"Das ist ein Märchen für Erwachsene"
Die Comiczeichnerin und Animationsfilmerin Marjane Satrapi berichtet über ihren neuen bittersüßen Liebessehnsuchtsfilm "Huhn mit Pflaumen". Sie habe versucht, das Leben eines depressiven Menschen filmisch interessant zu gestalten: "mit etwas Humor, mit etwas Magie."
Ulrike Timm: Ein Mann legt sich ins Bett, um zu sterben, er trauert einer Liebe seit Jahrzehnten nach, in Rückblenden wird sein Leben erzählt. Ein Liebesfilm von Marjane Satrapi, die Comiczeichnerin und Animationsfilmerin ist und durch ihren Film "Persepolis" sehr bekannt wurde. "Huhn mit Pflaumen" ist jetzt ganz anders filmisch gekocht, mit Schauspielern gedreht, wenn auch mit äußerst malerischen Bildern - die Zeichnung und der Animationsfilm aber bleiben eher sparsam eingewoben. Marjani Satrapi, es sollte wohl diesmal filmisch etwas ganz anderes sein?
Marjane Satrapi: Nein, ich denke nicht, dass es etwas vollständig anderes ist, insofern, als ich glaube, dass Animationsfilm kein eigenes Genre ist, es ist einfach eine Art, Filme zu machen. Und für "Persepolis", meinen Film davor, war das nötig, das via Animation zu machen. Und jetzt ist es eben etwas Neues, etwas anderes. Und das Denken, wie diese beiden Filme gedacht werden, ist sozusagen das Gleiche, aber die Art, sie zu machen, ist verschieden.
Timm: Es ist ein Liebessehnsuchtsfilm - der Mann trauert einer ganz großen Liebe über Jahrzehnte hinterher und kann sie nicht vergessen. Das ist ja auch ein Film über ein Leben, das eigentlich nicht richtig gelebt wurde. Was hat Sie daran gereizt, das ist ja ein sehr trauriges Thema?
Satrapi: Ja, das ist wirklich traurig. Ich denke mal, das Leben der meisten Menschen ist ein trauriges und eher sozusagen der Archetyp eines Menschen, der ein unerfülltes Leben führt. Er verliert das Gefühl für den Spaß am Leben, für das Vergnügen. Er hat nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt. Er ist einfach deprimiert, und das Leben eines depressiven oder deprimierten Menschen ist sehr langweilig, es gibt eigentlich nichts Langweiligeres. Und wir haben nun versucht, dieses Leben eines depressiven Menschen filmisch interessant zu gestalten - mit etwas Humor, mit etwas Magie.
Timm: Marjane Satrapi, Spuren dieses Filmes entsprechen Ihrer Familiengeschichte, auch dort gab es einen Musiker, und gleichzeitig gibt es so eine träumerische, fantasievolle Grundstimmung im Film, dass man sagen kann, na ja, Sie haben als Kind viel "Tausendundeine Nacht" gelesen oder gehört. Würden Sie sagen, es ist auch ein Märchen für Erwachsene?
Satrapi: Ja, das ist ein Märchen für Erwachsene, aber gleichzeitig ist es auch etwas sehr Realistisches, ich würde sogar sagen Naturalistisches. Der Hauptdarsteller zum Beispiel ist nicht besonders sympathisch, und er wird im Verlauf des Films auch nicht sympathisch. Er mag zum Beispiel seine Kinder nicht am Anfang und am Ende immer noch nicht, aber auch solche Leute haben ihre großartigen Momente.
Das gibt es in jedem Leben, das ist etwas Realistisches, und gleichzeitig hat es doch magische Elemente, gleichzeitig hat es eine magische Ebene. Man muss dazu sagen, dass ich auch aus einer Kultur komme, wo nicht alles sofort erklärt werden muss, nicht alles muss eine Erklärung haben, weil nicht alles wird gemessen oder kalkuliert. Man muss nicht alles immer gleich verstehen. Und ich denke, diese Momente im Leben sind die, die das Leben ausmachen, die den Spaß des Lebens ausmachen, das Besondere daran. Und diese Momente sorgen auch dafür, dass es nicht langweilig wird.
Timm: Gerade weil Sie aus einer Kultur stammen, wo man nicht immer alles sofort mit Worten erklärt, hat das ja womöglich dazu geführt, dass Sie so viel gemixt haben in dem Film: Die Schauspielerführung, die Bilder sind manchmal fast wie alte Fotografien, die Zeichnung ist drin, der Animationsfilm ist in Spuren auch drin. Ist das sozusagen ein eigenes Genre, ein Marjane-Satrapi-Spezialfilm?
Satrapi: Ich weiß nicht, ob das jetzt ein Marjane-Satrapi-Spezialfilm ist, aber es ist auf jeden Fall meine eigene Art, Geschichten zu erzählen. Es geht ja auch ganz viel um die Filmsprache, nicht nur um die Geschichte selbst. Wenn wir zum Beispiel David Lynch nehmen, der kann Geschichten einfach auf ganz besondere Art und Weise erzählen. Er hat oft kaum eine Story zu erzählen, aber das ist dann so gemacht von ihm, dass man denkt, ui, - er hat unglaublich viel zu erzählen. In Wirklichkeit ist gar nicht besonders viel dahinter, aber man denkt das bei ihm. Und andere, die schaffen es, die beste und wunderbarste Geschichte auf ihre Art filmisch komplett zu zerstören.
Und meine Art ist es eben, das Ganze mit Humor anzugehen, mit Animation, mit magischen Elementen, mit Zeichnungen und so weiter. Ästhetisch ist das einfach das, was mir gefällt, das mag ich. Und in meinem Leben habe ich immer wieder erfahren, dass es nicht zum Beispiel das totale Glück gibt. Wenn man eine glückliche Situation erlebt, gibt es immer auch einen Anteil Traurigkeit dabei. So ist das bestimmt bei den meisten Menschen, es gibt immer diese Mischung. Und das ist halt das, was wir in die Ästhetik dieses Filmes mit einfließen lassen wollten.
Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit der Regisseurin Marjane Satrapi über ihren neuen Film "Huhn mit Pflaumen", und Huhn mit Pflaumen wird in dem Film ja auch gekocht, damit der Mann im Bett, der auf seinen Tod wartet, doch noch wieder aufsteht. Ist das auch Ihr privates Überlebensgericht?
Satrapi: Nein, ich esse einfach sehr gerne, ich mag auch gerne Huhn mit Pflaumen, aber in zehn Minuten werde ich ein Wiener Schnitzel essen, und das esse ich auch sehr gerne. Essen hilft einem einfach zu überleben - aber ich esse auch gerne eine Currywurst zum Beispiel.
Timm: Ja, das freut uns, dass Sie so international essen. Kochen Sie auch gerne?
Satrapi: Ja, ich koche gerne, wenn ich Zeit dazu habe, allerdings nicht für mich alleine. Ich koche gerne für Freunde, für viele Leute - für mich selber mache ich höchstens mal einen Salat oder so.
Timm: Persisch oder französisch?
Satrapi: Persisch, französisch, deutsch, österreichisch, amerikanisch - alles.
Timm: Marjane Satrapi, die Frau, die der Musiker seit Jahrzehnten nicht vergessen kann, die heißt Iran, wie das Land, aus dem Sie stammen - das ist doch bestimmt kein Zufall.
Satrapi: Ja, das ist natürlich kein Zufall, aber der Name existiert auch so tatsächlich, wie France zum Beispiel auf Französisch auch als weiblicher Vorname existiert. Aber unterschwellig spiegelt er natürlich auch die Liebe zum Land wider, diese Zeit, in der die Idee der Demokratie wegzufliegen begann. Und dieser Film muss natürlich als Liebesfilm auch so funktionieren. Aber Sie haben vollkommen recht, das ist kein Zufall.
Timm: Er funktioniert auch als Liebesgeschichte, trotzdem habe ich gedacht, die Frau, die heimliche Hauptfigur ist das Sujet, das ist eine ungelebte Liebe, und man kann das vielfältig deuten. Ist das vielleicht auch die ungelebte Liebe zu Ihrem Heimatland, denn Sie leben ja seit Langem im französischen Exil?
Satrapi: Das stimmt. Ich liebe dieses Land und es ist sehr weit weg von mir und es fehlt mir auch, aber andererseits bin ich auch nicht nationalistisch, weil ich glaube, dass Nationalismus überhaupt nichts Gutes ist. Trotzdem wird man irgendwo geboren, man wird wo hineingeboren, an einen bestimmten Ort, an dem die Sonne auf eine bestimmte Art und Weise scheint, an dem das Licht auf eine bestimmte Art und Weise fällt, und das ist eben nicht überall gleich.
Zum Beispiel hier in Berlin gibt es auch ein bestimmtes Blau, das Berliner Blau, das ist nicht so wie anders, und man gewöhnt sich daran und man gewinnt es lieb, wenn man in einem Land aufwächst. Und es ist so, dass mir das eben fehlt aus dem Land, in dem ich aufgewachsen bin. Das zeigt sich zum Beispiel auch an dem letzten Wort, was in dem Film fällt, was der Hauptdarsteller als Letztes sagt: Iran. Und wenn ich zurückkomme, hoffe ich, dass mein Iran mich wiedererkennen wird, dass sie mich nicht vergessen haben wird, das ist die letzte Hoffnung, die ich habe.
Timm: Die Nachrichten, die wir täglich aus dem Iran bekommen, die sind beunruhigend, bestürzend ist eigentlich gar kein Ausdruck. Deswegen frage ich Sie, es geht ja nicht nur darum, dass der Iran Sie wiedererkennt, vor allen Dingen, dass Sie den Iran neu erkennen können, wenn Sie zurückkommen könnten. Was wünschen Sie dem Land?
Satrapi: Natürlich werde ich den Iran wiedererkennen. Ich denke, dieses Land ist so alt, da ändert sich vieles auch nicht. Es ist so viel schon passiert und so vieles auch immer gleich geblieben. Meine Hoffnung, die ich für mein Land habe, ist nicht nur eine Hoffnung für dieses Land, sondern für die ganze Welt, natürlich für Demokratie und für Frieden. Auch wenn in kleinen Ländern schlechte Situationen herrschen, dann betrifft das doch die ganze Welt. Die Welt ist eigentlich nicht in kleine Teile aufgeteilt, die Menschen gehören zusammen, alles ist eine Welt. Und alle Menschen, die im Gehirn noch halbwegs gesund sind, hoffen doch dafür, dass diese Welt eine friedliche sein wird. Wir müssen das auf jeden Fall wollen.
Timm: Hoffnung ist was Wichtiges und trägt sehr weit, aber im Iran wäre erheblich mehr nötig als Hoffnung, nämlich eine Umwälzung des politischen Systems. Wie genau verfolgen Sie eigentlich von Paris aus die Entwicklung in Ihrem Land, zum Beispiel auch die Repressionen gegen Filmkollegen wie Jafar Panahi?
Satrapi: Das ist eine Frage, die relativ schwierig zu beantworten ist. Ich war jetzt zwölf Jahre lang nicht im Iran, und die Informationen, die ich erhalte, sind alle aus zweiter Hand. Und das war früher schon so, dass das, was ich im Fernsehen gesehen habe, nicht der Realität entsprochen hat, die ich im Land selber erfahren habe, als ich dort noch gelebt habe oder als ich zurückgekommen bin. Und das hat mein Vertrauen in die Medien ziemlich erschüttert. Also ich weiß nicht, inwiefern ich dem trauen kann, was ich hier lese und höre. Und es ist so, dass die Situation im Iran jetzt seit 30 Jahren so ist, wie sie ist, das ist, wenn man mein eigenes Leben betrachtet, eine sehr lange Zeit, historisch betrachtet ist es aber nur ein kurzer Zeitabschnitt.
Und ich denke, dass man dabei sehen muss, dass der Feind der Demokratie, vor allem die patriarchalische Kultur ist. Und diesbezüglich kann man eine Evolution im Iran betrachten, und zwar diesbezüglich, dass im Land, in einem Land, in dem Frauen nur die Hälfte der Rechte der Männer haben, trotzdem 65 Prozent der Studenten an den Universitäten Frauen sind und diese Frauen Abschlüsse machen und diese Frauen auch letzten Endes diejenigen sein werden, die das Leben mitbestimmen werden, die zu Veränderungen führen werden. Wenn man also die Situation der Frauen sieht, ist sie zwar schlecht, sie sind unterdrückt, aber wir sind diejenigen, die mehr studieren, die mehr arbeiten, und das wird die Richtung sein, aus der die Emanzipation kommen wird.
Das bedeutet natürlich noch jede Menge Arbeit, um das dann sozusagen zum Besseren zu wenden. Und ich habe aber diese Hoffnung, dass das funktionieren wird. Wenn ich keine Hoffnung mehr hätte, bliebe mir auch gar nichts. Natürlich mache ich mir trotzdem Sorgen um Menschen, die inhaftiert sind oder Probleme haben wie Jafar Panahi, und viele andere, die im Gefängnis sitzen - das macht mir schon Sorgen. Ich denke, dass es eine sehr schwere und schlechte Zeit ist.
Ich glaube nicht, dass die Situation im Iran ist gut jetzt, aber was ich sagen will, ist, es ist wichtiger für ein Land, eine Evolution zu haben, denn ohne Evolution oder ohne Krieg ... das verändert nicht wirklich was. Aber in eine Evolution, das ist stark, das war etwas.
Timm: Marjane Satrapi, erst mal leben Sie weiter in Paris, und wir freuen uns auf den Start von "Huhn mit Pflaumen". Letzte Frage: Wann kochen Sie das das nächste Mal, und essen Sie das dann im Familienkreis oder zur Feier des Films oder wann gibt es das?
Satrapi: Ich habe das am Mittwoch gekocht für drei Freunde, und wir haben alle viel gegessen, viel zu viel, und ich habe das wieder Mittwochnacht gegessen, und das wirklich sehr gut. So, nächste Zeit Sie sind in Paris, Sie kommen zu mir und ich koche Ihnen ein Huhn mit Pflaumen.
Timm: Ich bedanke mich sehr, Marjane Satrapi. Das Rezept ist nicht leicht nachzukochen, aber es klingt köstlich. Ihr Film "Huhn mit Pflaumen" startet in dieser Woche in den deutschen Kinos. Frau Satrapi, ich danke Ihnen sehr und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Satrapi: Ich Ihnen auch, danke vielmals!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Marjane Satrapi: Nein, ich denke nicht, dass es etwas vollständig anderes ist, insofern, als ich glaube, dass Animationsfilm kein eigenes Genre ist, es ist einfach eine Art, Filme zu machen. Und für "Persepolis", meinen Film davor, war das nötig, das via Animation zu machen. Und jetzt ist es eben etwas Neues, etwas anderes. Und das Denken, wie diese beiden Filme gedacht werden, ist sozusagen das Gleiche, aber die Art, sie zu machen, ist verschieden.
Timm: Es ist ein Liebessehnsuchtsfilm - der Mann trauert einer ganz großen Liebe über Jahrzehnte hinterher und kann sie nicht vergessen. Das ist ja auch ein Film über ein Leben, das eigentlich nicht richtig gelebt wurde. Was hat Sie daran gereizt, das ist ja ein sehr trauriges Thema?
Satrapi: Ja, das ist wirklich traurig. Ich denke mal, das Leben der meisten Menschen ist ein trauriges und eher sozusagen der Archetyp eines Menschen, der ein unerfülltes Leben führt. Er verliert das Gefühl für den Spaß am Leben, für das Vergnügen. Er hat nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt. Er ist einfach deprimiert, und das Leben eines depressiven oder deprimierten Menschen ist sehr langweilig, es gibt eigentlich nichts Langweiligeres. Und wir haben nun versucht, dieses Leben eines depressiven Menschen filmisch interessant zu gestalten - mit etwas Humor, mit etwas Magie.
Timm: Marjane Satrapi, Spuren dieses Filmes entsprechen Ihrer Familiengeschichte, auch dort gab es einen Musiker, und gleichzeitig gibt es so eine träumerische, fantasievolle Grundstimmung im Film, dass man sagen kann, na ja, Sie haben als Kind viel "Tausendundeine Nacht" gelesen oder gehört. Würden Sie sagen, es ist auch ein Märchen für Erwachsene?
Satrapi: Ja, das ist ein Märchen für Erwachsene, aber gleichzeitig ist es auch etwas sehr Realistisches, ich würde sogar sagen Naturalistisches. Der Hauptdarsteller zum Beispiel ist nicht besonders sympathisch, und er wird im Verlauf des Films auch nicht sympathisch. Er mag zum Beispiel seine Kinder nicht am Anfang und am Ende immer noch nicht, aber auch solche Leute haben ihre großartigen Momente.
Das gibt es in jedem Leben, das ist etwas Realistisches, und gleichzeitig hat es doch magische Elemente, gleichzeitig hat es eine magische Ebene. Man muss dazu sagen, dass ich auch aus einer Kultur komme, wo nicht alles sofort erklärt werden muss, nicht alles muss eine Erklärung haben, weil nicht alles wird gemessen oder kalkuliert. Man muss nicht alles immer gleich verstehen. Und ich denke, diese Momente im Leben sind die, die das Leben ausmachen, die den Spaß des Lebens ausmachen, das Besondere daran. Und diese Momente sorgen auch dafür, dass es nicht langweilig wird.
Timm: Gerade weil Sie aus einer Kultur stammen, wo man nicht immer alles sofort mit Worten erklärt, hat das ja womöglich dazu geführt, dass Sie so viel gemixt haben in dem Film: Die Schauspielerführung, die Bilder sind manchmal fast wie alte Fotografien, die Zeichnung ist drin, der Animationsfilm ist in Spuren auch drin. Ist das sozusagen ein eigenes Genre, ein Marjane-Satrapi-Spezialfilm?
Satrapi: Ich weiß nicht, ob das jetzt ein Marjane-Satrapi-Spezialfilm ist, aber es ist auf jeden Fall meine eigene Art, Geschichten zu erzählen. Es geht ja auch ganz viel um die Filmsprache, nicht nur um die Geschichte selbst. Wenn wir zum Beispiel David Lynch nehmen, der kann Geschichten einfach auf ganz besondere Art und Weise erzählen. Er hat oft kaum eine Story zu erzählen, aber das ist dann so gemacht von ihm, dass man denkt, ui, - er hat unglaublich viel zu erzählen. In Wirklichkeit ist gar nicht besonders viel dahinter, aber man denkt das bei ihm. Und andere, die schaffen es, die beste und wunderbarste Geschichte auf ihre Art filmisch komplett zu zerstören.
Und meine Art ist es eben, das Ganze mit Humor anzugehen, mit Animation, mit magischen Elementen, mit Zeichnungen und so weiter. Ästhetisch ist das einfach das, was mir gefällt, das mag ich. Und in meinem Leben habe ich immer wieder erfahren, dass es nicht zum Beispiel das totale Glück gibt. Wenn man eine glückliche Situation erlebt, gibt es immer auch einen Anteil Traurigkeit dabei. So ist das bestimmt bei den meisten Menschen, es gibt immer diese Mischung. Und das ist halt das, was wir in die Ästhetik dieses Filmes mit einfließen lassen wollten.
Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit der Regisseurin Marjane Satrapi über ihren neuen Film "Huhn mit Pflaumen", und Huhn mit Pflaumen wird in dem Film ja auch gekocht, damit der Mann im Bett, der auf seinen Tod wartet, doch noch wieder aufsteht. Ist das auch Ihr privates Überlebensgericht?
Satrapi: Nein, ich esse einfach sehr gerne, ich mag auch gerne Huhn mit Pflaumen, aber in zehn Minuten werde ich ein Wiener Schnitzel essen, und das esse ich auch sehr gerne. Essen hilft einem einfach zu überleben - aber ich esse auch gerne eine Currywurst zum Beispiel.
Timm: Ja, das freut uns, dass Sie so international essen. Kochen Sie auch gerne?
Satrapi: Ja, ich koche gerne, wenn ich Zeit dazu habe, allerdings nicht für mich alleine. Ich koche gerne für Freunde, für viele Leute - für mich selber mache ich höchstens mal einen Salat oder so.
Timm: Persisch oder französisch?
Satrapi: Persisch, französisch, deutsch, österreichisch, amerikanisch - alles.
Timm: Marjane Satrapi, die Frau, die der Musiker seit Jahrzehnten nicht vergessen kann, die heißt Iran, wie das Land, aus dem Sie stammen - das ist doch bestimmt kein Zufall.
Satrapi: Ja, das ist natürlich kein Zufall, aber der Name existiert auch so tatsächlich, wie France zum Beispiel auf Französisch auch als weiblicher Vorname existiert. Aber unterschwellig spiegelt er natürlich auch die Liebe zum Land wider, diese Zeit, in der die Idee der Demokratie wegzufliegen begann. Und dieser Film muss natürlich als Liebesfilm auch so funktionieren. Aber Sie haben vollkommen recht, das ist kein Zufall.
Timm: Er funktioniert auch als Liebesgeschichte, trotzdem habe ich gedacht, die Frau, die heimliche Hauptfigur ist das Sujet, das ist eine ungelebte Liebe, und man kann das vielfältig deuten. Ist das vielleicht auch die ungelebte Liebe zu Ihrem Heimatland, denn Sie leben ja seit Langem im französischen Exil?
Satrapi: Das stimmt. Ich liebe dieses Land und es ist sehr weit weg von mir und es fehlt mir auch, aber andererseits bin ich auch nicht nationalistisch, weil ich glaube, dass Nationalismus überhaupt nichts Gutes ist. Trotzdem wird man irgendwo geboren, man wird wo hineingeboren, an einen bestimmten Ort, an dem die Sonne auf eine bestimmte Art und Weise scheint, an dem das Licht auf eine bestimmte Art und Weise fällt, und das ist eben nicht überall gleich.
Zum Beispiel hier in Berlin gibt es auch ein bestimmtes Blau, das Berliner Blau, das ist nicht so wie anders, und man gewöhnt sich daran und man gewinnt es lieb, wenn man in einem Land aufwächst. Und es ist so, dass mir das eben fehlt aus dem Land, in dem ich aufgewachsen bin. Das zeigt sich zum Beispiel auch an dem letzten Wort, was in dem Film fällt, was der Hauptdarsteller als Letztes sagt: Iran. Und wenn ich zurückkomme, hoffe ich, dass mein Iran mich wiedererkennen wird, dass sie mich nicht vergessen haben wird, das ist die letzte Hoffnung, die ich habe.
Timm: Die Nachrichten, die wir täglich aus dem Iran bekommen, die sind beunruhigend, bestürzend ist eigentlich gar kein Ausdruck. Deswegen frage ich Sie, es geht ja nicht nur darum, dass der Iran Sie wiedererkennt, vor allen Dingen, dass Sie den Iran neu erkennen können, wenn Sie zurückkommen könnten. Was wünschen Sie dem Land?
Satrapi: Natürlich werde ich den Iran wiedererkennen. Ich denke, dieses Land ist so alt, da ändert sich vieles auch nicht. Es ist so viel schon passiert und so vieles auch immer gleich geblieben. Meine Hoffnung, die ich für mein Land habe, ist nicht nur eine Hoffnung für dieses Land, sondern für die ganze Welt, natürlich für Demokratie und für Frieden. Auch wenn in kleinen Ländern schlechte Situationen herrschen, dann betrifft das doch die ganze Welt. Die Welt ist eigentlich nicht in kleine Teile aufgeteilt, die Menschen gehören zusammen, alles ist eine Welt. Und alle Menschen, die im Gehirn noch halbwegs gesund sind, hoffen doch dafür, dass diese Welt eine friedliche sein wird. Wir müssen das auf jeden Fall wollen.
Timm: Hoffnung ist was Wichtiges und trägt sehr weit, aber im Iran wäre erheblich mehr nötig als Hoffnung, nämlich eine Umwälzung des politischen Systems. Wie genau verfolgen Sie eigentlich von Paris aus die Entwicklung in Ihrem Land, zum Beispiel auch die Repressionen gegen Filmkollegen wie Jafar Panahi?
Satrapi: Das ist eine Frage, die relativ schwierig zu beantworten ist. Ich war jetzt zwölf Jahre lang nicht im Iran, und die Informationen, die ich erhalte, sind alle aus zweiter Hand. Und das war früher schon so, dass das, was ich im Fernsehen gesehen habe, nicht der Realität entsprochen hat, die ich im Land selber erfahren habe, als ich dort noch gelebt habe oder als ich zurückgekommen bin. Und das hat mein Vertrauen in die Medien ziemlich erschüttert. Also ich weiß nicht, inwiefern ich dem trauen kann, was ich hier lese und höre. Und es ist so, dass die Situation im Iran jetzt seit 30 Jahren so ist, wie sie ist, das ist, wenn man mein eigenes Leben betrachtet, eine sehr lange Zeit, historisch betrachtet ist es aber nur ein kurzer Zeitabschnitt.
Und ich denke, dass man dabei sehen muss, dass der Feind der Demokratie, vor allem die patriarchalische Kultur ist. Und diesbezüglich kann man eine Evolution im Iran betrachten, und zwar diesbezüglich, dass im Land, in einem Land, in dem Frauen nur die Hälfte der Rechte der Männer haben, trotzdem 65 Prozent der Studenten an den Universitäten Frauen sind und diese Frauen Abschlüsse machen und diese Frauen auch letzten Endes diejenigen sein werden, die das Leben mitbestimmen werden, die zu Veränderungen führen werden. Wenn man also die Situation der Frauen sieht, ist sie zwar schlecht, sie sind unterdrückt, aber wir sind diejenigen, die mehr studieren, die mehr arbeiten, und das wird die Richtung sein, aus der die Emanzipation kommen wird.
Das bedeutet natürlich noch jede Menge Arbeit, um das dann sozusagen zum Besseren zu wenden. Und ich habe aber diese Hoffnung, dass das funktionieren wird. Wenn ich keine Hoffnung mehr hätte, bliebe mir auch gar nichts. Natürlich mache ich mir trotzdem Sorgen um Menschen, die inhaftiert sind oder Probleme haben wie Jafar Panahi, und viele andere, die im Gefängnis sitzen - das macht mir schon Sorgen. Ich denke, dass es eine sehr schwere und schlechte Zeit ist.
Ich glaube nicht, dass die Situation im Iran ist gut jetzt, aber was ich sagen will, ist, es ist wichtiger für ein Land, eine Evolution zu haben, denn ohne Evolution oder ohne Krieg ... das verändert nicht wirklich was. Aber in eine Evolution, das ist stark, das war etwas.
Timm: Marjane Satrapi, erst mal leben Sie weiter in Paris, und wir freuen uns auf den Start von "Huhn mit Pflaumen". Letzte Frage: Wann kochen Sie das das nächste Mal, und essen Sie das dann im Familienkreis oder zur Feier des Films oder wann gibt es das?
Satrapi: Ich habe das am Mittwoch gekocht für drei Freunde, und wir haben alle viel gegessen, viel zu viel, und ich habe das wieder Mittwochnacht gegessen, und das wirklich sehr gut. So, nächste Zeit Sie sind in Paris, Sie kommen zu mir und ich koche Ihnen ein Huhn mit Pflaumen.
Timm: Ich bedanke mich sehr, Marjane Satrapi. Das Rezept ist nicht leicht nachzukochen, aber es klingt köstlich. Ihr Film "Huhn mit Pflaumen" startet in dieser Woche in den deutschen Kinos. Frau Satrapi, ich danke Ihnen sehr und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Satrapi: Ich Ihnen auch, danke vielmals!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.