Das große Jein

Von Michael Schornstheimer |
Nur noch 700.000 Kinder sind im Jahr 2004 in Deutschland auf die Welt gekommen. Anfang der 60er Jahre waren es doppelt so viele. Bald fehlen Facharbeiter, Pflegekräfte und vor allem Rentenzahler. Wer ist daran Schuld? "Das große Jein" heißt ein Buch von Silke Lambeck und Regine Zylka, das bei einer Diskussion in der Berliner Zeitung vorgestellt wurde.
Folgende Szene haben die Autorinnen in letzter Zeit häufig erlebt: Bei Abendessen im Freundeskreis, bei Geburtstagen oder Partys werden die Paare ohne Kinder irgendwann gefragt, "Wann ist es denn bei euch so weit?" Die Singles kriegen zu hören, dass es doch endlich Zeit werde, einen Partner fürs Leben zu finden. Und die Mütter sollen sagen, wann sie wieder arbeiten gehen wollen. Erst ist der Ton noch scherzhaft. Dann wird er schärfer. Viele Frauen fühlen sich angegriffen und rechtfertigen sich, erzählt Regine Zylka:

"Wenn sie keine Kinder kriegen, sind sie Schuld am Untergang des Abendlandes. Wenn sie ganz viele Kinder kriegen, wird an ihrer Intelligenz gezweifelt. Wenn sie nur ein Kind kriegen, ziehen sie nur hoffnungslose Egoisten ran, wenn sie Teilzeit arbeiten, vernachlässigen sie ihren Job, wenn sie Vollzeit arbeiten, ihre Kinder... Wie sie es auch immer machen, ist es falsch."

Regine Zylka und Silke Lambeck finden, dass diejenigen, die die Kinderfrage am meisten betrifft, in der gegenwärtigen Debatte am wenigsten zu Wort kommen. Deshalb haben sie 20 Frauen unterschiedlicher Alters- und Berufgruppen dazu interviewt.

Vier von ihnen haben kein Kind. Andere nur eins - oder auch acht! Sie sind Hausfrauen oder voll berufstätig. Manche sind allein erziehend, andere haben einen Partner, mit dem sie die Verantwortung für Einkommen und Kindererziehung gleichberechtigt teilen. In den anonymisierten Gesprächen haben die Autorinnen nachgefragt, wann und wie die Frauen die Kinderfrage für sich entschieden haben. Ob es überhaupt eine bewusste Entscheidung war. Und Silke Lambeck hat sich auch gefragt, warum der Entschluss für Kinder heutzutage so schwer fällt...

"Früher war klar, dass Kinder kriegen Frauensache war, und Kinderaufziehen auch. Nun haben sich die Frauen aber sehr verändert und sie haben andere Möglichkeiten und sie wollen das nicht nur als ihre Sache sehen. Das Entgegenkommen, das als gemeinschaftliches Projekt anzusehen, die Elternschaft, ist aber auf der anderen Seite oft noch sehr gering und ich glaube, dass die Frauen sich dann überlegen, sie möchten es eigentlich nicht ganz alleine machen und ohne Unterstützung machen sie es lieber gar nicht."

Aus ihren Interviews haben die Autorinnen 20 höchst unterschiedliche Berichte in Ich-Form gemacht. Sehr freimütig erzählte Monologe:

Die 34-jährige Studienrätin Claudia gesteht, dass sie sich ursprünglich vier Kinder gewünscht hatte. Doch inzwischen will sie gar keine mehr bekommen: "Ich habe keine ordentlichen Argumente", sagt sie, "keine staatstragenden Gründe". Sie möchte einfach selbst über ihr Leben bestimmen.

Sie sei egoistisch und wolle kein Kind. Es gäbe auch nichts, was die Politik tun könnte, um sie doch noch umzustimmen. Die Vorwürfe von Freunden und Bekannten: "Wer soll eure Rente zahlen"?, pariert sie mit dem Hinweis, dass sie und ihr Mann nun wirklich die Wirtschaft ankurbeln. "Wenn einer einkaufen, essen, ins Kino geht - dann wir".

Die 33-jährige Verlagsredakteurin Karin erzählt, wie ihr Ehemann Matthes kurzerhand selbst den Erziehungsurlaub genommen hat...

"Und zwar ein Mann, der eine ganz leidenschaftliche Beziehung zu seinem Beruf hatte und der nach einem Jahr Erziehungsurlaub nicht mehr zurück konnte in seine Firma, weil das als so abwegig empfunden wurde, dass ein Mann für ein Jahr die Firma sitzen lässt, dass er wirklich hinterher in seiner ganzen Branche keinen Job mehr fand. Und das fand ich sehr berührend, weil es eben auch zeigt, dass es auch die Männer überhaupt nicht leicht haben, solche Dinge zu verbinden."

Und Frauen, die keine Kinder bekommen können, obwohl sie gern welche hätten, kommen auch zu Wort.

"Das erschien uns im Moment besonders wichtig in der Debatte. […] Es wird so getan, als würden wir uns immer nur entscheiden gegen Kinder, und für die vermeintliche Karriere, dabei können wahnsinnig viele Frauen ihren Kinderwunsch nicht erfüllen, das vergessen wir immer.""

Mit ihren Protokollen wollen Silke Lambeck und Regine Zylka die Grenzen der Wahlfreiheit ausloten. Sie plädieren dafür, sich die eigenen Wünsche und Ziele möglichst frühzeitig bewusst zu machen. Und damit die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Dazu gehöre auch, die Lebensentwürfe der anderen zu respektieren. Denn "das schlimmste Gemetzel", schreiben sie, finde zwischen Müttern und kinderlosen Frauen statt.

""Was wir vorhin gesagt haben, dieses egal was die Frauen machen, sie machen es falsch, das kommt nicht nur von den Männern. Es kommt zum Teil auch von den Frauen, die sich anders entschieden haben. Warum das ist, hängt auch damit zusammen, dass sie sich selber ihrer Entscheidungen so unsicher sind. Es gäbe so viele verschiedenen Möglichkeiten, das zu machen, und es scheint so zu sein, dass wenn man eine Entscheidung getroffen hat, dass man die unbedingt verteidigen möchte, und sei es gegen die beste Freundin, die sich anders entschieden hat."