Diwali ist ein bisschen wie Weihnachten
Diwali ist das wohl wichtigste Fest im hinduistischen Kalender. Wegen seiner spirituellen und seiner sozialen Bedeutung und seines fröhlichen Charakters lässt es sich gut mit Weihnachten vergleichen.
Neu-Delhi, Sarojini-Nagar-Markt: Fluchend, schubsend und mit Killermiene versuchen drei junge Männer, sich eine Gasse durch die Menge zu schlagen. Vergeblich. Niemand lässt sie durch. Jedes Jahr vor Beginn des Diwali-Fests – weinende Kinder ziehen die abgekämpft dreinschauenden Eltern zum Stand des Süßigkeiten-Händlers, der Berge von Jalebis, frittierten Teigkringeln, vor sich aufgehäuft hat.
Selbstvergessen lässt ein älterer Herr einen Jalebi im Mund zergehen. Mit der linken Hand hält er zwei zusammengerollte Lichterketten auf seinem Kopf fest, fragile Ware, die in der Menge leicht Schaden nehmen könnte und dazu dient, der Glücksgöttin Lakshmi den Weg zu seinem Haus auszuleuchten. Mit seiltänzerischer Geschmeidigkeit weicht der ältere Mann Polizisten mit Schlagstöcken aus, die gerade versuchen, die wogende Menge vor einem kleinen Laden in Schach zu halten.
Dort werden sogenannte "Diwali Floating Flower Bowls" verkauft – Tonschalen, die Wasser enthalten und über und über von schwimmenden Blüten und Teelichten bedeckt sind. Wegen des Andrangs haben sich Anil Biljani und seine Frau gerade von der Idee verabschiedet, hier und heute noch ein solches Kleinod zu erstehen.
Außerdem sind die Tragekörbe und die Einkaufstüten der Biljanis schon bis an den Rand gefüllt. Sie bergen CDs mit ritueller Musik, holzig-süß riechendes Räucherwerk, sechs Geschenkschachteln mit Diwali-Süßigkeiten, zwei Garnituren Feuerwerkskörper, Sandelholz-Lotion für die Reinigung der Götterstatuen des Haustempels und die angemessene Bekleidung für den festlichen Anlass – den neuen, golddurchwirkten Sari für die Ehefrau Biljani und einen schmalgeschnittenen Anzug aus weißer Baumwolle für ihren Gatten.
"An Diwali kommt die ganze Familie zusammen"
Wenn ihre Kinder mit den Enkeln aus den USA kommen und die Verwandten aus dem Süden Indiens, wollen die Biljanis beim wichtigsten Fest des Jahres vor ihren Gästen nicht zurückstehen.
"An Diwali kommt die ganze Familie zusammen. Wir treffen Verwandte und Freunde, bringen ihnen Süßigkeiten mit und tauschen Geschenke aus. Damit die Götter auf uns aufmerksam werden, haben wir unsere Häuser an den Festtagen hell erleuchtet. Diwali ist ein Fest der Freude."
Diese Gefühle teilen die Biljanis mit den meisten ihrer Landleute: An den Festtagen essen sie gut, gehen in den Tempel, setzen sich danach zu Hause zusammen und treten später am Abend vor die Haustür, um sich die mit Öllämpchen und Lichterketten geschmückten Häuser der Nachbarn anzuschauen und Feuerwerkskörper zu entzünden.
Aber nicht alle können sich solche Festlichkeiten leisten. Sie stutzen ihr Diwali-Programm aufs Notwendigste zurecht und selbst dafür müssen sie spitzfindig improvisieren. Arme, die am Straßenrand unter einer Plastikplane oder beengt in einem Slum hausen, begnügen sich mit einer Votiv-Kerze. Die können sie beim Händler mit dem kleinen Bauchladen auch einzeln kaufen. Am Abend flackert die Kerze dann vor einem kleinem Bildchen der Glücksgöttin Lakshmi. Und wenn der Abfallhaufen des nächstgelegenen Blumenhändlers es hergibt, werden die Gläubigen auf einem Blatt Papier oder einem Stück Stoff noch ein paar Blüten für die Göttin arrangieren.
Aber ob arm oder reich, klein oder groß, Sikh oder Jaina, Süd- oder Nordinder – Diwali, sagt der Religionswissenschaftler Prof. Gaya Charan Tripathi, sei das Fest des Jahres.
"In Bengalen zum Beispiel ist Diwali mit der schwarzen Kali verknüpft. Sie ist eine Göttin, die den Tod symbolisiert, aber zugleich auch die Wünsche ihrer Anhänger erfüllt. Eigentlich feiern hierzulande alle Diwali, auch wenn sich die Gründe dafür häufig unterscheiden."
Lichter weisen Gott Rama den Weg
Die Legenden, die sich um die Entstehung des Lichterfestes ranken, kennt in Indien jedes Kind.
"Vor vielen tausend Jahren hatte Gott Rama nach einem schweren Kampf den Dämon Ravan bezwungen. Ravan war tot, Frieden und Gerechtigkeit in Indien waren wieder hergestellt und Rama kehrte in sein Königreich zurück. Doch später musste der große Gott und Herrscher für 14 Jahre ins Exil gehen. Als er schließlich nach Nordindien zurück kam, war es Nacht. Und weil der Mond nicht schien, zündeten seine Untertanen Öllämpchen an, um ihm den Weg zu weisen. Damit nahm das Diwali-Fest seinen Lauf."
Diwali versetze ihn immer wieder in seine Kindheit zurück, sagt der 35-jährige Lehrer Trilok Gupta. Die Geschichte über Gott Rama und Diwali geht ihm auch deshalb flüssig über die Lippen, weil er sie seinen drei Söhnen und seinen Schülern schon oft erzählt hat.
"Diwali ist das 'Fest der Lichter' und es wird zum Ende des Jahres hin gefeiert. Im Oktober oder im November."
Wie bei fast allen hinduistischen Festen hängt der Zeitpunkt, an dem Diwali gefeiert wird, von den jeweiligen Mondphasen ab. Eine weitere Gemeinsamkeit mit anderen Hindu-Festen sind die Mythen, die mit Diwali verknüpft sind. Hinduistische Feiertage bieten so die Gelegenheit, sich die jeweiligen Überlieferungen wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen.
Außerdem können die Gläubigen in dieser Zeit Gelübde ablegen, die dazu dienen, ein Problem aus dem Weg zu räumen oder einfach etwas, das ihnen sehr am Herzen liegt, zu erreichen. Indem sie den Gottheiten huldigen und ihnen ihre Lieblingsspeisen und Lieder darbringen, erwerben Hindus religiöses Verdienst, einen Gewinn, der sich in diesem Leben oder in der nächsten Existenz positiv für sie auswirkt.
"Jeder Winkel des Hauses muss an Diwali erhellt sein. Die Dunkelheit auszusperren ist ein Symbol für die spirituelle Erleuchtung. Wenn sich die Gläubigen darum bemühen, die Unwissenheit zu verbannen und ihr Geist schließlich frei davon ist, können sie spirituelle Kenntnisse erwerben. An Diwali ist der richtige Zeitpunkt dafür."
Nicht nur unter Hindus gilt Diwali als besonders vielversprechend für die innere Einkehr. Auch Anhänger der indischen Sikh- und Jaina-Religionsgemeinschaften feiern das Fest: die Sikhs, weil einer ihrer sehr verehrten Gurus zu Diwali aus seiner Gefangenschaft frei kam. Die Jainas, weil ihr Religionsgründer an Diwali aus dem Kreislauf des Leidens und der Wiedergeburten ausschied.
"Diwali ist in mancher Hinsicht für uns eine Art Weihnachten – Feiertage, an denen man zu Hause ist, viel Besuch bekommt oder selbst der Familie und Freunden einen Besuch abstattet. Wir haben eine ganze Reihe typischer Gerichte, die an Diwali auf den Tisch kommen – Gudjias zum Beispiel, süße Knödel, die gebraten werden. Überhaupt gibt es in dieser Zeit viele traditionelle Süßigkeiten, die sonst eigentlich nicht üblich sind."
Nicht alle können und wollen die mit Sahne, Kokosnuss und Rosinen oder mit Kardamon, Safran und Cashewnüssen versetzten Leckereien selbst zubereiten. Schon Wochen vor dem fünf Tage währenden Fest machen die Süßwaren-Arbeiter Überstunden.
Auch die Hersteller der Geschenkpackungen finden in diesen Tagen nur wenig Schlaf. Von früh bis spät falten sie Pappe zu Kartons, um diese dann mit Goldfolie zu bekleben und sie schließlich mit Diwali-Segnungen, dem Namen des Geschäfts und einem Bildnis von Glücksgöttin Lakshmi zu versehen. Wenn die Süßigkeiten von einem bekannten Hersteller kommen, kann eine fünfhundert-Gramm-Packung ohne Weiteres umgerechnet 7 Euro oder mehr kosten, während sich Karton-Hersteller und Teigkneter mit einem Gehalt von maximal 27 Euro im Monat begnügen müssen.
Viel zu wenig Geld, um jetzt, am ersten der fünf Diwali-Tage, zum Zuge zu kommen. Heute haben nicht nur die Süßwaren-Läden, sondern auch Geschäfte, die Küchenwaren anbieten, großen Zulauf. Im nahen Umfeld ist der Parkplatz knapp. Autos stehen auf den Straßen in zweiter oder gar dritter Reihe. Es sind auffällig viele teure Wagen darunter. In den meisten sitzt der auf seinen Chef oder die Chefin wartende Fahrer.
Das hat seine Gründe: Der erste Diwali-Tag gilt als besonders glückverheißend für Hindus, die Reichtum erlangen – oder ihn behalten wollen. Allerdings müssen sich die Gläubigen darum höchst persönlich bemühen, betont der Religionssoziologe A.K. Jain.
"Es gibt eine Überzeugung, die den Kauf gewisser Metall-Waren an Diwali als glückverheißend ansieht – Küchenartikel zum Beispiel. Und dann gern aus Gold oder Silber. Wir glauben, dass uns das Wohlstand bescheren wird."
Entwertung der Banknoten sorgt für Unsicherheit
Dieses Jahr haben besonders viele Gläubige allen Grund dazu, die Gunst der Glücksgöttin Lakshmi zu gewinnen. Denn Regierungschef Narendra Modi hat Mitte November über Nacht einen Teil der besonders verbreiteten Banknoten entwertet, um Korruption und Schattenwirtschaft einzudämmen.
Der Umtausch des Geldes verläuft sehr schleppend, weil die Banken und andere Umtauschstationen dem Ansturm nicht gewachsen sind. Trotzdem soll er nur noch bis zum 31. Dezember möglich sein. Viele Inder sind inzwischen unsicher geworden, ob sie ihre Barschaft bis zum finalen Termin noch einzulösen können oder ob sich die Götter am Ende gegenüber ihrem Premierminister als machtlos erweisen werden.
Am 31. Oktober dieses Jahres ahnte allerdings noch niemand von alldem.
Für viele Gläubige begann der zweite Diwali-Tag wie stets: Ein Bad kurz vor Sonnenaufgang, danach in die neugekauften Kleider schlüpfen, Öllämpchen entzünden, das Haus reinigen und schmücken und zum Besuch von Freunden und Verwandten aufbrechen.
Für die Anhänger Krishnas, des Gottes mit der Bambusflöte und der Pfauenfeder im Haar, gilt allerdings an diesem Tag ein anderes Gebot: Millionen von Krishna-Anbetern suchen ihre Tempel auf, um "Lord Krishna" zu Ehren zu beten, zu singen und zu tanzen. Heute feiern die Gläubigen Gott Krishna, weil er den Dämon Nakasur getötet hat.
"Der zweite Tag von Diwali gilt Gott Krishna. Dann feiern wir, dass Krishna einst, zur Freude aller, den Dämon Nakasur getötet hat. Und am dritten Tag feiern wir natürlich in ganz Indien Lakshmi, die Göttin des Glücks und des Wohlstands.
Diwali, Tag drei: Lakshmi Puja. Der Feiertag des Jahres. Die schöne Göttin, die auf den Abbildungen meist auf einer Lotusblüte steht und in zwei ihrer vier Hände eine Lotusblüte hält, wird heute auf der Suche nach einem Rastplatz von Haus zu Haus wandern.
Weil diese Göttin Wohlstand und Glück verkörpert, soll Lakshmi ihre Anhänger mit ihrer Anwesenheit beehren und sie segnen, damit ihnen bis zum nächsten Diwali-Fest das Glück hold ist.
Ladenbesitzer beginnen am Tag der Göttin neue Geschäftsbücher, in der Hoffnung, dass ihnen damit ein erfolgreiches neues Geschäftsjahr beschieden ist. Alle Behörden haben geschlossen. Die Arbeit ruht.
Bettler sitzen in doppelten Reihen vor den Tempeln
Nur die Bettler sind allenthalben auf den Beinen. Viele haben das Geld für die Zugfahrt nach Delhi oder Mumbai gespart, weil sie sich von einem Tempel in der Großstadt besonders hohe Einnahmen versprechen.
Greise im schmutzigen Hüfttuch, Kinder mit zerfledderten Lotusblüten in den Händen, Männer ohne Beine, alleinstehende Frauen mit Kindern, Blinde – in schier endlosen, doppelten Reihen sitzen die Bittsteller an diesem Tag vor den Tempelportalen.
Heute ist Lakshmi-Puja! Wenn die Glücksgöttin auch an vielen anderen Tagen des Jahres keine Zeit für sie haben mag – heute leiht sie auch ihnen, den Bettlern, ihr Ohr. Sie wird ihnen dabei helfen, den kommenden Winter zu überstehen, nicht von ihrem Schlafplatz vor einem Geschäftseingang verjagt zu werden und das Geld für die dringend nötige Behandlung des kranken Sohnes aufzutreiben.
Angehörige der unteren Mittelklasse wie A.K. Jain kommen finanziell ganz gut zurecht, aber auch sie haben ihre Sorgen und ihre Gründe, Lakshmis Hilfe zu erbitten.
"Wir führen eine Zeremonie für unsere Göttin Lakshmi durch. Wir bieten ihr Süßigkeiten und Früchte an. Dann verfassen wir einen kurzen Brief, der die Namen aller Familienangehörigen enthält. Wir bedanken uns bei Lakshmi dafür, dass sie sich im vergangenen Jahr so gut um uns gekümmert hat und bitten sie, auch weiterhin für unsere Gesundheit und unser finanzielles Auskommen zu sorgen. Dieser Brief wird dann bis zum nächsten Diwali-Fest in der Nähe der Lakshmi-Statue aufbewahrt. Und dann, nach einem Jahr, wird das Schreiben in einem heiligen Fluss versenkt."
Wenn mit Lakshmi-Puja der bedeutendste Tag des Fests vorüber ist, kommt Diwali in ein ruhigeres Fahrwasser. Zumindest tagsüber, wenn die Ehefrauen an Govardhan Puja ihre Männer segnen, indem sie ein Tablett mit Lichtern um ihren Kopf herum führen und ihnen schließlich ein Tika, ein Segenszeichen, auf die Stirn tupfen.
Doch spätestens am Abend dieses vierten Tages wird eine Diwali-typische Geräuschkulisse immer lauter – und bedrohlicher: es folgt das Stakkato der Feuerwerkskörper.
"Den Brauch, zu Diwali Feuerwerkskörper zu entbrennen, gibt es schon lange. Nur jetzt sollte das eigentlich verboten werden! Nach den vergangenen Diwali-Tagen war der Smog hier in Delhi noch schlimmer als er es ohnehin schon ist. In meinem Viertel hat buchstäblich jeder nach Herzenslust seine Feuerwerkskörper abgeschossen. Ich bekam keine Luft mehr, bin ins Haus zurück gegangen und habe die Aircondition angestellt. Erst nachdem ich den Ventilator angestellt hatte, ging es mir ein wenig besser."
Feuerwerkskörper verschlimmern die Smog enorm
Nach dem diesjährigen Diwali-Fest verhängte Indiens Oberster Gerichtshof ein Verbot des Verkaufs und Besitzes von Feuerwerkskörpern in Delhi. Denn in der besonders smoggeplagten indischen Hauptstadt war die Feinstaubbelastung nach Diwali so hoch, dass die Werte nicht einmal mehr den Messpunkten der Skala entsprachen.
Ohnehin haben Kinder aus Delhi wegen der enormen Luftverschmutzung in der Stadt inzwischen eine eingeschränkte Lungenfunktion. Nach dem Diwali-Fest litten einige von ihnen unter massiven Beschwerden.
Aber auch die Erwachsenen konnten sich in den größeren Städten des Landes wegen des dichten Smog-Nebels am letzten Tag des Diwali Festes nur eingeschränkt freuen. Obwohl er für viele ein schönes, liebevolles Ritual bereit hielt – das Fest der geschwisterlichen Verbindung: Schwestern knüpfen ein vom Priester gesegnetes Band für ihre Brüder, malen ihnen einen Segenspunkt auf die Stirn und erhalten im Gegenzug ein feierliches Versprechen – der Bruder gelobt, seine Schwester stets zu beschützen.
Nachdem die letzten Feuerwerkskörper in die Luft geflogen sind und der Lärm erstorben ist, bei vielen die Waage ein paar Kilo mehr und das Konto deutlich weniger anzeigt, nachdem die Bettler mit einer kleinen Rücklage unter ihre Plastikplanen zurückgekehrt und die Gäste wieder weg sind, freuen sich die meisten jetzt auch, dass das große Fest vorüber ist. Auch wenn viel Gutes zurück bleibt – das Gefühl der Verbundenheit zum Beispiel. Oder das freudige Lächeln, das über das Gesicht eines Kindes gehuscht ist.
"Dieses Jahr habe ich Diwali nicht so begangen wie sonst. Ich habe nur zwei Päckchen mit Feuerwerkskörpern gekauft. Zwei Stück habe ich selbst entbrannt und den Rest habe ich ein paar armen Kindern geschenkt, damit auch sie Diwali feiern konnten."
Diwali wird ja hier in Indien von vielen Religionsgemeinschaften gefeiert – von Hindus, Jainas, Sikhs, Christen und sogar von Muslimen. Wir freuen uns sehr darüber, einen solchen Berührungspunkt zu haben, bei dieser Gelegenheit Grußkarten miteinander auszutauschen und das Fest gemeinsam mit den anderen zu begehen. Es ist wirklich gut, dass Diwali so etwas leisten kann."