Wenn Bildermenschen an eine Ausstellung erinnern
Wenn schon alles abgebaut ist, an die einzelnen Kunstwerke erinnern: mit Performances, Gesang, Tanz, Erzählungen. Was absurd klingt, hat im Frankfurter Museum für Moderne Kunst an diesem Wochenende so stattgefunden – als Abschluss der Ausstellung "Das imaginäre Museum".
"Und er hat etwas festgehalten, was einfach unglaublich ist, in einem wunderbar komponierten Bild. Er hat die Ruinen der Altstadt waagerecht gelegt gehabt, dann kommt ein heller Himmel, mit filigranem Muster von den Stangen und den Seilen und den Figuren, die da drauf balancieren, und links an der Seite, wie ein Monument, der stehengebliebene Dom."
Die Fotografin Barbara Klemm steht genau dort, wo in der Ausstellung "Das imaginäre Museum" einmal die Fotografie von Albert Georg Riethausen hing. Sie zeigte, im Jahr 1949, eine Artistengruppe, die über den Ruinen der Altstadt von Frankfurt einen wahnwitzigen Hochseilakt vorführte. Barbara Klemm ist einer der "Bildermenschen", die an diesem Wochenende an Kunstwerke erinnern, die bereits abgehängt sind oder in den Transportkisten noch an der Wand stehen. Wie erinnern wir uns an Kunst? Zweifellos eine sehr persönliche Angelegenheit.
Kollektives Experiment mit Hitlergruß
Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst macht daraus jetzt ein kollektives Experiment. Und dazu gehören auch Animationen, zum Beispiel an dem Ort, wo Thomas Bayrles Bildmaschine "Nürnberger Orgie" hing. Die mittels eines Elektromotors ein Klappbild zeigte, in dem, vor dem Hintergrund einer großen Menschenmasse, sich zahlreiche Arme zum Hitlergruß heben. Bildermensch Eva Meiser sagt gar nichts.
Sie animiert das Publikum zum rhythmischen Stampfen, zum Händeklatschen, zum Schreien, bricht dann ab und steht schließlich mit dem Hitlergruß da. Eine kleine Probe in Sachen kollektiver Verführbarkeit, die da vor sich gegangen ist. Die Besucher registrieren erst im Nachhinein, bei was sie da eigentlich mitgemacht haben.
Tanzeinlagen, Performances und Chorgesänge
Am besten gefallen mir an diesem Wochenende tatsächlich die Tanzeinlagen, die Performances und Chorgesänge. Zum Beispiel schlängeln sich immer wieder, seltsame Geräusche ausstoßend, junge Tänzer und Tänzerinnen durch die Besuchergruppen, stoßen sich gegenseitig an, woraufhin sich dann die nächste Bewegungsfolge entwickelt. Es dauert eine Zeitlang, bis ich kapiere, worum es hier geht: Das ist das Video von Fischli/Weiß "Der Lauf der Dinge". Jene aberwitzige Kettenreaktion in der Garage, die hier in Tanz umgesetzt ist.
"Wie finden Sie's?" – "Ich bin ganz beeindruckt, vor allem von der Erinnerung dieses Kettenreaktionsfilms von Fischli/Weiß. Das sind glaube ich 20 Tänzer hier von der Hochschule, die dieses Kunstwerk nachvollziehen – man hört es ja im Hintergrund – den aufgeblasenen Ballon spielen, der da lang trudelt. Manchmal liegen die Tänzer auf dem Boden rum, das finde ich ganz toll gemacht. Das gefällt mir sehr, sehr gut."
Natürlich gibt's ein paar Sachen, die nicht unbedingt der Knaller sind: Kunsthistorikertalk, wie man ihn auch sonst allenthalben hört. Der grade nicht die Dimension der persönlichen, privaten, intimen Erinnerung trifft, um die es hier doch gehen sollte.
Rührender Auftritt eines Kinderchors
Aber dann steigen mir doch noch die Tränen in die Augen, als der Kinderchor auftritt und sich der neunteiligen Arbeit von Barbara Kruger widmet. Die hieß: "We will no longer be seen and not heard", also "Wir werden nicht mehr gesehen werden und nicht gehört". Bildstereotypen aus der Werbung, Köpfe und Halbfiguren, kombiniert mit spezifischen Aufforderungsgesten. Und während die Kinder singen, vollführen einige von ihnen genau diese Gesten.
Kann ein Kunstwerk durch den Gedanken an es ersetzt werden? Kann es natürlich nicht. Aber manchmal eben doch. Wenn es sich um wirklich schräge Gedanken handelt. Oder um die Intensität einer Tanzbewegung. Oder die Intensität einer Stimme. Denn dann geht das Kunstspiel weiter. Auf einer anderen Ebene. Und manchmal genau so eindrucksvoll.