Das Geschäft mit dem Sex

Verbieten oder akzeptieren?

Ein Maskottchen wirbt am Brandenburger Tor für Safer Sex.
Ein Maskottchen wirbt am Brandenburger Tor für Safer Sex. © Deutschlandradio/Ellen Häring
Von Ellen Häring und Christine Westerhaus |
In Schweden werden Freier bestraft, hierzulande bekommen potenzielle Sexkäufer Kondome geschenkt. Doch auch in Deutschland soll das Prostitutionsgesetz verschärft werden. Ein Besuch bei den Frauen, einem Bordellbesitzer und Sozialarbeitern.
Es ist Freitagabend in Göteborg, kurz nach 23 Uhr. In einer kleinen Baracke bereiten sich Jenny Rådmann und Jonna Boström auf ihren nächtlichen Einsatz vor. Sie schmieren Butterbrote, kochen Kaffee und suchen aus Kartons Kondome, Gleitmittel, Tampons und Feuchttücher zusammen. Dann packen die beiden Frauen alles in einen Rollkoffer und machen sich auf den Weg in das schwedische Nachtleben.
250 Euro als Bußgeld für Freier
Ihr Ziel: Rosenlund, der Göteborger Straßenstrich, mitten in der Innenstadt gelegen. Den dürfte es eigentlich gar nicht geben, denn der Kauf von Sex ist in Schweden verboten. Ringsum exklusive Geschäfte, Kneipen und ein Uni Gebäude. Schon auf dem Weg werden Jenny und Jonna, die beide ehrenamtlich unterwegs sind, von den ersten Prostituierten begrüßt. Die Frauen sprechen Englisch, manche ein paar Brocken schwedisch. Jonna verteilt Kondome und Tampons, Jenny zapft Kaffee aus einer Thermoskanne.
Jonna: "Am Anfang war ich ziemlich schockiert und dachte nur: Warum um Himmels Willen kaufen die sich keine Kondome? Die verdienen doch ein paar Hunderter pro Nacht. Bis ich begriffen habe, dass die meisten noch nicht mal zehn Prozent von dem behalten dürfen, was sie verdienen."
Obwohl der Kauf von Sex bereits seit 15 Jahren in Schweden verboten ist, gibt es sie offenbar: die Zuhälter. Und auch die Freier. Die Prostituierten auf dem Straßenstrich haben heute Abend Kundschaft.
Jenny: "Die Freier haben offensichtlich keine Angst! Sie fahren hier ihre Runden und zeigen, worauf sie aus sind."
Die meisten der jungen Frauen stammen aus Südosteuropa und haben Angst. Dabei haben sie nichts zu befürchten, weil nicht sie sich strafbar machen, sondern die Männer, die für den Sex mit ihnen bezahlen. Aber das wissen sie nicht. Umgerechnet 250 Euro beträgt das Bußgeld in Schweden, wenn Freier erwischt werden.
Mitarbeiterinnen vom Gesundheitsamt Berlin-Charlottenburg verteilen im Sommer 2014 Kondome auf der Fanmeile.
Mitarbeiterinnen vom Gesundheitsamt Berlin-Charlottenburg verteilen im Sommer 2014 Kondome auf der Fanmeile.© Deutschlandradio/Ellen Häring
"Oh Wahnsinn! Das gibt's doch gar nicht."
Im Sommer auf der Fanmeile in Berlin. Fußballweltmeisterschaft. Schon Stunden vor dem Spiel sammeln sich die Zuschauer vor den Bildschirmen, singen und feiern. Die meisten sind Männer. Auch hier verteilen Frauen Kondome, dazu Postkarten, auf denen steht, wie sich Männer gegenüber Prostituierten verhalten sollen.
Sozialarbeiterin: "Ja,wer weiß, was nach dem Spiel ist, wenn da viel Bier fließt. Hier steht zum Beispiel auch drauf, wenn man eine Prostituierte besucht, dann sollte man nicht besoffen sein, damit man das Kondom auch noch richtig verwenden kann. Also darum geht es, um Fairplay beim Sexbusiness."
"Safer Sex ist halt wichtig, wegen Krankheiten und so...hihihihi."
"Es passt auf jeden Fall hierher, viel Alkohol, viel Emotion, dann hat der eine oder andere vielleicht später noch Lust, doch. Ist ne prima Sache."
Flatrat-Bordelle und Laufhäuser sorgen für Diskussion
Verkehrte Welt: Während in Schweden Freier bestraft werden, bekommen sie in Deutschland Kondome geschenkt.
Deutschland hat 2002 das Prostitutionsgesetz liberalisiert. Jede Frau darf sich prostituieren, vorausgesetzt sie hält sich legal im Land auf und ist über 18 Jahre alt. Auch das Führen eines Bordells ist legal. Weil es aber in den letzten Jahren vermehrt zu Zwangsprostitution und Menschenhandel gekommen ist, weil Flatrate-Bordelle und Laufhäuser mit zweifelhaftem Ruf Schlagzeilen gemacht haben - deshalb soll das Prostitutionsgesetz jetzt verschärft werden. Darüber ist ein heftiger Streit in Deutschland entbrannt. Soll man Prostitution verbieten und ächten? Oder akzeptieren und darüber aufklären?
Menschliches Kondom-Maskottchen auf der Berliner Fanmeile
Prostitution ganz abschaffen? Die Aktion des Gesundheitsamts Berlin-Charlottenburg zielt in eine andere Richtung.© Deutschlandradio/Ellen Häring
Die Frauen, die auf der Fanmeile Kondome verteilen, kommen vom Gesundheitsamt Berlin-Charlottenburg und gehen immer dorthin, wo viele Männer sind. Fußballereignisse sind ideal. Sie betreiben seit vielen Jahren sogenannte „akzeptierende Sozialarbeit". Prostituierte, aber auch Freier gehören zu ihren Kunden. Wiltraud Schenk ist Mitte sechzig, arbeitet schon seit vielen Jahren im Zentrum für sexuelle Gesundheit und steht auf der Fanmeile am Rande des Geschehens. Sie hält nichts davon, gegen Freier vorzugehen
Schenk: "Allein schon diese Sichtweise und zu sagen, die kaufen sich ne Frau. Das tun sie nicht. Sie bezahlen für eine Dienstleistung. Ich halte Prostitution nicht für eine Dienstleistung wie jede andere auch, und ich halte sie auch nicht für einen Beruf wie jeden anderen auch. Wenn ich Freier angucke wie ach, du Armer oder du hast ne Krankheit, weil du das machst, dann glaube ich nicht, dass damit viel erreicht wird. Jedenfalls nicht Respekt den Frauen gegenüber."
Respekt den Frauen gegenüber möchten Wiltraud Schenk und ihre Kolleginnen durch Information und Gespräche erreichen. Und durch Akzeptanz. Auch wenn die meisten Frauen aus materieller Not in der Prostitution arbeiten, sind sie für Wiltraud Schenk nicht automatisch hilflose Opfer.
Schenk: "Wir fragen ja die Frauen, wie geht's Ihnen auf der Arbeit? Und natürlich haben wir Frauen, die sagen, ich finde die Arbeit bescheuert und furchtbar, aber ich habe früher Klos geputzt, das fand ich auch nicht schön und ich musste sehr viel länger für das Geld arbeiten."
Prostitution ganz abschaffen, so wie Alice Schwarzer und ihre Unterstützer das fordern? Mission impossible. Die Kolleginnen in Schweden sehen das anders. Nach 15 Jahren Verbot des Sexkaufs ist Prostitution nicht mehr gesellschaftsfähig.
Für Freier, die es nicht lassen können, gibt es Beratungsangebote. Atmo 9: Leise Straßengeräusche, Sprechanlage Tür: Anfrage auf schwedisch, Tür öffnet sich
Anonyme Beratung für Sexkäufer
Der Eingang liegt versteckt in einer kleinen Seitenstraße, ein winziges Klingelschild klebt an der Sprechanlage. Nur wenige Straßenecken vom Göteborger Straßenstrich Rosenlund, wo Jonna und Jenny Kondome verteilen. Die Beratungsstelle liegt im zweiten Stock des Gebäudes, es gibt Sessel, Kaffee und Zeitungen, sogar eine Spielecke für Kinder ist eingerichtet. Ein Mann um die 30 wartet im Eingangsbereich auf seinen Gesprächstermin. Wie alle ist er freiwillig gekommen. Die Beratung ist anonym, erklärt Sozialarbeiterin Maia Strufve.
Strufve: "In unserer Gesellschaft ist die Prostitution ein großes Tabu, man gilt als Looser, wenn man Sex kauft und es ist absolut nichts, worüber man in der Kaffeepause reden würde. Ich denke, eine solche Einstellung bedeutet viel und hat auch sicher dabei geholfen, dass dieses Gesetz in Schweden eingeführt werden konnte."
Polizisten begleiten bei einem Polizeieinsatz mit Durchsuchungen am 08.11.2013 in der Kurfürstenstraße in Berlin eine Frau zu einem Kontrollpunkt.
Die Kurfürstenstraße in Berlin ist berüchtigt, häufig führt die Polizei Kontrollen durch.© picture alliance / dpa / Paul Zinken
Zumindest die Statistik besagt, dass es Wirkung zeigt. Eine staatliche Untersuchung von 2010 hat ergeben, dass die Straßenprostitution um die Hälfte zurückgegangen ist. Kritiker gehen davon aus, dass der Sexkauf nur von der Straße ins Internet abgewandert ist und dadurch noch schwieriger zu kontrollieren ist. Doch dafür will die schwedische Regierung keine konkreten Hinweise gefunden haben. Ebenso wenig dafür, dass die schwedischen Männer nun ins Ausland reisen, um Sex zu kaufen.
Strufve: "Wenn es um die Prostitution geht, gibt es hohe Dunkelziffern. Wir wissen nicht, wie viele Prostituierte es in Göteborg oder Stockholm gibt. Man hat aber 1998, also kurz bevor das Gesetz in Kraft trat, eine Untersuchung gemacht und ausgerechnet, dass 13,7 Prozent aller schwedischen Männer irgendwann einmal in ihrem Leben bei einer Prostituierten waren. Von diesen knapp 14 Prozent hatten 80 Prozent den Sex im Ausland gekauft."
Dass schwedische Männer ganz gezielt in Ausland fahren, belegen Foren im Internet. Über Berlin heißt es da:
"Geh zum Gangbang-Club, da bezahlst du einmal Eintritt und kannst dann soviel vögeln, wie du schaffst. Die Mädchen sind zwar nicht so engagiert, wie woanders aber egal: Quantität geht über Qualität"
Und über Riga:
"Stimmt es, dass man jeder Frau auf der Straße Geld anbieten kann und dann geht sie mit".
"Vielleicht nicht jede, aber die sind alle so arm, dass sich die meisten darauf einlassen werden."
35 Euro gehen an den Betrieb
Keiner weiß, wie viele Männer zum Sex nach Deutschland reisen, genauso wenig ist bekannt, wie viele Männer regelmäßig die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen oder wie viele Frauen im Sexgewerbe arbeiten. Seröse Zahlen zum Prostitutionsgewerbe gibt es nicht. Seit 2002 in Deutschland das Prostitutionsgesetz liberalisiert wurde, können sich Prostituierte kranken- und rentenversichern und steuerlich registrieren lassen. Bordellbetriebe sind legal, müssen ihr Gewerbe aber anmelden.
Bordellbesitzer: "Wir erwarten von allen hier, dass sie ne Steuernummer haben, wir erwarten, dass sie sich ordentlich um ihre Gesundheit kümmern, wir erwarten, dass beim Sex Kondome benutzt werden, das sind Dinge auf die müssen wir bestehen."
Marc ist Bordellbesitzer und sitzt in einem von drei Zimmern einer Berliner Erdgeschoßwohnung. Ein bisschen Rotlicht, ein bisschen Glitzer, ein bisschen Duftlämpchen - und ganz viel Bett. Draußen in der Wohnküche sitzen drei Frauen auf dem Sofa, die genauso gut im Drogeriemarkt an der Kasse sitzen könnten. Sie haben sich, so sagen sie, für die Prostitution entschieden, weil sie selbstständig arbeiten wollen und sich ihre Zeit frei einteilen möchten.
Sie arbeiten nicht jeden Tag hier, sondern organisieren mit rund zehn Kolleginnen einen Dienstplan. Termine können an der Tür vereinbart werden, die meisten Freier melden sich aber vorab per Mail. 100 Euro kostet die Stunde, 35 Euro zahlen die Frauen an den Betrieb, den Rest behalten sie. Selbstbewusst wirken die drei, aber keine spricht ins Mikrophon. Sie wollen anonym bleiben. Prostituierte, das ist kein Vorzeigejob.
Marc: "Es gibt Leute, die haben ein ganz normales Privatleben, es gibt Leute die haben Partner, andere haben Ehepartner, es gibt Leute, die haben Kinder, die sie ganz normal groß ziehen, es gibt Leute, die sich zum Studium was dazu verdienen, also die gesamte Bandbreite. Jemand, der in einer losen Beziehung ist, der wird das vielleicht nicht so offen kommunizieren, aber die Leute, von denen ich weiß, dass sie in festen Beziehungen sind, da wissen das die Partner auch."
Soll das Einstiegsalter auf 21 Jahre angehoben werden?
Seit 2008 betreibt Marc zwei Bordelle in Berlin, klein und unauffällig, beide sind als Gewerbe angemeldet. Kein spektakulärer Club, kein Flatratebordell, es gibt nicht einmal Alkohol an der Bar. Betrunkene Kunden sind unerwünscht. Kontrollen sind häufig:
Marc: "Also regelmäßig haben wir – so einmal jährlich – Besuch von der Steuerfahndung, die halt gucken, ob Leute hier arbeiten, die steuerlich nicht gemeldet sind, Polizei hatten wir, ich glaube, zweimal da mit einem Riesenaufgebot, ohne jeden begründeten Verdacht, also war auch nichts, aber die haben das Recht dazu, die können das machen, wir haben nichts zu verbergen."
Marc ist Anfang vierzig, er trägt keine Goldkettchen und kein Muskelshirt – ein sportlicher, gepflegter Durchschnittstyp. Erwartungsgemäß ist er gegen eine Verschärfung des deutschen Prostitutionsgesetzes. Würden im Extremfall die Freier bestraft werden, so wie in Schweden, müsste er seinen Betrieb schließen oder in der Illegalität weitermachen. Die Diskussion darum, ob das Mindestalter für Prostituierte von 18 auf 21 Jahren gesetzlich angehoben werden soll, findet Marc nachvollziehbar. Er hält eine gewisse Lebenserfahrung für wichtig in dem Job. Als Gesetz mag er sich so eine Regelung aber nicht vorstellen:
Marc: "Ist eine Person mit 18 Jahren mündig über ihr Sexualleben zu entscheiden oder nicht? Wenn sie das nicht ist, warum darf sei dann wählen gehen, warum darf sie Auto fahren, warum darf sie ne Schusswaffe tragen, warum darf sie Alkohol kaufen, warum darf sie rauchen?"
Nach dem Gespräch geht Marc wieder und lässt die drei Frauen allein arbeiten. Eine vierte kommt aus einem der Zimmer, blonde Locken, Tanga und Strapse, mehr trägt sie nicht. Wie alle anderen ist auch sie eine deutsche Frau.
Jenny und Jonna kommen in Göteborg auf dem Straßenstrich mit den Prostituierten ins Gespräch. Die meisten stammen aus Rumänien, arbeiten für ihre kleinen Kinder und ihre Familien, die sie zurückgelassen haben. Jonna und Jenny haben ihnen Spitznamen gegeben wie "Baby Blue" oder "Manna". Es habe gedauert, bis die Frauen Vertrauen zu ihnen gewonnen haben, erzählen die beiden. Viele blieben aber verschlossen und wollen mit niemandem reden, schon gar nicht mit Journalisten. Sie haben Angst, weil sie von ihren Zuhältern bedroht werden.
Jenny: "Die Mädchen werden dermaßen indoktriniert, dass nur die wenigsten es wagen, gegen ihre Zuhälter auszusagen. Ihr Leben steht auf dem Spiel und das Leben ihrer Familie. Vor ein paar Jahren haben wir einer Frau geholfen, aus der Prostitution auszusteigen. Sie lebt inzwischen in einem anderen Land unter einem anderen Namen. Und nicht mal sie wollte etwas über ihre Zuhälter verraten. Sie haben solche Angst!"
Jonna und Jenny finden, dass das schwedische Gesetz die Frauen nicht vor Menschenhandel und Ausbeutung durch die Zuhälter schützt. Aber es hat trotzdem sein Gutes, meint Jonna:
Jonna: "Das Gesetz hat den Alltag für die Frauen verändert. Sie trauen sich jetzt, Freier auch bei der Polizei anzuzeigen, wenn sie schlecht behandelt werden. Die Kunden wissen das und benehmen sich deshalb anständiger."
Keine hochhackigen Schuhe, kein Glitzerröckchen, keine Kunden
Und auch Jenny ist überzeugt, dass das Gesetz viel Positives für die Frauen gebracht hat.
Jenny: "Absolut! Wir beziehen damit eine klare Position und signalisieren: Es ist nicht in Ordnung, dass man den Körper eines anderen Menschen kaufen kann. Außerdem ist es sehr wichtig, dass die Regierung mit dem Gesetz klar Stellung bezieht und signalisiert: Wir sind gegen Prostitution. Aber was fehlt, ist der zweite Schritt: Wir brauchen mehr Ressourcen, mehr Polizisten, die Sexkäufer verfolgen, Menschenhandel aufdecken und Zuhälter überführen."
In Berlin auf der Kurfürstenstraße steht Katja, 28 Jahre alt, aus Bulgarien. Schwarze Haare, schwarze Bluse, schwarze Hose. Keine hochhackigen Schuhe oder Glitzerröckchen wie andere hier. Sie hatte noch keinen Kunden heute, die Männer fahren langsam mit ihren Autos an ihr vorbei, taxieren sie mit ihren Blicken, fahren weiter.
Katja setzt sich in das Café Neustart, eine Anlaufstelle für Prostituierte auf der Kurfürstenstraße, dem bekanntesten Berliner Straßenstrich. Dem Billigstrich.
Sie erzählt, wie schwer die Arbeit auf der Straße ist und dass sie mindestens 30 Euro nimmt. Fürs Ficken. Gewalttätig sind viele Männer, sie kommen von überall her. Aber sie hat zu wenig Kunden. Das Geld reicht nicht, obwohl Katja nicht trinkt und keine Drogen nimmt.
Es kommen Männer, die sie betrügen und nach dem Sex nur 10 Euro zahlen statt 30 oder 40 wie vereinbart. Eine Freundin wurde von zwei afrikanischen Männern auf dem Parkplatz geschlagen.
"Ich habe immer Angst."
Am besten sind alte, deutsche Männer für Katja. Aber die sind schwer zu kriegen.
"Für mich sind am besten alte Mann deutsche. Aber schwierig."
Häfte der Kunden will Sex ohne Kondom
Katja hat leere Augen, obwohl sie keine Drogen nimmt. Sie sieht viel älter als 28 aus. Seit 5 Jahren arbeitet sie in Deutschland auf dem Straßenstrich, hat aber keine Wohnung, kein Zimmer. Sie schläft mal bei Freunden, mal in einer Pension, mal in einem Internetcafé. Einen Zuhälter hat sie schon lange nicht mehr, sie arbeitet für sich und ihre Familie.
Katja: "Das Geld behalte ich, ich bin alleine, ich habe keinen Chef."
Ihre Zwillinge hat Katja in Bulgarien bei der Oma gelassen Sie sind 12 Jahre alt. Also schickt sie Geld nach Hause.
"50, 60 Euro im Monat. Eine andere Arbeit wäre für mich sehr gut, diese Arbeit einfach scheiße."
Die Hälfte von Katjas potentiellen Kunden auf dem Straßenstrich fragen nach Sex ohne Kondom.
"Ohne Kondome, ohne Kondome. Das ist scheiße."
Katja lehnt das ab. Sie fahren dann weiter, bieten mehr Geld und finden irgendwann eine Frau, die ja sagt.
Im Café quatschen etwa 20 Frauen in den unterschiedlichsten Sprachen und essen die belegten Brote, die hübsch angerichtet auf dem Tisch stehen. Sehr junge Frauen sind darunter, viele sind erschreckend abgemagert, kaum eine sieht gesund aus. Gerhard Schönbohm ist der einzige Mann hier, nur Frauen haben Zutritt. Er leitet das Café seit sieben Jahren, seit zehn Jahren ist er Streetworker auf der Kurfürstenstraße.
Schönbohm: "Als ich hier angefangen habe an der Straße, da war das Thema Drogenabhängigkeit, also Beschaffungsprostitution. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen war heroinabhängig. Und jetzt würde ich schätzen, mindestens 70 Prozent der Frauen kommen aus Osteuropa und die größte Gruppe sind die Frauen aus Ungarn, dann rumänische Frauen und eben auch bulgarische Frauen immer noch."
Familien aus Bulgarien schicken ihre älteste Tochter
Gerhard Schönbohm hat beobachtet, wie die Osteuropäerinnen die Drogenabhängigen peu a peu an den Rand drängen, an eine Ecke am Ende der Straße. Seit der EU-Erweiterung werden es immer mehr.
Schönbohm: "Manchmal werden sie geschickt regelrecht von ihren Familien, dann sind's meistens Roma aus Bulgarien aus irgendeinem Ghetto, wo die Familie dann die älteste Tocher nach Deutschland schickt."
Ob Katja geschickt wurde, ein Schlepper sie hergebracht hat oder sie selbst in den Bus gestiegen ist, das erzählt sie nicht. Aber zu glauben, dass sie freiwillig als Prostituierte arbeitet, das findet Gerhard Schönbohm zynisch.
Schönbohm: "Das ist dann auch eine Form von Nötigung, so ein junges Mädchen ist dann halt verantwortlich dafür, dass ihre Familie in Bulgarien überlebt."
Was ist freiwillig und wo fängt der Zwang an? Was moralisch scheinbar einfach zu beantworten ist, ist juristisch schwierig zu greifen. Freier, die zu Zwangsprostituierten gehen, sollen künftig bestraft werden. Darauf hat sich Regierungskoalition bereits geeinigt. Aber woran erkennt der Freier eine Zwangsprostituierte?
Schönbohm: "Das ist natürlich schwierig immer nachzuweisen, aber letztendlich hat das auch symbolischen Charakter zu sagen, Männer passt auf, du kannst vor dir auch eine Frau haben, die gezwungen wird!"
Was symbolischen Charakter hat, ist juristisch nicht unbedingt greifbar. Zwangsprostitution und Menschenhandel sind strafbar, auch die Prostitution von Minderjährigen und die Zuhälterei. Die Gesetze gibt es, aber es mangelt der Polizei an Beweisen. Sie ist auf die betroffenen Frauen als Zeuginnen angewiesen, aber die Frauen stehen unter Druck und sagen nicht aus. Sachbeweise wie Zahlungsquittungen oder ähnliches gibt es bei diesen Delikten nicht. Im Landeskriminalamt Berlin beschäftigen sich Dezernatsleiter Stephan Strehlow und seine Kollegen mit diesem schwierigen Thema.
Strehlow: "Die Polizei ist nicht in allen Ländern der EU und schon gar nicht in allen Ländern der Welt unbedingt der Vertrauensträger. Wenn ich mich als Ausländerin, wo ich nicht weiß, was passiert, wenn ich mich hier äußere, was passiert mit meinem Aufenthaltsrecht, dann würde ich mich da vielleicht auch zurückhalten."
Polizeiarbeit beschränkt sich auf Passkontrollen und Kontrollbesuche
Frauen, die nicht aus der EU kommen, sollten ein Aufenthaltsrecht bekommen, wenn sie in einem Prozess gegen Menschenhändler aussagen. Damit erhoffen sich diejenigen, die an der Aufklärung dieser Verbrechen arbeiten, Informationen aus erster Hand. Ob diese Forderung ins neue Prostitutionsgesetz einfließt, ist aber zweifelhaft. Nicht einmal die Schweden haben sich bisher dazu durchgerungen. Momentan beschränkt sich die Polizeiarbeit aufgrund der Gesetzeslage im Wesentlichen auf Passkontrollen und Kontrollbesuchen in Bordellen. Und trotzdem gibt es immer wieder Erfolge: manche Frauen wenden sich selbst an die Beamten, weil sie über Dritte gehört haben, dass sie helfen. Andere kommen über Beratungsstellen, mit denen die Polizei zusammenarbeitet. Kriminalhauptkommissar Kai Siemenowski:
Siemenowski: "Und was wir auch haben, und das ist gar nicht zu unterschätzen, das sind Hinweise aus den Herkunftsländern. Dass Tatsache dort die Familie irgendwelche Anhaltspunkte hat, dass irgendwas nicht in Ordnung ist, sich dann dort im Heimatland an die Polizei wendet und die uns das dann mitteilen und wir das überprüfen."
Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind in Deutschland durch das Gesetz theoretisch geschützt. Opfer von Armut nicht.
Katja von der Kurfürstenstraße ist ein Armutsopfer. Gerhard Schönbohm wünscht sich, dass sie und andere Frauen so schnell wie möglich aus der Prostitution herausfinden. Er möchte helfen, aber er kann so gut wie nichts anbieten. Die Frauen müssen Geld verdienen und einen anderen Job hat er nicht für sie. Also werden sie weiter an der Straße stehen und er wird weiter Kaffee und belegte Brötchen anbieten - besser als nichts, viel besser sogar. Ein Verbot des Sexkaufs wie in Schweden befürwortet Schönbohm durchaus, aber in Zusammenhang mit ernst gemeinten Ausstiegshilfen.
"Wenn man wirklich was verändern will in dem Bereich zum Wohle der Frauen, dann muss man Geld in die Hand nehmen."
In der Göteborger Beratungsstelle für Sexarbeiter „Mikamottagningen" sitzt Karin Dahlborg hinter ihrem Schreibtisch. Als der Kauf von Sex vor 15 Jahren in Schweden verboten wurde, sollten gleichzeitig Ausstiegshilfen für die Frauen und Männer in der Prostitution angeboten werden. Karin Dahlborg ist dafür da, die Betroffenen zu beraten, aber konkrete Hilfen zum Ausstieg aus der Prostitution kann sie den Ratsuchenden nicht bieten, kritisiert sie. Denn auch die Schweden nehmen nicht wirklich "Geld in die Hand" zum Wohle der Frauen.
Dahlborg: "Wenn man die Gesetze ändert, sollte man auch gleichzeitig Gelder für die Sozialarbeit zur Verfügung stellen. Beispielsweise um Hilfsangebote für Prostituierte zu finanzieren. Doch das ist nicht geschehen – es gibt zwar Beratungsstellen auf kommunalem Niveau so wie unsere. Aber es gibt keine staatlichen Hilfen, die den Menschen den Ausstieg aus der Prostitution ermöglichen. Das kritisieren wir sehr."
Immerhin, so meint Dahlborg, hat das Gesetz dazu geführt, dass nun die Freier und nicht mehr die Prostituierten im Fokus stehen.
Fabienne Freymadl ist Sexarbeiterin in Berlin, Mitbegründerin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen und arbeitet gerne in dem Geschäft. Sogar sehr gerne. Sie regt sich über Arbeitsbedingungen wie an der Kurfürstenstraße nicht weniger auf als der Streetworker Gerhard Schönbohm, zieht daraus aber ganz andere Schlüsse.
Fabienne: "Die Damen kommen hier her, was in Ordnung ist, sie arbeiten hier, was auch in Ordnung ist, aber sie kennen ihre Rechte nicht, sie kennen die Gepflogenheiten nicht, haben auch oft gar keinen Kontakt. Das wäre natürlich auch für uns als Berufsverband ein Anliegen zu sagen: wir klären euch über eure Rechte auf, auch in eurer Landessprache."
"Die EU muss die Situation in Osteuropa ernst nehmen"
"Information als Einstiegshilfe", damit will der Berufsverband der Sexarbeiterinnen verhindern, dass Zuhälter und Schleuser an den Frauen verdienen und Freier unverschämte Forderungen stellen.
Fabienne: "Wenn ich der Frau sage, du kommst jetzt nach Deutschland, du bist jetzt hier Prostituierte, du musst das jetzt hier machen, aber pass auf, die Polizei, die verhaften dich, dann reden die natürlich nicht mit Polizisten, weil die verstehen das gar nicht, das ist hier legal, die Polizei ist halt einfach die Exekutive und die nimmt mich jetzt nicht fest, nur weil ich Sexarbeiterin bin."
Die Sexarbeiterinnen, die im Berufsverband organisiert sind, kommen – wie Fabienne - aus Domina-Studios, arbeiten auf eigene Kasse in Wohnungsbordellen oder in Clubs und Studios. Es sind selbstbewusste Frauen. Aber keine "Edelprostituierten". Fabienne sitzt auf einem Sessel in ihrer Zweizimmerwohnung, auf dem Schoß ihre Katze, daneben Sofa und Fernseher. Normaler geht es nicht. Zum Arbeiten mietet sie sich in unterschiedliche Studios ein.
Den Frauen aus dem Berufsverband wird immer wieder vorgeworfen, dass sie nicht für die Masse der Prostituierten sprechen.
Fabienne: "Wir hören das oft. Ihr seid die Elite, ihr könnt euch hinstellen, ihr könnt reden, ihr seid Frauen ohne Migrationshintergrund, eingebunden in die Gesellschaft, habt einen akademischen Abschluss vielleicht sogar – ja, wir sind privilegiert, das wissen wir, denn wir können uns outen. Ich habe keine Kinder, ich bin in meinem Freundeskreis und in meiner Familie geoutet, ich schade niemandem mit dem Stigma, das mir immer noch anhaftet als Sexarbeiterin."
Vielleicht hat die Domina Fabienne mit der Straßenprostituierten Katja wirklich nicht viel gemein. Aber wer sonst darf für die Prostituierten sprechen? Nur diejenigen, die sie retten wollen? Im Streit um die Deutungshoheit kommt es zu kuriosen Zusammentreffen: Als Alice Schwarzer in Berlin eine Veranstaltung für die Abschaffung der Prostitution organisiert, demonstrieren Prostituierte vor der Tür, weil sie sich nicht von ihr bevormunden lassen wollen. Als wenig später die schwedische Botschaft zu einer Tagung über den sogenannten "schwedischen Weg" einlädt, findet die unter Polizeischutz statt.
Prostitution wird es vermutlich immer geben - in Deutschland, in Schweden und anderswo, weil es Angebot und Nachfrage gibt.
Dass sich Frauen allerdings aus Armut prostituieren müssen, zumal innerhalb Europas, ist nicht hinnehmbar, findet Jenny aus Göteborg, die ehrenamtliche Streetworkerin.
Jenny: "Die EU muss die Situation in Osteuropa ernst nehmen: Wenn ein Land wie Rumänien auseinanderfällt, muss die EU eingreifen. Dass rumänische Familien ihre Kinder als Prostituierte verkaufen, sagt ja wohl ziemlich viel darüber aus, wie schlimm die Situation dort ist."
Sie macht ihren Rollkoffer mit Kondomen, Gleitmitteln und Tampons wieder zu - bis zum nächsten Mal.
"Wir haben bei dieser Recherche begriffen, dass sich die Prostitution nicht verbieten lässt, weil sie eng verknüpft ist mit der Kluft zwischen den reichen und armen Ländern in Europa und auf der Welt. Es geht darum, die Armut zu bekämpfen. Erst dann haben die Frauen eine Wahl."
Die Journalistin Christine Westerhaus
Die Journalistin Christine Westerhaus ...© privat
Ellen Häring, Redakteurin vom Deutschlandradio Kultur
... und ihre Kollegin Ellen Häring.© Deutschlandradio/Bettina Straub
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