Das große Los

Von Marcus Weber |
Seit fünf Jahren tourt die Jazzsängerin Kristin Wieduwilt unter dem Künstlernamen Cristin Claas durch Deutschland. Drei Alben hat sie inzwischen mit ihrer Band aufgenommen, und jetzt hat sie geschafft, wovon wohl alle Musiker träumen: Sie hat einen Plattenvertrag bei einem Major Label bekommen.
"Wenn man ein schönes Konzert gespielt hat, wieder zusammenbaut und die Leute alle raus sind und jemand von Sony BMG war da und hat sich das angeguckt, und wir haben ein Treffen, einen Termin vereinbart, dann denkst du dir schon so: Das ist ja irre."

Kristin Wieduwilt sitzt in einem Berliner Café, in grauem Pullover und schwarzen Jeans, trinkt einen Pfefferminztee und strahlt über das ganze Gesicht.

"Erstmal: Es war jemand da, was ja schon so unwahrscheinlich ist, dass gerade, wenn du spielst, jemand dort im Publikum sitzt. Und dann eben wirklich, dass jemand Interesse an der Musik hat und es dazu kommen könnte."

Eine Sängerin, ein Pianist, ein Gitarrist, die seit Jahren durch das Land touren und plötzlich das große Los ziehen: Anfang des Jahres bekommt Cristin Claas, so der Künstlername der 30-jährigen Studentin, einen Plattenvertrag bei einem Major-Label - mit allem drum und dran.

"”Das Fotoshooting war ein tolles Erlebnis. Also, ich hab es halt wirklich genossen, dass da jemand ist, der einem die Schuhe hinterherträgt und bei der Kleiderauswahl hilft, und einer, der ständig noch einmal das Haar zurechtzupft. Ich hab mich köstlich amüsiert.""

Die Fotos der Hochglanzbroschüre, die die Band und die neue CD vorstellt, sind perfekt arrangiert. Mal schaut die Sängerin verträumt, legt den Kopf auf einen Arm, mal sieht sie den Betrachter mit freundlichem Ernst direkt an: die Haare lang und blond, der Pony reicht knapp an die braunen Augen.

"Also ich war wirklich sehr zufrieden, auch wenn natürlich die Kritik aus der Familie kommt oder so: So kennen wir dich ja gar nicht! So sah ich ja auch noch nicht aus, also, so hat mich ja auch noch nie jemand geschminkt, aber es ist jetzt nicht so, dass ich mich nicht wieder erkenne, überhaupt nicht, gar nicht."

Die Musik in ein radiotaugliches Format pressen, die Band umbesetzen oder ihr ein völlig neues Styling verpassen - es gibt viele Geschichten über die Arbeitsweise der großen Musik-Konzerne. Kristin, die zuvor schon bei einem kleineren Label war, hat solche Erfahrungen nicht gemacht. Es gab keine musikalische Einmischung, sagt sie. Die Band hatte das Album "In the shadow of your words" in Eigenregie produziert - und Sony BMG hat es einfach übernommen.

Die Musik von Cristin Claas ist eine Mischung aus Jazz-, Pop- und Singer-Songwriter-Elementen. "Songpoesie" nennt es die Band selbst. Neben den deutschen und englischen Texten gibt es Stücke in Fantasiesprachen und manchmal singt Cristin Claas auch Volkslieder.

"”Man ist halt mit verwurzelt. Das hat man schon immer gesungen, und das gehört einfach zu einem dazu. Und das Heideröslein ist halt für mich, ich erinnere mich halt an meinen Musikschulunterricht, war das immer so bildgewaltig. Ich find das total brutal eigentlich. Dieser Text, der ist zwar wahnsinnig alt, aber der hat heute noch bestand, das ist eigentlich wie eine moderne Liebesgeschichte.""

Aufgewachsen ist Kristin Wieduwilt in Bernburg, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt. Der Großvater Opernsänger, der Vater Grubenelektroniker und Hobbymusiker in einer Tanzkapelle. Seine Bandkollegen gehen im Hause Wieduwilt ein und aus. Kristin spielt ein bisschen Klavier und Gitarre, aber ihre Stimme entdeckt sie erst viel später, in der Pubertät.

"Ich hatte zwei Kassettenrekorder. Von dem einen spielte ich immer die Musik ab, und der andere nahm es über ein ganz, ganz kleines Mikrofon wieder auf. Und ich hab viele Sachen nachgesungen, aber immer nur für mich. Es war halt so, dass ich das wirklich geheim gehalten hab, weil das mir einfach wirklich zu persönlich war."

Erst mit 19 beginnt Kristin, in einem Jugendclub mit anderen zu musizieren. Sie macht einige Aufnahmen, die zufällig ihrem heutigen Pianisten Christoph Reuter in die Hände fallen. Der ist so begeistert, dass er mehrere Lieder für sie schreibt und den Kontakt zu der Sängerin sucht.

"Und dann kam es zu diesem ersten Treffen. Er spielte mir einen Song vor, und meinte, ob ich dazu singen möchte. Und wir sprachen sofort eine musikalische Sprache. Da war eine Energie im Raum, und dann war das eigentlich klar, dass man zusammen arbeitet."

Etwas später stößt der Gitarrist Stephan Bormann zu dem Projekt - und so entsteht im Jahr 2001 die Cristin-Claas-Band. Die Musiker spielen unzählige Konzerte, machen CD-Aufnahmen. Doch "Musik als nettes Hobby" ist Kristin, die eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht hat, zu wenig. Mit Mitte 20 beginnt sie ein Musikstudium. Nächstes Jahr wird sie in Leipzig ihren Abschluss machen - als Diplom Sängerin und Gesangspädagogin.

"Für mich war es einfach auch wichtig, wenn es mir irgendwann mal schlecht geht, oder ich nicht von der Musik leben kann, sei es drum, eben auch noch als Lehrer fungieren zu können. Man kann ja nicht davon ausgehen, dass wir Weltstars werden, um Gottes Willen."

Kristin Wieduwilt, die zurzeit im Studio an ihrem vierten Album arbeitet, will sich ihre Unabhängigkeit bewahren. Das Konzept, in den kleinen Konzerthäusern des Landes zu spielen, hat in den letzten Jahren gut funktioniert, sagt sie. Das könnte die Band auch noch bis zur Rente machen, egal ob mit oder ohne Plattenvertrag.