"Das ist das Gegenteil von Transparenz"
Rund 40 Staaten verhandeln derzeit im Geheimen über ein Abkommen gegen Internetpiraterie und Copyrightverletzungen. Markus Beckedahl von netzpolitik.org kritisiert, dass nicht einmal die EU-Parlamentarier involviert werden und keine Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Er fordert den Stopp der Verhandlungen.
Liane von Billerbeck: Gemeinsam mit multinationalen Konzernen entwirft derzeit eine Gruppe von 40 Staaten in geheimen Verhandlungen ein Regelwerk, das die Informationsfreiheit im Internet massiv einschneiden soll. Es geht darum, gefälschte Produkte aus dem Verkehr ziehen zu können, doch der Haken an diesem Gesetzeswerk steckt im Detail. Wer künftig beispielsweise Musik illegal aus dem Netz herunterlädt, der könnte danach bald gar keinen Internetanschluss mehr haben, weil er zur Strafe gesperrt wird.
Telefonisch bin ich jetzt in Berlin mit Markus Beckedahl verbunden, Internetaktivist und Betreiber von netzpolitik.org. Ich grüße Sie!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Einige Staaten und die Vertreter, die diesen Vertrag auszuhandeln versuchen, die lehnen es ab, die Dokumente bei laufenden Verhandlungen zu veröffentlichen, so begründet ja die Europäische Kommission auch ihre Geheimhaltungspolitik. Parlamentarier sollen nicht beteiligt werden. Wie werten Sie das?
Beckedahl: Ja, das ist eigentlich ein Witz. Das ist das Gegenteil von Transparenz und das Gegenteil von Mitbeteiligung. Aus Sicht der EU-Parlamentarier ist es da nur zu verständlich, warum sie so massiv mit überwältigender Mehrheit mehr Transparenz letzte Woche eingefordert haben. Immerhin geht es bei diesem Abkommen um Freiheitsrechte, wie Sie schon erwähnt haben, es geht darum, wie soll in Zukunft das Internet funktionieren. Und dabei nur einseitig bestimmte Industrien mitverhandeln zu lassen und dann zum Schluss quasi den europäischen Demokratien das fertige Ergebnis zu präsentieren, was dann in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden soll, das ist nicht mehr zeitgemäß für ein 21. Jahrhundert.
von Billerbeck: Das EU-Parlament hat ja die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen erst mal gestoppt. Ist damit das Problem also vom Tisch und gelöst?
Beckedahl: Nein, es ist ja leider noch nicht gestoppt und das Problem ist auch noch nicht gelöst. Wir fordern ein Moratorium, eine Aussetzung der weiteren Verhandlungen, bis erst einmal klar ist, worum geht es beim ACTA-Abkommen. Bisher gibt es immer nur ab und an sogenannte geleakte, also über Umwege veröffentlichte Dokumente aus den Verhandlungen, und die lassen eher Schlimmes befürchten. Und wir brauchen erst einmal eine Debatte darüber, wollen wir das so machen? Und bevor quasi die Regierung hinter verschlossenen Türen weiter verhandeln und irgendwann einfach einen Status quo präsentieren und sagen, das ist es, was wir verhandelt haben, das müsst ihr jetzt alle umsetzen.
von Billerbeck: Nun ist ja der Schaden, der durch Internetpiraterie verursacht wird, relativ groß. Man schätzt 150 Milliarden US-Dollar, also durch gefälschte Produkte. Davon reden wir viel und auch von dem Schaden. Was bedeutet es aber nun, wenn nach den Vorstellungen der EU-Kommission jetzt Internetprovider für die Verstöße gegen das Urheberrecht, also wenn ich beispielsweise mir illegal Musik herunterlade, haftbar gemacht werden?
Beckedahl: Ja, also erst mal sollte man diese ganzen Zahlen immer ein bisschen in Zweifel ziehen und ...
von Billerbeck: Ich habe ja auch gesagt, eine Schätzung.
Beckedahl: Genau. Es ist auch ein Unterschied, ob man jetzt quasi gegen organisierte Kriminalität vorgeht, die Produktpiraterie betreibt, oder ob man gegen ganz normale Menschen vorgeht, die das Internet nutzen um zum Beispiel mit Freunden, Bekannten oder auch Unbekannten ihre Lieblingsmusik zu tauschen. Da sollte man erst mal eine Trennung ziehen. Das bedarf jeweils anderer Lösungsansätze, wie man jeweils mit den beiden Zielgruppen umgeht. Die Haftungsfrage ist eine sehr essentielle Regelung, die zu den Grundprinzipien des Internets gehört. Provider haften nicht für die Inhalte ihrer Nutzer und das ist auch gut so.
Stellen Sie sich mal vor, die Deutsche Telekom als Ihr Telefonanbieter würde in Ihre Telefonate hereinhören, um herauszufinden, ob Sie jetzt Ihrem Mann Ihr Lieblingslied von Madonna vorsingen, und sobald Sie das tun, wird dann Ihre Telefonleitung gekappt. Das soll so laut den neusten Erkenntnissen aus dem ACTA-Abkommen realisiert werden, das heißt, Internetservice-Provider sollen haftbar gemacht werden, die sollen verklagbar sein vonseiten der Musikindustrie zum Beispiel, wenn sie nicht genug gegen Tauschbörsen tun.
Das wird dazu führen, dass Internetservice-Provider die eigenen Kunden, also uns, immer mehr überwachen, in die Datenströme hineingucken, um auf Nummer sicher zu gehen, weil sie sonst vielleicht pleitegeklagt werden könnten von bestimmten Konzernen. Und das gilt es eigentlich, zu verhindern. Bei der Urheberrechtsfrage gibt es ganz andere Lösungsansätze als Menschen den Computer oder den Internetanschluss wegzunehmen und Provider in die stärkere Haftung zu nehmen.
von Billerbeck: Was schlagen Sie vor?
Beckedahl: Ich schlage vor, dass man sich Gedanken über eine Kulturflatrate macht, dass man das bewährte Prinzip der Pauschalabgaben auf Internetzugänge ausdehnt, damit das nichtkommerzielle Kopieren legalisiert und gleichzeitig Künstler kompensiert, ohne weitere Kontrollmechanismen ausüben zu müssen.
von Billerbeck: Was muss denn jetzt geschehen, um zu verhindern, dass eben multinationale Konzerne wie Time Warner oder Monsanto Internetanbieter zu Hilfssheriffs machen, die dann denen, die beispielsweise Musik tauschen, den Zugang sperren können?
Beckedahl: Ja, das habe ich eben schon mal kurz erwähnt, ein Moratorium wäre sinnvoll für das ACTA-Abkommen, das heißt, man stoppt erst mal die Verhandlungen. Dann wäre eine Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen sehr sinnvoll. Also es ist ja ein Unding und eigentlich auch gar nicht mehr zeitgemäß für ein 21. Jahrhundert, dass man bestimmte Industriegruppen an den Verhandlungen teilnehmen lässt, aber die Menschen selbst dürfen daran nicht teilnehmen.
Also das wäre eine Möglichkeit und die deutsche Regierung könnte sich dafür einsetzen, dass die EU-Kommission sich dafür einsetzt, dass viel mehr Transparenz und Beteiligung im ACTA-Abkommen möglich werden. Bisher haben wir nur die Information, dass gerade die deutsche Regierung eine der wenigen Staaten ist, die mehr Transparenz im Moment behindern. Und das finden wir sehr schade.
von Billerbeck: Für den 22. März hat ja die EU-Kommission eine Informationstagung über dieses Regelwerk angekündigt. Was meinen Sie, was werden wir erfahren?
Beckedahl: Ja, wahrscheinlich dasselbe wie auch in den letzten Informations ...
von Billerbeck: Nichts.
Beckedahl: ... veranstaltungen, nämlich nichts. Da kriegt man auch nur den Status quo zu hören und inklusive der Information, dass die EU-Kommission leider aufgrund der geheim laufenden Verhandlungen nicht in der Lage ist, mehr Informationen preiszugeben. Das hatten wir schon zweimal.
von Billerbeck: Das EU-Parlament hat ja schon im Herbst 2009 beschlossen, dass Internetsperren nur per Gerichtsbeschluss möglich sind. Was meinen Sie, wird es sich mit diesem Gesetz, bei diesem Gesetz gegen die Macht der großen Konzerne behaupten können?
Beckedahl: Ja, wir hoffen es. Das EU-Parlament hat jetzt mehr Rechte und Mitsprachemöglichkeiten durch den Lissabon-Vertrag und ist auch gerade dabei, mehr von diesen Rechten Gebrauch zu machen. Und wir hoffen natürlich, dass es standhaft bleibt und bei dem ACTA-Abkommen für unsere Bürgerrechte und für Informationsfreiheit stimmt.
von Billerbeck: Wird auch die Internetgemeinde aktiv werden?
Beckedahl: Es sind sehr viele Menschen aktiv. Es gibt internationale Netzwerke, es gibt in Deutschland sehr viele, die sich dafür einsetzen, mehr Transparenz da hereinzuholen in das Abkommen. Und sobald es auf EU-Ebene dann wiederum nächste Schritte gibt, dann werden auch wieder ganz viele Bürger aus ganz Europa sich an ihre Parlamentarier wenden und sie bitten, für mehr Transparenz und Informationsfreiheit zu stimmen.
von Billerbeck: Wie EU-Kommission gemeinsam mit multinationalen Konzernen Produktpiraterie und die Freiheitsrechte gleich mit für Internetnutzer einschränken wollen. Darüber sprach ich mit Markus Beckedahl, Betreiber von netzpolitik.org. Danke Ihnen!
Beckedahl: Danke Ihnen auch!
Telefonisch bin ich jetzt in Berlin mit Markus Beckedahl verbunden, Internetaktivist und Betreiber von netzpolitik.org. Ich grüße Sie!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Einige Staaten und die Vertreter, die diesen Vertrag auszuhandeln versuchen, die lehnen es ab, die Dokumente bei laufenden Verhandlungen zu veröffentlichen, so begründet ja die Europäische Kommission auch ihre Geheimhaltungspolitik. Parlamentarier sollen nicht beteiligt werden. Wie werten Sie das?
Beckedahl: Ja, das ist eigentlich ein Witz. Das ist das Gegenteil von Transparenz und das Gegenteil von Mitbeteiligung. Aus Sicht der EU-Parlamentarier ist es da nur zu verständlich, warum sie so massiv mit überwältigender Mehrheit mehr Transparenz letzte Woche eingefordert haben. Immerhin geht es bei diesem Abkommen um Freiheitsrechte, wie Sie schon erwähnt haben, es geht darum, wie soll in Zukunft das Internet funktionieren. Und dabei nur einseitig bestimmte Industrien mitverhandeln zu lassen und dann zum Schluss quasi den europäischen Demokratien das fertige Ergebnis zu präsentieren, was dann in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden soll, das ist nicht mehr zeitgemäß für ein 21. Jahrhundert.
von Billerbeck: Das EU-Parlament hat ja die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen erst mal gestoppt. Ist damit das Problem also vom Tisch und gelöst?
Beckedahl: Nein, es ist ja leider noch nicht gestoppt und das Problem ist auch noch nicht gelöst. Wir fordern ein Moratorium, eine Aussetzung der weiteren Verhandlungen, bis erst einmal klar ist, worum geht es beim ACTA-Abkommen. Bisher gibt es immer nur ab und an sogenannte geleakte, also über Umwege veröffentlichte Dokumente aus den Verhandlungen, und die lassen eher Schlimmes befürchten. Und wir brauchen erst einmal eine Debatte darüber, wollen wir das so machen? Und bevor quasi die Regierung hinter verschlossenen Türen weiter verhandeln und irgendwann einfach einen Status quo präsentieren und sagen, das ist es, was wir verhandelt haben, das müsst ihr jetzt alle umsetzen.
von Billerbeck: Nun ist ja der Schaden, der durch Internetpiraterie verursacht wird, relativ groß. Man schätzt 150 Milliarden US-Dollar, also durch gefälschte Produkte. Davon reden wir viel und auch von dem Schaden. Was bedeutet es aber nun, wenn nach den Vorstellungen der EU-Kommission jetzt Internetprovider für die Verstöße gegen das Urheberrecht, also wenn ich beispielsweise mir illegal Musik herunterlade, haftbar gemacht werden?
Beckedahl: Ja, also erst mal sollte man diese ganzen Zahlen immer ein bisschen in Zweifel ziehen und ...
von Billerbeck: Ich habe ja auch gesagt, eine Schätzung.
Beckedahl: Genau. Es ist auch ein Unterschied, ob man jetzt quasi gegen organisierte Kriminalität vorgeht, die Produktpiraterie betreibt, oder ob man gegen ganz normale Menschen vorgeht, die das Internet nutzen um zum Beispiel mit Freunden, Bekannten oder auch Unbekannten ihre Lieblingsmusik zu tauschen. Da sollte man erst mal eine Trennung ziehen. Das bedarf jeweils anderer Lösungsansätze, wie man jeweils mit den beiden Zielgruppen umgeht. Die Haftungsfrage ist eine sehr essentielle Regelung, die zu den Grundprinzipien des Internets gehört. Provider haften nicht für die Inhalte ihrer Nutzer und das ist auch gut so.
Stellen Sie sich mal vor, die Deutsche Telekom als Ihr Telefonanbieter würde in Ihre Telefonate hereinhören, um herauszufinden, ob Sie jetzt Ihrem Mann Ihr Lieblingslied von Madonna vorsingen, und sobald Sie das tun, wird dann Ihre Telefonleitung gekappt. Das soll so laut den neusten Erkenntnissen aus dem ACTA-Abkommen realisiert werden, das heißt, Internetservice-Provider sollen haftbar gemacht werden, die sollen verklagbar sein vonseiten der Musikindustrie zum Beispiel, wenn sie nicht genug gegen Tauschbörsen tun.
Das wird dazu führen, dass Internetservice-Provider die eigenen Kunden, also uns, immer mehr überwachen, in die Datenströme hineingucken, um auf Nummer sicher zu gehen, weil sie sonst vielleicht pleitegeklagt werden könnten von bestimmten Konzernen. Und das gilt es eigentlich, zu verhindern. Bei der Urheberrechtsfrage gibt es ganz andere Lösungsansätze als Menschen den Computer oder den Internetanschluss wegzunehmen und Provider in die stärkere Haftung zu nehmen.
von Billerbeck: Was schlagen Sie vor?
Beckedahl: Ich schlage vor, dass man sich Gedanken über eine Kulturflatrate macht, dass man das bewährte Prinzip der Pauschalabgaben auf Internetzugänge ausdehnt, damit das nichtkommerzielle Kopieren legalisiert und gleichzeitig Künstler kompensiert, ohne weitere Kontrollmechanismen ausüben zu müssen.
von Billerbeck: Was muss denn jetzt geschehen, um zu verhindern, dass eben multinationale Konzerne wie Time Warner oder Monsanto Internetanbieter zu Hilfssheriffs machen, die dann denen, die beispielsweise Musik tauschen, den Zugang sperren können?
Beckedahl: Ja, das habe ich eben schon mal kurz erwähnt, ein Moratorium wäre sinnvoll für das ACTA-Abkommen, das heißt, man stoppt erst mal die Verhandlungen. Dann wäre eine Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen sehr sinnvoll. Also es ist ja ein Unding und eigentlich auch gar nicht mehr zeitgemäß für ein 21. Jahrhundert, dass man bestimmte Industriegruppen an den Verhandlungen teilnehmen lässt, aber die Menschen selbst dürfen daran nicht teilnehmen.
Also das wäre eine Möglichkeit und die deutsche Regierung könnte sich dafür einsetzen, dass die EU-Kommission sich dafür einsetzt, dass viel mehr Transparenz und Beteiligung im ACTA-Abkommen möglich werden. Bisher haben wir nur die Information, dass gerade die deutsche Regierung eine der wenigen Staaten ist, die mehr Transparenz im Moment behindern. Und das finden wir sehr schade.
von Billerbeck: Für den 22. März hat ja die EU-Kommission eine Informationstagung über dieses Regelwerk angekündigt. Was meinen Sie, was werden wir erfahren?
Beckedahl: Ja, wahrscheinlich dasselbe wie auch in den letzten Informations ...
von Billerbeck: Nichts.
Beckedahl: ... veranstaltungen, nämlich nichts. Da kriegt man auch nur den Status quo zu hören und inklusive der Information, dass die EU-Kommission leider aufgrund der geheim laufenden Verhandlungen nicht in der Lage ist, mehr Informationen preiszugeben. Das hatten wir schon zweimal.
von Billerbeck: Das EU-Parlament hat ja schon im Herbst 2009 beschlossen, dass Internetsperren nur per Gerichtsbeschluss möglich sind. Was meinen Sie, wird es sich mit diesem Gesetz, bei diesem Gesetz gegen die Macht der großen Konzerne behaupten können?
Beckedahl: Ja, wir hoffen es. Das EU-Parlament hat jetzt mehr Rechte und Mitsprachemöglichkeiten durch den Lissabon-Vertrag und ist auch gerade dabei, mehr von diesen Rechten Gebrauch zu machen. Und wir hoffen natürlich, dass es standhaft bleibt und bei dem ACTA-Abkommen für unsere Bürgerrechte und für Informationsfreiheit stimmt.
von Billerbeck: Wird auch die Internetgemeinde aktiv werden?
Beckedahl: Es sind sehr viele Menschen aktiv. Es gibt internationale Netzwerke, es gibt in Deutschland sehr viele, die sich dafür einsetzen, mehr Transparenz da hereinzuholen in das Abkommen. Und sobald es auf EU-Ebene dann wiederum nächste Schritte gibt, dann werden auch wieder ganz viele Bürger aus ganz Europa sich an ihre Parlamentarier wenden und sie bitten, für mehr Transparenz und Informationsfreiheit zu stimmen.
von Billerbeck: Wie EU-Kommission gemeinsam mit multinationalen Konzernen Produktpiraterie und die Freiheitsrechte gleich mit für Internetnutzer einschränken wollen. Darüber sprach ich mit Markus Beckedahl, Betreiber von netzpolitik.org. Danke Ihnen!
Beckedahl: Danke Ihnen auch!