Das geteilte Land

Von Sabine Mahr |
Der Deutsche hat seinen Sachsen, der Kölner seinen Düsseldorfer, der Linksrheiner seinen Rechtsrheiner (oder im letzten Fall umgekehrt), um sich an ihm zu reiben, also tunlichst die Mär zu nähren, er unterscheide sich von dem da, weil… Ja, warum eigentlich? Und vor allem: wie? Zwei Fragen, die dringend einer Beantwortung bedürfen.
Erstes Kapitel oder: Von Hibbe bis Driwwe

Mentalitäten in Rheinland-Pfalz - das ist in dem künstlich geschaffenen Bundesland im Südwesten Deutschlands eine Art Buch mit sieben Siegeln. Immer noch. Und das, obwohl seit seiner 'Geburt' schon fast 60 Jahre vergangen sind. Was macht einen typischen Rheinland-Pfälzer aus? Wie sieht er sich selbst? Fragen, die sich in Abgrenzung zu den 'feindlichen' Bundesländern in der Nachbarschaft am besten unter die Lupe nehmen lassen. Mainz und das hessische Wiesbaden bildet ein rechts- und linksrheinisches Städtepaar, getrennt und verbunden durch den Fluss, ganz ähnlich wie Ludwigshafen und Mannheim. Um dem Geheimnis näher zu kommen, gehen wir auf Spurensuche: Von Hibbe nach dribbe, wie es im Rhein-Main-Gebiet heißt, bzw. von hiwwe und driwwe, wie es die Pfälzer formulieren. Eine Spurensuche mit Hildegard Bachmann, einem Urgestein der Mainzer Fastnacht:

Bachmann: Mainz-Wiesbaden - die haben sich immer gekäppelt. Es ist im Endeffekt Spaß. Und bestimmt auch von den Mainzern ein bisschen Neid.
Mit der Rheingauer Entertainerin Ulrike Neradt:

Neradt: Da trennen uns also doch noch einige große Welten, muss ich sagen. Wir sind halt stolz, dass wir die Toscana von Wiesbaden sind.

Mit Christian Habekost, Wortakrobat aus der linksrheinischen Pfalz

Habekost: Es ist natürlich so, dass man sich ab und zu mal ein bisschen uzt. Man uzt sich: "Geh mal nüber die dummen Pfälzer auf der anderen Seite".

Sowie Hans-Peter Schwöbel, dem Kurpfälzer Kabarettisten aus Mannheim:

Schwöbel: Das Ausmaß an Feindseligkeiten lässt sich nicht vergleichen mit dem Konflikt Köln-Düsseldorf oder auch Mainz-Wiesbaden wahrscheinlich.

Zweites Kapitel oder: Sinnliche Annäherungsversuche

Mainzer und Wiesbadener sehen aus wie -:

Neradt: Ich kann vom Aussehen her einen Mainzer nicht vom Wiesbadener unterscheiden.

Bachmann: Aber ich kann das. Sehr wohl. Bei den Frauen seh' ich das und bei den Männern seh' ich das auch. Die haben einen Mantel an und einen Hut auf, sind gut gekleidet. Es ist halt so: In Mainz wohnen die Bauern und in Wiesbaden wohnen die feinen Leute. Es ist so.

Wiesbaden und Mainz schmecken wie -

Bachmann: Mainz schmeckt wie Handkäs. Handkäs ist ein Käse, der sehr kalorienarm ist. Wir legen ihn z.B. in Essig und Öl ein und der liegt dann ein, zwei Tage und am besten ist, wenn man den in so einem blauen Tontopf da einlegt und in den Keller stellt. Da kann ich nur sagen: jeder, der Handkäs liebt, der liebt auch Mainz.

Neradt: Wiesbaden schmeckt wie Café Maldana. Das ist ein ganz alteingesessenes Café in der Innenstadt und da flaniert man auch, trinkt mittags seinen Kaffee auf der Straße teilweise im Sommer und da isst man auch Nusstörtchen und Spritzgebackenes. Mmmh, ja, Wiesbaden.

Mainz und Wiesbaden riechen wie -.

Bachmann: Mainz riecht für mich wie Rhein. Der Rhein hat für mich immer einen besonderen Geruch gehabt. Also wenn jetzt Sommer ist und Sie gehen unten sind am Dom und dann kommt schon dieser Geruch, dieser Rheingeruch kommt hoch. Das ist so ein Gemisch aus Fäulnis, Diesel, Tang, Fisch, alles so zusammen. Es ist eben ein lebendiger Geruch, der auch darauf hinweist: hier ist Leben.

Neradt: Ja, Wiesbaden ist ja das Rheumabad, da kommen ja die heißen Quellen aus dem Boden.

Bachmann: Und die schmecken ganz, ganz furchtbar. Faulige Eier. Ich wüsst' sofort, was ich trink mit verbundenen Augen. Ich musste als Kind immer da davon trinken.
Mainz und Wiesbaden hören sich an wie-

Bachmann: Mainz hört sich an wie pulsierend, wie Leben. Wie nettes Leben. Nicht so hektisch, mittendrin, einfach lebenswert.

Neradt: Wiesbaden hört sich besonders im August wie das größte Weinfest an, dann kommen die Leute an und man steht zusammen und erzählt und geht an die verschiedenen Weinstände, die längste Weintheke der Welt.

Mainz und Wiesbaden fühlen sich an wie -

Neradt: Wenn man in Wiesbaden in einem Lokal sitzt und es ist ein Tisch frei und es sitzt nur ein Mann dran, dann heißt es "Ach besetzt, gehen wir nicht hin". Wenn /in Mainz/ ein Tisch voll ist, heißt es, "können wir mal einen Stuhl beistellen, dann hocken wir uns dazu".
Bachmann: Also ich denk, ein Mainzer würde nicht mit einem Wiesbadener tauschen. Das denk ich mir ganz bestimmt. Wegen diesem Lebensgefühl. [Wir müssen uns einfach nicht verstellen, wir müssen hier niemand was vormachen, ob wir jetzt Geld haben oder nicht, natürlich gibt's auch solche, aber ]ein Mainzer ist eher gewillt, alles so anzunehmen, wie es kommt. Und ein Wiesbadener, der hat sich ein bisschen festgefahren, der kann nicht so über seinen Schatten springen.

Drittes Kapitel oder: Mainz, wie es lacht, singt und trinkt

Bachmann: Die Mainzer sind katholisch. Der Dom ist das Zentrum. Das ist ganz klar. Und der wird's auch immer bleiben. Das ist einfach beständig, imposant, ewig während. Grad letzt hatte ich eine Besteigung gehabt auf dem Dom oben. Da sieht man alles: die Altstadt, Peterskirche, Christuskirche, sieht man alles, den Rhein vorne.

Neradt: Der schönste Blick auf Wiesbaden ist von der Griechischen Kapelle aus. Da sieht man also die Wahrzeichen von Wiesbaden, die Marktkirche mit ihren spitzen Türmen, den Wasserturm von Biebrich, den Rhein kann nicht so direkt sehen, weil dann wieder Mainz direkt hinten dran kommt.

Mainz und Wiesbaden haben ganz unterschiedliche 'Lebensläufe': Wiesbaden ist protestanisch, preußisch. Die Domstadt Mainz dagegen katholisch und karnevalsbegeistert. Schon zu Zeiten Gutenbergs und dann auch unter Napoleon gilt Mainz als Hochburg der Fastnacht, einer Art Auszeit, während der die Kirche oder später die französische Besatzung gefahrlos kritisiert werden konnten. Auf Außenstehende mag das feuchtfröhliche Massenspektakel an Rosenmontag befremdlich wirken. Aber ein echter Mainzer erzählt mit Vorliebe eigene Fastnachtsanekdoten:

Neradt: Das Größte für uns Rheingauer Kinder war ja früher: Der Mainzer Rosenmontagszug. Mein Gott. Der war Wiesbaden lang, lang nicht so attraktiv wie Mainz.

Bachmann: Ja, der Rosenmontagszug, da muss ich immer dran denken. Ich war vielleicht so 13 und ich erinnere mich noch, ich hatte die erste hochhakige Schuh, diese Pumps. So Absätze haben die gehabt. Draußen hat's geschneit und gestürmt und ich wollte diese Schuh unbedingt auf den Rosenmontagszug /anziehen/. Meine Mutter hat getobt. Ich durfte sie natürlich nicht /anziehen/.

Neradt: Mein Traum war immer Funkenmariechen auf dem Rosenmontagszug. Ich durfte ja nicht mitfahren. Da musst du ja so in einem Verein sein. Kannst ja nicht einfach als Fremder hier auf dem Rosenmontagszug mitlaufen.

Bachmann: Also, ich würde sagen: Die Mainzer selbst sind nicht so ein liebenswürdiges Volk, auch ein bisschen ruppig und sagen halt, was sie denken, aber wenn sie dabei sind, sind sie dabei und haben dann kein Problem mit Fremden oder so.

Die Mainzer lieben's derb, deftig und direkt. Auch beim Lachen und Singen. Gekünstelte Höflichkeit liegt ihnen nicht. So ist es sicher kein Zufall, dass stilisierter Operngesang seine Tradition an den Wiesbadener Maifestspiele hat. Die Mainzer dagegen üben dagegen gerne selbst in der Öffentlichkeit - zumindest an Rosenmontag.

Neradt: In Wiesbaden gibt's so was eigentlich gar nicht, dass wir so eine spezielle Liedkultur jetzt pflegen. Wir singen auch die traditionsreichen Lieder: "Einmal am Rhein", "Hier am Rhein geht die Sonne nicht unter" oder "Kleine Winzerin vom Rhein". Aber eigentlich fehlt uns da jemand, der ein paar Lieder schreibt. Da gucken wir schon mal ganz neidisch nach Mainz, was die da so alles fabrizieren.

Bachmann: Die singen "Am Rosenmontag bin ich geboren". Und "da wackelt der Dom". Und "Ruckizucki". Da wird einfach mitgemacht. Die können auch überall singen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, die singen einfach gern.

Und das am liebsten mit einem Gläschen Wein in der Hand. Sowohl Wiesbaden also auch Mainz verfügen über ein eigenes Anbaugebiet direkt vor der Haustüre: der Rheingau erstreckt sich vom nördlichen Flussufer bis zur Hügellandschaft des Taunus, Rheinhessen dehnt sich südlich davon in die Ebene aus. Die Initiative, Wein im Rheingau anzubauen ging ursprünglich von Mainz aus:

Neradt: Wir Rheingauer fühlen uns fast auch wie Mainzer. Wir hatten ja früher zu Mainz gehört, in jedem Dorf gibt's ein Mainzer Rad im Wappen und [wir waren ein Geschenk vom Kaiser Otto damals an den Bischof von Mainz, glaub ich, oder?

Bachmann: Ach unter Garantie

Neradt: Ja, und die ganzen Kurfürsten, alle haben sie vom Rheingau profitiert. Und damals hieß es, wenn ihr rübergeht auf die andere Rheinseite und dort anfangt zu roden und Wingert zu machen, dann seid ihr freie Bürger. Und deswegen war der Rheingau so beliebt und ist sozusagen die Toscana von Mainz.

Bachmann: Na, ich find's ein bisschen schamlos übertrieben. Ich find das nicht. Die Toscana /die ist/ Rheinhessen, da hinten bei Schwabenheim, da hinten, da fängt das alles an.

Neradt: Na gut, da trennen uns also doch noch einige große Welten, muss ich sagen, wir sind jedenfalls stolz, dann sag ich das halt mal so, die Toscana von Wiesbaden zu sein.

Viertes Kapitel oder: Von heiß und kalt

Das zweite Städtepaar, das als eine Art "Grenzposten" den Rand von Rheinland-Pfalz absteckt, ist rund 100 km flussaufwärts angesiedelt: Mannheim und Ludwigshafen.
Habekost: /Man könnt schon sagen: Ludwigshafen ist die Hälfte von Mannheim. Einwohnermäßig! Ist ungefähr schon so. Mannheim bewegt sich um die 300.000 Einwohner. Bei Ludwigshafen ist es um die 160, 170.000, glaub ich.

Nur 150 Jahre ist Ludwigshafen alt: Ein wahres 'Küken' im Vergleich zu Mannheim, das auf eine immerhin 400-jährige Stadtgeschichte zurückblicken kann. Gebaut wurde Ludwigshafen ursprünglich nur als linksrheinische Befestigungsanlage, als sogenannte Rheinschanze. Dieses Image als "militärischer Wurmfortsatz" von Mannheim hängt den Ludwigshafener heute noch nach.

Schwöbel: Es gibt auch natürlich so ein bisschen ein Überlegenheitsgefühl der Mannheimer gegenüber Ludwigshafen, Ludwigshafen gilt als weniger historisch fundiert, als hässlich, wir haben eine Riesensehnsucht nach der Weinstraße, aber die überspringt immer Ludwigshafen.

Habekost: Also es gibt praktisch eine mehr oder weniger Stadtautobahn, die führt über Ludwigshafen drüber. D.h. die Leute wohnen untendrunter und obendrüber fahren die Leute von Mannheim praktisch an die Weinstraße und müssen nicht durch Ludwigshafen durch. Das ist natürlich ganz bitter für die Ludwigshafener, aber für die, die in Mannheim wohnen, ist es hervorragend.

Eigentlich hätte die große chemische Fabrik der Region rechtsrheinisch erbaut werden sollen. Damals, Mitte des 18. Jahrhunderts. Doch die Mannheimer delegierten das Werk nach Ludwigshafen, weil sie eine zu große Geruchsbelästigung befürchteten. Zu Recht, wie sich herausstellen sollte. Allerdings hatten sie einen entscheidenden Faktor nicht einberechnet:

Habekost: Ludwigshafen riecht, wenn Westwind ist, also der Wind von Westen gereinigt durch den Pfälzer Wald daherkommt, gut. Weil dann weht nämlich der ganze Gestank von der Anilin, die in Ludwigshafen ansässig ist, nüber nach Mannheim. Aber andersherum, wenn Ostwind ist, riecht Ludwigshafen nicht so gut.

Schwöbel: Mannheim hat nach Kohlen gerochen. Aber das ist nicht mehr.
Wir haben früher eine gemeinsame Kuppel gehabt. Also obwohl diese Städte auf eine eigentümliche Weise getrennt sind, ist auch vieles gemeinsam. Wir haben gleich gestunken. [Lacher] Mannheim und Ludwigshafen haben gleich gestunken. Und dieser Gestank hat etwas nachgelassen.


Überhaupt zieht Ludwigshafen im direkten Vergleich oft den Kürzeren. Mannheim ist schon allein vom Stadtbild her heller, offener, nobler, mondäner.

Schwöbel: Mir ist keiner über den Weg gelaufen, der gesagt hat, er wohnt lieber in Ludwigshafen. Ludwigshafen selbst, das ist dermaßen ein Fortsatz der BASF und ist dermaßen ein beengtes Gebiet auch und von Straßen zugequetschtes Gebiet, dass da nur Menschen leben, die da leben müssen.

Habekost: Natürlich tut es den Ludwigshafenern schon weh, die da wohnen, wenn sie hören: Ach, da will eigentlich keiner wohnen. Man darf nicht ganz so hart sein. Auch in Ludwigshafen gibt's z.B. der Hemshof ist ein wunderschön gewachsener Stadtteil mit hohem Ausländeranteil, auch im Sommer, da geht's unheimlich ab, da kommste dir vor wie am Mittelmeer.

Mit einem Ausländeranteil von rund 20% wirken beide Städte ohnehin bunt und multinational. Der Typus des durchschnittlichen Mannheimer oder Ludwigshafener lässt sich schwer ausmachen. Nur an Fastnacht scheinen die Alteingesessen noch 'geballt' aufzutreten.

Habekost: Der Fastnachtszug, der jedes Jahr an Karnevalssonntag stattfindet bei uns hier, ist einer der wenigen Dinge, die grenzübergreifend, als rheinübergreifend, zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, zwischen Mannheim und Ludwigshafen funktionieren. Also der ist in einem Jahr in Mannheim und im nächsten Jahr ist er in Ludwigshafen. Und wenn er in Ludwigshafen ist, ziehen die ganzen Mannheimer Narren und die ganzen Mannheimer Karnevalsvereine rüber, da gibt's ja unheimlich viele Eitelkeiten und was weiß ich, aber das funktioniert....

Schwöbel: Und die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse zwischen den Städten können Sie auch dadraus sehen, dass, wenn der Fastnachtszug in Mannheim läuft, immer die Sonne scheint, und im nächsten Jahr in Ludwigshafen es immer regnet.

Habekost: Zwischen "heeß" und "kalt", zwischen "driwwe" und "niwwe" geht's andauernd hin und her.

Fünftes Kapitel oder: Von Jean und Alla

Habekost: ...[gesungen] "So ein guter Pfalzwein, der läuft einem in den Hals rein"

Schwöbel: Bei den Liedern links des Rheins steht eher der Wein im Mittelpunkt, während die Mannheimer Lieder eher die bürgerlich-proletarische Frechheit besingen. "Ich bin ein echter Mannheimer Bub, der stärkste von der Gasse, wir sind ne edle Rass".

Habekost: Es reimt sich halt. Nicht gleich wieder denken.

Schwöbel : /Wir sind ne Rass, wir sind ne edle Sort. So ist das gemeint.

Doch nicht immer bildet der Rhein die entscheidende Grenze.

Habekost: In Mannheim gibt es so Unterschiede, nördlich des Neckars sagt man zu dem Rhein "Rhei" und südlich sagt man zum Rhein "Rhoi". Und pass aber auf, dass du nicht noifällst, das ist ganz wichtig, so wirste nass!
Schwöbel: /Man könnte sagen, dass das Ludwigshafenerisch und das Mannheimerisch z.B. sehr viel mehr ähneln, als das Mannheimerische mit einem kleinen Ort in der Nähe von Mannheim.

Pfälzisch ist ein rheinfränkischer Dialekt, genau wie rheinhessisch und rheingauerisch. Der französische Einfluss, prägend bei all diesen Mundarten, hat sich aber in der Stadt viel mehr abgeschliffen als auf dem Land.

Habekost: Je tiefer man neinkommt in so Dörfer in der linksrheinischen Pfalz und auch mit älteren Leut sich noch unterhält, /desto mehr findet man noch Leute, die einen großen französischen Wortschatz haben.

Schwöbel: Das Linksrheinische ist noch etwas mehr als das Rechtsrheinische von den Franzosen geprägt.

Habekost: Es gibt noch viele französische Wörter in unserem Dialekt: "Bobbe chaise", also für Kinderwagen, "trottoir" für Gehweg.

Schwöbel: Bis hin zu Beispiel der Namensgebung. Früher war linksrheinisch ein häufiger Männername "Jean". Den hat's rechtsrheinisch eigentlich kaum gegeben.

Habekost: Also wenn du in die Pfalz nüberfährst, da findest du Dörfer, richtige Weiler, do scheint die Zeit ab und zu stehengeblieben zu sein. Und da findste dann auch den typischen Pfälzer, der vor seinem Sandsteinhaus hockt mit nem dicken Bauch und seinen halben Liter Wein trinkt, net, weil das ist ja auch schon ein Ding, wenn man den Wein aus einem halbliter Glas trinkt, also das würde ich eher als Unterschied feststellen, aber zwischen Mannheim und Ludwigshafen direkt nicht.

Liegt die Grenze nun bei Stadt und Land oder Fluss? Doch es gibt auch noch andere Methoden der Wahrheitsfindung:

Schwöbel: Meine Testfrage ist immer: "Sagt ihr 'Alla', sagt ihr "her" und solange diese Worte noch fallen, fühle ich mich ganz im engeren Kreis meiner Heimat. "Her" ist ein Anruf "hör zu". Also wir reden sehr gerne und wir fordern gern dazu auf, dass man uns zuhört: "Her, here mal, ich will dir mal was sagen". Und "alla" ist ein Wort, was aus französischer Wurzel gewachsen ist und das hat nix mit dem arabischen Wort für Gott zu tun, sondern das bedeutet so viel wie "also, etwa". Also, so eine Art Zustimmungsaufruf. Und solange das gesprochen wird, ist mir wurscht, ob das links oder rechts liegt.

Sechstes Kapitel oder: Die unfreiwillige Trennung durch die Geschichte

Habekost: Wir sind getrennte Menschen. Also vor 200 Jahren wurden wir getrennt, beim Wiener Kongress wurde praktisch die rechtsrheinische Pfalz den Gelbfüßlern, den Badensern zugeschlagen, die linksrheinische Pfalz wurde bayrisch und das sind alles geschichtliche Sachen, die haben wir noch heutzutage zu verarbeiten.

Bis zum Wiener Kongress im Jahr 1815 waren sie als Einheit aufgetreten - als Kurpfalz, [ ein Begriff, der nur keine politische Relevanz mehr hat, vielmehr eine imaginäre historische Linie darstellt.]Ist Ludwigshafen und Mannheim also eine getrennte Stadt? Die Pfalz links- und rechts des Rheins ein getrenntes Land?

Schwöbel: Eine größere Gefahr als irgendwelche Differenzen oder Feindschaften geht vom Gedächtnisverlust aus. Dass die Leute gar nicht mehr wissen, was wo ist. Beispielsweise ist die Zahl derer immer größer, die glaubt, rechts des Rheins sei keine Pfalz. Das hat sich so langsam durchgesetzt. Mit Müh und Not kriegen sie noch Kurpfalz zusammen und dann glauben sie, Kurpfalz sei nur rechts des Rheins. Das ist alles falsch.

Die Hoffnung, nach dem 2. Weltkrieg würde die Kurpfalz wiedervereinigt, erfüllt sich nicht. Im Gegenteil. Die teils recht willkürlich gezogenen Grenzen der Bundesländer erweisen sich bis heute als Hürde. So gehen die Tagenszeitungen "Mannheimer Morgen" und "die Rheinpfalz".

Schwöbel: Ich leide unter der Trennung. Ich finde es schlecht. Und ich zürne den Medien, dass sie nicht mehr Mühe geben, diese Trennung zu überwinden. Also eine z.B. rheinüberschreitende Tageszeitung, die wirklich Kraft hätte, die würde die Situation massiv verändern. Aber die haben wir nicht.

Rheinüberschreitend ist aber offensichtlich die Aufmerksamkeit um die Präsenz amerikanischer Truppen - auf beiden Seiten des Flusses.

Schwöbel: Die Amerikaner, die waren nach dem Krieg enorm präsent in dieser Region und sind nach wie vor sichtbar. Die haben sehr konkrete Spuren hinterlassen, z.B. meine Frau ist das, was man in unserer Gegend ein Amibankert nennt. Ein Bankert? Das ist der auf der Bank gezeugte. "Die ist ein Amibankert!" Das heißt, ihr Vater war ein Amerikaner.

Habekost: Die haben nicht nur ihre Spuren hinterlassen, sondern sie hinterlassen sie täglich, stündlich sogar, in der Luft über uns durch Tiefflieger, die schon manchem Kind den Schlaf geraubt haben in der Vorderpfalz. Auch in Mannheim gibt es sehr viel stationierte Amerikaner, in Heidelberg haben sie inzwischen ihr Hauptquartier. dann zieht sich das rüber bis in den Pfälzer Wald. Da haben sie Ramstein, das ist bekannt, ein riesiges Gebiet, wo man kilometerlang nur an grünen Zäunen, vermauerten Zäune lang ährt, also die haben die Pfalz und die Kurpfalz ganz schön im Griff.

Auch in Mainz und Wiesbaden, 100 km flussabwärts, gehören oder gehörten amerikanischen Soldaten zum Stadtbild.

Bachmann: Früher war das massiv, das war in Gonsenheim und da draußen bei uns, wo ich da wohne, waren die massiv vorhanden, die Amis. Die sind alle jetzt weg, das muss man dazu sagen. Weil die sind früher immer mit ihren Panzern durch unser Dörfchen gefahren, für uns war das schlimm, aber es ist jetzt nix Negatives hängen eblieben. Sie sind weg und ist okay so.
Neradt: In Wiesbaden leben natürlich noch sehr viele Amerikaner durch die Besetzung, auch Schwarze natürlich, das sieht man auch, dass das Amerikaner sind, die haben sich aber in ihr eigenes Gebiet auch zurückgezogen, die haben ein eigenes Wohngebiet. Die Amerikaner leben schon etwas isolierter als die Türken oder die anderen Europäer.

Bewusst hatten Amerikaner opulente Jugendstilstadt Wiesbaden mit Bombenangriffen verschont, um sie nach dem Krieg als Hauptquartier nutzen zu können. Die Industriestadt Mainz dagegen wurde von den Alliierten zu 80% zerstört.

Bachmann: Wiesbaden, das muss man sagen, ist eine sehr schöne Stadt. Ganz tolle Häuser, die Architektur ist einmalig - und es ist ja im Krieg stehen geblieben, es ist ja nicht viel kaputt gemacht worden. Während in Mainz alles niedergemacht worden ist.

Auch im Rhein-Main-Gebiet hatte die Aufteilung der Kriegsmächte eine getrennte Stadt hinterlassen: Rigoros galt der Rhein damals als Grenze. Drei rechtsrheinische Ortschaften rund um den rechtsrheinischen Brückenkopf wurden der hessischen Seite zugesprochen. Ein Plan, der lange Zeit auf Widerstand in der Bevölkerung gestoßen war.

Neradt: Mainz-Amöneburg, Mainz-Kastel, Mainz-Kostheim liegen ja auf der rechten Rheinseite, also auf der hessischen Rheinseite, obwohl es Mainz-Kastel heißt und Mainz-Kostheim, gehört' s zu Wiesbaden.

Bachmann: Diese AKK-Sache ist halt, das war halt früher Mainz gehörig und nach dem Krieg mit der Besatzung alles ist das dann rüber nach Wiesbaden und ich habe aber keine Ahnung, ob das jemals wieder zu Rheinland-Pfalz gehören wird oder nicht, das weiß ich nicht.

Neradt: Und das ist ein Dorn im Auge, es ist leider so ein bisschen Niemandsland, sie wollen gern wieder nach Mainz zurück, liegen aber auf der falschen Seite leider. Man hat ihnen sozusagen den Boden weggezogen. Und jetzt heißen sie Mainz-Kastel, sind aber Wiesbadener. Ist doch furchtbar.

Bachmann: Furchtbar.

Neradt: Furchtbar.

Die politischen Erfolgsaussichten, die getrennten Städte, die geteilten Länder wieder zu vereinen, sind eher gering. Aber vielleicht geht es darum ja gar nicht.

Bachmann: Mainz-Wiesbaden, das ist ja alles auf der lustigen Ebene und wenn es jetzt diese Querelen nicht gäb, dann hätten wir ja gar nix zum Lachen. Eigentlich hab ich überhaupt nie so was Negatives in Wiesbaden erlebt.

Schwöbel: Die Feindseligkeiten sind ganz gering. Wir lassen unsere ganze Wut an den Schwaben aus, das ist wunderbar, da entwickeln wir enorme Energien und zwischen uns haben wir eigentlich gar nix.

Siebtes Kapitel oder: Von der Bedeutung des Bindestrichs

Ein zweiter Blick auf Mentalitäten und Identitäten zeigt: Der Rhein ist nicht die entscheidende Grenze zwischen Mannheim und Ludwigshafen, zwischen Wiesbaden und Mainz.

Schwöbel: Die Trennung zu den Schwaben empfinden wir als natürlich, aber die Trennung durch den Rhein empfinden wir als schmerzlich.

Habekost: Natürlich, der Rhein ist ne massive Trennung, obwohl ich sag immer: der Rhein ist ein Fluss, den man überqueren sollte und zwar so oft wie möglich.

Neradt: Der Rhein teilt nicht. Der verbindet. Der Rhein teilt ja nur Hessen und Rheinhessen.

Bachmann: Ich würde auf jeden Fall einfach sagen: Der Rhein ist einfach verbindend. Das kann man gar nicht als Grenze sehen. In keinster Weise.

Der Suche nach den unterschiedlichen Typen von Rheinland-Pfälzern und ihren Nachbarn nicht nur zum Ufer Grenzfluss. Sondern auch zum Bindestrich ´zwischen Rheinland und Pfalz.

Habekost: Rheinland-Pfalz hat einen Bindestrich. Hessen hat keinen Bindestrich, Berlin, Brandenburg hat keinen Bindestrich. Überall da, wo ein Bindestrich bei ist, ist was Künstliches geschaffen worden. Und die Identität von so einem künstlichen Gebilde vorzurufen, das ist schon ziemlich schwer. Ich fühl mich nicht als Rheinland-Pfälzer, ich fühl mich als Kurpfälzer.

Schwöbel: Ich würde nie sagen, ich bin Baden-Württemberger. Ist ein ganz künstliches Wort. Ich bin Kurpfälzer.

Neradt: Ich fühl mich als Mainzerin. Ich bin ne Rheingauerin, ich lebe in Hessen, aber mein Lebensgefühl ist Mainzerisch.

Bachmann: Ich persönlich, ich fühle mich /nicht/ als Rheinland-Pfälzer. Ich fühle mich halt als Mainzer. Ist ja ganz klar.