"Das hat etwas Apokalyptisches"

Moderation: Joachim Scholl |
Von "Apocalypse Now" bis "Avatar": Wie kaum ein anderer Komponist hat Richard Wagner den Sound des modernen Hollywood-Kinos geprägt, sagt der Dirigent Frank Strobel. Im Zusammenspiel mit wuchtigen Filmsequenzen entfalte Wagners Musik eine ungeheuer manipulative Wirkung.
Joachim Scholl: Musik zu einem Film über Richard Wagner – heute zum 200. Geburtstag des Komponisten wird in Baden-Baden ein Film über ihn gezeigt, eine Filmbiografie aus dem Jahr 1913. Und den Score, die Filmmusik dazu, hat der Komponist Bernd Schultheis rekonstruiert und neu instrumentiert. Die musikalische Leitung heute Abend hat der Dirigent und Experte für historische Filmmusik, Frank Strobel, und den begrüße ich jetzt in einem Studio in Baden-Baden. Guten Morgen!

Frank Strobel: Guten Morgen zurück!

Scholl: Diese martialischen wagnerianischen Klänge, Herr Strobel, die wir gerade gehört haben, sie stammen nun gerade nicht von Richard Wagner selbst. Warum wurde denn für jenen Film über ihn keine Originalmusik verwendet?

Strobel: Schlicht und ergreifend deshalb, weil Cosima Wagner dagegen war. Sie hat angeblich so hohe Honorarforderungen oder Lizenzforderungen verlangt, auf die die Filmproduktionsgesellschaft nicht eingehen konnte, und ich denke, das war auch so gewollt von Cosima Wagner, denn sie wollte mit dem damals ja noch etwas niederen Medium, das ja aus dem Jahrmarkt eigentlich heraus sich entwickelt hatte, dem Film, nichts zu tun haben.

Scholl: Kannte Sie denn den Inhalt des Films?

Strobel: Vermutlich nicht. Sie kannte natürlich das Thema, die Biografie von Richard Wagner, aber den Film kannte sie wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber ich glaube, sie wollte einfach grundsätzlich mit dem Medium Film nichts zu tun haben, was ich sehr schade finde, weil ja gerade Richard Wagner, hätte er etwas später gelebt, das wahrscheinlich sein optimales Medium gewesen wäre.

Scholl: Was ist denn das für ein Film?

Strobel: Das ist ein ganz kurioser Film, der zum 100. Geburtstag von Richard Wagner von William Wauer und Carl Froehlich gedreht wurde, das war eine Oskar-Messter-Produktion, also aus dem Jahre 1913, eigentlich ein sehr frühes Dokument des Stummfilms – die Blütezeit des Stummfilms war ja dann eigentlich erst in den 20er-Jahren. Und es ist in der Tat die Biografie Richard Wagners, die dieser Film zum Inhalt hat, aber auf eine, wie ich finde, sehr kuriose Art und Weise, weil es wenig beweihräuchernd ist, weil es teilweise sehr ironisch herüberkommt, und weil der Hauptdarsteller Guiseppe Becce, der den Richard Wagner darstellt, und ihn im Übrigen, trotz dessen er italienische Wurzeln hat, wie aus dem Gesicht geschnitten erscheint. Dieser Guiseppe Becce war eine große Figur der Filmmusik jener Zeit, er war einer der großen Kapellmeister in den Kinos in Berlin, und er hat auch die Musik für diesen Film geschrieben beziehungsweise adaptiert.

Scholl: Selbst als musikalischer Laie würde man nun wohl diese extra komponierte Filmmusik, wir haben ein paar Takte gehört, durchaus dem Komponisten zuordnen können. Was ist denn das Wagnereske daran?

Strobel: Also es ist so, sie haben dann aus der Not eine Tugend gemacht und wollten natürlich die Musik von Richard Wagner erklingen lassen zum Film, und Giuseppe Becce hat das auf eine Weise gemacht, dass man wirklich das Gefühl hat, man hört von "Rienzi" bis zum "Parsifal" die Musik von Wagner, aber immer so ganz knapp vorbei, sodass er keine Urheberrechtsprobleme bekommen hat. Also man erkennt sofort den Holländer und den "Lohengrin" und natürlich die Themen aus dem "Ring der Nibelungen". Es ist aber immer so knapp vorbei, und dadurch bekommt das etwas unfreiwillig Komisches, was aber für uns jetzt aus der Distanz eine ganz besondere Form der Ironie ausmacht.

Scholl: Nun fällt bei vielen opulenten Filmmusiken der Geschichte, wo das volle Pedal getreten wird, also die Totale, oft das Stichwort Wagner. Was macht denn seinen Stil anscheinend fürs Kino so geeignet?

Strobel: Ich glaube, es sind zwei Dinge: Es ist einmal eine technische Sache und es ist eine klangliche Sache. Ich glaube, der Klang von Richard Wagner hat sich im Kino wirklich stark durchgesetzt. Viele Komponisten sind von der Instrumentierungskunst Wagners sehr beeinflusst, sodass man ihn immer wieder findet, auch weil ich finde, dass der Klang von Richard Wagner etwas sehr Griffiges hat. Und dieses Griffige ist ja gerade für die Filmmusik sehr wichtig, weil sie ja auch immer so etwas Bildhaftes haben muss. Und das andere, was ganz entscheidend ist, ist eine Kompositionstechnik, nämlich die Leitmotivtechnik, die ja Richard Wagner wirklich bis zum Exzess ausgeführt hat, und das ist etwas, was die Filmmusik auch sehr stark beeinflusst hat, weil man mit diesen Motiven das Publikum sehr gut an die Hand nehmen kann, auch im Kino.

Scholl: Wenn es um Wagners Musik geht, Herr Strobel, noch mehr um seine Person, dann teilt sich ja in der Regel dass Meer zwischen gigantischer Verehrung und schnaubender Verachtung. Wie geht es Ihnen denn mit diesem Richard dem Großen?

Strobel: Ja, es ist natürlich in der Tat so, man ist manchmal so ein bisschen hin- und hergerissen, jetzt kommt bei mir noch erschwerend hinzu, dass ich ja auch noch Präsident der internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft bin, also dessen Sohn, der ja ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater hatte. Aber ich glaube schon, und gerade ich, der ich mich ja auch mit Film und Filmmusik auseinandergesetzt habe als Musiker, man kommt an Richard Wagner nicht vorbei. Und ich finde auch, Richard Wagner ist dieser Sog, den seine Musik erzeugen kann, und auch dieses Grundsätzliche, in dem, wie er die Themen behandelt, das ist etwas, dem ich mich auch nicht entziehen kann.

Scholl: Der in Hollywood lebende weltberühmte Filmkomponist Hans Zimmer hat einmal von der Wagner-Falle gesprochen, in die man gerade als Deutscher leicht tappen könnte. Bevor wir die Tiefe dieser Falle zusammen mit Ihnen, Herr Strobel, mal ausloten, hören wir die vielleicht weltweit bekannteste Wagner-Filmmusikszene, und auch eine ganz berüchtigte: Den Walkürenritt, wie in Francis Ford Coppola in seinem Vietnam-Film "Apocalypse Now" verwendet, als Soundtrack für einen Angriff mit US-Kampfhubschraubern.



Der Walkürenritt von Richard Wagner, wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Dirigenten Frank Strobel, der heute Abend in Baden-Baden ein cineastisch-musikalischen Filmabend zu Richard Wagner dirigiert. Herr Strobel, diese Musik, die hat Filmgeschichte geschrieben, seit Francis Ford Coppola den Walkürenritt für seinen Kriegsfilm "Apocalypse Now" verwendet hat. Ich vermute, dass Sie diese Szene auch noch gut vor Augen haben: die Hubschrauberformation im Morgengrauen, wie sie vom Meer kommend auf ein vietnamesisches Dorf zufliegt, die Raketen loszischen, und das alles zu den Klängen von Richard Wagner. Wie hat das auf Sie gewirkt? Sie kennen die Szene natürlich.

Strobel: Ja, also wenn man diese Szene gesehen hat, vor allen Dingen im Kino gesehen hat, dann …

Scholl: Auf der großen Leinwand!

Strobel: … auf der großen Leinwand, mit hoffentlich einem guten Ton, dann wird man das nie vergessen, es ist wirklich eine Ikone der Filmgeschichte, und ich glaube, dass der Francis Ford Coppola sich der Musik von Richard Wagner bedient hat, ohne sich zu viele ideologische Gedanken zu machen, sondern sie einfach verwendet hat wegen ihrer ungeheuren Wirkung in der Verbindung mit diesen wahnsinnigen Bildern. Und das hat ja auch etwas Apokalyptisches, und in Richard Wagners Werk findet man ja nun auch häufig Apokalyptisches, also insofern ist das eine ideale Verbindung. Für uns vielleicht, als Deutsche, und auch mit dem Hintergrund, unserem historischen Hintergrund, da mag man dann vielleicht schon so ein gewisses Unbehagen haben, aber auf der anderen Seite denke ich, das ist es eben genau, wie man in einem Kunstwerk das so wunderbar auf den Punkt bringen kann.

Scholl: Man kann sich ja aber wirklich schwer von der Ästhetik dieser Bilder losmachen. Sie sind irgendwie erhebend, und in dem Moment, indem man so etwas empfindet, schimpft man sich gewissermaßen selber aus, weil es hier um Krieg, Mord und Totschlag geht, und dann spätestens fällt einem auch wieder ein, wie sehr Hitler Richard Wagner geliebt hat.

Strobel: Eben!

Scholl: Kann die Musik, Herr Strobel, vielleicht doch was dafür?

Strobel: Ja, das ist eine ganz schwierige Frage, finde ich, über die auch schon viel diskutiert wird. Natürlich kann Musik etwas dafür, aber nur in der Weise, als dass man sie eben verwenden kann, also zu einer funktionellen Musik machen kann, und das ist ja Filmmusik, und damit eine Wirkung erzeugen kann, die auch gut missbraucht werden kann. Und gerade Goebbels wusste ja nun sehr genau als Propagandaminister, wie man Musik zum Beispiel in den "Wochenschauen" einsetzen konnte. Aber ich finde, man darf der Musik als solches nicht die Schuld geben, und Richard Wagner schon in dem Moment gleich gar nicht, ich meine, der war schon längst tot, und der kann ja nun gar nichts mehr beeinflussen, wenn ein späterer Filmregisseur daherkommt und seine Musik verwendet.

Scholl: Ich habe vorhin schon Hans Zimmer erwähnt, den Hollywood-Komponisten, der einmal von der Wagner-Falle gesprochen hat, vor der man sich gerade als Deutscher hüten müsste. Und Hans Zimmer sagt, diese Falle sei das falsch Heroische, das Heroische ohne Moral und Würde. Was wäre denn Ihre Meinung zur möglichen Gefahr Richard Wagners, Herr Strobel?

Strobel: Ich denke, wenn man die Musik verwendet und vielleicht auch missbraucht, dann kann man sie in einer Weise verwenden, dass man auch die Meinung oder die Emotionen von Menschen, die das erleben, ebenso missbrauchen kann. Und trotzdem stellt sich für mich dann die Frage, wer ist der Urheber, und in dem Moment ist für mich nicht der Komponist der Urheber, sondern derjenige, der es verwendet hat. Richard Wagner an sich ist natürlich auch für mich da sehr ambivalent, denn auch er ist ja eine Figur, die auch durch seine Schriften beispielsweise, also über das Judentum in der Musik beispielsweise, für mich schon auch einen enormen Widerspruch auslöst.

Scholl: Sie sprechen die wirklich widerlich antisemitische Schrift an, die, glaube ich, auch wirklich die Debatte über seine Musik bis heute ja prägt.

Strobel: … geprägt hat, absolut.

Scholl: Hans Zimmer meinte auch, dass die Musik Wagners ja so etwas von oben herab komponiert sei, und er nennt sie eine ausgekochte Manipulation. Sehen Sie das auch so?

Strobel: Filmmusik ist immer manipulativ. Und wenn Richard Wagners Musik als Filmmusik eingesetzt wird, dann ist sie erst recht manipulativ. Ich finde es ja sehr interessant, dass sich gerade Hans Zimmer, der ja ein deutscher Komponist ist und in Amerika lebt, so intensiv damit auseinandersetzt, denn das ist auch meine Erfahrung in der Vergangenheit gewesen, dass wir als Deutsche, glaube ich, schon ein besonders, ich will mal sagen, gebrochenes oder auch vorsichtiges Verhältnis haben zur Wirksamkeit von Emotionen. Und gerade was Filmmusik angeht, auf Filmmusik hat man, als ich angefangen habe, vor 25 Jahren Filmmusik zu spielen, hat man immer so ein bisschen gefragt, warum machen Sie das eigentlich, so nach dem Motto, wie können Sie sich auf die Filmmusik einlassen, das ist doch Kunst zweiter Klasse und Ähnliches.

Also man hat der Filmmusik in einer gewissen Weise misstraut. Und ich glaube, dass ist in unserer Geschichte begründet, auch – und ganz besonders – durch das Dritte Reich und die ja sehr manipulative Verwendung von Musik dort, und das sehen wir ja dann in der weiteren Filmgeschichte, dass zum Beispiel symphonische Musik – und da sprechen wir ja nun auch von der Musik Richard Wagners – im Kino der 60er- und 70er-Jahre kaum mehr verwendet wurde.

Scholl: Wie groß ist Richard Wagners musikalische Macht denn inzwischen noch im Kino? Hört man noch seinen Stil, was würden Sie sagen?

Strobel: Also ich glaube, die, vor allen Dingen die amerikanische Filmmusik ist ohne Richard Wagner und dessen Erben – das muss ich jetzt mal ganz klar betonen, sicherlich nicht vorstellbar. Denn die Komponisten, die den Hollywood-Sound geprägt haben in den 30er-Jahren, das waren ja meistens die Immigranten, die aus Mitteleuropa nach Amerika gegangen sind, also Komponisten wie Max Steiner, Erich Wolfgang Korngold, Franz Waxmann, wie er damals noch hieß, später Franz Waxman,die diese europäische Musiktradition im Gepäck hatten.

Und die waren natürlich auch von Wagner sehr stark beeinflusst, also denken Sie jetzt an die "Tote Stadt" von Korngold, die Oper, das ist ein Werk, wovon ich denke, das ist ohne Wagner so auch nicht denkbar. Und das haben die mitgenommen nach Amerika, und dieser Einfluss wirkt bis heute fort. Gerade wenn Sie sich Science Fiction ansehen heutzutage, jetzt ganz jüngst "Prometheus" oder auch ein "Avatar", das ist eine Klanglichkeit in der Musik, wo man ganz klar Richard Wagner heraushört.

Scholl: Heute Abend dirigieren Sie, Frank Strobel, die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die dann jene camouflierten Wagnerklänge intonieren wird. Wie fühlt sich diese Musik eigentlich für Sie selbst als Dirigent an? Ich stelle mir gerade so die ersten Takte vor – volle Kraft voraus, da wehen die Haare, fliegen die Rockschöße.

Strobel: Ja, teilweise, denn das Interessante ist ja, bei der Musik und auch bei der Adaption von Giuseppe Becce, dass er gerade, wenn es um die Jugend und Entwicklung von Richard Wagner geht, also hin zu einem Komponisten, er noch sehr stark auf die klassischen Komponisten ausweicht. Also wir haben relativ viel Mozart, Beethoven, Haydn, auch ein bisschen Rossini drin für die revolutionären Momente der Biografie von Richard Wagner. Und dann schwappt es so hinüber in den – ich sage es mal in Anführungszeichen – "echten" Wagner. Und für mich als Dirigent ist das dann immer so ein bisschen gefährlich, weil gerade, wenn man Musik zum Film aufführt, ist man ja auch gewissen technischen Gegebenheiten ausgesetzt, sprich, der Film wartet ja nicht auf einen, und man muss sich in seinen eigenen Emotionen dann schon etwas zügeln, dass man nicht plötzlich hinterher ist.

Scholl: Wir müssen uns verabschieden, Frank Strobel, und wollen gleich nochmals Filmmusik hören, die Sie auch dirigiert haben, nämlich die Neuaufnahme der rekonstruierten Originalpartitur von Fritz Langs "Metropolis" von 2011, das war eine Weltsensation damals. Sagen Sie uns noch ein Wort dazu?

Strobel: Ja, also da hören wir es auch wieder ganz deutlich, es ist die Musik von Gottfried Huppertz, die er für die Premiere 1927 geschrieben hat, und das ist ein ganz, entgegen man es erwartet bei einer Utopie, einem Science Fiction, das Metropolis ja ist, ist es eine Musik mit sehr spätromantischem Duktus, also die Orchestermusik des auslaufenden 19. Jahrhunderts.

Scholl: "Metropolis" – der neue Soundtrack zu Fritz Langs Klassiker. Und wir hören das Rundfunksymphonieorchester Berlin, dirigiert von Frank Strobel. Ihnen herzlichen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben, Herr Strobel, und viel Erfolg für heute Abend!

Strobel: Ich bedanke mich sehr herzlich!

Scholl: Und übrigens läuft jener Richard-Wagner-Film von 1913, über den wir eingangs sprachen, heute Abend auch im Fernsehen auf arte, leider erst ab 23:55 Uhr.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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