"Das ist für uns das Wiedererwachen der Vergangenheit"
Der Sieg des rechts-konservativen Bundes Junger Demokraten bei den Parlamentswahlen in Ungarn sei "eine katastrophale Situation" für Ungarn insgesamt, sagt der ungarische Literaturdozent und Übersetzer Laszlo Földenyi. Das Fiasko in der Wirtschaft und Gesellschaftspolitik des Landes sei von der Partei ausgenutzt worden.
Stephan Karkowsky: Ein eiserner Nationalist wird neuer Ministerpräsident von Ungarn. Viktor Orbán hat gestern mit seiner FIDESZ-Partei einen Erdrutschsieg erzielt: Die Wähler erteilten den Linken einen Denkzettel und warfen sich mehrheitlich in die Arme eines Rechtspopulisten. Wie das kommt und was das zu bedeuten hat für Ungarns Zukunft, das soll uns der ungarische Literaturdozent und Übersetzer Laszlo Földenyi erklären. Er gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen seines Landes. Guten Morgen, Herr Földenyi!
Laszlo Földenyi: Guten Morgen!
Karkowsky: Es gibt Ungaren, die Viktor Orbáns FIDESZ-Partei mit der deutschen CDU vergleichen, also der Partei von Angela Merkel, und sagen, das ist alles nicht so schlimm. Ist da was dran oder ist das verharmlosend?
Földenyi: Das ist nicht so eindeutig zu beantworten. Vor einigen Monaten oder vor einigen Jahren hätte man gesagt: Die Partei von Orbán Viktor ist eine rechtspopulistische und ist sehr unähnlich wie die deutsche CDU. Aber damals hatten wir keine extrem rechte Opposition für diese Partei, das heißt, alle extremistischen Positionen wurden in der Partei von Orbán Viktor zusammengesammelt. Heute ist das ein bisschen anders, heute gilt Orbán Viktor weiterhin als ein rechtspopulistischer Politiker in Ungarn, aber es gibt jetzt eine neue Partei, eine rechtsgerichtete und sehr starke Partei, und jetzt muss er sich auch gegen diese Partei abgrenzen. Das heißt, jetzt wird er hoffentlich ähnlich wie eine deutsche CDU, oder – er muss wie eine deutsche CDU sich benehmen.
Karkowsky: Dennoch hat das ungarische Parlament in seiner neuen Zusammensetzung weit über zwei Drittel Anteil an rechten Politikern: zum einen also Orbáns Fidesz-Partei, und dann 16,7, die Prozentzahl für die rechtsradikale Jobbik-Partei, die annähernd mit der deutschen NPD zu vergleichen ist. Wie wachen denn heute Morgen Ungarns Intellektuelle auf, Ungarns Linksintellektuelle – wie geht es denen?
Földenyi: Also ich bin schon mit sehr schlechten Träumen zu Bett gegangen gestern Abend, ich hatte schon schlechte Träume in der Nacht. Das ist eine katastrophale Situation für mich und für sehr viele Intellektuelle, und nicht nur für Intellektuelle, sondern für Ungarn insgesamt. Diese erschreckend hohe Prozentzahl von einer Partei, die eigentlich sehr ähnlich wie die deutsche NPD ist – das ist für uns das Wiedererwachen der Vergangenheit.
Karkowsky: Wie kommt es denn, dass man in Ungarn so viel Erfolg haben kann mit einer Politik, die für Intoleranz ist gegen Europa und die auf Minderheiten ganz eindeutig Hetze ausübt?
Földenyi: Also man muss sofort sagen: Diese hohe Prozentzahl entstand nicht nur, weil die Leute oder die Bevölkerung rechtsgerichtet ist, sondern es kommt auch daher, dass die linke Politik, die in den letzten acht Jahren in Ungarn bestimmend war, auch katastrophal war. Also, sie haben alles eigentlich fast schlecht gemacht – also es entstand ein Fiasko in der ungarischen Wirtschaft und auch in der ungarischen Gesellschaftspolitik. Und das wurde von dieser rechtspopulistischen Partei ausgenutzt. Sehr viele Wähler, die früher für die Sozialisten gewählt haben, sind jetzt in extrem rechte Richtung abgewandert. Also insofern ist das ein Spiel der unterschiedlichen Parteien – nicht nur die rechte ist Schuld daran, sondern auch die linke, muss ich sagen.
Karkowsky: Diese linke Opposition wurde abgestraft, sie wurde extrem verkleinert. Wie gehen denn jetzt Menschen mit dieser Situation um, die früher einmal für Menschenrechte, für Toleranz, für ein Miteinander der Kulturen eingetreten sind? Gehen die nun in Ungarn in die innere Emigration oder womöglich sogar in die äußere?
Földenyi: Ich befürchte ja. Es gab 1989, also bei dem Systemwechsel, zwei große Parteien in Ungarn, die diesen Wechsel durchgeführt hatten: eine linksliberale Partei und eine rechte, aber trotzdem eine rechte Partei, der liberale Ansichten nicht fremd waren. Nun, diese beiden großen, systemwechselnden Parteien sind vollkommen verschwunden und ganz neue Parteien sind entstanden. Das heißt, das liberale Denken, der Liberalismus als solcher ist von der ungarischen politischen Palette vollkommen verschwunden. Das finde ich erschreckend, denn die sozialistische Partei ist keine liberale Partei, sie sind noch immer irgendwie die Gespenster der alten Kommunisten. Das muss sich jetzt natürlich ändern und sie werden sich wahrscheinlich unter dieser großen Niederlage viel verändern.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton den ungarischen Dramaturgen und Übersetzer Laszlo Földenyi. Herr Földenyi, wir haben jetzt genug schwarzgemalt. Wir wissen: Ungarn geht es schlecht. Der Wahlsieg Orbáns wird aber vom Volk als Zeichen der Hoffnung gefeiert. Können Sie diese Hoffnung verstehen?
Földenyi: Ja, ja. Ungarn steht auf einem sehr tiefen moralischen Niveau zurzeit, also, die Ausländerfeindlichkeit – obwohl wir fast keine Ausländer im Vergleich mit Deutschland oder den Niederlanden haben –, also die Ausländerfeindlichkeit ist sehr groß. Es ist ein sehr starkes rassistisches Vorurteil in der Gesellschaft, antisemitisch und antizigeunern, und nun – es entstand eine neue Bewegung, diese rechtsradikale, die ich "the neo-Pfeilkreuzler" nennen würde.
Karkowsky: Die neuen Pfeilkreuzler.
Földenyi: Ja. Und die Partei von Orbán Viktor, eine rechtspopulistische Partei, muss jetzt gegen diese rechte Partei kämpfen. Also die stärkste Opposition merkwürdigerweise wird in den nächsten Monaten oder Jahren nicht die Linke, sondern extrem Rechte sein. Und das gibt eine Hoffnung dafür, dass endlich in Ungarn auch eine rechte Partei entsteht – ich meine FIDESZ –, die für Menschenrechte, für liberale Grundsätze offen ist und die vertreten wird. Insofern bin ich kein Pessimist.
Karkowsky: Da sind Sie natürlich in einer glücklichen Lage, aber man kann es ja auch anders sehen: Bis 2002 hatte Orbán schon einmal regiert und demokratische Strukturen aktiv abgebaut. Er hat die Zahl der Parlamentssitzungen massiv verkürzt, er schuf die Untersuchungsausschüsse ab. Fürchten Sie nicht, dass er die rechte Verfassungsmehrheit dazu nutzen könnte, Ungarn zu einer Autokratie auszubauen?
Földenyi: Ja, also – die haben eine Verfassung, es sei denn, die neue, rechtsgerichtete Regierung ändert sie unter dem Druck der noch weiter existierenden Neo-Pfeilkreuzler. Aber ich muss sagen, ... Also gestern Nacht, Viktor Orbán hatte eine merkwürdige Aussage nach diesem Sieg, er meinte, Ungarn hat gewonnen. Was heißt dieser Satz? Dass diejenigen, die nicht für FIDESZ oder nicht rechts gewählt haben, die gehören nicht zu Ungarn. Das ist eine tief antidemokratische Haltung. Insofern haben Sie recht, ich habe auch Befürchtungen. Aber andererseits ...
Karkowsky: Welche?
Földenyi: Nämlich, dass es zu einer autokratischen ... und fast zu einem Einparteisystem kommt.
Karkowsky: Den Ungarn sind momentan offenbar andere Dinge wichtig als Minderheitenschutz und Menschenrechte: Sie wollen Arbeit, sie wollen den Aufschwung und sie wollen vor allem ein Ende der Korruption im Land. Abschließend gefragt: Ist Orbáns neue Regierung in der Lage, die Korruption zu bekämpfen oder fürchten Sie, da kommt nur eine neue Elite an die Macht, die die Strukturen der alten übernimmt?
Földenyi: Also die Korruption ist nicht links- oder rechtsgerichtet. Die Korruption entsteht immer aus einer Mentalität, und diese Mentalität, nämlich die gesetzlichen Wege nicht zu behalten, also das bestimmt Ungarn schon über 100 Jahre, nicht nur im Kommunismus, sondern auch schon zwischen den zwei Weltkriegen. Ungarn war ein sehr korruptes Land, muss ich sagen. Und diese Korruption konnte sehr gut funktionieren in der Horthy-Ära, in der Kádár-Ära, nämlich in Äras, wo alles eigentlich ein Einparteisystem war. Also, wenn jetzt FIDESZ wieder ein Einparteiensystem einführen möchte, dann befürchte ich, die Korruption wird weiterhin bestehen.
Karkowsky: Was der Rechtsruck nach der Wahl für Ungarn bedeutet – ich danke Ihnen für das Gespräch, dem ungarischen Literaturdozenten und Übersetzer Laszlo Földenyi.
Laszlo Földenyi: Guten Morgen!
Karkowsky: Es gibt Ungaren, die Viktor Orbáns FIDESZ-Partei mit der deutschen CDU vergleichen, also der Partei von Angela Merkel, und sagen, das ist alles nicht so schlimm. Ist da was dran oder ist das verharmlosend?
Földenyi: Das ist nicht so eindeutig zu beantworten. Vor einigen Monaten oder vor einigen Jahren hätte man gesagt: Die Partei von Orbán Viktor ist eine rechtspopulistische und ist sehr unähnlich wie die deutsche CDU. Aber damals hatten wir keine extrem rechte Opposition für diese Partei, das heißt, alle extremistischen Positionen wurden in der Partei von Orbán Viktor zusammengesammelt. Heute ist das ein bisschen anders, heute gilt Orbán Viktor weiterhin als ein rechtspopulistischer Politiker in Ungarn, aber es gibt jetzt eine neue Partei, eine rechtsgerichtete und sehr starke Partei, und jetzt muss er sich auch gegen diese Partei abgrenzen. Das heißt, jetzt wird er hoffentlich ähnlich wie eine deutsche CDU, oder – er muss wie eine deutsche CDU sich benehmen.
Karkowsky: Dennoch hat das ungarische Parlament in seiner neuen Zusammensetzung weit über zwei Drittel Anteil an rechten Politikern: zum einen also Orbáns Fidesz-Partei, und dann 16,7, die Prozentzahl für die rechtsradikale Jobbik-Partei, die annähernd mit der deutschen NPD zu vergleichen ist. Wie wachen denn heute Morgen Ungarns Intellektuelle auf, Ungarns Linksintellektuelle – wie geht es denen?
Földenyi: Also ich bin schon mit sehr schlechten Träumen zu Bett gegangen gestern Abend, ich hatte schon schlechte Träume in der Nacht. Das ist eine katastrophale Situation für mich und für sehr viele Intellektuelle, und nicht nur für Intellektuelle, sondern für Ungarn insgesamt. Diese erschreckend hohe Prozentzahl von einer Partei, die eigentlich sehr ähnlich wie die deutsche NPD ist – das ist für uns das Wiedererwachen der Vergangenheit.
Karkowsky: Wie kommt es denn, dass man in Ungarn so viel Erfolg haben kann mit einer Politik, die für Intoleranz ist gegen Europa und die auf Minderheiten ganz eindeutig Hetze ausübt?
Földenyi: Also man muss sofort sagen: Diese hohe Prozentzahl entstand nicht nur, weil die Leute oder die Bevölkerung rechtsgerichtet ist, sondern es kommt auch daher, dass die linke Politik, die in den letzten acht Jahren in Ungarn bestimmend war, auch katastrophal war. Also, sie haben alles eigentlich fast schlecht gemacht – also es entstand ein Fiasko in der ungarischen Wirtschaft und auch in der ungarischen Gesellschaftspolitik. Und das wurde von dieser rechtspopulistischen Partei ausgenutzt. Sehr viele Wähler, die früher für die Sozialisten gewählt haben, sind jetzt in extrem rechte Richtung abgewandert. Also insofern ist das ein Spiel der unterschiedlichen Parteien – nicht nur die rechte ist Schuld daran, sondern auch die linke, muss ich sagen.
Karkowsky: Diese linke Opposition wurde abgestraft, sie wurde extrem verkleinert. Wie gehen denn jetzt Menschen mit dieser Situation um, die früher einmal für Menschenrechte, für Toleranz, für ein Miteinander der Kulturen eingetreten sind? Gehen die nun in Ungarn in die innere Emigration oder womöglich sogar in die äußere?
Földenyi: Ich befürchte ja. Es gab 1989, also bei dem Systemwechsel, zwei große Parteien in Ungarn, die diesen Wechsel durchgeführt hatten: eine linksliberale Partei und eine rechte, aber trotzdem eine rechte Partei, der liberale Ansichten nicht fremd waren. Nun, diese beiden großen, systemwechselnden Parteien sind vollkommen verschwunden und ganz neue Parteien sind entstanden. Das heißt, das liberale Denken, der Liberalismus als solcher ist von der ungarischen politischen Palette vollkommen verschwunden. Das finde ich erschreckend, denn die sozialistische Partei ist keine liberale Partei, sie sind noch immer irgendwie die Gespenster der alten Kommunisten. Das muss sich jetzt natürlich ändern und sie werden sich wahrscheinlich unter dieser großen Niederlage viel verändern.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton den ungarischen Dramaturgen und Übersetzer Laszlo Földenyi. Herr Földenyi, wir haben jetzt genug schwarzgemalt. Wir wissen: Ungarn geht es schlecht. Der Wahlsieg Orbáns wird aber vom Volk als Zeichen der Hoffnung gefeiert. Können Sie diese Hoffnung verstehen?
Földenyi: Ja, ja. Ungarn steht auf einem sehr tiefen moralischen Niveau zurzeit, also, die Ausländerfeindlichkeit – obwohl wir fast keine Ausländer im Vergleich mit Deutschland oder den Niederlanden haben –, also die Ausländerfeindlichkeit ist sehr groß. Es ist ein sehr starkes rassistisches Vorurteil in der Gesellschaft, antisemitisch und antizigeunern, und nun – es entstand eine neue Bewegung, diese rechtsradikale, die ich "the neo-Pfeilkreuzler" nennen würde.
Karkowsky: Die neuen Pfeilkreuzler.
Földenyi: Ja. Und die Partei von Orbán Viktor, eine rechtspopulistische Partei, muss jetzt gegen diese rechte Partei kämpfen. Also die stärkste Opposition merkwürdigerweise wird in den nächsten Monaten oder Jahren nicht die Linke, sondern extrem Rechte sein. Und das gibt eine Hoffnung dafür, dass endlich in Ungarn auch eine rechte Partei entsteht – ich meine FIDESZ –, die für Menschenrechte, für liberale Grundsätze offen ist und die vertreten wird. Insofern bin ich kein Pessimist.
Karkowsky: Da sind Sie natürlich in einer glücklichen Lage, aber man kann es ja auch anders sehen: Bis 2002 hatte Orbán schon einmal regiert und demokratische Strukturen aktiv abgebaut. Er hat die Zahl der Parlamentssitzungen massiv verkürzt, er schuf die Untersuchungsausschüsse ab. Fürchten Sie nicht, dass er die rechte Verfassungsmehrheit dazu nutzen könnte, Ungarn zu einer Autokratie auszubauen?
Földenyi: Ja, also – die haben eine Verfassung, es sei denn, die neue, rechtsgerichtete Regierung ändert sie unter dem Druck der noch weiter existierenden Neo-Pfeilkreuzler. Aber ich muss sagen, ... Also gestern Nacht, Viktor Orbán hatte eine merkwürdige Aussage nach diesem Sieg, er meinte, Ungarn hat gewonnen. Was heißt dieser Satz? Dass diejenigen, die nicht für FIDESZ oder nicht rechts gewählt haben, die gehören nicht zu Ungarn. Das ist eine tief antidemokratische Haltung. Insofern haben Sie recht, ich habe auch Befürchtungen. Aber andererseits ...
Karkowsky: Welche?
Földenyi: Nämlich, dass es zu einer autokratischen ... und fast zu einem Einparteisystem kommt.
Karkowsky: Den Ungarn sind momentan offenbar andere Dinge wichtig als Minderheitenschutz und Menschenrechte: Sie wollen Arbeit, sie wollen den Aufschwung und sie wollen vor allem ein Ende der Korruption im Land. Abschließend gefragt: Ist Orbáns neue Regierung in der Lage, die Korruption zu bekämpfen oder fürchten Sie, da kommt nur eine neue Elite an die Macht, die die Strukturen der alten übernimmt?
Földenyi: Also die Korruption ist nicht links- oder rechtsgerichtet. Die Korruption entsteht immer aus einer Mentalität, und diese Mentalität, nämlich die gesetzlichen Wege nicht zu behalten, also das bestimmt Ungarn schon über 100 Jahre, nicht nur im Kommunismus, sondern auch schon zwischen den zwei Weltkriegen. Ungarn war ein sehr korruptes Land, muss ich sagen. Und diese Korruption konnte sehr gut funktionieren in der Horthy-Ära, in der Kádár-Ära, nämlich in Äras, wo alles eigentlich ein Einparteisystem war. Also, wenn jetzt FIDESZ wieder ein Einparteiensystem einführen möchte, dann befürchte ich, die Korruption wird weiterhin bestehen.
Karkowsky: Was der Rechtsruck nach der Wahl für Ungarn bedeutet – ich danke Ihnen für das Gespräch, dem ungarischen Literaturdozenten und Übersetzer Laszlo Földenyi.