Das große Schlachten
Ernst Jüngers ästhetisch-heorisierende Kriegsdarstellung aus seinem Buch "In Stahlgewittern" ist weltbekannt. Sein nun veröffentlichtes Tagebuch der Jahre 1914 bis 1918 gewährt dagegen einen weitgehend ideologiefreien Blick auf das Frontgeschehen.
Ernst Jünger war bei Kriegsbeginn 19 Jahre alt. Auf frühen Fotos in Uniform wirkt er wie ein verkleidetes Kind. Und wie ein Kind freute er sich darauf, Soldat zu werden. Im Jahr zuvor hatte er sich bei der Fremdenlegion verdingt, weil er nach Afrika wollte, um der Schule und all ihren Zwängen zu entkommen. Ausgerechnet das Militär hielt er für tauglich, sich ein größeres Maß an Freiheit zu erobern. Jünger gehörte nicht zu den Hurra-Patrioten, die sich für Kaiser, Volk oder Vaterland begeisterten. Das alles war ihm ziemlich egal. Er suchte an der Front das elementare Erlebnis, den Kampf um des Kampfes willen, den Rausch des Tötens und den Kitzel der Gefahr.
So jedenfalls geht es aus den Kriegstagebüchern hervor, die er von 1914 bis 1918 führte und die das Material lieferten, aus dem er anschließend sein berühmtes Kriegsbuch "In Stahlgewittern" destillierte. Der Heidelberger Germanist und Jünger-Experte Helmuth Kiesel hat sie nun erstmals aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem informativen Nachwort versehen. Die schmucke Ausgabe enthält auch kleine Zeichnungen des Rekruten: Skizzen von Schlachtordnungen oder den Tod als Skelett, das auf einer Granate reitet.
Die Notizen, in der Hitze des Augenblicks entstanden, sind vergleichsweise roh. Ihnen fehlt noch weitgehend die marmorne Kühle und auch der ästhetisierende Blick, für den Jünger später so sehr kritisiert wurde. Der junge Soldat übt nicht nur das Kriegshandwerk, sondern auch das Metier des Schreibens. Nur seine Unerschrockenheit ist von Anfang an da. Er will noch nichts beweisen; er will bloß das Geschehen festhalten und sich schreibend distanzieren. Die Sprache ist schmucklos und einem Neunzehnjährigen angemessen. "Am Abend kam die Feldküche angewackelt und brachte einen Scheißfraß, der wahrscheinlich aus den erfrorenen Schweinerüben zusammengekocht war." Solche Sätze hatten keine Chance, in die "Stahlgewitter" übernommen zu werden. Und wo dort heroische Überhöhungen vorkommen, gibt es hier allenfalls angeberische Passagen, wenn Jünger sich mitten im Geschosshagel der Schlacht "gemütlich ein Pfeiflein ansteckt", um seine Abgebrühtheit herauszustreichen.
Krieg ist ein ganz besonderer Kick, eine Frage von Testosteron und Adrenalin. Der bald schon als Offizier fungierende Jünger erklärt das damit, dass man dabei nicht nur die Erregung des Jägers genießt, sondern zugleich auch die Überreiztheit des gejagten Tieres. Diese doppelte Daseinsteigerung sucht er, indem er sein Leben aufs Spiel setzt. Doch leider nicht nur sein eigenes, sondern auch das seiner Leute, denen er die selbe Rücksichtslosigkeit abverlangt. Wer nicht mitzieht oder sich feige wegduckt, den zeigt er beim Oberkommando an. Man kann nicht sagen, dass dieser Leutnant im Lauf von vier Kriegsjahren sympathischer werden würde. Im Gegenteil: Je länger der Krieg dauert und je mehr er zur Normalität dieser Generation wird, die keine andere Ausbildung hatte, als den Krieg, umso befremdlicher wirkt das soldatische Gebaren.
Überdeutlich ist diesen Notizen abzulesen, dass all das Morden, Vergasen, Erstürmen, sich im Schlamm wälzen, Vernichten, das Pulverisieren von Dörfern und Zerwühlen der Landschaft völlig unsinnig gewesen ist. Die absolute Sinnlosigkeit dieses Krieges tritt umso beklemmender hervor, als sie dem Autor selbst kein einziges Mal zu Bewusstsein kommt. Es gibt nur wenige Augenblicke von Mutlosigkeit, Verzweiflung und Überdruss. Und wenn Jünger einmal schreibt: "Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?", dann nur deshalb, weil er sich, wie so oft, von Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt. Vom großen Schlachten aber hatte er noch lange nicht genug. Erst im August 1918, als ein Lungenschuss ihn niederstreckte, war der Krieg für ihn zu Ende.
Das Kriegstagebuch steht noch vor aller Ideologie. Das macht es zu einer so unschätzbaren Quelle. Es gibt wohl kein zweites Zeugnis dieser Intensität und Dauer – schon deshalb nicht, weil nur wenige an der Front so lange Zeit überlebten.
Besprochen von Jörg Magenau
Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914-1918. Herausgegeben von Helmuth Kiesel
Klett-Cotta, Stuttgart 2010
656 Seiten, 32,95 Euro
Mehr:
Helmuth Kiesel, Herausgeber der Kriegstagebücher von Ernst Jünger, im Interview
Ernst Jüngers früherer Privatsekretär Heinz Ludwig Arnold im Interview
So jedenfalls geht es aus den Kriegstagebüchern hervor, die er von 1914 bis 1918 führte und die das Material lieferten, aus dem er anschließend sein berühmtes Kriegsbuch "In Stahlgewittern" destillierte. Der Heidelberger Germanist und Jünger-Experte Helmuth Kiesel hat sie nun erstmals aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem informativen Nachwort versehen. Die schmucke Ausgabe enthält auch kleine Zeichnungen des Rekruten: Skizzen von Schlachtordnungen oder den Tod als Skelett, das auf einer Granate reitet.
Die Notizen, in der Hitze des Augenblicks entstanden, sind vergleichsweise roh. Ihnen fehlt noch weitgehend die marmorne Kühle und auch der ästhetisierende Blick, für den Jünger später so sehr kritisiert wurde. Der junge Soldat übt nicht nur das Kriegshandwerk, sondern auch das Metier des Schreibens. Nur seine Unerschrockenheit ist von Anfang an da. Er will noch nichts beweisen; er will bloß das Geschehen festhalten und sich schreibend distanzieren. Die Sprache ist schmucklos und einem Neunzehnjährigen angemessen. "Am Abend kam die Feldküche angewackelt und brachte einen Scheißfraß, der wahrscheinlich aus den erfrorenen Schweinerüben zusammengekocht war." Solche Sätze hatten keine Chance, in die "Stahlgewitter" übernommen zu werden. Und wo dort heroische Überhöhungen vorkommen, gibt es hier allenfalls angeberische Passagen, wenn Jünger sich mitten im Geschosshagel der Schlacht "gemütlich ein Pfeiflein ansteckt", um seine Abgebrühtheit herauszustreichen.
Krieg ist ein ganz besonderer Kick, eine Frage von Testosteron und Adrenalin. Der bald schon als Offizier fungierende Jünger erklärt das damit, dass man dabei nicht nur die Erregung des Jägers genießt, sondern zugleich auch die Überreiztheit des gejagten Tieres. Diese doppelte Daseinsteigerung sucht er, indem er sein Leben aufs Spiel setzt. Doch leider nicht nur sein eigenes, sondern auch das seiner Leute, denen er die selbe Rücksichtslosigkeit abverlangt. Wer nicht mitzieht oder sich feige wegduckt, den zeigt er beim Oberkommando an. Man kann nicht sagen, dass dieser Leutnant im Lauf von vier Kriegsjahren sympathischer werden würde. Im Gegenteil: Je länger der Krieg dauert und je mehr er zur Normalität dieser Generation wird, die keine andere Ausbildung hatte, als den Krieg, umso befremdlicher wirkt das soldatische Gebaren.
Überdeutlich ist diesen Notizen abzulesen, dass all das Morden, Vergasen, Erstürmen, sich im Schlamm wälzen, Vernichten, das Pulverisieren von Dörfern und Zerwühlen der Landschaft völlig unsinnig gewesen ist. Die absolute Sinnlosigkeit dieses Krieges tritt umso beklemmender hervor, als sie dem Autor selbst kein einziges Mal zu Bewusstsein kommt. Es gibt nur wenige Augenblicke von Mutlosigkeit, Verzweiflung und Überdruss. Und wenn Jünger einmal schreibt: "Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?", dann nur deshalb, weil er sich, wie so oft, von Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt. Vom großen Schlachten aber hatte er noch lange nicht genug. Erst im August 1918, als ein Lungenschuss ihn niederstreckte, war der Krieg für ihn zu Ende.
Das Kriegstagebuch steht noch vor aller Ideologie. Das macht es zu einer so unschätzbaren Quelle. Es gibt wohl kein zweites Zeugnis dieser Intensität und Dauer – schon deshalb nicht, weil nur wenige an der Front so lange Zeit überlebten.
Besprochen von Jörg Magenau
Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914-1918. Herausgegeben von Helmuth Kiesel
Klett-Cotta, Stuttgart 2010
656 Seiten, 32,95 Euro
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