"Das ist ein Monstrum"
Im Streit zwischen Union und SPD um die doppelte Staatsbürgerschaft hat CSU-Chef Seehofer als Kompromiss eine sogenannte "ruhende Staatsbürgerschaft" vorgeschlagen. Die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John warnt dagegen vor erheblichen Schwierigkeiten, die das Modell mit sich bringen würde.
Nana Brink: Die SPD will sie unbedingt – vielleicht nicht ganz so heftig wie den Mindestlohn -, aber die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Muss für die Sozialdemokraten. Die Union hingegen fand sie schon immer eigentlich Teufelswerk. Bei den Koalitionsgesprächen jedoch scheint sich Bewegung abzuzeichnen. Katharina Hamberger über die jetzige Handhabe und mögliche Kompromisslinien.
Ein wie auch immer gearteter schwieriger, aber vielleicht möglicher Kompromiss zeichnet sich ab, und ich spreche jetzt mit der CDU-Politikerin Barbara John. Sie war die erste Ausländerbeauftragte der Länder in Deutschland, und zwar in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau John!
Barbara John: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Öffnet sich denn die Union für einen wie auch immer aussehenden Doppelpass?
John: Das sieht so aus. Es fällt ihr, glaube ich, sehr schwer, das zu tun, denn sie hat ja besonders in den 90er-Jahren noch sehr dafür gekämpft und wir erinnern uns an Roland Koch in Hessen, wie er mit seiner Unterschriftenliste – gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, Ja für Integration – die Wahl noch gerissen hat, obwohl sie nicht zu gewinnen war. Aber wir sehen da, dass das ein inneres Anliegen ist von vielen CDUlern, und die CDU war es auch immer, die gesagt hat, doppelte Staatsbürgerschaft ist von Übel, die sogenannte Übeltheorie war damals gang und gäbe. Es ist natürlich alles gar nicht so, aber damit konnte man Wähler binden. Und nun muss sie es wahrscheinlich aufgeben, es ist auch nicht wirklich eine wichtige Sache, insofern würde sie klug handeln, das zu tun.
Brink: Aber es ist doch schon irgendwie ein kultureller Quantensprung, so wie irgendwie, sage ich jetzt mal, die Abschaffung der Wehrpflicht?
John: Ja, es ist erstaunlich, dass sie, wenn man so lange dafür kämpft, dann doch sagt, gut, das machen wir jetzt. Nur, wenn man genauer hinguckt, ist das eigentlich eine Belastung für diejenigen, die zwei Staatsbürgerschaften haben wollen, wenn sie sich einbürgern lassen. Da müsste man sie richtig aufklären. Aber für das Land, völkerrechtlich, für Deutschland, bringt es keine Nachteile. Es kann Nachteile für den Einzelnen haben und da gibt es viele schmerzliche Beispiele.
Brink: Jetzt wollen wir uns aber mal diesen Kompromissvorschlag ein bisschen genauer anschauen, laut CSU-Chef Seehofer, und der schlug ja eine ruhende Staatsbürgerschaft vor. Welche Probleme könnte es denn damit geben, oder können Sie das so akzeptieren?
John: Das ist auch wieder so ein Monstrum, weil zum Ruhen der Staat gehört, der die zweite Staatsbürgerschaft für sich in Anspruch nimmt, die man hat. Nehmen wir mal an, Deutschland und Türkei – dann muss ich mit der Türkei aushandeln die Staatsbürgerschaft, die türkische bei den Bürgern, die bei mir leben und die Deutsche sind, die ruht dann. Ich glaube nicht, dass die Türkei sich darauf einlassen würde, es sieht nicht so aus, da sind ja auch einige nationalistische Töne und die sind stolz darauf, so viele natürlich Landsleute im Ausland zu haben, obwohl sie gar keine Landsleute mehr sind.
Also alles schwierig, dazu braucht man zwei. Und das müsste man dann mit zig Ländern vereinbaren, das müssen wirklich handfeste Vereinbarungen sein. Ansonsten ist es ganz einfach so, wer zwei Staatsbürgerschaften hat, zwei Pässe, hat in zwei Ländern Pflichten, hat vielleicht auch Rechte. Das Wahlrecht ist nicht immer so, aber er hat Pflichten. Und die treibt der Staat ein, besonders die Türkei, die will dann auch den Wehrdienst abgeleistet haben. Bei uns gibt es den ja nicht mehr.
Brink: Dazu würde ich gleich gerne noch mal kommen. Trotzdem noch zu dieser ruhenden Staatsbürgerschaft: Es müssen also Verträge mit allen Nicht-EU-Ländern geführt werden, wenn ich das richtig verstanden habe?
John: Ja, es ist vollkommen richtig. Denn in der EU gibt es schon diese Verträge auf Gegenseitigkeit, dass man sagt, wenn ihr die doppelte Staatsbürgerschaft – Italiener lebt in Deutschland und möchte Deutscher werden, kann er werden, die Italiener sagen, ja, können wir beibehalten, und umgekehrt ist es genauso –, also auf Gegenseitigkeit kann man das machen in den EU-Ländern. Man könnte natürlich auch mit den anderen Ländern, etwa mit der Türkei oder anderen Ländern auf Gegenseitigkeit Staatsbürgerschaften, zweite Staatsbürgerschaften anerkennen, aber das will offensichtlich keiner, denn dieser Begriff Gegenseitigkeit fiel jetzt noch nicht, sondern nur ruhende.
Brink: Aber teilt denn nicht diese ruhende Staatsbürgerschaft dann auch die Menschen in EU- und Nicht-EU-Bürger?
John: Na ja, das ist ja sowieso der Fall, wir teilen sie ja jetzt in Deutsche, also Menschen mit deutschem Pass, und in Ausländer immer noch. Denn wer nicht den deutschen Pass hat, gilt ja als Ausländer, wird auch in einer Extrastatistik als Ausländer geführt und hat natürlich auch viele Nachteile. Er kann zum Beispiel ausgewiesen werden, das kann ein Deutscher nie, und er kann bestimmten Kontrollen unterliegen, er muss seine Aufenthaltserlaubnis in der Regel verlängern und so weiter und so fort. Also, diese Einteilung der Menschen nach ihrem Pass, das ist eine seit Jahrhunderten geübte Regelung.
Brink: Ich verfolge jetzt gerade Ihre kritischen oder sehr realistischen Anmerkungen zu dieser ruhenden Staatsbürgerschaft. Ist das denn dann überhaupt ein Kompromiss für Sie?
John: Das kommt darauf an, was die da in den Zimmern vereinbaren, in den Hinterzimmern hätte ich jetzt beinahe gesagt!
Brink: Na, es ist ja auch in Hinterzimmern!
John: Ja, wahrscheinlich. Also, was sie bereits in der Hand haben, wenn zum Beispiel die CDU sagt, wir haben da schon Vorgespräche geführt und diese und jene Länder, die würden alle zustimmen, dann fällt es ihr wahrscheinlich sehr leicht, dann kann sie das sagen, dann kann man das auch gut natürlich nach außen verkaufen. Denn nach außen gibt es immer noch starke Vorurteile, so nach dem Motto, ich habe ja auch nur eine Staatsbürgerschaft, warum sollen die zwei haben! Aber ich finde, man muss überlegen, was das eigentlich bedeutet. Und wenn man mit Ländern, die nun wirklich starken Zugriff haben wollen auf ihre Staatsbürger …
Brink: Also zum Beispiel die Türkei, das ist ja eines der ganz entscheidenden Knackpunkte …
John: Die Türkei, das finde ich auch, ja. Dann muss man den Einbürgerungsbewerbern sagen, seid vorsichtig, lasst euch lieber entlassen. Und es gibt da noch so eine Sache, die so krumm und verwickelt ist: Die meisten jungen Leute, also 500.000 Menschen haben das Optionsrecht. Das sind alles junge Heranwachsende, die sich alle einbürgern lassen müssen in den nächsten fünf Jahren oder in den nächsten zehn Jahren. Und die meisten sind gar keine Türken, weil die Eltern ja den deutschen Pass für ihre Kinder bekommen, den deutschen Personalausweis, die sind doch nicht zum Konsulat gerannt und haben gesagt, ich habe ein Kind gekriegt, jetzt tragt das bitte als türkische Staatsbürger ein.
Aber um sich entlasten zu lassen, müssen sie sich erst einmal einbürgern. Das heißt, die werden jetzt Türken, um dann wieder die türkische Staatsbürgerschaft nach dem Optionsrecht zu verlieren. Insofern ist es nur klug zu sagen, sie sind jetzt Deutsche, die meisten bleiben das auch, warum sollen die die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern annehmen wollen? Also, man muss sich auch mal die Psyche dieser jungen Leute betrachten, die hier geboren sind, die hier aufgewachsen sind, die haben häufig gar kein Interesse daran. Und zweitens müssten sie etwas machen, was sie gar nicht wollten. Wenn man es jetzt so laufen lässt und sagt, die Optionsfrist, das Optionsrecht lösen wir ab, wir lassen es so, wie es ist, dann, glaube ich, ist das die eleganteste und auch bürokratisch einfachste Regelung.
Brink: Barbara John, die erste Ausländerbeauftragte der Länder in Deutschland. Schönen Dank, Frau John, für das Gespräch!
John: Aber gerne, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ein wie auch immer gearteter schwieriger, aber vielleicht möglicher Kompromiss zeichnet sich ab, und ich spreche jetzt mit der CDU-Politikerin Barbara John. Sie war die erste Ausländerbeauftragte der Länder in Deutschland, und zwar in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau John!
Barbara John: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Öffnet sich denn die Union für einen wie auch immer aussehenden Doppelpass?
John: Das sieht so aus. Es fällt ihr, glaube ich, sehr schwer, das zu tun, denn sie hat ja besonders in den 90er-Jahren noch sehr dafür gekämpft und wir erinnern uns an Roland Koch in Hessen, wie er mit seiner Unterschriftenliste – gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, Ja für Integration – die Wahl noch gerissen hat, obwohl sie nicht zu gewinnen war. Aber wir sehen da, dass das ein inneres Anliegen ist von vielen CDUlern, und die CDU war es auch immer, die gesagt hat, doppelte Staatsbürgerschaft ist von Übel, die sogenannte Übeltheorie war damals gang und gäbe. Es ist natürlich alles gar nicht so, aber damit konnte man Wähler binden. Und nun muss sie es wahrscheinlich aufgeben, es ist auch nicht wirklich eine wichtige Sache, insofern würde sie klug handeln, das zu tun.
Brink: Aber es ist doch schon irgendwie ein kultureller Quantensprung, so wie irgendwie, sage ich jetzt mal, die Abschaffung der Wehrpflicht?
John: Ja, es ist erstaunlich, dass sie, wenn man so lange dafür kämpft, dann doch sagt, gut, das machen wir jetzt. Nur, wenn man genauer hinguckt, ist das eigentlich eine Belastung für diejenigen, die zwei Staatsbürgerschaften haben wollen, wenn sie sich einbürgern lassen. Da müsste man sie richtig aufklären. Aber für das Land, völkerrechtlich, für Deutschland, bringt es keine Nachteile. Es kann Nachteile für den Einzelnen haben und da gibt es viele schmerzliche Beispiele.
Brink: Jetzt wollen wir uns aber mal diesen Kompromissvorschlag ein bisschen genauer anschauen, laut CSU-Chef Seehofer, und der schlug ja eine ruhende Staatsbürgerschaft vor. Welche Probleme könnte es denn damit geben, oder können Sie das so akzeptieren?
John: Das ist auch wieder so ein Monstrum, weil zum Ruhen der Staat gehört, der die zweite Staatsbürgerschaft für sich in Anspruch nimmt, die man hat. Nehmen wir mal an, Deutschland und Türkei – dann muss ich mit der Türkei aushandeln die Staatsbürgerschaft, die türkische bei den Bürgern, die bei mir leben und die Deutsche sind, die ruht dann. Ich glaube nicht, dass die Türkei sich darauf einlassen würde, es sieht nicht so aus, da sind ja auch einige nationalistische Töne und die sind stolz darauf, so viele natürlich Landsleute im Ausland zu haben, obwohl sie gar keine Landsleute mehr sind.
Also alles schwierig, dazu braucht man zwei. Und das müsste man dann mit zig Ländern vereinbaren, das müssen wirklich handfeste Vereinbarungen sein. Ansonsten ist es ganz einfach so, wer zwei Staatsbürgerschaften hat, zwei Pässe, hat in zwei Ländern Pflichten, hat vielleicht auch Rechte. Das Wahlrecht ist nicht immer so, aber er hat Pflichten. Und die treibt der Staat ein, besonders die Türkei, die will dann auch den Wehrdienst abgeleistet haben. Bei uns gibt es den ja nicht mehr.
Brink: Dazu würde ich gleich gerne noch mal kommen. Trotzdem noch zu dieser ruhenden Staatsbürgerschaft: Es müssen also Verträge mit allen Nicht-EU-Ländern geführt werden, wenn ich das richtig verstanden habe?
John: Ja, es ist vollkommen richtig. Denn in der EU gibt es schon diese Verträge auf Gegenseitigkeit, dass man sagt, wenn ihr die doppelte Staatsbürgerschaft – Italiener lebt in Deutschland und möchte Deutscher werden, kann er werden, die Italiener sagen, ja, können wir beibehalten, und umgekehrt ist es genauso –, also auf Gegenseitigkeit kann man das machen in den EU-Ländern. Man könnte natürlich auch mit den anderen Ländern, etwa mit der Türkei oder anderen Ländern auf Gegenseitigkeit Staatsbürgerschaften, zweite Staatsbürgerschaften anerkennen, aber das will offensichtlich keiner, denn dieser Begriff Gegenseitigkeit fiel jetzt noch nicht, sondern nur ruhende.
Brink: Aber teilt denn nicht diese ruhende Staatsbürgerschaft dann auch die Menschen in EU- und Nicht-EU-Bürger?
John: Na ja, das ist ja sowieso der Fall, wir teilen sie ja jetzt in Deutsche, also Menschen mit deutschem Pass, und in Ausländer immer noch. Denn wer nicht den deutschen Pass hat, gilt ja als Ausländer, wird auch in einer Extrastatistik als Ausländer geführt und hat natürlich auch viele Nachteile. Er kann zum Beispiel ausgewiesen werden, das kann ein Deutscher nie, und er kann bestimmten Kontrollen unterliegen, er muss seine Aufenthaltserlaubnis in der Regel verlängern und so weiter und so fort. Also, diese Einteilung der Menschen nach ihrem Pass, das ist eine seit Jahrhunderten geübte Regelung.
Brink: Ich verfolge jetzt gerade Ihre kritischen oder sehr realistischen Anmerkungen zu dieser ruhenden Staatsbürgerschaft. Ist das denn dann überhaupt ein Kompromiss für Sie?
John: Das kommt darauf an, was die da in den Zimmern vereinbaren, in den Hinterzimmern hätte ich jetzt beinahe gesagt!
Brink: Na, es ist ja auch in Hinterzimmern!
John: Ja, wahrscheinlich. Also, was sie bereits in der Hand haben, wenn zum Beispiel die CDU sagt, wir haben da schon Vorgespräche geführt und diese und jene Länder, die würden alle zustimmen, dann fällt es ihr wahrscheinlich sehr leicht, dann kann sie das sagen, dann kann man das auch gut natürlich nach außen verkaufen. Denn nach außen gibt es immer noch starke Vorurteile, so nach dem Motto, ich habe ja auch nur eine Staatsbürgerschaft, warum sollen die zwei haben! Aber ich finde, man muss überlegen, was das eigentlich bedeutet. Und wenn man mit Ländern, die nun wirklich starken Zugriff haben wollen auf ihre Staatsbürger …
Brink: Also zum Beispiel die Türkei, das ist ja eines der ganz entscheidenden Knackpunkte …
John: Die Türkei, das finde ich auch, ja. Dann muss man den Einbürgerungsbewerbern sagen, seid vorsichtig, lasst euch lieber entlassen. Und es gibt da noch so eine Sache, die so krumm und verwickelt ist: Die meisten jungen Leute, also 500.000 Menschen haben das Optionsrecht. Das sind alles junge Heranwachsende, die sich alle einbürgern lassen müssen in den nächsten fünf Jahren oder in den nächsten zehn Jahren. Und die meisten sind gar keine Türken, weil die Eltern ja den deutschen Pass für ihre Kinder bekommen, den deutschen Personalausweis, die sind doch nicht zum Konsulat gerannt und haben gesagt, ich habe ein Kind gekriegt, jetzt tragt das bitte als türkische Staatsbürger ein.
Aber um sich entlasten zu lassen, müssen sie sich erst einmal einbürgern. Das heißt, die werden jetzt Türken, um dann wieder die türkische Staatsbürgerschaft nach dem Optionsrecht zu verlieren. Insofern ist es nur klug zu sagen, sie sind jetzt Deutsche, die meisten bleiben das auch, warum sollen die die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern annehmen wollen? Also, man muss sich auch mal die Psyche dieser jungen Leute betrachten, die hier geboren sind, die hier aufgewachsen sind, die haben häufig gar kein Interesse daran. Und zweitens müssten sie etwas machen, was sie gar nicht wollten. Wenn man es jetzt so laufen lässt und sagt, die Optionsfrist, das Optionsrecht lösen wir ab, wir lassen es so, wie es ist, dann, glaube ich, ist das die eleganteste und auch bürokratisch einfachste Regelung.
Brink: Barbara John, die erste Ausländerbeauftragte der Länder in Deutschland. Schönen Dank, Frau John, für das Gespräch!
John: Aber gerne, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.