Das glamouröseste Geschwisterpaar der Weimarer Republik
Eleonora und Francesco von Mendelssohn waren im Berlin der 20er-Jahre wegen ihrer Extravaganz und ihrer Freundschaften und Affären mit den Großen jener Zeit stadtbekannt. Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten bedeutete für das Geschwisterpaar das Ende eines sorgenfreien Lebens: Die Emigration in die USA erwies sich als Sackgasse. Thomas Blubacher hat in "Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht?" die Lebensgeschichten der Geschwister zusammengefasst.
Thomas Blubacher, Theaterwissenschaftler und Regisseur, hat sich fast neun Jahre mit der Rekonstruktion der Doppel-Biografie beschäftigt.
"Angefangen wirklich bei nur ganz marginalen und ganz punktuellen Fakten über diese Geschwister, bin ich dann im Lauf der Recherche auf so viel überraschendes Material gestoßen, dass mir das passiert ist, was ich am Anfang gar nicht geglaubt hätte, dass es nämlich nachher gar nicht leicht war, aus der Fülle dieses Materials auszuwählen, was nun tatsächlich nötig ist, um das Leben dieser Geschwister zu beschreiben."
Thomas Blubacher hatte das Glück, hoch betagte Zeitgenossen der glamourösen Geschwister noch ausfragen zu können. So entstand ein äußerst buntes Mosaik, in dem sich die ersten zwei Drittel des vergangenen Jahrhunderts spiegeln. Thomas Blubacher erzählt zwei Lebensgeschichten parallel: Eleonora und Francesco von Mendelssohn gehörten zur großbürgerlichen Oberschicht Berlins. Ihr Vater war zusammen mit seinem Bruder Franz Chef des Privat-Bankhauses Mendelssohn und Compagnie, seit den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts an der feinen Adresse Jägerstraße zu Berlin-Mitte. Dort wohnten die evangelisch getauften Abkommen des Moses Mendelssohn auch. Eleonora und Francesco wurden im Januar 1900 und im September 1901 im Hause Jägerstraße 51 geboren. Später wohnte man in Grunewald. Thomas Blubacher:
"Der 1917 gestorbene Vater der Geschwister Mendelssohn, Robert von Mendelssohn, war nun einer der bekanntesten Bankiers der Stadt, der sich auch mäzenatisch hervorgetan hat, und man kannte sich gerade in der damals noch selbständigen Landgemeinde Grunewald, da hat nun ohnehin fast jeder gewohnt, der Rang und Namen hatte, und man hatte es nicht weit zueinander und pflegte regen gesellschaftlichen Austausch."
Vater Robert war ein hoch begabter Amateur-Cellist, die aus Italien stammende Mutter Guiletta spielte virtuos auf dem Klavier. Patentante von Eleonora von Mendelssohn war die italienische Schauspielerin Eleonora Duse.
"Die regelmäßige Anwesenheit der Duse zum Beispiel hat auch tatsächlich Prominente wie Rainer Maria Rilke dazu gebracht, dass sie den Kontakt mit der Familie Mendelssohn gesucht haben, um die Duse kennen zu lernen. Walter Rathenau war ein enger Freund der Familie, Alfred Kerr hat da regelmäßig verkehrt, Max Reinhardt gehörte zum engeren Bekanntenkreis."
Ab und zu kam auch Kaiser Wilhelm Zwo vorbei. Da wundert es, dass die beiden Kinder des Hauses, Eleonora und Francesco, heute kaum mehr bekannt sind. Detailverliebt und manchmal etwas verklatscht berichtet Thomas Blubacher von Abendgesellschaften und Frühstückszusammenkünften, von Hauskonzerten und glanzvollen Theater-Galas. Es liest sich heutzutage etwas bizarr, wenn von den Herrenabenden des begabten Cellisten und Theaterregisseurs Francesco in der Grunewaldvilla die Rede ist.
"Das, was uns heute ungewöhnlich scheint, war damals ganz normal, dass sich eben Mitglieder aus Hochfinanz und Diplomatie und berühmte Künstler gemeinsam auf irgendwelchen Festen tummelten, wo auch Jungs waren, die der Francesco ... in irgendwelchen zwielichtigen Bars oder beim Sechstagerennen oder wo auch immer aufgelesen hatte. Also das, was uns heute befremdet, nämlich diese völlige Durchmischung unterschiedlichster Milieus, war damals völlig normal, und zwar offenbar auch für die hochrangigen Gäste aus Adel und Diplomatie."
Jedenfalls im Hause Mendelssohn. War man dort eingeladen, nahm man gern die Extravaganz des jungen homosexuellen Hausherrn in Kauf. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 erkannten Eleonora und Francesco von Mendelssohn rasch, dass sie nicht im Lande bleiben konnten, auch wenn sie mit dem evangelischen Gesangbuch groß geworden waren. "Man kann nicht Mendelssohn heißen und sich nicht auf die jüdische Seite stellen", war die Devise. Beide wählten das Exil. Die Geschwister, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu einiger Berühmtheit gekommen waren, konnten im Exil nicht oder nur marginal Fuß fassen. Eleonora von Mendelssohn starb im Januar 1951 von eigener Hand, Francesco im September 1972 nach einer Krebsoperation.
"Man hat Francesco von Mendelssohn als Musiker von Beginn an daran gemessen, dass er diesen berühmten Namen trägt, Felix Mendelssohns-Bartholdys, und man hat natürlich ihm, wie auch seiner Schwester, immer wieder vorgeworfen, bei ... dem finanziellen Background, den sie hätten, hätten sie es doch gar nicht nötig, künstlerisch tätig zu sein. Und man hat, selbst als Eleonora wirklich eine avancierte Schauspielerin mit respektablen künstlerischen Erfolgen war, gern immer wieder hämisch darauf hingewiesen, man müsse ihre Leistungen doch eigentlich im Börsenteil der Zeitung, nicht im Feuilleton besprechen."
Thomas Blubacher ermöglicht mit der Präsentation der Lebensgeschichten der schönen und begabten Mendelssohn-Nachfahren einen Blick auf die bunte Palette ihrer Lebensentwürfe, die durch Rassenwahn zunichte gemacht wurden. Das Scheitern der Mendelssohn-Kinder im Exil ist typisch für so viele Biografien ihrer Zeitgenossen: Sie waren wie Schnittblumen. Ihrer Wurzeln beraubt, verdorrten sie.
Rezensiert von Jens Brüning
Thomas Blubacher: Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht? Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn
Henschel-Verlag Berlin 2008
448 Seiten, 29,90 Euro
"Angefangen wirklich bei nur ganz marginalen und ganz punktuellen Fakten über diese Geschwister, bin ich dann im Lauf der Recherche auf so viel überraschendes Material gestoßen, dass mir das passiert ist, was ich am Anfang gar nicht geglaubt hätte, dass es nämlich nachher gar nicht leicht war, aus der Fülle dieses Materials auszuwählen, was nun tatsächlich nötig ist, um das Leben dieser Geschwister zu beschreiben."
Thomas Blubacher hatte das Glück, hoch betagte Zeitgenossen der glamourösen Geschwister noch ausfragen zu können. So entstand ein äußerst buntes Mosaik, in dem sich die ersten zwei Drittel des vergangenen Jahrhunderts spiegeln. Thomas Blubacher erzählt zwei Lebensgeschichten parallel: Eleonora und Francesco von Mendelssohn gehörten zur großbürgerlichen Oberschicht Berlins. Ihr Vater war zusammen mit seinem Bruder Franz Chef des Privat-Bankhauses Mendelssohn und Compagnie, seit den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts an der feinen Adresse Jägerstraße zu Berlin-Mitte. Dort wohnten die evangelisch getauften Abkommen des Moses Mendelssohn auch. Eleonora und Francesco wurden im Januar 1900 und im September 1901 im Hause Jägerstraße 51 geboren. Später wohnte man in Grunewald. Thomas Blubacher:
"Der 1917 gestorbene Vater der Geschwister Mendelssohn, Robert von Mendelssohn, war nun einer der bekanntesten Bankiers der Stadt, der sich auch mäzenatisch hervorgetan hat, und man kannte sich gerade in der damals noch selbständigen Landgemeinde Grunewald, da hat nun ohnehin fast jeder gewohnt, der Rang und Namen hatte, und man hatte es nicht weit zueinander und pflegte regen gesellschaftlichen Austausch."
Vater Robert war ein hoch begabter Amateur-Cellist, die aus Italien stammende Mutter Guiletta spielte virtuos auf dem Klavier. Patentante von Eleonora von Mendelssohn war die italienische Schauspielerin Eleonora Duse.
"Die regelmäßige Anwesenheit der Duse zum Beispiel hat auch tatsächlich Prominente wie Rainer Maria Rilke dazu gebracht, dass sie den Kontakt mit der Familie Mendelssohn gesucht haben, um die Duse kennen zu lernen. Walter Rathenau war ein enger Freund der Familie, Alfred Kerr hat da regelmäßig verkehrt, Max Reinhardt gehörte zum engeren Bekanntenkreis."
Ab und zu kam auch Kaiser Wilhelm Zwo vorbei. Da wundert es, dass die beiden Kinder des Hauses, Eleonora und Francesco, heute kaum mehr bekannt sind. Detailverliebt und manchmal etwas verklatscht berichtet Thomas Blubacher von Abendgesellschaften und Frühstückszusammenkünften, von Hauskonzerten und glanzvollen Theater-Galas. Es liest sich heutzutage etwas bizarr, wenn von den Herrenabenden des begabten Cellisten und Theaterregisseurs Francesco in der Grunewaldvilla die Rede ist.
"Das, was uns heute ungewöhnlich scheint, war damals ganz normal, dass sich eben Mitglieder aus Hochfinanz und Diplomatie und berühmte Künstler gemeinsam auf irgendwelchen Festen tummelten, wo auch Jungs waren, die der Francesco ... in irgendwelchen zwielichtigen Bars oder beim Sechstagerennen oder wo auch immer aufgelesen hatte. Also das, was uns heute befremdet, nämlich diese völlige Durchmischung unterschiedlichster Milieus, war damals völlig normal, und zwar offenbar auch für die hochrangigen Gäste aus Adel und Diplomatie."
Jedenfalls im Hause Mendelssohn. War man dort eingeladen, nahm man gern die Extravaganz des jungen homosexuellen Hausherrn in Kauf. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 erkannten Eleonora und Francesco von Mendelssohn rasch, dass sie nicht im Lande bleiben konnten, auch wenn sie mit dem evangelischen Gesangbuch groß geworden waren. "Man kann nicht Mendelssohn heißen und sich nicht auf die jüdische Seite stellen", war die Devise. Beide wählten das Exil. Die Geschwister, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu einiger Berühmtheit gekommen waren, konnten im Exil nicht oder nur marginal Fuß fassen. Eleonora von Mendelssohn starb im Januar 1951 von eigener Hand, Francesco im September 1972 nach einer Krebsoperation.
"Man hat Francesco von Mendelssohn als Musiker von Beginn an daran gemessen, dass er diesen berühmten Namen trägt, Felix Mendelssohns-Bartholdys, und man hat natürlich ihm, wie auch seiner Schwester, immer wieder vorgeworfen, bei ... dem finanziellen Background, den sie hätten, hätten sie es doch gar nicht nötig, künstlerisch tätig zu sein. Und man hat, selbst als Eleonora wirklich eine avancierte Schauspielerin mit respektablen künstlerischen Erfolgen war, gern immer wieder hämisch darauf hingewiesen, man müsse ihre Leistungen doch eigentlich im Börsenteil der Zeitung, nicht im Feuilleton besprechen."
Thomas Blubacher ermöglicht mit der Präsentation der Lebensgeschichten der schönen und begabten Mendelssohn-Nachfahren einen Blick auf die bunte Palette ihrer Lebensentwürfe, die durch Rassenwahn zunichte gemacht wurden. Das Scheitern der Mendelssohn-Kinder im Exil ist typisch für so viele Biografien ihrer Zeitgenossen: Sie waren wie Schnittblumen. Ihrer Wurzeln beraubt, verdorrten sie.
Rezensiert von Jens Brüning
Thomas Blubacher: Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht? Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn
Henschel-Verlag Berlin 2008
448 Seiten, 29,90 Euro