Das Hormon der Nähe

Markus Heinrichs im Gespräch mit Joachim Scholl |
Früher galt Oxytocin nur als Schwangerschaftshormon, das die Geburt unterstützt und die Milchdrüsen anregt. Der Psychologe Markus Heinrichs von der Universität Zürich hat bei seinen Forschungen herausgefunden, dass das Hormon bei Verabreichung für Stressabbau und bessere soziale Kontakte sorgt. Dennoch warnt er vor zu hohen Erwartungen.
Joachim Scholl: Anfangs haben ihn seine Kollegen belächelt. Als der Psychologe Markus Heinrichs Mitte der 90er-Jahre begann, das Hormon Oxytocin zu erforschen. Oxytocin galt lediglich als Schwangerschaftshormon, das die Geburt unterstützt und die Milchdrüsen anregt. Markus Heinrichs hingegen fand heraus, dass Oxytocin weit mehr in unserem Hormonhaushalt leistet, es schafft nämlich soziale Nähe, baut Stress ab, macht uns großzügig und hilft gegen Depressionen. Mittlerweile wird in der ganzen Welt über Oxytocin geforscht, in der Öffentlichkeit darüber diskutiert und im Internet schon Schindluder damit getrieben als Modedroge gewissermaßen. Ich bin nun verbunden mit Professor Markus Heinrichs in Zürich. Guten Tag, Herr Heinrichs!

Markus Heinrichs: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Wie sind Sie darauf gekommen, dass Oxytocin mehr kann, als Schwangeren das Stillen zu versüßen?

Heinrichs: Na ja, um ehrlich zu sein, haben wir die Idee aus der Tierforschung geklaut. Mitte der 90er-Jahre gab es ganz spannende Publikationen, die zeigen, dass bei bestimmten Wühlmausarten das Oxytocin ganz offenbar die Paarbindung steuert und auch die Mutter-Kind-Bindung, die Vater-Kind-Bindung und gleichzeitig noch Stress und Angst reduzierte bei den Tieren. Und dann habe ich damals so gedacht im Rahmen der Doktorarbeit, das ist irgendwie ganz spannend, habe eine Psychotherapie-Ausbildung gemacht in der Zeit. Und da sieht man Patienten, die haben Angst, da sieht man Patienten, die haben Probleme, soziales Verhalten zu zeigen. Und dann kommt natürlich so die Idee auf, könnte das Hormon, das der Mensch ja auch produziert, nicht im menschlichen Gehirn ähnliche Effekte machen.

Scholl: Wie haben Sie denn dann diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen? Man muss ja Oxytocin dann erst mal haben.

Heinrichs: Ja, wir waren zunächst sehr vorsichtig und haben das erst mal nur versucht zu stimulieren im Körper. Das kann man zum Beispiel tun, wenn das Baby bei der Mutter gestillt wird. Sobald das Baby anfängt zu saugen, wird Oxytocin freigesetzt, ohne Oxytocin würde es keinen Milchfluss geben. Und wir haben schlicht und ergreifend in den ersten Studien stillende Mütter genommen und haben dann die Mütter danach beispielsweise in einem Stresstest gestresst und geschaut, wie ist die Stressreaktion. Haben da immer gefunden, dass das Gleiche wie bei den Tieren zu beobachten war: Die Frauen hatten direkt nach dem Stillen etwa ein, zwei Stunden deutlich geringere Stressreaktionen, auch Stresshormon-Freisetzungen. Und dann haben wir erst zum späteren Zeitpunkt angefangen, das Hormon wirklich zu geben. Man kann das mit Nasenspray sehr effizient applizieren ohne Nebenwirkungen, und wir kommen dann auch wirklich ins Gehirn mit der Substanz.

Scholl: Ist das künstlich hergestellt dann?

Heinrichs: Genau, das ist synthetisches Oxytocin, ist ursprünglich wiederum entwickelt worden für Frauen mit Stillproblemen, mit Milchstauungen. Und was wir damals zunächst gemacht haben, ist, bei Männern das einfach mal zu geben, und gesehen, dass, wenn man das dann in die Nase gibt, dann kriegt man im Gehirn für auch wiederum einige Stunden mutmaßlich deutlich erhöhte Spiegel, und dann werden die Rezeptoren, also die Andockstellen im Gehirn, ganz offenbar auch alle abgedeckt.

Scholl: Wie müssen wir uns so ein Experiment vorstellen? Die Herren bekamen also Nasenspray, haben sich es in die Nase gestäubt, und wie haben sie sich dann verhalten?

Heinrichs: Gut, das kommt immer natürlich darauf an, was uns interessiert hat. Wir haben in einigen Studien etwa Angst- und Stressreaktionen untersucht. Da wird den Probanden vor einer Stressuntersuchung das Nasenspray gegeben und doppelblind, das heißt also, der Versuchsleiter und die Versuchsperson wissen beide nicht, was in der Substanz drin ist. Da gibt also entweder Placebo oder das Hormon Oxytocin. Und dann absolvieren diese Personen etwa einen Stresstest. Das läuft so ab, dass sie in einen Raum gehen, wo ein Gremium sitzt und eine Videokamera, sie müssen sich präsentieren oder Kopfrechenaufgaben machen. Das ist eine sehr unangenehme Sache, die deutliche Stressreaktionen hervorruft. Und die Frage war dann beispielsweise: Reduziert Oxytocin diese Stressreaktionen? Und die Antwort war Ja. Und wenn Sie andere Dinge untersuchen, wie zum Beispiel wie gut können Menschen Gefühle lesen in den Gesichtern von anderen oder in den Augen der anderen. Da gibt es Tests, ganz klare Computeruntersuchungen, die sind für Autisten oder die Autismusdiagnostik entwickelt. Und wenn Sie das machen beispielsweise, dann sehen Sie, dass die, die Oxytocin bekommen haben, besser werden in dem Erkennen von Gefühlen bei anderen, können sozusagen kompetenter oder können empathischer reagieren im Vergleich zu der Gruppe der Männer, die Placebo bekommen haben.

Scholl: Oxytocin, das Hormon für weniger Stress und bessere Sozialkontakte. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Psychologe Professor Markus Heinrichs. Er hat auf diesem Gebiet geforscht und Bahnbrechendes herausgefunden. Ausgehend von diesen Ergebnissen, Herr Heinrichs, inwieweit lässt sich nun Oxytocin therapeutisch einsetzen, also bei Menschen, für die soziale Nähe eben ein Problem ist, bei depressiven Menschen, bei Autisten, bei sogenannten Sozialphobikern, die überhaupt nicht mit Menschen zurechtkommen, wie geht das?

Heinrichs: Ja, wir haben dann etwa von 2005 an noch gesehen, dass das Vertrauen erhöht wird, die Bereitschaft, in andere Menschen Vertrauen zu setzen, das kann man in experimentellen Untersuchungen sehr sauber erfassen oder messen – das wurde auch sehr, sehr stark beeinflusst durch das Oxytocin –, sodass wir dann gesagt haben, das kann Menschen helfen, die Ängste haben in sozialen Situationen. Und zu Beginn haben wir mit Patienten mit sozialer Phobie geforscht. Das sind Personen, die Angst haben in sozialen Situationen vor Bewertungen, die zunehmend soziale Situationen meiden, und das ist die dritthäufigste psychische Erkrankung. Bei denen kombinieren wir derzeit in einem größeren klinischen Versuch Oxytocin-Gabe mit Verhaltenstherapie. Die Idee ist also generell – das gilt auch für Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder für Autismus –, dass die Substanz alleine, das Hormon alleine mit größter Wahrscheinlichkeit nichts macht, sondern dass es immer bedarf das neue Einüben, die neuen Erfahrungen, neues Verhalten auszuprobieren. Und das kann man eben nur in der Psychotherapie oder in der Verhaltenstherapie tun. Und die Idee ist nun, die sagen wir mal mangelnden Erfolge, die wir in der Verhaltenstherapie bei diesen Erkrankungen haben, zu optimieren, indem wir zusätzlich zur Psychotherapie noch intranasal, also per Nasenspray, das Oxytocin geben.

Scholl: Oxytocin, Herr Heinrichs, hat das Gebiet der strengen Wissenschaft rasch verlassen. Vom Elixier der Nähe sprechen inzwischen die Zeitungen und Magazine, im Internet wird ein Zaubertrank gar angeboten namens Liquid Trust, der Oxytocin enthält, sozusagen als Prozac für bessere soziale Stimmung. Da wird auch Ihr Name missbraucht mittlerweile, Herr Heinrichs. Wie gehen Sie damit um?

Heinrichs: Das ist, wie Sie sich denken können, für jemand, der da seriöse Forschung macht und auch therapeutisch mit Patienten arbeitet, höchst ärgerlich, weil wir können rechtlich leider nicht verhindern, wenn wir wissenschaftliche Publikationen haben, dann darf ein Hersteller, der glaubt, er hat da irgendein Präparat, eine Wunderdroge entwickelt, dann darf er darauf verweisen und im Grunde damit auch Werbung machen. Was daran höchst gefährlich ist, ist, dass niemand weiß, was in diesen Substanzen wirklich enthalten ist, die da im Internet angeboten werden. Und man muss auch sagen, dass sämtliche klinische größere Studien weltweit derzeit noch laufen. Das heißt, diejenigen, die jetzt neue Hoffnung schöpfen – und das ist die berechtigte Hoffnung, die wir auch haben, denen muss man ganz klar sagen, vor Ablauf des Jahres 2009, wahrscheinlich noch weit ins Jahr 2010 hineingehend, werden die klinischen Untersuchungen noch laufen. Und was es im Internet so zu kaufen gibt und was da versprochen wird, ist also nicht nur höchst unseriös, sondern sicherlich auch nicht ungefährlich, wenn man dann damit einfach selber rumlaboriert.

Scholl: Also Oxytocin lässt sich rezeptfrei beschaffen, man hört schon von verzweifelten Eltern autistischer Kinder, die auf diesem Weg zur Selbsttherapie schreiten. Da würden Sie also sehr davor warnen?

Heinrichs: Da würde ich sehr davor warnen, nicht weil wir glauben, dass da Dramatisches passiert, sondern weil es einfach immer fahrlässig ist, wenn man da Heilserwartungen hat an neue Substanzen, die eben noch nicht die klinische Testung abgeschlossen haben. Und die Verzweiflung ist sicherlich nachvollziehbar, etwa bei Eltern mit autistischen Kindern, und die Bereitschaft, dann auch mal was zu riskieren, ist auch leider nachvollziehbar, aber ich kann da wirklich nur vor warnen. Und wie gesagt, was da im Internet kursiert und was da verkauft wird, weiß niemand wirklich genau, was drin ist. Und ich würde da eben sagen, die Geduld muss man und sollte man haben, die Forschungen abzuwarten. Und dann ist ja auch eine Indikation gegeben.

Scholl: Was muss denn noch näher und genauer erforscht werden, bevor sich Oxytocin wirklich als Therapeutikum vielleicht einsetzen oder entwickeln ließe?

Heinrichs: Was wir bis jetzt sehen, und das ist so oft repliziert worden weltweit, dass wir sagen können, es reduziert eindeutig – und zwar bei gesunden Personen zunächst mal – eindeutig Angst, es reduziert die Aktivierung einer Hirnstruktur, die Amygdala, der Mandelkern, die die Angst vermittelt, es reduziert die Stresshormone und es macht sozialen Kontakt belohnender im Gehirn. Deswegen ist natürlich die Hoffnung groß, dass es das Gleiche auch macht bei Patienten, die da die Probleme haben. Nur diese Studien sind noch nicht abgeschlossen. Deswegen denke ich, der Analogieschluss, zu sagen, es funktioniert beim Tier, es funktioniert beim gesunden freiwilligen Probanden, also hilft es auch Patienten, das dürfen wir noch nicht tun, da müssen wir sicherlich die Geduld haben und noch die klinischen Versuche abwarten.

Scholl: Wie sehen Ihre konkreten Forschungen, Experimente auf dem Gebiet derzeit aus?

Heinrichs: Wir machen derzeit an diesen drei Patientengruppen oder Störungsgruppen Untersuchungen, das heißt Kombination Psychotherapie, Oxytocin bei sozialer Phobie, bei Borderline-Persönlichkeitsstörung und auch bei Autismus bzw. einer Unterform des Autismus. Ja, da sind die Hoffnungen natürlich auch bei uns hoch, dass wir da mehr erreichen können in der Therapie dieser Kombination als in der bisher nur möglichen Therapie. Aber Versprechungen machen wir vielleicht dann besser dann, wenn wir eindeutige klinische Ergebnisse haben.

Scholl: Das Hormon der Nähe, Oxytocin. Das war der Psychologe Professor Markus Heinrichs von der Universität Zürich. Herr Heinrichs, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Heinrichs: Ganz herzlichen Dank!