. Und den Bauern haben sie andere Felder gegeben, kilometerweit weg, ganz da hinten."

Die Bauern fühlen sich betrogen. Auch Alusine Koroma. Er kniet auf dem Acker und zerreibt knochentrockene Erde zwischen Daumen und Zeigefinger.

"Die ist nichts mehr wert für uns - denn wenn das Feld einmal trocken ist, kann man nichts mehr machen. Keine Landwirtschaft mehr. Null. Wir haben nichts mehr hier. Schau Dir unsere Schulhütte an, wir haben nicht mal Lehrer für unsere Kinder. Und wir ohne Regenzeug, ohne Schutzkleidung - das ist alles sehr schlimm für uns."

Wie viele Männer im Dorf ist auch Alusine als Gelegenheitsarbeiter bei Addax angestellt. Mit gebücktem Rücken und einer Machete schlägt er Büsche und Wurzeln ab und rodet Wald, damit mehr Fläche frei wird für Zuckerrohr. Eine Knochenarbeit. Dafür bekommt Alusine 10.000 Leones am Tag, rund zwei US-Dollar. Damit liegt er knapp über der Armutsgrenze. Immerhin - es ist der erste Lohn seines Lebens, vorher hatten er und seine Familie von der eigenen Arbeit als Bauern gelebt. Doch das Geld reicht nicht einmal für einen Sack Reis.

Offenbar ist die Verlockung von zwei Dollar am Tag groß genug, um das traditionelle Leben als Kleinbauer aufzugeben. Menschen wie Alusine hatten Hoffnung, dass sie endlich aus der Armutsfalle der Subsistenzlandwirtschaft herauskommen. Nun, sagen sie, sitzen sie in einer anderen Falle.

Dass sich Journalisten bei den Menschen vor Ort nach dem Projekt erkundigen, gefällt Addax nicht. In Lungi Acre berichten sie nach dem Besuch von Einschüchterungsversuchen durch lokale Addax-Mitarbeiter. Beschwerden aus den Dörfern hört man bei dem Unternehmen nicht gern. Schließlich habe der Schweizer Investor seine Hausaufgaben gemacht - und die Bedürfnisse der Bevölkerung im Blick, sagt Jörgen Sandstrom, Projektleiter bei Addax:

"Das hier ist ein kommerzielles Projekt, ganz klar. Wir wollen Geld verdienen, aber wir investieren auch eine ganze Menge. Wir werden unterstützt von Entwicklungsbanken - die wollen Zinsen dafür, dass sie uns Geld leihen. Aber sie verlangen auch, dass wir die Region entwickeln, in der wir arbeiten. Und genau das haben wir vor: Wir wollen, dass die Menschen, die von unserem Projekt betroffen sind, am Ende besser dastehen als vorher."

Ein hehres Ziel. Stattliche 285 Millionen Euro investiert Addax in Sierra Leone. Davon übernehmen die Entwicklungsbanken etwas mehr als 130 Millionen. Um die riesige Zuckerrohrplantage zu finanzieren, die Ausbildung der Arbeiter, die Ethanol-Fabrik und das kleine Kraftwerk, in dem aus Biomasse Strom gewonnen werden soll, immerhin mit einer Leistung von 15 Megawatt. Die Banken hat Addax mit seinem Konzept überzeugt - darunter auch die DEG, die Deutsche Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter der staatseigenen KfW-Bank.

Die Deutschen beteiligen sich mit geschätzten 20 Millionen Euro am Investment und sind voll des Lobes: Das Unternehmen habe sich einem mühsamen und langwierigen Genehmigungsprozess unterzogen und erfülle alle geforderten Auflagen, auch die Nachhaltigkeitskriterien der Europäischen Union für Biosprit. Entsprechend groß ist die Hoffnung bei ehemaligen Landbesitzern wie Ali Bangura, dass auch sie von Addax profitieren werden.

"Addax hat uns Schulen und Krankenhäuser versprochen - es sind Weiße aus Europa, die werden ihre Versprechen halten. Und dann wird es hier in 50 Jahren besser aussehen als heute!
Die Verträge sind alles andere als transparent für die Menschen da draußen - und auch wenn sie als Ersatz für ihr verpachtetes Ackerland andere Flächen zugewiesen bekommen: Sie werden dort ausgebildet für eine Art der Landwirtschaft, mit der sie nichts anfangen können. Also: Wenn die Investition schlecht für die Menschen ist, wenn die Deals nicht für jedermann nachvollziehbar sind - dann ist das Land Grabbing."

Was Mohamed Conteh als Land Grabbing, als "Land raffen" bezeichnet, ist kein neues Phänomen. Weltweit sichern sich Konzerne, Investmentgesellschaften und ganze Staaten Ländereien, um sich mit nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen - die meisten Geschäftsleute kommen aus Amerika, Europa, den reichen arabischen Ölstaaten und Asien.

Das Land ist eines der ärmsten der Welt; es leidet noch immer an den Folgen des brutalen Bürgerkriegs. Zwischen 1991 und 2002 wurden hier Hunderttausende Menschen getötet. Die Diamantenvorkommen des Landes finanzierten den Krieg.

Nun sollen endlich andere, bessere Zeiten anbrechen in Sierra Leone. Für die einen sind Investoren wie Addax Bioenergy ein Segen - für die anderen nichts anderes als ein Fluch des Neokolonialismus.

"Niemand wird sagen: Wir wollen keine Investoren. Aber man muss doch fragen, wem die Investitionen nutzen. Wenn sie nicht dazu beitragen, dass dieses Land eines Tages unabhängig von Lebensmittelimporten wird, dann belügt man sich doch selbst! Man arbeitet dann als Regierung doch gegen seine eigenen Prinzipien!"

Doch Aminata Kamara, die für Addax über die Dörfer fährt, um die Menschen von dem Projekt zu überzeugen, will von Land Grabbing und anderen Bedenken nichts hören.

"Das ist unfair, denn es gibt ja hier noch ganz andere Firmen, die auch Land gepachtet haben, über die niemand etwas Genaues weiß. Addax hat mit den Menschen gesprochen, Addax hat alle Auflagen und Standards erfüllt. Außerdem nutzt die Firma von den gepachteten 57.000 Hektar nur etwas mehr als 14.000 für Ethanol. Dazu kommen die unabhängigen Consultants, die Banken schicken ihre eigenen Beobachter - also, das Ganze als Land Grabbing zu bezeichnen, ist nicht fair. Die Realität ist eben eine andere."

Besonders verwundert die Agrarexperten in Sierra Leone, dass sowohl der Investor als auch die Regierung immer von viel verfügbarem Brachland sprechen. Die Rede ist von über 5 Millionen Hektar fruchtbarem Land, davon seien nur 0,82 Prozent genutzt. Das perfekte Argument um Investoren anzulocken. Nur: leider vollkommen falsch, sagt Mohamed Conteh.

"Als ich ein Kind war, da konnten wir unser Ackerland noch 15 Jahre brach liegen lassen, heute gibt es hier kaum noch Land, das 5 Jahre ungenutzt bleibt und sich erholen kann. Die Nachfrage ist immens gestiegen, unsere Bevölkerung wächst, die Menschen müssen essen. Wir haben kein Land, was wir einfach so an Investoren weg geben könnten. Es gibt in Sierra Leone kein ungenutztes Land! Nur nutzen wir eben nicht alles gleichzeitig."

Die Kleinbauern in Sierra Leone praktizieren Wanderfeldbau - so genanntes Bushfallow farming. Doch Sierra Leones Landwirtschaftsministerium, selbst die FAO, die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen behaupten: Es sei noch mehr als genug Land für Investoren verfügbar.

Die Frage ist: Warum? Warum bekommen so genannte "large scale investors" den Vorzug, wenn man mit diesen riesigen Investitionssummen auch Kleinbauern fördern könnte - und zwar nachhaltig? Der Agrarwissenschaftler Momoh Lavahun versucht eine Antwort:

"Alle reden von Wertschöpfungsketten. Hier wäre eine: Wir müssen für die Kleinbauern nur einen Marktzugang schaffen. Damit sie ihren Reis auch verkaufen können. Ich habe hier noch nie einen Sack mit Reis aus Sierra Leone gesehen - unser Reis hier in Freetown kommt absurderweise aus Thailand, Indien oder China. Wir könnten das ändern! Und ich weiß, dass es in der Regierung Leute gibt, die das genau wissen. Aber .... da regieren andere Mächte."

Die Regierung von Sierra Leone will Investoren. Präsident Ernest Bai Koroma war 2007 mit dem Versprechen angetreten, er werde das Land führen wie ein Business - wie ein Manager. Er will das Land zu einem ernst zu nehmenden Wirtschaftsstandort machen.

Addax kommt da wie gerufen. Oluniyi Robbin-Coker, der persönliche Berater des Präsidenten für den Privatsektor, spricht gerne von Addax als einem Flaggschiff der landwirtschaftlichen Investitionspolitik in Sierra Leone. Er hat für die Regierung den Vertrag mit Addax ausgehandelt, das Memorandum of Understanding. Natürlich werden Addax die üblichen Steuerbefreiungen zugesagt, sowie Zollfreiheit für Importwaren und Maschinen.

"Das ist die größte Investition in die Landwirtschaft, die Sierra Leone je gesehen hat. Wir mussten schon ein bisschen flexibel sein, um diesen Investor an Bord zu holen. Aber wir sehen Addax als Magnet. Wir wollen, dass noch mehr Firmen wie Addax kommen. Wir haben auf jeden Fall genug Boden und Wasser dafür."

Die Befürworter großer Agrobusiness-Projekte haben die stärkere Lobby als die Kleinbauern - und sie haben sich durchgesetzt. Die Industrie-Lobby spricht nicht gern von Land Grabbing, sondern lieber von Win-Win-Situationen, von Technologietransfer, von einer symbiotischen Partnerschaft zwischen Regierung, Land und Großinvestor. Auch Jörgen Sandstrom, Projektleiter von Addax.

"Ich glaube fest daran, dass solche großen Investitionen die Landwirtschaft in Afrika nach vorne bringen. Denn darauf werden andere Investitionen folgen. Natürlich wird es nach wie vor den typischen Kleinbauern geben - aber ohne große Player werden keine Märkte entstehen. Wir brauchen diese so genannten "large scale investors." Afrikas Landwirtschaft muss industrieller werden, und die Großen bringen die Technologie, die vorbildlichen "best practices", die Manager. Daher wundert es mich nicht, dass die Weltbank und andere diesen Ansatz propagieren."

Genau hier liegt aber das Problem. Land Grabbing wird offensichtlich als Entwicklungsbaustein legitimiert - durch Institutionen wie die Weltbank. Angebot trifft auf Nachfrage, ein Riesengeschäft. Freiwilliger Ausverkauf mit Gütesiegel im Namen der Entwicklung: Die kanadische Autorin Joan Baxter beobachtet diesen Trend mit Sorge. Im Auftrag des Oakland-Instituts forscht sie zum Thema Agrarinvestitionen in Afrika.

"Es ist, als ob alle afrikanischen Präsidenten der Doktrin der Weltbank-Gruppe verfallen sind. Die glauben, dass große Investoren die Lösung aller Probleme sind. Ich höre, wie sie betteln: Nehmt unsere Ressourcen, nehmt unser Wasser, nehmt unser Land! Als wäre das eine Entwicklungsstrategie. (..) Aber niemand kann mir genau sagen, was sie eigentlich mit Entwicklung meinen!"

Joan Baxter kritisiert, wie leicht es die Weltbank Investoren macht, in Afrika auf Großeinkauf zu gehen. Mit eigens geschaffenen Beratungsagenturen, mit Berechnungen zum Investitionsklima, mit so genannten "one stop shops".

Joan Baxter geht es nicht um Verschwörungstheorien. Nicht um pauschale Kritik an neoliberalen Ansätzen oder am Privatsektor. Sie hängt nicht dem romantischen Klischee vom Kleinbauern nach, der mit der Hacke auf seinem Feld steht. Es geht ihr um die Zeitbombe Land Grabbing. Um die Frage, warum die Regierung von Sierra Leone sehenden Auges das Kind mit dem Bade ausschüttet. Obwohl sie die Gefahren kennt.

"In fünf oder zehn Jahren werden die Menschen die Folgen der Landpacht erkennen. Und daran will ich gar nicht denken. Das Geschäft mit dem Land wird Konflikte heraufbeschwören, der Hunger wird noch größer werden. Es ist ein Desaster."

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