Autor: Adolf Stock
Es sprechen: Frank Arnold, Thomas Holländer und Eva Kryll
Ton: Lutz Pahl
Regie: Beatrix Ackers
Redaktion: Peter Kirsten
Wie ein Architekt das Markenzeichen Bauhaus erfand
29:09 Minuten
Auch 100 Jahre nach seiner Gründung durch Walter Gropius ist das Bauhaus weltweit bekannt. Der Architekt selbst ist daran alles andere als unbeteiligt: Er stilisierte es nach seinem Weggang im Jahr 1928 gezielt zu einer universellen Bewegung.
Zwölf Jahre nach der Wende fuhr der Berliner Architekturkritiker Rudolf Stegers zu einer Tagung in das Bauhaus nach Dessau.
"Ich war mit Architekten da", erzählt er, "und wir saßen unten in der Cafeteria und plötzlich fingen wir alle an über dieses Gebäude herzuziehen und es schlecht zu machen. Es ging mir auch so, man guckt dann plötzlich auf Details, wann man irgendwie auf den Kaffee wartet, und ich dachte mein Gott, es ist irgendwie nicht gut, und überall hatte ich das Gefühl, Mensch diese Kante muss schärfer sein, warum ist diese Ecke da irgendwie noch drin, warum steht da was vor, und, und, und, warum schließt das nicht bündig ab?
Und dann gingen wir noch um das ganze Gebäude einmal rum, wie man das so tut, wenn man es kennenlernen will, und da gab es dann noch mal so eine ganze Seite, wo ich dachte, mein Gott, dieser ganze Anbau, der muss einfach wegentworfen werden. Also ich hatte so ein Erlebnis, dass ich am Ende mich fragte: Warum wird das so wertgeschätzt? Ist das ein mediales Ereignis?"
Kratzen an einem weltweiten Mythos
Rudolf Stegers kratzt am Bauhaus-Mythos. Woher kommt die weltweite Wertschätzung der Bauhaus-Produkte, und woher kommt das emphatische Lob oder die vernichtende Kritik für ein paar Flachdachhäuser und ein paar Designobjekte, die aus der Werkstatt einer Kunstgewerbeschule stammen, die zunächst in Weimar und dann später in Dessau nur ein paar hundert Studenten hatte?
Und was ist mit Walter Gropius, der im Frühjahr 1919 das Bauhaus in der kleinen Residenzstadt Weimar gegründet hatte? Wolfgang Voigt vom Deutschen Architektur Museum in Frankfurt am Main versucht eine erste Antwort:
"Ich denke, was das Bauhaus tatsächlich erreicht hat und was der Mythos ist, das Bauhaus hat es geschafft, durch sein Nachleben eigentlich mehr als durch sein Leben, das zu werden, was die Ecole des Beaux-Arts im 19. Jahrhundert war. Die Schule, die einer Epoche den Stempel aufdrückt, die mit der Epoche identifiziert wird, und das ist ganz enorm, für dieses kleine Institut."
Der Erfolg ist vor allem dem genialen Kommunikator Walter Gropius zu verdanken, ein großes Talent, das darüber hinaus in ein turbulentes Jahrhunderts geraten war, sagt Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus-Archivs:
"Er muss eine unglaubliche Befähigung zum Diplomatischen gehabt haben, das erzählen alle Leute, die mit Gropius näher zu tun gehabt haben, erzählen einem wirklich mit einem Leuchten in den Augen von dieser Person, was mich immer erschrocken hat. Ich habe immer gedacht, du meine Güte, was machen die hier eigentlich für einen Personenkult. Aber es muss an diesem Mann etwas dran gewesen sein, was gezündet, was begeistert hat, was die Jugend angesteckt hat und was auch innerhalb des Bauhauses alle diese großen Namen Kandinsky, Klee, Schlemmer, Feininger und so weiter, und die Gropius dann alle dann doch zusammenschweißen konnte. Darauf hat er einen unglaublichen Teil seiner Kraft und seiner Arbeitszeit hineingegeben, ansonsten wäre das Bauhaus schon Jahre vorher einfach auseinandergefallen."
Ein Architektensohn wird selbst Architekt
Walter Gropius wurde am 18. Mai 1883 in Berlin geboren. Sein Vater war Architekt bei der Berliner Baupolizei und Gropius wusste von Anfang an, dass auch er später Architekt sein würde. Gropius studiert in München und Berlin. Er bricht sein Studium ab und geht auf Reisen. Doch er macht keine Grande Tour, fährt nicht nach Florenz, Rom oder Athen, sondern fährt nach Spanien.
"Das heißt", sagt Annemarie Jaeggi, "vorbildlich Kunst sammeln, mehr als das, Architektur, Städteplanung, Bildung, künstlerische Bildung, Ausstellungen, die man durch Deutschland touren lässt, ein eigenes Museum, was nur zur Fortbildung der Öffentlichkeit dient, und in dieses Umfeld gerät jetzt Gropius hinein und damit auch in den Deutschen Werkbund, weil Osthaus einer der Initiatoren und Gründungsfiguren des Deutschen Werkbundes ist."
Ernst Osthaus vermittelt Gropius in das Büro von Peter Behrens, dem Pionier des modernen Industriebaus. Seine Turbinenhalle für die Berliner AEG war das erste sichtbare Zeichen einer neuen rationalen und doch künstlerischen Architekturauffassung. Und nicht nur das, Behrens, der von Haus aus Maler war, wird zum künstlerischen Berater der AEG, zum Chef-Designer eines Weltkonzerns, der vom Briefpapier, über die Produktgestaltung bis hin zur Fabrikhalle für das einheitliche Erscheinungsbild der AEG zuständig ist.
Ein Stahlbetonbau als Meisterstück
1910 macht sich Gropius selbständig. Mit den Fagus-Werken in Alfeld an der Leine lieferte er schon bald sein eigenes Meisterstück, einen Stahlbetonbau mit vorgehängter Glasfassade, der in wesentlichen Zügen schon an das spätere Bauhaus erinnert.
1910 hatte sich Walter Gropius in Alma, in die Frau des Wiener Komponisten Gustav Mahler verliebt. Es wurde ein wild dramatisches Abenteuer zwischen einem jungen Architekten, der am Anfang seiner Kariere stand, und einer selbstbewussten, etwas älteren Frau, die in der besten Wiener Gesellschaft verkehrte.
An die 900 Briefe von Walter Gropius an Alma liegen uneditiert im Berliner Bauhaus-Archiv. Leiterin Annemarie Jaeggi hat sie alle gelesen. Es sind vor allem Liebesbriefe, die ohne Wenn und Aber Aufschluss geben, welchen Einfluss Alma auf den jungen Walter Gropius hatte.
"Alma Mahler ist zusätzlich zu dem Ehrgeiz, den Gropius ohnehin schon hatte, die befeuerte zusätzliche Tat gewesen, die er gebaucht hat", sagt Annemarie Jaeggi. "Sie schreibt ihm, du musst ein Meisterwerk vollbringen und vorher gebe ich mich dir nicht hin, also sie stellt die ganze Zeit Forderungen, das hat sie bei all ihren Männern gemacht, auch bei Kokoschka und bei Werfel, sie ist die treibende Kraft, die aus dem jeweiligen Mann wirklich jemand weltberühmtes machen wollte."
Im Kriegsjahr 1915 heiratete Gropius die verwitwete Alma Mahler, es ist eine Ehe, die schon fünf Jahre später wieder geschieden wird. Für Gropius werden der Krieg, das industrielle Massensterben, die Todesängste im Schützengraben zu einer existenziellen Erfahrung.
Eine Kunstgewerbeschule mit Wir-Gefühl
Als das Grauen zu Ende ist, gründet Gropius im April 1919 das Bauhaus in Weimar. Die Kunstgewerbeschule hat ein klares Programm: Ächtung der Massenproduktion und die Rückbesinnung auf die künstlerische Handwerkstradition des Mittelalters. Ein unbeirrbares Wir-Gefühl sollte eine schützende Gemeinschaft schaffen, das Programm einer elitären Loge mit dem unbedingten Anspruch eines Gesamtkunstwerks.
Das frühe Bauhaus war nicht nur eine Schule, es war auch eine spirituelle Bewegung mit bedeutenden Künstlern wie Paul Klee, Wassily Kandinsky oder dem charismatischen Lehrer Johannes Itten. Der Amerikaner Thomas Wolfe schrieb in den führen 80er-Jahren eine wüste Satire über das Bauhaus, das Bauhaus der Weimarer Zeit war für ihn ein schrilles Biotop, dem Garten des Epikur vergleichbar:
"Gropius, der Epikur, schlank, schlicht, aber peinlich exakt frisiert; das volle schwarze Haar zurückgekämmt, für Frauen unwiderstehlich gut aussehend, auf klassische Art korrekt und weltläufig, im Kriege Kavallerieleutnant, wegen Tapferkeit dekoriert: eine Gestalt, die im Zentrum des Mahlstroms Überlegtheit, Überlegenheit und Überzeugungskraft ausstrahlte."
Alma sprach verächtlich über das Bauhaus, das im gehörigen Abstand zu ihrem bürgerlichen Wien die Bühne betrat. Sie verstand sich als Muse genialer Künstler, die oft etwas bizarr und ungewöhnlich waren, manche mit einer masochistischen Ader und außergewöhnlichen sexuellen Vorlieben. Als Retterin problematischer Künstlernaturen war Alma in ihrem Element, vor allem, wenn es dabei um Juden ging.
Gropius entsprach ihrem Ideal eines "arischen" Mannes. Andererseits: Gropius musste weder zur Arbeit angehalten werden, noch schien seine Seele in Rettungsnot. In Almas Augen war er keine waschechte Künstlernatur. Sie fand ihn am Ende fad, ein trockener Mensch mit sozialen Ambitionen, was für sie ein vernichtendes Urteil war.
Umzug nach Dessau bringt Paradigmenwechsel
"Es war ein bisschen das Schicksal des Bauhauses, dass es in eine furchtbar schlechte Zeit hinein kam", sagt Wolfgang Voigt. "Wo große Krise war, auf allen Gebieten und es wenig zu essen gab und auch zu bauen eigentlich herzlich wenig. Dass hat ihnen aber auch Freiräume verschafft, zu fantasieren und zu denken und zu probieren. Und es ist bezeichnend, dass es bis 1923 braucht, bis also die erste Phase des Bauhauses zu Ende geht, und aus diesem Slogan 'Kunst und Handwerk' dann 'Kunst und Industrie' wird, was ja ein Schwenk um 180 Grad ist. Das ist eigentlich die Revolution und da wird das eigentliche Bauhaus geschaffen, wie man es dann nachher gekannt hat."
Wolfgang Voigt beschreibt den Paradigmenwechsel. Das Bauhaus musste Weimar verlassen, weil die thüringische Landesregierung der Schule die Unterstützung entzog. In Dessau wurde aus der staatlichen Schule eine städtische Einrichtung. Die Stadtväter erhofften sich vom Bauhaus vor allem Hilfe beim dringend benötigten Wohnungsbau, die Gropius auch versprach. Gropius wollte das "Haus aus der Fabrik", und in Dessau Törten startet er dann tatsächlich den Versuch, industriell zu bauen.
Mit dem Umzug von der Bürgerstadt Weimar in die Industriestadt Dessau wurde die Neuorientierung für jedermann sichtbar.
"Abkehr von der Utopie. Statt Kathedralen die Wohnmaschine", kommentierte damals der Bauhaus-Lehrer Oskar Schlemmer die dramatische Kurskorrektur.
Walter Gropius blieb ein kongenialer Bauhaus-Propagandist. Er hielt Vorträge, organisierte Pressekampanien, veröffentlichte Bücher, lies Gebäude und Produkte fotografieren, und seine zweite Frau Ise, die er 1923 geheiratet hatte, führte verwunderte Hausfrauen durch ihre perfekt durchgestylte Bauhaus-Villa.
In Dessau wurde Walter Gropius zum Hansdampf in allen Gassen. An allen Ecken und Enden drohte das Bauhaus zusammenzubrechen, so beschreibt Annemarie Jaeggi die damalige Situation:
"Also wenn Sie so etwas wie ein Intimera von Gropius mal machen würden, würden Sie einfach sehen, dass der im Grunde genommen Tag für Tag mit solchen öffentlichen und internen Terminen der Beschwichtigung, der Selbstdarstellung, der Gegenwehr beschäftigt war. Und ich erzähle das jetzt nicht, um aus ihm einen Heros zu machen, der wie Herkules das geschafft hat, mit den Ungeheuern fertig zu werden. Sondern das ist in der Tat etwas gewesen, was wirklich nur seinem zähen Willen und dieser unglaublichen Überzeugung von sich selbst und von einer Mission, die man hat, zu verdanken ist, dass er das wirklich so ausgefochten hat. Ich glaube jeder andere wäre gegangen und hätte gesagt, was soll´s, das muss ich mir nicht antun."
1928 hat Gropius das Bauhaus verlassen, nicht zuletzt deshalb, weil sein Siedlungsprojekt in die Krise geriet. Die konventionellen Häuser im Stadtteil Ziebigk waren im direkten Vergleich 500 Mark billiger als die industriell produzierten Gropius-Häuser in Dessau-Törten.
Es war eine unhaltbare Situation, sagt Wolfgang Voigt: "Er baut diese Törtener Siedlung, aber, die Häuser sind zu teuer, so einfach ist das, und die Arbeiterführer in Dessau kommen unter Druck bei ihrer eigenen Klientel und entscheiden sich dann, das auf Gropius zu schieben und damit ist er unten durch, und er verlässt die Stadt, verlässt das Bauhaus. Aber sehen wir es mal im großen historischen Bogen: Gropius verliert eine Schlacht aber nicht den Krieg."
Mit der Bauhaus-Idee nach Berlin
Gropius geht als freier Architekt nach Berlin, doch er hat sein Bauhaus mit im Gepäck, das er als sein geistiges Eigentum betrachtet. Für Gropius, so Walter Prigge von der Stiftung Bauhaus Dessau, gab es nach 1928 das real existierende Bauhaus nicht mehr.
"Das ging soweit, als er das Bauhaus verließ, die Geschichte des Bauhauses auch dort enden ließ", sagt Walter Prigge. "Das heißt, er hat immer nur seine Phase gezeigt, immer nur die Phase seiner Direktorenschaft, dass Hannes Meyer nach ihm Direktor war, und Mies van der Rohe noch Direktor war, das wird einfach verschwiegen bei Gropius. Für ihn ist das Bauhaus identisch mit Gropius."
Der Schweizer Architekt Hannes Meyer wird Nachfolger von Gropius am Bauhaus. Der neue Direktor verfolgt seine eigenen Ziele, er will das Bauhaus in den Dienst der Massenversorgung stellen. "Massen- statt Luxusbedarf" heißt seine Maxime. In der Wanderausstellung zum zehnjährigen Bauhaus-Jubiläum zeigt Hannes Meyer kein einziges Exponat aus der Gropius-Zeit.
Das war eine kalkulierte Provokation, sagt Christian Wolsdorff vom Berliner Bauhaus-Archiv: "Hannes Meyer tourte mit einer Ausstellung, die schlicht und einfach 'Bauhaus Dessau' hieß, durch Deutschland und die Schweiz seit Mitte des Jahres 1929, stellt sein Bauhaus dar. Das war der erste Fußtritt, den er verteilt hat gegenüber seinem Vorgänger und tat so, als ob dass das Bauhaus sei. Vorne gab natürlich nichts und dadurch fühlte sich Gropius sehr herausgefordert und hat spätestens ab dieser Zeit sich doch sehr intensiv damit auseinandergesetzt, wie er sein Bauhaus darstellen sollte und hat das in Paris erstmals getan."
Design-Präsentation 1930 im Grand Palais in Paris
Paris 1930. Unter dem gläsernen Dach des Grand Palais zeigen die französischen Inneneinrichter alljährlich das neuste Design. Durch diplomatisches Geschick durfte der Deutsche Werkbund auf dem Salon des Artistes Décorateurs erstmals seit vielen Jahren deutsche Produkte in der französischen Hauptstadt zeigen. Gropius wurde beauftragt, die Ausstellung zu gestalten, und er nutzte die Chance, sich und sein Bauhaus ins rechte Licht zu rücken.
Es wurden Design-Ikonen der Bauhausschule gezeigt: Freischwinger von Marcel Breuer und Lampen von Wilhelm Wagenfeld. Herzstück der Ausstellung war der Gesellschaftsraum für ein Wohnhotel. Ein Ort mit Cafébar, Tanzfläche, Spieltisch und Grammophon. Hier sollte der moderne Städter heimisch werden und in einem Ambiente leben, wo ästhetisch alles stimmt.
Wohnen wie auf einem Luxusdampfer: Das Wohnhotel hatte kleine Wohnzellen und großzügige Gemeinschaftsräume, es war die architektonische Antwort auf ein soziales Modell, das Gropius jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie entwarf.
Die Ausstellungstexte wurden nicht mehr im Präsens formuliert, sondern in der Vergangenheit. Das Bauhaus stellte sich als eine abgeschlossene und überschaubare Epoche dar, obwohl die Schule noch drei Jahre existieren sollte, bis sie im Sommer 1933 dann tatsächlich aufgelöst wurde.
"Und insofern hat er schon sehr früh die Stammtischhoheit über dieses Thema wieder übernommen", sagt Christian Wolsdorff, "das war eben sein großer Vorteil, dass er die Medien sehr viel früher eingesetzt hat als alle sein Gegner und auch sehr viel geschickter instrumentalisiert hat als viel seiner, ja Gegner muss man wirklich sagen."
In Paris gewinnt das Gesamtkunstwerk Bauhaus erstmals eine klare Kontur. Die Formel "Gropius gleich Bauhaus" wird auf internationaler Bühne etabliert. Dahinter steckte System, vermutet Annemarie Jaeggi:
"Sie müssen nur daran denken, dass er die Reihe der Bauhaus-Bücher fortgeführt hat, als er gar nicht mehr Direktor dieser Einrichtung war. Und was muss das für einen Einfluss für den amtierenden Direktor gehabt haben, wenn der Ex-Direktor eine solche Buchreihe als seine eigene ansieht, gar nicht mehr Mitglied des Bauhauses ist, und dann Bücher publiziert, die da heißen 'Bauhaus Architektur' und so weiter und so fort, also das ist ein Selbstbewusstsein, ein Eigentum vielleicht auch was ihm gehört und das stand ihm zu und das war für ihn legitim, das weiter fortzusetzen."
In einem dieser Bücher schrieb Walter Gropius 1930: "Als ich im Frühjahr 1928 das Bauhaus nach neun von Kämpfen und Verantwortung erfüllten Jahren verließ, hatten die Gedanken des Bauhauses in der Allgemeinheit Fuß gefasst. Der erste und schwerste Teil seiner Aufgabe war erfüllt."
Über London ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Walter Gropius zog nach London, arbeitete dort als Architekt, bis er 1939 eine Professur an der Harvard Universität erhielt. In den Vereinigten Staaten, im gelobten Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sagt Annemarie Jaeggi, war das Boden für Gropius bestens vorbereitet.
"Weil er immer in aller Munde gewesen ist" sagt sie, "weil er der Begründer des Bauhauses gewesen ist. Er war ja ein nicht unbedeutender Architekt der Moderne, das darf man ja auch nicht vergessen, aber wenn Gropius nicht wie Poelzig das übrigens formulierte, soviel Radau um sich und das Bauhaus gemacht hätte, hätte man ihn auch überhaupt nicht wahrgenommen. Also dieser Bauhaus-Mythos ist auch Personenkult Gropius."
Während einer Europareise hatte der Architekt Philip Johnson auch das Dessauer Bauhaus besucht. Johnson kannte Alfred Barr, den späteren Direktor des MoMA, dem New Yorker Museum of Modern Art. Johnson wurde Leiter der Abteilung für Architektur und Design, wo er im Laufe der Jahre mehrfach Gropius und das Bauhaus dem New Yorker Publikum präsentierte.
"Das MoMA wurde 1928 gegründet", erzählt Annemarie Jaeggi, "und zwar auf der Grundlage und der Eindrücke und der Erfahrungen, die man in Dessau am Bauhaus gewonnen hat. Ohne das Bauhaus kein MoMA, zumindest nicht in dieser wirklich avantgardistischen Haltung, nämlich so früh eine Architektursammlung und -Abteilung, eine Design-Abteilung, eine Fotografie-Abteilung aufzubauen und nicht nur moderne Kunst. Also von daher hatte das Bauhaus am MoMA selbst wenn man so will eine Art von Gründungs-Mythos, der dort zelebriert wurde und übrigens bis zum heutigen Tage auch noch dort zelebriert wird."
1938 war im MoMA die Ausstellung "Das Bauhaus 1919 bis 1928" zu sehen. Gropius feierte sich und sein Bauhaus, es ging wieder einmal nur um seine eigene Bauhaus-Zeit. Das hatte durchaus sachliche Gründe, Exponate konnten aus dem Nazideutschland nicht verschickt werden, und im Exil hatten sich die drei Bauhaus-Direktoren aus den Augen verloren.
Trotzdem, diesmal hatte Gropius den Bogen überspannt und selbst wohlwollende Kritiker waren über die grenzenlosen Gropius-Festspiele erbost, zumal der amerikanische Beitrag für die Architektur-Moderne nicht gewürdigt wurde, was bei Frank Lloyd Wright – dem großen Neuerer der amerikanischen Architektur – gar nicht gut ankam und zu bissigen Kommentaren führte.
In Amerika wurde das Bauhaus zu einer Belegstelle des International Style. Die Schule, das soziale Experiment der Zwischenkriegszeit interessierte nicht mehr. Johnson und die seinen beschäftigten sich lieber mit Dingen, die verallgemeinerbar waren. Übrig blieb ein architektonischer Stil, der autonom und losgelöst von Politik und Region überall seinen Platz finden konnte.
Die Gropius-Bauten standen nun neben Architekturen von Le Corbusier oder seinem Rivalen Mies van der Rohe, den Philip Johnson hoch verehrte, weil er sich bei seinen Bauten auf Karl Friedrich Schinkel berief und nicht so tat, als sei die Architektur-Moderne seine ureigenste Erfindung.
"Wortreich bekämpfte er jede Kritik"
Schon 1923 hatte Gropius von Internationaler Architektur gesprochen. Die Architektur sollte sich von der Geschichte und vom konkreten Ort lösen und universell werden.
Das war ein geschickter Schachzug, um sich dann seinen Einfluss auf die Moderne zu sichern, schreibt der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger:
"Wortreich vertrat Gropius sein Bauhaus und bekämpfte selbst oder über Mitstreiter jede Kritik und jede von seiner Sicht abweichende Erklärung. Auch in den USA korrigierte er persönlich international renommierte Fachleute als sie wagten, am Bauhausglanz zu kratzen. Selbst Moholy-Nagys Frau Sibyl, die das Bauhaus in der Nachkriegszeit zu entmythisieren versuchte, erklärte Gropius für nicht autorisiert."
Erst in Amerika – im Rückblick mit dem nötigen Abstand – wird aus den vielfältigen Facetten der Bauhaus-Geschichte eine stringente Erzählung. Gropius und seine Helfer hatten die Bauhaus-Geschichte erfolgreich umgeschrieben.
Mit dem Bauhaus der Zwischenkriegsjahre hatte das nur noch wenig zu tun, sagt Wolfgang Voigt vom Deutschen Architektur Museum: "Das Bild vom Bauhaus in seinem Nachleben wird bereits in den 30er-Jahren, in den späten 30er-Jahren in den USA von Gropius festgezurrt. Und bei diesem Bild bleibt es im Prinzip, und das ist auch das, was in den 50er-Jahren nach Deutschland aus dem Exil wieder zurückkommt als Medium."
Als Architekturberater zurück in Berlin
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, kam das Bauhaus zurück nach Deutschland. 1947 und 1948 besuchte Gropius das zerbombte Berlin. Als offizieller Architekturberater für die amerikanische Besatzungsmacht hielt er Vorträge über den Wiederaufbau. Dabei traf Gropius auf Kollegen, die das alte Bauhaus noch gut kannten, und die noch sehr genau wussten, in welchen sozialen und politischen Spannungsfeldern das Bauhaus der Zwischenkriegszeit gestanden hatte. Und einige von ihnen wollten Gropius nicht kampflos das Feld überlassen.
Im Januar 1953 veröffentlicht die Zeitschrift "Baukunst und Werkform" eine grobe Polemik gegen das Bauhaus. Autor war der Kölner Architekt und Kirchenbauer Rudolf Schwarz. Rudolf Schwarz sah sich als Hüter des Abendlandes. Ein konservatives Schwergewicht, das sich mit Macht gegen Gropius stemmte. Er warf Gropius vor, er verleugne die abendländische Architekturgeschichte und er sei in seinem ästhetischen Anspruch autoritär, berichtet der Architekturkritiker Rudolf Stegers.
"Er verdarb sich die Sache dadurch, dass er wörtlich schrieb, der Walter Gropius, der sei zwar ein leidlicher Architekt, aber der könne nicht denken", sagt Rudolf Stegers. "Und er startete eine zweite unglaubliche Provokation, dass er sagte, die Bauhäusler seien eigentlich so totalitär gewesen wie die Naziarchitekten auch, und damit war, ja man könnte sagen, da war der Ofen aus, bevor eine Debatte überhaupt richtig loslegen konnte."
Moralischer in der Bauhaus-Debatte
Rudolf Schwarz rückte das Bauhaus in die Nähe der Nationalsozialisten und es brach ein Sturm der Entrüstung los. Jetzt wurde fast nur noch moralisch argumentiert, und so ging Walter Gropius in der Bauhaus-Debatte als moralischer Sieger vom Platz.
"Die Ironie besteht vielleicht darin", sagt Rudolf Stegers, "dass man sagen muss, dass die große Zeit der Wertschätzung des Bauhauses eigentlich erst nach dem Streit gekommen ist. Das Buch von Hans Maria Wingler, dieses große Standardbuch über das Bauhaus, ist erst danach erschienen. Auch diese ganzen Massen, ich sag mal von Stahlglaskisten, Rasterbauten und, und, und, das kam alles erst danach. Das ist alles erst nach dem Streit gewesen, und wirklich fruchtbar haben die Argumente von Rudolf Schwarz erst werden können als es die Debatte um die Postmoderne gegeben hat."
Im Streit um das Bauhaus wurde selbst Goethe bemüht. Plötzlich stand Gropius in die Nachfolge des großen Dichters und wurde als großer Humanist eines besseren Deutschlands gefeiert, quasi als Klammer zwischen einer großen liberalen Vergangenheit und dem demokratischen Neubeginn im westlich geprägten Nachkriegsdeutschland.
1960 wurde das Bauhaus-Archiv auf der Darmstädter Mathildenhöhe gegründet. Ein symbolträchtiger Ort, man sah sich in der Tradition der Künstlerkolonie des Jugendstils. Schön länger hatte Gropius nach einer geeigneten Persönlichkeit Ausschau gehalten, die sein Bauhaus-Erbe verwalten könnte.
Mit dem Kunsthistoriker Hans Maria Wingler hat er dann einen loyalen Mitstreiter gefunden, sagt Wolfgang Voigt: "Die Gründer des Bauhaus-Archivs in Deutschland, also Wingler und seine Leute, die waren ja offensichtlich stark liiert mit Gropius, die haben sich ganz auf ihn gestützt, und seinen Teilnachlass haben sie auch bekommen, den von Hannes Mayer und den von Mies ganz offenkundig nicht, und das heißt, die haben sich auch entschieden für einen der drei Direktoren, die es eben gab."
Walter Gropius entwarf ein Archiv und Museumsgebäude, doch die Pläne in Darmstadt zerschlugen sich. Später übernimmt West-Berlin die Finanzierung, und so kann der Neubau 1976 dann doch noch feierlich eröffnet werden.
Ein Museum in Berlin, das nicht so heißen darf
Annemarie Jaeggi ist die heutige Direktorin: "Gropius wollte partout nicht, dass diese Einrichtung den Namen Museum führt, Archiv, das ist ja etwas missverständlich, wir sind ja nicht nur ein Archiv, wir sind ja auch ein Museum, Archiv wurde es deswegen genannt, weil Gropius Meinung war, dass sein Werk und die Idee des Bauhauses etwas sei, was unvermindert fortwirken würde, er hat sich also mit Händen und Füssen gegen eine Musealisierung gestemmt. Er wollte es nicht verabschieden in die Geschichte."
Zunächst war das Bauhaus-Archiv nur wenig bekannt. Es organisierte ein paar kleinere Ausstellungen, bis es 1968 mit einer furiosen Ausstellung in die Öffentlichkeit trat. Die Ausstellung "50 Jahre Bauhaus" in Stuttgart erreichte das große Publikum. 75.000 Besucherhaben damals die Ausstellung gesehen, bevor sie für mehrere Jahre auf Weltreise ging.
Es war der Höhepunkt der Bauhaus-Verehrung. Doch es gibt die List der Geschichte. Gropius und sein Bauhaus wurden ein Welterfolg. Das Bauhaus wurde so erfolgreich, dass es überall auf Interesse und Neugier stieß. Es wurde bald deutlich, dass die Deutungshoheit über das Bauhaus nicht nur bei Walter Gropius liegen kann.
Und so schreibt Winfried Nerdinger: "Diese systematische Stilisierung und Mythisierung des Bauhauses steht einer – noch zu schreibenden – historisch objektiven Darstellung am meisten im Wege. Eine neue Bauhaus-Geschichte müsste endlich künstlerische Kontinuitäten und äußere Einflüsse, Brüche und Manipulationen, Fehler und Schwächen, wirtschaftliche und politische Verflechtungen und insbesondere die durchgängige fundierte Kritik an dieser Schule und ihren Produkten aufzeigen."
Vom Experimentierfeld zum Gesamtkunstwerk
Während seiner aktiven Zeit war das Bauhaus ein soziales und ästhetisches Projekt, das ohne Politik auskommen wollte. Als Gropius 1928 Dessau verließ, wurde aus dem einstigen Experimentierfeld eine Idee, ein geschickt lancierter Mythos, ein Gesamtkunstwerk, wie es das 20. Jahrhundert so liebte.
Richard Wagner sah in der "Genossenschaft aller Künstler" das Kunstwerk der Zukunft, und Walter Gropius – als Künstlerarchitekt und Humanist – sah es am Ende ebenso, sagt Annemarie Jaeggi:
"Das ist ein Phänomen, wie es kein zweites gibt. Und wie es dazu geworden ist, das hängt und steht nicht nur an Gropius, sondern an vielem, vielem anderen mehr, an den Zeitumständen, an der Schließung durch die Nationalsozialisten, was ja auch einen Märtyrer aus den Bauhaus gemacht hat, das Wiederzurückbringen quasi aus Amerika, durch die Leuchtfigur Gropius nach Europa, das diese Schreckenszeit erlebt hat und jetzt wieder anknüpfen musste an die Errungenschaften Weimars, und das natürlich in einem neuen Sinne, in einer veränderten Situation und Gesellschaft in der politischen Welt."
Heute ist das Bauhaus eine gigantische Schule des Sehens, Walter Gropius hält uns noch immer den Spiegel vor. Sein Bauhaus hat sich tief in das kollektive Gedächtnis gegraben. Und das ist bei aller Kritik seine ganz persönliche Lebensleistung.
Die Erstsendung des Features von Adolf Stock war am 14. Mai 2008.