Das Internet als politisches Forum

Von Niels Annen |
Die deutsche Politik tut sich noch immer schwer damit, die Bedeutung des Internets zu verstehen. Neue Beteiligungsformen müssen aufgegriffen werden, soll die Demokratie nicht Schaden nehmen, meint der SPD-Politiker Niels Annen.
War da was, damals, im Jahr 2008? "Eine große oder die größte Kampagne überhaupt" jubelte die Bloggerin Sarah Lai Stirland über Obamas Internet-Wahlkampf und eine Analyse der Zeitschrift "Technology Review" kam zu dem Schluss, dass Obama ohne das Internet die Wahl nicht gewonnen hätte. Entscheiden sich Wahlen heute also durch den Einsatz des Internets, oder sind doch, ganz altmodisch, politische Inhalte ausschlaggebend?

Natürlich war Obamas Sieg eng mit dem Internet verbunden. Doch diese Erklärung allein greift zu kurz. Viele deutsche Wahlkämpfer, die sich Obamas Kampagne zum Vorbild nahmen, übersahen nicht nur, dass in den USA ein laxes Datenschutzrecht den Parteien die Arbeit erleichtert, sondern auch, dass es die organisatorische und programmatische Erneuerung der Demokratischen Partei war, die die Grundlage für Obamas Wahlsieg legte. In seinem Buch "The Argument" beschreibt Matt Bai, wie diese erste "politische Bewegung des Internet-Zeitalters" entstand. Eine Bewegung, die nicht nur die alten Strukturen der Demokratischen Partei umging, sondern das Netz auch gezielt einsetzte, um sich durch Kleinspenden vom Geld der Konzerne unabhängiger zu machen. Zudem hatte Obama eine klare Botschaft, die er nie wechselte. Das ermöglichte es ihm, unterschiedliche Kommunikationsinstrumente einzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, dass seine Kampagne in sich zusammenfiel.

Doch seit 2008 haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Das Internet ist für immer mehr Menschen auf der ganzen Welt ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags geworden. Daher erwarten die Wähler von Politikern dasselbe, was sie selber praktizieren und erfahren: direkte Kommunikation und Mitsprache. Eine Massenmail zu verschicken, ist heute keine ausreichende Methode der politischen Kommunikation mehr.

Die deutsche Politik tut sich noch immer schwer damit, die Bedeutung des Internets zu verstehen. Es ist daher kein Wunder, dass die "Politischen Netz-Aktivisten", wie eine ZDF-Studie sie nennt, bei Wahlen immer wichtiger werden. Doch es sind nicht nur Fragen von "Netzpolitik", mit denen sie sich zu Wort melden. Vielen der neuen Berufsbilder, die mit und durch das Netz entstanden sind, mangelt es an sozialer Absicherung. Der Instrumentenkasten des Sozialstaates entstammt erkennbar der Zeit vor dem Internet.

Mit Konzepten wie "Liquid Democracy", einer Mischform aus direkter und indirekter Demokratie, versucht die frisch in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogene Piratenpartei, Mitglieder und Anhänger an Entscheidungen zu beteiligen. Damit will sie die Distanz überwinden, die sich zwischen Wählern und Gewählten gebildet hat. Ob dafür der Einsatz von neuen Medien ausreichen wird, bleibt abzuwarten.

Denn die Piratenpartei zeigt auch, dass das Internet die hergebrachten politischen Konflikte nicht aufgehoben hat. Dass unter 15 Abgeordneten nur eine Frau ist, hat bereits für Streit gesorgt. Die Piraten verteidigen sich mit dem Hinweis, sie seien "post-gender" - ob das jedoch einer Frau, die in Deutschland im Schnitt noch immer 23 Prozent weniger verdient als ein Mann, als Erklärung ausreicht, kann ernsthaft bezweifelt werden. Aber vielleicht haben die Piraten in dieser Frage einen vergleichbaren Lernprozess wie die etablierten Parteien noch vor sich? Unabhängig vom sensationellen Erfolg der Piraten werden neue Beteiligungsformen von der Politik aufgegriffen werden müssen, soll die Demokratie nicht Schaden nehmen.

Den mühsamen Prozess der politischen Konsensbildung wird eine neue Technik allein nicht ersetzten können. Wer diese Erwartung weckt, kann schnell enttäuscht werden, denn Politik bleibt ein mühsames Geschäft, auch in Zeiten von Facebook und Twitter.

Diese Erfahrung müssen ausgerechnet Barack Obamas Wahlkampfplaner gerade machen. Die technische Netz-Infrastruktur für seine Wiederwahlkampagne haben sie längst an die neuen Entwicklungen im Web angepasst, - allein die Politik des Präsidenten scheint die Amerikaner nicht mehr zu überzeugen. Internet hin oder her.

Niels Annen, geboren 1973 in Hamburg, arbeitet für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Er war von 2005-2009 direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel und danach Senior Fellow beim German Marshall Fund in Washington DC. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zählten u.a. das deutsche Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Von 2001-2004 war er Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Niels Annen ist seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstand. Er hat in Hamburg, Madrid und Berlin Geschichte und in Washington International Public Policy studiert.
Niels Annen
Niels Annen, SPD© www.nielsannen.de