Das Hündische im Menschen
Michail Bulgakow provozierte mit seinem Buch "Das hündische Herz", in dem ein Mediziner einen Hund aus Versehen menschlich macht, genau so viel, dass es in der Sowjetunion verboten wurde. Leider stützte sich die im Westen veröffentliche Version auf ein altes Manuskript. Umso wertvoller ist jetzt die Neuübersetzung.
Filip Filippowitsch Preobraschenski, ein genialer und weit über Moskau hinaus bekannter Mediziner, pflanzt in einem Experiment dem Straßenhund Lumpi die Hypophyse und die Samendrüsen eines kurz zuvor ermordeten jungen Mannes (aus dem Kleinkriminellen-Milieu) ein. Der Hund überlebt den grausigen Eingriff, doch nicht die erwartete Verjüngung des Tieres tritt ein, sondern seine Vermenschlichung. Lumpi verliert sein Fell, beginnt aufrecht zu gehen und zu sprechen. "Das bedeutet noch lange nicht, Mensch zu sein!," so die bittere Erkenntnis des Professors, nachdem er den zunehmend unberechenbaren Homunculus mit dem absurden selbstgewählten Namen Poligraph Poligraphowitsch Lumpikow wieder zum Hund zurück operiert.
Bulgakow hat seine sowohl von "Frankenstein" als auch von Goethes "Faust" inspirierte Geschichte im Dezember 1924 und Januar 1925 angesiedelt. Ausgerechnet am Tag Jesu´ Geburt, dem 24.Dezember, tritt eine Besserung im Zustand des Patienten ein - seine Auferstehung als Mensch. Lumpikow verkörpert ein Zerrbild des propagierten neuen Sowjetmenschen und Proletariers, wird aggressiv, triebhaft und gemeingefährlich - erst recht, nachdem er einen kleinen Funktionärsposten bekleidet.
"Eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse, kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht" - so lautete der Kommentar des Parteimitglieds Lew Kamenew - das Manuskript wurde konfisziert und Bulgakow erst vier Jahr später zurückgegeben. Offiziell erscheinen konnte es in der Sowjetunion erst Ende der 80er-Jahre. Im westlichen Ausland wurden in den 60er-Jahren Versionen veröffentlicht, doch sie stützen sich dabei nicht auf die letzte, von Bulgakow überarbeitete Fassung.
Die vorliegende Neuübersetzung ist allein schon wegen dieses erstmaligen Rückgriffs auf die vom Schriftsteller autorisierte Fassung nicht hoch genug einzuschätzen. Vor allem aber hat Alexander Nitzberg das Material kongenial ins Deutsch übertragen und Bulgakows komplexe "ganze Palette modernen Erzählens" (Nitzberg) wiedergegeben.
Wie sein großes Vorbild Nikolaj Gogol verwendet Bulgakow groteske und überzeichnete Elemente genauso wie detailgenaue naturalistische Schilderungen. Exzellent ist die Wiedergabe der Vielstimmigkeit und wechselnden Perspektiven: Die Aufzeichnungen des Assistenten Preobraschenskis, Dr. Bormenthal, in seinem Schreibblock - im Mittelteil des Buchs- wirken hyperrealistisch wie die überhastete Niederschrift, mit durchstrichenen oder unterstrichenen Wörtern und Auslassungen. Hinzu kommen die humorvolle, lustorientierte Perspektive des Hundes, am Anfang und Ende des Romans, und schließlich ein allwissender Erzähler.
Die Polyphonie korrespondiert mit dem großen stilistischen Spektrum. Es reicht von der russischen Bildungsbürger-Sprache des Professors über den politisierten Jargon der proletarischen Hausverwaltung bis hin zur primitiven Ungehobeltheit Lumpikows: Man liest sowjetische Abkürzungen und Neologismen, Liedfragmente, Werbung, findet bewusste klangliche und rhythmische Akzentuierungen wie Assonanzen und Alliterationen. Und schließlich hat Nitzberg dem Buch einen neuen Titel verpasst. Nicht "Hundeherz, sondern "Das hündische Herz" heißt es nun präziser und orientiert sich damit am russischen Original, das eben diese adjektivische Struktur aufweist. Denn, so Nitzberg, in seinem anregenden Nachwort:
"Schließlich geht es dem Autor nicht so sehr um den Unterschied zwischen Mensch und Hund, ( ... ), sondern zwischen dem Menschlichen und dem Hündischen."
Besprochen von Olga Hochweis
Bulgakow hat seine sowohl von "Frankenstein" als auch von Goethes "Faust" inspirierte Geschichte im Dezember 1924 und Januar 1925 angesiedelt. Ausgerechnet am Tag Jesu´ Geburt, dem 24.Dezember, tritt eine Besserung im Zustand des Patienten ein - seine Auferstehung als Mensch. Lumpikow verkörpert ein Zerrbild des propagierten neuen Sowjetmenschen und Proletariers, wird aggressiv, triebhaft und gemeingefährlich - erst recht, nachdem er einen kleinen Funktionärsposten bekleidet.
"Eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse, kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht" - so lautete der Kommentar des Parteimitglieds Lew Kamenew - das Manuskript wurde konfisziert und Bulgakow erst vier Jahr später zurückgegeben. Offiziell erscheinen konnte es in der Sowjetunion erst Ende der 80er-Jahre. Im westlichen Ausland wurden in den 60er-Jahren Versionen veröffentlicht, doch sie stützen sich dabei nicht auf die letzte, von Bulgakow überarbeitete Fassung.
Die vorliegende Neuübersetzung ist allein schon wegen dieses erstmaligen Rückgriffs auf die vom Schriftsteller autorisierte Fassung nicht hoch genug einzuschätzen. Vor allem aber hat Alexander Nitzberg das Material kongenial ins Deutsch übertragen und Bulgakows komplexe "ganze Palette modernen Erzählens" (Nitzberg) wiedergegeben.
Wie sein großes Vorbild Nikolaj Gogol verwendet Bulgakow groteske und überzeichnete Elemente genauso wie detailgenaue naturalistische Schilderungen. Exzellent ist die Wiedergabe der Vielstimmigkeit und wechselnden Perspektiven: Die Aufzeichnungen des Assistenten Preobraschenskis, Dr. Bormenthal, in seinem Schreibblock - im Mittelteil des Buchs- wirken hyperrealistisch wie die überhastete Niederschrift, mit durchstrichenen oder unterstrichenen Wörtern und Auslassungen. Hinzu kommen die humorvolle, lustorientierte Perspektive des Hundes, am Anfang und Ende des Romans, und schließlich ein allwissender Erzähler.
Die Polyphonie korrespondiert mit dem großen stilistischen Spektrum. Es reicht von der russischen Bildungsbürger-Sprache des Professors über den politisierten Jargon der proletarischen Hausverwaltung bis hin zur primitiven Ungehobeltheit Lumpikows: Man liest sowjetische Abkürzungen und Neologismen, Liedfragmente, Werbung, findet bewusste klangliche und rhythmische Akzentuierungen wie Assonanzen und Alliterationen. Und schließlich hat Nitzberg dem Buch einen neuen Titel verpasst. Nicht "Hundeherz, sondern "Das hündische Herz" heißt es nun präziser und orientiert sich damit am russischen Original, das eben diese adjektivische Struktur aufweist. Denn, so Nitzberg, in seinem anregenden Nachwort:
"Schließlich geht es dem Autor nicht so sehr um den Unterschied zwischen Mensch und Hund, ( ... ), sondern zwischen dem Menschlichen und dem Hündischen."
Besprochen von Olga Hochweis
Michail Bulgakow: Das hündische Herz
neu übersetzt von Alexander Nitzberg
Galiani Verlag, Berlin 2013
176 Seiten, 16,99 Euro
neu übersetzt von Alexander Nitzberg
Galiani Verlag, Berlin 2013
176 Seiten, 16,99 Euro