Das Heller-Syndrom
Alle diejenigen, die jetzt noch bedauern, dass es am 7. Juni nicht zur WM-Eröffnungs-Gala im Olympiastadion kommt, könnte man vielleicht durch folgende These darüber hinwegtrösten: Ich behaupte, die von André Heller verantwortete Show wäre zwar sicher ein optischer und akustischer Knüller geworden, aber sie hätte zugleich so gut wie gar nichts über das Gastgeberland ausgesagt. Und das würde, mindestens ich, für sehr bedauernswert gehalten haben. So stünde ein Bedauern gegen das andere.
Heller hat seine Absage an deutsche Trachtengruppen, Schuhplattler und Jodelsänger äußerst gewitzt begründet. Das sei ihm alles zu piefig und spießig. Schließlich heiße das Motto der WM "Die Welt zu Gast bei Freunden" und nicht "Deutschland allein zu Haus". Darüber hinaus verwies er auf das Heikle des Ortes der Veranstaltung. Da, wo auch nach dem Umbau immer noch die Statuen Arno Brekers und Hitlers Glockenturm stünden, könne man nicht Szenarien zeigen, die möglicherweise als Deutschtümelei missverstanden werden.
Gesteh ich’s nur: Ich hätte am 7. Juni liebend gern ein sorbisches Ensemble gesehen, ob als Trachtengruppe aus dem Spreewald oder als Osterreiter aus der Gegend um Bautzen. Oder als einheimischen Chorverband. Nur als Beispiel für vieles. Doch das Heimatliche ist uns spätestens seit den dreißiger Jahren unheimlich geworden. Es ist, als dürften wir nicht sorglos daran anknüpfen, wenigstens nicht vor einer Weltöffentlichkeit. Der Verdacht des Provinziellen wäre dabei noch der harmloseste.
Und doch scheint mir die Zurschaustellung purer Internationalität ohne Bezug zur Nation bzw. zu dem, was sie auch ausmacht, zu ihren Regionen, seltsam entwurzelt. Der heikle Ort des Olympiastadions, eine Art Un-Ort, würde zum Schauplatz eines ortlosen Geschehens geworden sein. Wir hätten uns als Freunde der Welt gezeigt, die sich selber kaum als Freunde betrachten können.
Wie anders konnten vor zwei Jahren die Griechen mit ihrem Erbe umgehen. Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele inszenierten sie eine historische Parade mit intensivem Mythenbezug, der Millionen Zuschauer begeistert hat. Auch mich. André Heller wiederum sah sich unangenehm an "gewisse lebende Bilder in den Festumzügen der Faschisten und Nazis" erinnert - so wörtlich im Interview eines Nachrichtenmagazins kurz nach Beginn der Spiele in Athen. Vielleicht reagierten die Millionen in ihrer Begeisterung nicht sensibel genug auf die versteckten politik-ästhetischen Gefahren des Mummenschanzes. Vielleicht hat aber auch Heller überreagiert.
Zweifellos lassen sich die alten griechischen Mythen auf die Nation der Griechen und nur auf sie beziehen. Sie lassen sich jedoch ebenso gut als nationenübergreifend verstehen - was, wenn nicht für die Welt insgesamt, wenigstens für Europa gilt, das seine kulturellen und politischen Traditionen auf das alte Hellas zurückführt. Aus diesem Grund fand ich damals an der Show nichts Verwerfliches, das andere Nationen ausgeschlossen hätte. Im Gegenteil.
Könnte man den Auftritt eines Jodlers etwa so gestalten, dass der ganze Erdkreis davon entzückt wäre? Ich meine, ja. Es bedürfte nur eines Regisseurs, der das Händchen dafür hätte. Es bedürfte einer Persönlichkeit, die das Deutsche nicht gleich verdächtigte, ansonsten aber so staunenswert wie der Wiener Aktionskünstler zu Werke ginge.
Da uns eine solche Persönlichkeit derzeit augenscheinlich nicht zu Diensten steht, sollten wir von Hellers Künsten lernen und die ins Wasser gefallene WM-Gala zum Anlass nehmen, seine Visionen zu studieren. Womöglich lassen sie sich doch irgendwie mit einheimischem Kolorit versehen. Einheimisch geht ja auch der Wiener vor. Nur nicht bei den Deutschen.
Wo er es tut, wie jüngst mit seiner Zirkus-Show "Afrika!, Afrika!", wird es äußerst spannend. Er nennt die Afrikaner "zauberische, wunderschöne Menschen, voll funkelnder positiver Energie", die eine Verbindung zwischen Ursprünglichkeit und Moderne demonstriere. Ihr freudvolles Agieren mache ihnen so viel Spaß, dass es den Zuschauer anstecken werde und er Afrika nicht weiter als Synonym für Armut oder AIDS ansehen müsse.
Nirgendwo spürt man besser als bei diesem Projekt, welch wienerischer Charme in Heller steckt. Und doch gibt es in seinem visionären Gesamtkunstwerk eine Stelle, die uns helfen könnte, das gesuchte Verbindungsstück zwischen Region, Nation und Internationalität zu finden. Einer der Zauberkünstler aus Afrika hat daheim über seinem Bett mit den bunten Wolldecken anscheinend eine Schweizer Alpenlandschaft hängen, also blauer Himmel, weiße Berge, grüne Wiese. Das wäre für ihn, der zuvor nicht hier gewesen sei, Deutschland - so ist es in einer Publikumszeitschrift nachzulesen.
Wenn aber für einen Afrikaner die Schweizer Alpen typisch deutsch sind, er sie sich sogar extra übers Bett hängt, dann fehlt nicht viel, und er findet auch einen Alpenjodler gut, ohne daran Anstoß zu nehmen.
Wir mussten mit Heller erst nach Afrika blicken, um uns in Afrika als Deutsche erkennen zu dürfen.
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".
Gesteh ich’s nur: Ich hätte am 7. Juni liebend gern ein sorbisches Ensemble gesehen, ob als Trachtengruppe aus dem Spreewald oder als Osterreiter aus der Gegend um Bautzen. Oder als einheimischen Chorverband. Nur als Beispiel für vieles. Doch das Heimatliche ist uns spätestens seit den dreißiger Jahren unheimlich geworden. Es ist, als dürften wir nicht sorglos daran anknüpfen, wenigstens nicht vor einer Weltöffentlichkeit. Der Verdacht des Provinziellen wäre dabei noch der harmloseste.
Und doch scheint mir die Zurschaustellung purer Internationalität ohne Bezug zur Nation bzw. zu dem, was sie auch ausmacht, zu ihren Regionen, seltsam entwurzelt. Der heikle Ort des Olympiastadions, eine Art Un-Ort, würde zum Schauplatz eines ortlosen Geschehens geworden sein. Wir hätten uns als Freunde der Welt gezeigt, die sich selber kaum als Freunde betrachten können.
Wie anders konnten vor zwei Jahren die Griechen mit ihrem Erbe umgehen. Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele inszenierten sie eine historische Parade mit intensivem Mythenbezug, der Millionen Zuschauer begeistert hat. Auch mich. André Heller wiederum sah sich unangenehm an "gewisse lebende Bilder in den Festumzügen der Faschisten und Nazis" erinnert - so wörtlich im Interview eines Nachrichtenmagazins kurz nach Beginn der Spiele in Athen. Vielleicht reagierten die Millionen in ihrer Begeisterung nicht sensibel genug auf die versteckten politik-ästhetischen Gefahren des Mummenschanzes. Vielleicht hat aber auch Heller überreagiert.
Zweifellos lassen sich die alten griechischen Mythen auf die Nation der Griechen und nur auf sie beziehen. Sie lassen sich jedoch ebenso gut als nationenübergreifend verstehen - was, wenn nicht für die Welt insgesamt, wenigstens für Europa gilt, das seine kulturellen und politischen Traditionen auf das alte Hellas zurückführt. Aus diesem Grund fand ich damals an der Show nichts Verwerfliches, das andere Nationen ausgeschlossen hätte. Im Gegenteil.
Könnte man den Auftritt eines Jodlers etwa so gestalten, dass der ganze Erdkreis davon entzückt wäre? Ich meine, ja. Es bedürfte nur eines Regisseurs, der das Händchen dafür hätte. Es bedürfte einer Persönlichkeit, die das Deutsche nicht gleich verdächtigte, ansonsten aber so staunenswert wie der Wiener Aktionskünstler zu Werke ginge.
Da uns eine solche Persönlichkeit derzeit augenscheinlich nicht zu Diensten steht, sollten wir von Hellers Künsten lernen und die ins Wasser gefallene WM-Gala zum Anlass nehmen, seine Visionen zu studieren. Womöglich lassen sie sich doch irgendwie mit einheimischem Kolorit versehen. Einheimisch geht ja auch der Wiener vor. Nur nicht bei den Deutschen.
Wo er es tut, wie jüngst mit seiner Zirkus-Show "Afrika!, Afrika!", wird es äußerst spannend. Er nennt die Afrikaner "zauberische, wunderschöne Menschen, voll funkelnder positiver Energie", die eine Verbindung zwischen Ursprünglichkeit und Moderne demonstriere. Ihr freudvolles Agieren mache ihnen so viel Spaß, dass es den Zuschauer anstecken werde und er Afrika nicht weiter als Synonym für Armut oder AIDS ansehen müsse.
Nirgendwo spürt man besser als bei diesem Projekt, welch wienerischer Charme in Heller steckt. Und doch gibt es in seinem visionären Gesamtkunstwerk eine Stelle, die uns helfen könnte, das gesuchte Verbindungsstück zwischen Region, Nation und Internationalität zu finden. Einer der Zauberkünstler aus Afrika hat daheim über seinem Bett mit den bunten Wolldecken anscheinend eine Schweizer Alpenlandschaft hängen, also blauer Himmel, weiße Berge, grüne Wiese. Das wäre für ihn, der zuvor nicht hier gewesen sei, Deutschland - so ist es in einer Publikumszeitschrift nachzulesen.
Wenn aber für einen Afrikaner die Schweizer Alpen typisch deutsch sind, er sie sich sogar extra übers Bett hängt, dann fehlt nicht viel, und er findet auch einen Alpenjodler gut, ohne daran Anstoß zu nehmen.
Wir mussten mit Heller erst nach Afrika blicken, um uns in Afrika als Deutsche erkennen zu dürfen.
Erik von Grawert-May, 1944 in Lauban/Niederschlesien geboren, studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Paris, Tübingen und Berlin. Er habilitierte sich über den Barockbegriff "Theatrum Belli", ist seit 1994 Professor für Unternehmensethik und -kultur an der Fachhochschule Lausitz und leitet seit 1999 das "Hanns von Polenz Institut für regionalgeschichtliche Studien, Senftenberg".