"Das hat mich geflasht"

Karl Bruckmaier im Gespräch mit Joachim Scholl |
John Lennon war nicht nur Sänger und Songtexter, er hat auch gern in seinem Notizbuch gedichtet und gekritzelt. Daraus entstand 1964 der Band "In His Own Write", der sich rasch zum Bestseller entwickelte. Karl Bruckmaier hat ihn neu übersetzt.
Joachim Scholl: "Nichts davon muss einen Sinn ergeben, es reicht, dass es lustig ist" – diesen Satz hat Paul McCartney seinem Beatle-Kompagnon John vorwörtlich ins Buch geschrieben: 1964 erschien "In His Own Write", das erste Buch von John Lennon. Jetzt, zum 30. Todestag, ist der Band erneut auf Deutsch erschienen, "In seiner eigenen Schreibe", so der deutsche Titel, und dort findet sich zum Beispiel auch diese Geschichte vom Fettgewächs auf Erich Hingerl:

Sprecher: "Eines fetten Morgens erwachte Erich Hingerl mit einem abnormaden Fettgewächs drekt auf seinem Kopf. Oh bimmel zerbott, sagte Erich Hingerl etwas sehr, sehr erstaunt, doch benahm er sich weiters wie bewohnt, denn weshalb sollte er sich grämen? Auf einmal hörte er ein dünnes, kleines Stümpchen, das ihn beim Namen rief: Erich, Erich Hingerl, schien es zu sagen – obwohl ich es nicht beschwören könnte. In jener Nacht sprach dasselbe Stümpchen erneuert, und zwar: Erich, ich bin das Gewächs auf deinem Kopf. Hilf mir, Erich! Bald war Erich seinem Freund Fettgewächs sehr zugetan. Sag Grind zu mir, sagte das Fettgewächs, und das war es ja auch. Sag Erich zu mir, sagte Erich so ungezwungt wie nörglich. Seitdem sah man Erich nie mehr ohne das große grindige Fettgewächs auf seinem Kopf, und deshalb verlor Erich Hingerl seine Stellung als Veitstanz-Tanzlehrer für spastisch gelähmte Knaben. Wir wollen keinen Krüppel als Lehrer für unsere Jungs, sagte der Schuldirektor."

Scholl: "Das Fettgewächs auf Erich Hingerl", eine von mehreren ziemlich skurrilen Geschichten, verfasst von John Lennon, abgedruckt in seinem Buch "In seiner eigenen Schreibe", original 1964 veröffentlicht, jetzt ist es auf Deutsch neu erschienen. An dieser Ausgabe hat der Musikkritiker und Regisseur Karl Bruckmaier mitgewirkt. Er ist jetzt im Studio. Ich grüße Sie!

Karl Bruckmaier: Schönen Tag!

Scholl: Da haben wir ja eben mit dieser Geschichte gerade den Beweis gehört, dass John Lennon Franz Kafka gekannt haben muss, oder?

Bruckmaier: Ja, einen halben Kafka wird ihm jemand schon mal vorgelesen haben, so wird es nicht gewesen sein. Aber wir haben auch zum Beispiel Herrn Hingerl kennengelernt, Berliner Fernsehzuschauern wahrscheinlich nicht bekannt, aber ich bin mit dem Hingerl aufgewachsen und habe ihn in diese Geschichte jetzt in der Nachübersetzung hineinpacken können. Es gab in der Münchner Abendschau so in den frühen 70er-Jahren eine gezeichnete Geschichte, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, minutenlang das gleiche Bild, minutiös schön gezeichnet, und dazu wurde getragen ein Text über das Leben von Herrn Hingerl, der immer sehr absurd war, vorgetragen, und das ist eine kleine Referenz an die Zeit jetzt über die Übersetzung wieder eingeflossen.

Scholl: Beim Hören tritt es nicht so ganz deutlich zutage wie beim Lesen, Herr Bruckmaier – Lennon spielt permanent mit Worten, Begriffen, aus "direkt" wird "drekt", "so ungezwungen wie möglich" heißt dann "so ungezwungt wie nörglich". Das muss für die ersten Übersetzer vermutlich eine riesige Hürde gewesen sein, weil …

Bruckmaier: Das ist auch das Geniale. Das muss man sich ja mal vorstellen, das Buch wird 1964 geschrieben, kurz darauf von Kossodo und Rogosky, zwei jungen Typen, übersetzt, und das war ja lange vor, ich sage mal, einer Fernsehserie wie "Die Zwei", lange vor Monty Python’s "Flying Circus", lange vor allem, was Sprachhumor in Deutschland auf eine neue Ebene katapultiert hat.

Scholl: Ernst Jandl war auch noch nicht da.

Bruckmaier: Nein, Ernst Jandl war auch noch nicht da, und ich muss da leider immer wieder ein bisschen biografisch werden: Ich habe das Buch in der Bertelsmann-Lesering-Ausgabe 1970, 1971 würde ich mal sagen in die Finger bekommen. Und das war für mich wichtiger als die Songs der Beatles, weil das hat mich geflasht – aha, das darf man auch, ach, das geht auch. Und Jandl und Monty Python und "Die Zwei", die kamen dann alle später dazu, ja, aber das war schon der erste Flash.

Scholl: Sie haben jetzt für die neue Ausgabe diese Übersetzung von Wolf Rogosky und Helmut Kossodo noch mal überarbeitet. In welchem Umfang und wie denn?

Bruckmaier: Kam so zustande. Der Blumenbar Verlag, in dem das Buch erschienen ist, hat mich angerufen vor etwa einem Jahr, ob ich die Lennon-Gedichte neu übersetzen möchte. Und ich sagte ganz spontan: 'Nein, auf gar keinen Fall, die sind ja hervorragend' - eben aus meiner biografischen Erfahrung heraus, weil ich das bis heute bewundere, was die beiden geleistet haben. Ich sagte, ich könnte es mir höchstens anschauen und das ein bisschen aufpimpen für das Jahr 2010, 2011, und so ist es dann auch geworden.

Es ist vom Umfang her vielleicht etwas mehr geworden, als ich mir dachte, ich würde sagen, ein Drittel des Buches, 40 Prozent sind vielleicht in neuem Gewande jetzt dahergekommen. Das hat manchmal mit dem Versmaß zu tun, mit dass der eine Reim nicht mehr auf den anderen passt, sind ja auch einige Gedichte drin. Zum anderen hat es damit zu tun, dass sich die Übersetzer damals auf Medienpersönlichkeiten in ihrer Übersetzung bezogen haben, die heute nicht mehr so bekannt sind, ja, was weiß ich, der Frühschoppen mit Erich Höfer ist nicht mehr unbedingt Haushaltsware, musste man was anderes finden.

Scholl: Diese Wortverdrehungen, Verballhornungen, die erinnern, ja, den deutschen Literaturkenner sofort an Arno Schmidt, und im Englischen natürlich an James Joyce und seinen Großroman "Finnegans Wake", also der durch diese Operationen am offenen Wort ja auch schwer lesbar wird, aber natürlich umso, ja, origineller und interessanter. War Lennon ja ein Joyce-Leser, oder hat er einfach als Engländer vielleicht so diese Luft auch geatmet dieser Moderne?

Bruckmaier: Ich glaube, dass man große literarische Werke – ob das jetzt "Finnegans Wake" ist oder, ich sage mal, "Die Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss, über die wir eingangs schon mal off Mikro geredet haben –, dass man diese Romane nicht unbedingt gelesen haben muss, um sie zu kennen, in Anführungszeichen. Ich glaube, es gibt so was wie eine osmotische Möglichkeit, Literatur aufzunehmen.

Allein der Titel von dem Buch oder allein bestimmte Techniken, die dann in Alltagstextproduktion einfließen, sei es Journalismus, seien es in Lennons Fall vor allem Radiosketche und Ähnliches, der Umgang mit Sprache – das findet statt, das wird profanisiert, das wird nicht mehr so hochkünstlerisch gemacht, wie das vielleicht ein Joyce angegangen ist, wobei man es ja auch nicht immer so genau weiß, Klammer auf, Klammer zu, ja. Aber das fließt ein.

Und auch so ein junger rüpelhafter Typ aus Liverpool, ja, der geboren wurde, als die Nazis die Stadt bombardiert haben, wie es bei ihm heißt, der hat es auch aufgenommen, hat gemerkt, ach, man kann mit den Wörtern rumspielen, und die Wörter haben dahinter vielleicht noch eine zweite oder dritte Bedeutung, wenn man sie verdreht. Und genau das macht er, das macht er wie die Radiocomedyhelden seiner Kindheit, denen er zugehört hat abends im Bett.

Scholl: "In seiner eigenen Schreibe"; John Lennons erstes Buch wieder neu auf Deutsch, der Musikkritiker Karl Bruckmaier ist zu Gast hier in Deutschlandradio Kultur. Blenden wir jetzt mal zurück ins Jahr 1964, Herr Bruckmaier. Wie kam das Buch eigentlich zustande?

Bruckmaier: Es gibt jetzt in der Neuübersetzung, was ich sehr dankenswert finde, im Vorwort des englischen Musikers John Savage, der das sehr genau recherchiert hat. 1964 war der Anfang der Beatlemania, das Wort wurde geprägt, es waren drei, vier, fünf Songs gleichzeitig an der Spitze der Charts, die Beatles-typische Hysterie, die wir ja gerade in dem ersten Film "Hard Days Night" so wunderbar beobachten kann mit diesen nachlaufenden, kreischenden Mädchen erreichte gerade ihren Höhepunkt. Also haben sich auch irgendwelche Verlage, die auf die Ausbeutung von Tagesereignissen spezialisiert waren, gedacht, na ja klar, machen wir ein Beatles-Buch, und der nächste hat gesagt, da können wir mal auch noch ein Beatles-Buch und so weiter.

Es wurde also ein ganzes Heer von Journalisten auf die Jungs angesetzt und haben mehr oder weniger gründlich recherchiert. Und ein amerikanischer Kollege, der für einen englischen Verlag zugange war, hat zufällig gesehen, dass es ein Notizbuch gab mit so Kritzeleien, Krakeleien von Lennon drin und auch kleinen Gedichten und Szenen, hat es seinem Verleger erzählt, der hat sich das angeguckt, hat dem Lennon ein paar hundert Pfund Vorschuss gezahlt und das Buch kam raus, mit großer Skepsis von den Buchhändlern entgegengenommen, die die Nase rümpften.

Ich glaube, das muss man sich mal vorstellen, am Anfang vom Erfolg von Tokio Hotel hätten die Jungs gleich ein Buch auch am Start gehabt, da hätte der ordentliche Buchhändler wohl auch mal das Näschen gerümpft. Da war es genauso. Und dann ging aber gleich in der ersten Woche irgendwie 2500 Stück und dann innerhalb von wenigen Monaten ein sechsstelliger Teil über den Ladentisch. Und da waren natürlich die Leute ganz anderer Meinung, es wurde gleich ein zweites Buch geschrieben, das hieß dann "Ein Spanier macht noch keinen Sommer", ist nicht wesentlich anders oder schlechter oder besser als das zweite, vielleicht kommt es ja noch auf Deutsch nachgeliefert. Und es war ein riesiger literarischer Erfolg mit ernsten Kritiken, aber eben auch mit Erfolg bei den Fans.

Scholl: In dieser Phase, 64, waren Beatles-Texte ja noch eher so banal, Herz und Schmerz und 'baby' und 'maybe'. Ich meine, zeigt denn die Prosa von "In His Own Write" schon auch den Weg, so den Pfad zu den ausgefallenen oder auch abgedrehten späteren Texten von "Revolver" und "Sergeant Peppers" und "I Am The Walrus".

Bruckmaier: Ja, besser hätte ich es nicht formulieren können, ganz genau. Das ist … Lennon und auch McCartney und so weiter kommen natürlich aus einer Tradition, wo auch ganz unbewusst klar war, was darf ich in dem Song, was kann ich in dem Song, ja, irgendwie Herz auf Schmerz reimen und nichts anderes, und ihr Management wird ihnen auch nichts anderes gesagt haben und ihre Plattenfirma. Und wenn man jung ist und man gerade am Erfolg schnuppert, dann wird man diese Regeln auch nicht notwendigerweise – gerade in so einer festgefügten Medienwelt, in der wir uns ja 64 befinden –, nicht unbedingt brechen.

Aber Lennon merkt: Ich kann auch mit meinem skurrilen, gefährlichen, manchmal schmutzigen, manchmal politisch überhaupt nicht korrekten Anmerkungen ein Publikum erreichen, und er schrieb auch irgendwo, er sei viel mehr bei sich, wenn er diese Texte schreibt als die Songs. Und das hat er halt im Laufe der Zeit ändern können, weil der Erfolg hat ihm auch die Macht dazu gegeben, und damit auch die Popmusik zu revolutionieren, der Kunst näherzubringen.

Scholl: Sie haben jetzt der neuen Ausgabe, Herr Bruckmaier, einen Nachklapp angefügt, im Stile Lennons eine wilde Seite, Hommage an die Übersetzer von einst, Helmut Kossodo und Wolf Rogosky, auch eine Erinnerung an die Zeiten, als der Band damals auf Deutsch erschien. Vorhin haben Sie schon ein bisschen erläutert, also das spießige Deutschland und noch kein Gedanke an das Sprachspiel. Hat Lennons so literarisches Revoluzzertum – sagen wir jetzt mal ein bisschen pathetisch – heute noch Bestand?

Bruckmaier: Ich würde sagen, nicht unbedingt in der Fassung, wie sie vorlag, deswegen danke sehr für die neue Fassung des Blumenbar Verlags. Und natürlich muss man … Oder ich fange den Satz noch mal an: Es fällt einem leichter, das zu goutieren, sage ich mal, wenn man eine schwache Seite hat für eine Fernsehserie wie "Die Zwei" oder so was, wenn man diese Art von Spreche schon kennt, wenn man diese Art von halbanzüglichem, wilden Denken und Sprachwitz goutieren kann.

Wenn man jetzt meint, man würde jetzt hier Dinge mit psychologischem und freudianischen Tiefgang wie bei "Finnigans Wake" entdecken – nein. Es ist genau wie das von Ihnen anfangs gelesene Zitat von Paul McCartney, das sagt: 'Es muss überhaupt keinen Sinn machen, Hauptsache, es macht Spaß.' Ich wünsche viel Spaß damit!

Scholl: Danke schön, Karl Bruckmaier war das, Musikkritiker und Bearbeiter der neuen deutschen Ausgabe von John Lennons erstem Buch, "In seiner eigenen Schreibe", jetzt wieder erschienen im Berliner Blumenbar Verlag, 87 Seiten für 16,90 Euro, und jetzt ist höchste Zeit für Musik von John Lennon.