"Das Instrument Sicherungsverwahrung ist verbraucht"
Maßnahmen wie Bewährungshilfe und Begleitung reichten aus, um Rückfälle von Straftätern zu verhindern, meint der Bewährungshelfer und Autor Peter Asprion. Sicherheitsverwahrung könne dazu führen, dass die Männer politisch instrumentalisiert würden.
Frank Meyer: Am vergangenen Freitag hat der gesamte Landtag von Sachsen-Anhalt demonstriert. Bei der Demonstration in dem Dorf Insel ging es um zwei Männer, zwei entlassene Straftäter, die aus dem Dorf vertrieben werden sollen: Eine Gruppe von Dorfbewohnern versucht das - nicht alle, aber eine größere Gruppe -, und das zum Teil mit Gewalt. Die Landtagsabgeordneten haben am Freitag für die Menschenrechte dieser beiden Männer demonstriert, und über diese Rechte wollen wir jetzt mit Peter Asprion reden. Er betreut als Bewährungshelfer Straftäter, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, also aus dem Wegschluss nach ihrer eigentlichen Haftstrafe. Und er hat auch die beiden Männer betreut, die jetzt in dem Dorf Insel wohnen. Seien Sie uns willkommen, Herr Asprion!
Peter Asprion: Ja, guten Tag!
Meyer: Aus Ihrer Sicht - warum ist es zu diesem Konflikt in dem Dorf Insel gekommen, was ist da falsch gelaufen?
Asprion: Das Dorf ist zum einen überrascht worden von der Situation, und zum anderen hat, soweit ich das von hier aus beobachten konnte, der Bürgermeister ungut gewirkt, indem er sich quasi an die Spitze der Gegenbewegung gestellt hat.
Meyer: Wir haben schon ein anderes Gespräch geführt zu diesem Thema am Freitag, mit David Begrich vom Verein "Miteinander", und er hat gesagt: Wie kann man solche Eskalationen vermeiden? Man dürfe schlicht nicht bekannt machen, dass irgendwo Männer einziehen, die vorher in Sicherungsverwahrung saßen. Ist das denn umsetzbar, solch eine Geheimhaltung?
Asprion: Ich bezweifele das, dass das auf Dauer geht, aber zwischen Bekanntmachen und Verheimlichen gäbe es ja einfach noch, das einfach normal Hinnehmen, also keine Aufregung produzieren, aber auch nicht absichtlich verheimlichen.
Meyer: Das ist das, was Sie jetzt dem Bürgermeister von Insel vorwerfen, dass er Aufregung produziert hat?
Asprion: Es sieht von hier aus so aus. Ich bin nicht vor Ort, aber nach den Medienberichten war das wohl so.
Meyer: Es heißt über die beiden Männer in Insel - das sind frühere Sexualstraftäter -, dass sie sich strikt an die Auflagen gehalten hätten, die für sie gegolten haben. Wie werden denn überhaupt solche Straftäter betreut, wie lange, wie intensiv?
Asprion: Nach der Entlassung ordnet das Gericht in der Regel eine fünfjährige Führungsaufsicht an, gestaltet das mit Weisungen und Auflagen aus und gibt unter anderem auf, dass sie mit Bewährungshelfer, mit Therapeuten und anderen zusammenarbeiten müssen.
Meyer: Und das heißt, man sieht sich einmal im Monat, einmal die Woche - wie eng ist da dieser Kontakt?
Asprion: Das ist in diesem Fall mindestens einmal die Woche in der Regel.
Meyer: Was bewirkt diese Zusammenarbeit mit Bewährungshelfern?
Asprion: Es geht in der Regel zumindest in zwei Richtungen: Zum einen, gerade wenn die Entlassungen so unvorbereitet waren, versucht der Bewährungshelfer, den äußeren Rahmen mit herzustellen, sprich, wo wohne ich, wo kann ich mein Geld herbekommen, wo habe ich Kontakte, wie sieht das Leben draußen aus? Wenn sie jetzt über 20 Jahre aus unserer Gesellschaft entfernt waren, dann sind sie nicht krankenversichert - vieles hat sich geändert, also diese formalen, sozialen Dinge. Und das andere natürlich, dass immer das Thema im Raum steht: Was war Hintergrund der Verurteilung, wie kann ich Dinge unternehmen, dass es nicht wieder vorkommt?
Meyer: Sie haben gerade das Überraschende angesprochen: Die beiden gehören ja zu 80 Sicherungsverwahrten, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs relativ überraschend aus der Haft entlassen wurden. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen, diesen Übergang, Sie haben es auch gerade gesagt, bis zu 20 Jahre eingesperrt, jetzt in die Freiheit - wie geht das vor sich?
Asprion: Das war eine Ausnahmesituation. Ich denke, dass es bundesweit etwa 80 Männer sind. Der Gerichtshof in Straßburg hat die nachträglich verlängerte Sicherungsverwahrung für unrechtmäßig erklärt, und die Männer wurden dann auf Gerichtsbeschluss der Oberlandesgerichte in der Regel innerhalb von vier bis sechs Wochen entlassen, waren in keinster Weise vorbereitet - normalerweise nach langer Haft gibt es Entlassungsvorbereitungen, Lockerungen, Arbeitssuche. Alle die Dinge haben nicht stattgefunden gehabt.
Meyer: Also sie müssen von null auf hundert sofort wieder ein Leben zu führen versuchen in Freiheit. Das haben diese beiden Männer in dem Dorf Insel in Sachsen-Anhalt versucht. Die Proteste gegen den Aufenthalt der beiden Männer in dem Dorf, die speisen sich natürlich aus der Angst, dass die beiden rückfällig werden könnten, wie gesagt, Sexualstraftäter. Wie sind denn überhaupt die Rückfallquoten bei Straftätern, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden?
Asprion: Es gibt unterschiedliche Zahlen, von Kriminologen dargestellt, die gehen zwischen fünf Prozent oder 20 Prozent bei Sexualstraftätern, die rückfällig werden. Aber in der Regel ist die Rückfallquote eher gering im Vergleich zu anderen Straftätern.
Meyer: Und kann man auf diese Rückfallquote weiter Einfluss nehmen, auch nach der Sicherungsverwahrung?
Asprion: Ich denke, Einfluss nehmen kann ich, indem ich diese Männer begleite, unterstütze, mit Therapeuten, mit Beratung, dass ich sie auch wieder aufnehme in die Gesellschaft. Das ist ja das Problem, was die alle im Moment erleben, dass sie mit großer Abwehr und Angst von der Umgebung zu tun haben.
Meyer: Das denken Sie, oder gibt es dafür Erfahrungswerte, dass eine langjährige enge Betreuung dann tatsächlich die Rückfallquoten deutlich absenkt?
Asprion: Es gibt kriminologische Untersuchungen, dass Maßnahmen wie Bewährungshilfe und Begleitung durchaus nützen, um Rückfälle zu verhindern, ja.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die Rückkehr aus der Sicherungsverwahrung mit dem Bewährungshelfer Peter Asprion, der mit solchen Fällen zu tun hat. Jetzt werden die früheren Sicherungsverwahrten oft auch polizeilich überwacht, wenn sie wieder ins Leben draußen zurückgekehrt sind. Was ist eigentlich die Grundlage dafür? Denn im Prinzip haben diese Straftäter doch ihre Strafe abgesessen.
Asprion: Die Grundlage für die polizeiliche Observierung ist das Polizeirecht. Die Polizei sagt, wir sind zuständig für Gefahrenabwehr, und halten das dann in diesem und jenem Fall für notwendig, aus eigener polizeilicher Einschätzung.
Meyer: Aber wenn so jemand polizeilich überwacht wird, dann ist das, worüber wir am Anfang sprachen, möglichst es nicht publik machen oder sogar geheim halten, das ist dann natürlich gar nicht möglich.
Asprion: Vollkommen ausgeschlossen. Sie können das nachlesen, ich habe das veröffentlicht, habe zwei dieser Fälle im Buch beschrieben. Es ist schier unmöglich, da einen Fuß auf den Boden zu bekommen.
Meyer: Und wenn die Sicherungsverwahrten jetzt in Freiheit sind und das bekannt wird, dann tut sich ja so ein grundlegender Konflikt auf, das sieht man jetzt auch an diesem Fall in dem Dorf Insel. Auf der einen Seite wollen die Bürger natürlich geschützt werden - wir haben auch schon über Rückfallquoten gesprochen, es gibt eben auch Rückfälle -, auf der anderen Seite haben die Straftäter natürlich das Recht auf freie Wohnortwahl, auf freie Bewegung. Wie sehen Sie denn diesen Konflikt?
Asprion: Also wenn ich jetzt mal einfach auf die Zahlen zurückgehe, diese 80, die in Deutschland wahrscheinlich entlassen worden sind: Mir ist aus der Presse ein Rückfall bekannt, das war wohl in Dortmund, von allen anderen ist mir keiner bekannt. Das heißt, man hat 80 Männer als gefährlich eingestuft, die jetzt, zwei Jahre danach, 79 davon, die Gefährlichkeit nicht unter Beweis gestellt haben.
Meyer: Und man nimmt die 79 in Mithaftung für den einen.
Asprion: Genau, und keiner weiß im Voraus, wer der eine ist, wenn es der eine von 80 ist.
Meyer: Wie kann man diesen Konflikt lösen?
Asprion: Den Konflikt kann man lösen zum einen, dass man tatsächlich das, was ich vorhin gesagt habe, tut, dass man Unterstützung, Begleitung für die Männer gibt, durchaus auch Beobachtung, also auch ein Bewährungshelfer hat die Auflagen und weiß um die, die das Gericht angeordnet hat zu überprüfen, und dann sieht man ja: Hält er sich an die Regeln oder nicht? Und auf der anderen Seite wird man einfach jemandem, der vor 20, 25 Jahren eine schwere Straftat begangen hat, auch den Vorschuss geben müssen, dass er es wirklich ernst meint, jetzt ordentlich zu leben.
Meyer: Und würden Sie sagen - wir sprechen ja jetzt hier über Fälle: vorher sicherungsverwahrt, jetzt wieder in Freiheit -, würden Sie denn sagen, man kann ganz auf diese Sicherungsverwahrung verzichten?
Asprion: Ich plädiere dafür, ganz auf diese Sicherungsverwahrung zu verzichten. Ich habe das dargestellt und befürchtet oder na ja, vielleicht auch vorausgesehen, dass das passiert, was jetzt zum Beispiel in Insel passiert ist, dass diese Männer politisch instrumentalisiert werden und dass sie so unter Dämonenverdacht stehen, dass sich niemand mehr traut, mit denen vernünftig umzugehen. Und dieses Instrument Sicherungsverwahrung ist verbraucht.
Meyer: Aber es wird doch eingesetzt, um Straftäter, die man für gefährlich hält, ... um die Öffentlichkeit vor diesen Straftätern zu schützen. Besteht denn dieser Grund nicht?
Asprion: Es ist willkürlich, wen sie als gefährlich betrachten. Bis 1998 hatten wir etwa 160 Sicherungsverwahrte bundesweit in Sicherungsverwahrung, anschließend sind die Gesetze geändert worden, die Zahl ist auf zirka 500 gestiegen, gleichzeitig sind die Delikte zahlenmäßig gesunken. Das heißt, man hat einfach den Rahmen erweitert, nicht, weil es gefährlicher geworden ist, sondern weil man sensibler geworden ist.
Meyer: Und wer hat das getan, wer ist dafür zuständig, diese Beurteilungen zu ändern?
Asprion: Also jetzt habe ich von Gesetzesänderungen gesprochen, die macht natürlich der Bundestag. Da hat der damalige Kanzler Schröder den Startschuss gegeben mit dem Satz "Wegschließen für immer", und im Einzelfall werden in der Regel Psychiater forensische Gutachten erstellen.
Meyer: Aber woher wissen Sie oder können Sie beurteilen, dass diese psychiatrischen Gutachten, die die Gefährlichkeit von Straftätern feststellen, dass die nicht zutreffen?
Asprion: Weil ich überzeugt bin, dass Prognosen einfach schwierig sind über zukünftiges Verhalten eines Einzelnen, und weil die Gutachter selbst dies ausdrücken. Der Herr Nedopil aus München, der selbst ein Lehrbuch zu forensischen Gutachten verfasst hat, sagt, dass 80 Prozent seiner als gefährlich beurteilten Probanden nicht gefährlich sind, dass er aber als Gutachter natürlich lieber, in Anführungszeichen, auf der sicheren Seite steht. Das heißt, von zehn, die er als gefährlich einstuft, sind acht nicht gefährlich und büßen mit.
Meyer: Was kostet uns eigentlich diese Sicherungsverwahrung?
Asprion: Sie können im Moment jede Woche Nachrichten verfolgen, dass die einzelnen Bundesländer Millionen von Euro ausgeben wollen, um neue Gebäude, neues Personal einzustellen. Wenn ich davon ausgehe, dass es aussichtslos ist in der Wirkung, dann würde ich dafür plädieren, dieses Geld den Opfern der Straftaten zugute kommen zu lassen.
Meyer: Wir haben jetzt eine neue Lage durch dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Sehen Sie denn die Chancen, dass tatsächlich die Sicherungsverwahrung sagen wir zumindest eingeschränkt wird in Deutschland?
Asprion: Es wird behauptet, es würde getan, aber bisher sehe ich das noch nicht. Und was ich vor allem nicht sehe: Das Verfassungsgericht hat ja Vorgaben gemacht, wie die Ausgestaltung verändert werden soll. Diese Vorgaben entsprechen im Grund genau dem Gesetzestext des Strafvollzugsgesetzes von 1977. Das heißt, man hat 35 Jahre lang solche Vorgaben nicht umgesetzt bekommen und ich vermute, dass es auch zukünftig nicht möglich sein wird. Von daher glaube ich, dass es reichen würde: Wir haben lange Freiheitsstrafen, Sie können heute 15 Jahre Freiheitsstrafe, zu 15 Jahren verurteilt werden - das müsste eigentlich ausreichen.
Meyer: Der Bewährungshelfer Peter Asprion über den Umgang mit Sicherungsverwahrten in dem Dorf Insel und anderswo. Sie haben auch schon Ihr Buch erwähnt, das will ich noch einmal kurz nennen, der Titel ist "Gefährliche Freiheit?: Das Ende der Sicherungsverwahrung", das Buch ist bei Herder erschienen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Asprion: Danke schön, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Peter Asprion: Ja, guten Tag!
Meyer: Aus Ihrer Sicht - warum ist es zu diesem Konflikt in dem Dorf Insel gekommen, was ist da falsch gelaufen?
Asprion: Das Dorf ist zum einen überrascht worden von der Situation, und zum anderen hat, soweit ich das von hier aus beobachten konnte, der Bürgermeister ungut gewirkt, indem er sich quasi an die Spitze der Gegenbewegung gestellt hat.
Meyer: Wir haben schon ein anderes Gespräch geführt zu diesem Thema am Freitag, mit David Begrich vom Verein "Miteinander", und er hat gesagt: Wie kann man solche Eskalationen vermeiden? Man dürfe schlicht nicht bekannt machen, dass irgendwo Männer einziehen, die vorher in Sicherungsverwahrung saßen. Ist das denn umsetzbar, solch eine Geheimhaltung?
Asprion: Ich bezweifele das, dass das auf Dauer geht, aber zwischen Bekanntmachen und Verheimlichen gäbe es ja einfach noch, das einfach normal Hinnehmen, also keine Aufregung produzieren, aber auch nicht absichtlich verheimlichen.
Meyer: Das ist das, was Sie jetzt dem Bürgermeister von Insel vorwerfen, dass er Aufregung produziert hat?
Asprion: Es sieht von hier aus so aus. Ich bin nicht vor Ort, aber nach den Medienberichten war das wohl so.
Meyer: Es heißt über die beiden Männer in Insel - das sind frühere Sexualstraftäter -, dass sie sich strikt an die Auflagen gehalten hätten, die für sie gegolten haben. Wie werden denn überhaupt solche Straftäter betreut, wie lange, wie intensiv?
Asprion: Nach der Entlassung ordnet das Gericht in der Regel eine fünfjährige Führungsaufsicht an, gestaltet das mit Weisungen und Auflagen aus und gibt unter anderem auf, dass sie mit Bewährungshelfer, mit Therapeuten und anderen zusammenarbeiten müssen.
Meyer: Und das heißt, man sieht sich einmal im Monat, einmal die Woche - wie eng ist da dieser Kontakt?
Asprion: Das ist in diesem Fall mindestens einmal die Woche in der Regel.
Meyer: Was bewirkt diese Zusammenarbeit mit Bewährungshelfern?
Asprion: Es geht in der Regel zumindest in zwei Richtungen: Zum einen, gerade wenn die Entlassungen so unvorbereitet waren, versucht der Bewährungshelfer, den äußeren Rahmen mit herzustellen, sprich, wo wohne ich, wo kann ich mein Geld herbekommen, wo habe ich Kontakte, wie sieht das Leben draußen aus? Wenn sie jetzt über 20 Jahre aus unserer Gesellschaft entfernt waren, dann sind sie nicht krankenversichert - vieles hat sich geändert, also diese formalen, sozialen Dinge. Und das andere natürlich, dass immer das Thema im Raum steht: Was war Hintergrund der Verurteilung, wie kann ich Dinge unternehmen, dass es nicht wieder vorkommt?
Meyer: Sie haben gerade das Überraschende angesprochen: Die beiden gehören ja zu 80 Sicherungsverwahrten, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs relativ überraschend aus der Haft entlassen wurden. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen, diesen Übergang, Sie haben es auch gerade gesagt, bis zu 20 Jahre eingesperrt, jetzt in die Freiheit - wie geht das vor sich?
Asprion: Das war eine Ausnahmesituation. Ich denke, dass es bundesweit etwa 80 Männer sind. Der Gerichtshof in Straßburg hat die nachträglich verlängerte Sicherungsverwahrung für unrechtmäßig erklärt, und die Männer wurden dann auf Gerichtsbeschluss der Oberlandesgerichte in der Regel innerhalb von vier bis sechs Wochen entlassen, waren in keinster Weise vorbereitet - normalerweise nach langer Haft gibt es Entlassungsvorbereitungen, Lockerungen, Arbeitssuche. Alle die Dinge haben nicht stattgefunden gehabt.
Meyer: Also sie müssen von null auf hundert sofort wieder ein Leben zu führen versuchen in Freiheit. Das haben diese beiden Männer in dem Dorf Insel in Sachsen-Anhalt versucht. Die Proteste gegen den Aufenthalt der beiden Männer in dem Dorf, die speisen sich natürlich aus der Angst, dass die beiden rückfällig werden könnten, wie gesagt, Sexualstraftäter. Wie sind denn überhaupt die Rückfallquoten bei Straftätern, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden?
Asprion: Es gibt unterschiedliche Zahlen, von Kriminologen dargestellt, die gehen zwischen fünf Prozent oder 20 Prozent bei Sexualstraftätern, die rückfällig werden. Aber in der Regel ist die Rückfallquote eher gering im Vergleich zu anderen Straftätern.
Meyer: Und kann man auf diese Rückfallquote weiter Einfluss nehmen, auch nach der Sicherungsverwahrung?
Asprion: Ich denke, Einfluss nehmen kann ich, indem ich diese Männer begleite, unterstütze, mit Therapeuten, mit Beratung, dass ich sie auch wieder aufnehme in die Gesellschaft. Das ist ja das Problem, was die alle im Moment erleben, dass sie mit großer Abwehr und Angst von der Umgebung zu tun haben.
Meyer: Das denken Sie, oder gibt es dafür Erfahrungswerte, dass eine langjährige enge Betreuung dann tatsächlich die Rückfallquoten deutlich absenkt?
Asprion: Es gibt kriminologische Untersuchungen, dass Maßnahmen wie Bewährungshilfe und Begleitung durchaus nützen, um Rückfälle zu verhindern, ja.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die Rückkehr aus der Sicherungsverwahrung mit dem Bewährungshelfer Peter Asprion, der mit solchen Fällen zu tun hat. Jetzt werden die früheren Sicherungsverwahrten oft auch polizeilich überwacht, wenn sie wieder ins Leben draußen zurückgekehrt sind. Was ist eigentlich die Grundlage dafür? Denn im Prinzip haben diese Straftäter doch ihre Strafe abgesessen.
Asprion: Die Grundlage für die polizeiliche Observierung ist das Polizeirecht. Die Polizei sagt, wir sind zuständig für Gefahrenabwehr, und halten das dann in diesem und jenem Fall für notwendig, aus eigener polizeilicher Einschätzung.
Meyer: Aber wenn so jemand polizeilich überwacht wird, dann ist das, worüber wir am Anfang sprachen, möglichst es nicht publik machen oder sogar geheim halten, das ist dann natürlich gar nicht möglich.
Asprion: Vollkommen ausgeschlossen. Sie können das nachlesen, ich habe das veröffentlicht, habe zwei dieser Fälle im Buch beschrieben. Es ist schier unmöglich, da einen Fuß auf den Boden zu bekommen.
Meyer: Und wenn die Sicherungsverwahrten jetzt in Freiheit sind und das bekannt wird, dann tut sich ja so ein grundlegender Konflikt auf, das sieht man jetzt auch an diesem Fall in dem Dorf Insel. Auf der einen Seite wollen die Bürger natürlich geschützt werden - wir haben auch schon über Rückfallquoten gesprochen, es gibt eben auch Rückfälle -, auf der anderen Seite haben die Straftäter natürlich das Recht auf freie Wohnortwahl, auf freie Bewegung. Wie sehen Sie denn diesen Konflikt?
Asprion: Also wenn ich jetzt mal einfach auf die Zahlen zurückgehe, diese 80, die in Deutschland wahrscheinlich entlassen worden sind: Mir ist aus der Presse ein Rückfall bekannt, das war wohl in Dortmund, von allen anderen ist mir keiner bekannt. Das heißt, man hat 80 Männer als gefährlich eingestuft, die jetzt, zwei Jahre danach, 79 davon, die Gefährlichkeit nicht unter Beweis gestellt haben.
Meyer: Und man nimmt die 79 in Mithaftung für den einen.
Asprion: Genau, und keiner weiß im Voraus, wer der eine ist, wenn es der eine von 80 ist.
Meyer: Wie kann man diesen Konflikt lösen?
Asprion: Den Konflikt kann man lösen zum einen, dass man tatsächlich das, was ich vorhin gesagt habe, tut, dass man Unterstützung, Begleitung für die Männer gibt, durchaus auch Beobachtung, also auch ein Bewährungshelfer hat die Auflagen und weiß um die, die das Gericht angeordnet hat zu überprüfen, und dann sieht man ja: Hält er sich an die Regeln oder nicht? Und auf der anderen Seite wird man einfach jemandem, der vor 20, 25 Jahren eine schwere Straftat begangen hat, auch den Vorschuss geben müssen, dass er es wirklich ernst meint, jetzt ordentlich zu leben.
Meyer: Und würden Sie sagen - wir sprechen ja jetzt hier über Fälle: vorher sicherungsverwahrt, jetzt wieder in Freiheit -, würden Sie denn sagen, man kann ganz auf diese Sicherungsverwahrung verzichten?
Asprion: Ich plädiere dafür, ganz auf diese Sicherungsverwahrung zu verzichten. Ich habe das dargestellt und befürchtet oder na ja, vielleicht auch vorausgesehen, dass das passiert, was jetzt zum Beispiel in Insel passiert ist, dass diese Männer politisch instrumentalisiert werden und dass sie so unter Dämonenverdacht stehen, dass sich niemand mehr traut, mit denen vernünftig umzugehen. Und dieses Instrument Sicherungsverwahrung ist verbraucht.
Meyer: Aber es wird doch eingesetzt, um Straftäter, die man für gefährlich hält, ... um die Öffentlichkeit vor diesen Straftätern zu schützen. Besteht denn dieser Grund nicht?
Asprion: Es ist willkürlich, wen sie als gefährlich betrachten. Bis 1998 hatten wir etwa 160 Sicherungsverwahrte bundesweit in Sicherungsverwahrung, anschließend sind die Gesetze geändert worden, die Zahl ist auf zirka 500 gestiegen, gleichzeitig sind die Delikte zahlenmäßig gesunken. Das heißt, man hat einfach den Rahmen erweitert, nicht, weil es gefährlicher geworden ist, sondern weil man sensibler geworden ist.
Meyer: Und wer hat das getan, wer ist dafür zuständig, diese Beurteilungen zu ändern?
Asprion: Also jetzt habe ich von Gesetzesänderungen gesprochen, die macht natürlich der Bundestag. Da hat der damalige Kanzler Schröder den Startschuss gegeben mit dem Satz "Wegschließen für immer", und im Einzelfall werden in der Regel Psychiater forensische Gutachten erstellen.
Meyer: Aber woher wissen Sie oder können Sie beurteilen, dass diese psychiatrischen Gutachten, die die Gefährlichkeit von Straftätern feststellen, dass die nicht zutreffen?
Asprion: Weil ich überzeugt bin, dass Prognosen einfach schwierig sind über zukünftiges Verhalten eines Einzelnen, und weil die Gutachter selbst dies ausdrücken. Der Herr Nedopil aus München, der selbst ein Lehrbuch zu forensischen Gutachten verfasst hat, sagt, dass 80 Prozent seiner als gefährlich beurteilten Probanden nicht gefährlich sind, dass er aber als Gutachter natürlich lieber, in Anführungszeichen, auf der sicheren Seite steht. Das heißt, von zehn, die er als gefährlich einstuft, sind acht nicht gefährlich und büßen mit.
Meyer: Was kostet uns eigentlich diese Sicherungsverwahrung?
Asprion: Sie können im Moment jede Woche Nachrichten verfolgen, dass die einzelnen Bundesländer Millionen von Euro ausgeben wollen, um neue Gebäude, neues Personal einzustellen. Wenn ich davon ausgehe, dass es aussichtslos ist in der Wirkung, dann würde ich dafür plädieren, dieses Geld den Opfern der Straftaten zugute kommen zu lassen.
Meyer: Wir haben jetzt eine neue Lage durch dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Sehen Sie denn die Chancen, dass tatsächlich die Sicherungsverwahrung sagen wir zumindest eingeschränkt wird in Deutschland?
Asprion: Es wird behauptet, es würde getan, aber bisher sehe ich das noch nicht. Und was ich vor allem nicht sehe: Das Verfassungsgericht hat ja Vorgaben gemacht, wie die Ausgestaltung verändert werden soll. Diese Vorgaben entsprechen im Grund genau dem Gesetzestext des Strafvollzugsgesetzes von 1977. Das heißt, man hat 35 Jahre lang solche Vorgaben nicht umgesetzt bekommen und ich vermute, dass es auch zukünftig nicht möglich sein wird. Von daher glaube ich, dass es reichen würde: Wir haben lange Freiheitsstrafen, Sie können heute 15 Jahre Freiheitsstrafe, zu 15 Jahren verurteilt werden - das müsste eigentlich ausreichen.
Meyer: Der Bewährungshelfer Peter Asprion über den Umgang mit Sicherungsverwahrten in dem Dorf Insel und anderswo. Sie haben auch schon Ihr Buch erwähnt, das will ich noch einmal kurz nennen, der Titel ist "Gefährliche Freiheit?: Das Ende der Sicherungsverwahrung", das Buch ist bei Herder erschienen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Asprion: Danke schön, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.