"Das ist keine Kultur"
Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz bescheinigt den Salzburger Festspielen ein "reaktionäres Kulturverständnis".
Holger Hettinger: Frau Streeruwitz, bei den Salzburger Festspielen sind die Sponsoren sehr präsent, manche sagen, überpräsent. Die Festspielleitung sagt auf solche Einwürfe immer sinngemäß: Ohne Sponsoren geht es nun mal nicht, und außerdem: Das halten unsere Festspiele aus. Was entgegnen Sie?
Marlene Streeruwitz: Ja, ich würde mal beginnen bei dem, was Sie als die Gründungsmythen vorgelesen haben und das gleich verbinden: Das ist wie bei einem Fußballclub.
Im Grunde genommen ist es ja eine sehr sportliche Vorlage, man macht etwas, was unerhört ist, das heißt, der Rekord wird eingeholt – relativ reaktionäres Kulturverständnis, das ist ja etwas, was wir heute eigentlich auch gar nicht mehr verstehen wollen und was ganz sicher antidemokratisch ist und auch damals antidemokratisch gedacht war: Es ist eine elitäre, reaktionäre Einrichtung, die vor allem dem Mythos Österreich stärken sollte, der ja 1918 in sich zusammengebrochen ist und die deutsch sprechenden Österreicher zurückgelassen hat ohne eine Vorstellung von sich selbst oder was ihr Staat sein soll.
Und das ist genau das, was hier ist, und das fügt sich dann auch nahtlos in den österreichischen Austrofaschismus und fügt sich dann auch gleich wieder in den Nationalsozialismus, weil es sich um darstellende Künste handelt, die sind ja immer sehr biegsam und beugsam. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass Sponsoren besonders begehrlich darauf schielen, weil das etwas mit dem zu tun hat, was sie in ihrer Wirtschaft ja auch machen, höher, besser, weiter für die Aktionäre, und dann sitzen die Vorstandsvorsitzenden da und schauen den darstellenden Künstlern und Künstlerinnen zu, wie sie das nun produzieren. Sie nehmen sich davon auch Ideologie mit, glaube ich, und nehmen auch zuviel mit, denn die Sponsoren machen 10 Prozent des Budgets aus, nehmen aber 100 Prozent der PR-Leistung mit.
Hettinger: Dazu muss man, glaube ich, sagen, dass die Salzburger Festspiele eine öffentlich finanzierte Veranstaltung sind.
Streeruwitz: Ja, die wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Gesetz sogar erlassen, das den Bund, also den Staat Österreich, das Land Salzburg und die Stadt Salzburg verpflichten, diese Festspiele durchzuführen und finanziell zu fördern. Ich glaube, das Land muss 40 Prozent des Budgets tragen, und das kommt aus dem Fremdenverkehrsbudget, und das finde ich aber auch ganz richtig, denn das ist ja eine Fremdenverkehrsveranstaltung, das ist genauso wie brennende Berge, wie das halt veranstaltet wird in einem Bergdorf.
Ich glaube nicht, dass es so viel einbringt, wie da immer behauptet wird, aber das ist ja auch ganz klar. Wenn (…)Rentabilität von den Leuten gemacht wird, die das Interesse daran haben, dass das weitergeht und ihre persönliche Karriere damit betreiben, wird das ganz toll sein. Das ist ja alles ein eigenartiger Zustand, dass Wirtschaft sich selbst beschreiben kann und damit einfach die Rahmenkriterien der Selbstbeschreibung vorgeben kann und dann mit einem, ein sehr schönen Bild gezeichnet.
Wenn wir zum Beispiel Audi anschauen, bei Audi ist Kurzarbeit, Audi ist Hauptsponsor der Salzburger Festspiele, auf der Audi-Homepage stehen dann, wie sehr der Vorstandsvorsitzende und der vorstandsstellvertretende Vorsitzende wieder eine Opernaufführung genossen hat und danach in einem tollen Restaurant den Ausblick auf Salzburg gemeinsam mit Künstlern.
Hettinger: Das auf der Homepage habe ich auch gelesen, da wird dann eine Audi-Veranstaltung als der gesellschaftliche Höhepunkt der Festspiele bezeichnet. Ich frage mich halt: Was kommt davon beim gemeinen Zuschauer an, der da auch drinsitzt und der dann das auf sich wirken lässt, diese Aufführung? Ob da jetzt ein paar Leute von Audi drinsitzen oder nicht, das kommt doch so beim Endverbraucher, in Anführungszeichen, doch so in der Form gar nicht an?
Streeruwitz: Es ist ganz sicher mal ein demokratiepolitisches Problem, wenn zum Beispiel der Souverän, der das zahlt – also, alle Bürger und Bürgerinnen Österreichs zahlen da ganz schön dazu –, gar nicht erwähnt werden. Die Festspielpräsidentin bedankt sich immer bei den Sponsoren und dann irgendwann, ganz am Ende, erwähnt sie dann die Subventionsgeber. Aber das sind nicht die, die das zahlen, das sind die Politiker, die das Geld vergeben, aber nicht einzahlen, so gesehen ist das schon mal alles sehr seltsam. Und es geht schon, glaube ich, um einen symbolischen Wert: Wer kann da am meisten einsammeln? Und das hat etwas von Hofgesellschaft, also: Wer hat die höchste Frisur, wer hat die weiteste (…), ich glaube, das wird da gespielt.
Hettinger: Klingt so ein bisschen nach K und K.
Streeruwitz: Ja, aber das ist doch der Mythos, der hier mitverkauft wird, diese fürst-, erzbischöfliche Residenz hat diesen Flair des Höfischen, des genau definierten Oben und Unten, und ich bin immer erstaunt, wie die Touristen und Touristinnen sich in diesen "Jedermann" setzen und sich das vorsetzen lassen, der "Jedermann" als die zentrale Aufführung, die Folklore der Festspiele, ein Tölpeltheater, in dem der Schuldner den dramaturgischen Knoten knüpfen darf und danach vergessen wird, während der reiche Mann von schönen Frauen ins Grab und beim Sterben begleitet wird, bleibt die Frau des Schuldners übrig und wird auf den Strich gehen müssen, damit sie ihre Kinder ernähren kann.
Das ist einfach vergessen, Hofmannsthal hat da nicht einmal dran gedacht und das ist einfach so, wie es ist, und es ist so real und damit so fern, und ich glaube, da sind wir da, wo wir heute sind, dass wir die Realität eben nicht beschreiben können oder nicht dürfen, wie immer es ist, es ist jedenfalls … da ist Kurzarbeit und da ist unglaublicher Luxus, und ich glaube, dass die zwei Millionen, die da wahrscheinlich hinfließen, im Pensionsfonds von Audi auch ganz gut aufgehoben wären.
Und dann hat man halt nicht … ja, es geht doch um diesen Glanz, und der Glanz scheint das zu sein, was alle sehr gerne … Auch die Leute, die nicht im Glanz sind, stehen außerhalb und schauen auf den Glanz. Und da ist, glaube ich, etwas passiert, worüber wir uns Gedanken machen müssen, dass das zu keiner, nicht zu einer Missstimmung führt. Ich würde als Audi-Mitarbeiter einen ziemlichen Hass bekommen. Das scheint aber nun nicht der Fall zu sein.
Hettinger: Wenn ich Sie jetzt überspitzend interpretiere, dann bedeutet das: Die Salzburger oder die Österreicher mögen die Salzburger Festspiele auch deshalb so besonders, weil sie da noch mal so richtig hemmungslos Monarchie spielen können?
Streeruwitz: Weil sich das quasi natürliche Gefüge von oben und unten, von richtig und falsch autoritär vor sie stellt und sie darauf schauen können und sich nichts überlegen müssen, selbstverständlich. Autoritäre Persönlichkeiten lieben es, wenn ihnen das Richtige vorgeführt wird.
Hettinger: Wie geht die Öffentlichkeit in Österreich mit diesem Einfluss der Sponsoren auf die Festspiele um?
Streeruwitz: Ich glaube, die österreichische Öffentlichkeit hat irgendwie aufgegeben, sich wirklich damit zu beschäftigen. Die kritischen Stimmen winken ab und sagen, es ist einfach zu langweilig, und man will sich damit nicht beschäftigen, was ich gut verstehe. Auf der anderen Seite: Die sozialdemokratische Politik schmückt sich mit den Festspielen, aber wenn Sie sich vorstellen, dass drei Sozialdemokraten und -demokratinnen die Festspiele eröffnen, der Präsident, die Landeshauptfrau von Salzburg und die Bundesministerin für Kultur, dann kann man nur sagen, dass das Faktische dieser höfischen Kultur und des spanischen Hofszeremoniells sich offenkundig weit, bis an die Gründe der politischen Seelen erhalten hat, dass niemand sagt, ich mache das nicht. Die sollen das alleine machen.
Hettinger: Gerade den Sozialdemokraten hätte ich das jetzt nicht zwingend unterstellt, dass sie eine Affinität zu diesen überkommenen Strukturen haben.
Streeruwitz: Ja, aber es scheint doch etwas zu sein, als würde das Österreich sich nur darin beschreiben lassen, dass solche Festspiele eröffnet werden und die anderen Österreich damit beschreiben, dass sie dem zujubeln, als ob es Österreich nicht gäbe und das muss von den anderen erst gespielt werden.
Also, die Festspielbesucher stellen Österreich dadurch her, dass sie dasitzen und die Dirndl anziehen und die Abendkleider und in der Audiflotte vorgefahren werden und der Hauch der großen Welt einen Augenblick durch Salzburg weht, das dann ja wieder in den Winterschlaf verfällt und in die Arbeitslosigkeit, die da sehr hoch ist.
Hettinger: Welche Strukturen sind es, die solche Verhältnisse begünstigen?
Streeruwitz: Ich denke, das ist eine Struktur, die von lange her kommt und diese Aushöhlung der Person, des Österreichers und der Österreicherin als politisches Wesen ist ja nun über Jahrhunderte … das formt sich ja nicht so schnell, wenn Sie denken, dass die deutsche Vereinigung ein relativ junges Geschehen ist und damit aber dem deutschen Nationalismus einen unglaublichen Auftrieb gegeben hat, hat Österreich nichts Vergleichbares vorzuweisen, sondern nur diesen Übervater in der Hofburg, der alle zu Kindern macht, die abhängig sind von ihm.
Wir haben keine kritische Kultur, die sich auch von lange her, also, die Kant’sche Universität, wie Sie sie in Deutschland einfach haben als Ergebnis der Aufklärung, das hat es in Österreich nie gegeben. Wir kennen kaum österreichische Philosophen des 19. oder 18. Jahrhunderts und das hat alles erst im 20. Jahrhundert begonnen mit der Assimilierung der Juden und ist aber dann ja auch sofort beendet worden mit der Vertreibung.
Also, wir haben hier eine sehr, eine karge und hässliche Landschaft des Geisteslebens, die weiterwirkend gemacht wird, indem diese Repräsentationskultur einen übergroßen Einfluss genommen hat und wenn Sie nun anschauen, wie in Österreich zum Beispiel eine Weltmeisterschaft eröffnet wird vom Skifahren oder beim Skispringen, dann hat das, nimmt sich das diese Eröffnungen und diese Oper, was immer, zum Vorbild und macht das in einer, wie soll man sagen, heruntergekommenen Form, stellt es dann nach.
Am Ende ist es Bodypainting, was dann zum Beispiel bei der Europameisterschaft vom Fußball voriges Jahr in Wien dann ganz wichtig war, als wie der Körper hier eben in dieser komischen tänzerischen Selbstdarstellungsfunktion eingesetzt wird, und da sind wir wieder beim Sport. Ich glaube, wir müssen Kultur völlig anders denken und sagen: Das ist keine, das ist nicht Kultur, das ist Selbstdarstellung von Schichten, hat etwas Faschistoides dadurch und kann von Kunstkritik gar nicht erfasst werden, weil es keine ist.
Hettinger: Vielen Dank, die Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz über die Salzburger Festspiele im Klammergriff der Sponsoren. Ich danke Ihnen sehr!
Streeruwitz: Ich danke!
Marlene Streeruwitz: Ja, ich würde mal beginnen bei dem, was Sie als die Gründungsmythen vorgelesen haben und das gleich verbinden: Das ist wie bei einem Fußballclub.
Im Grunde genommen ist es ja eine sehr sportliche Vorlage, man macht etwas, was unerhört ist, das heißt, der Rekord wird eingeholt – relativ reaktionäres Kulturverständnis, das ist ja etwas, was wir heute eigentlich auch gar nicht mehr verstehen wollen und was ganz sicher antidemokratisch ist und auch damals antidemokratisch gedacht war: Es ist eine elitäre, reaktionäre Einrichtung, die vor allem dem Mythos Österreich stärken sollte, der ja 1918 in sich zusammengebrochen ist und die deutsch sprechenden Österreicher zurückgelassen hat ohne eine Vorstellung von sich selbst oder was ihr Staat sein soll.
Und das ist genau das, was hier ist, und das fügt sich dann auch nahtlos in den österreichischen Austrofaschismus und fügt sich dann auch gleich wieder in den Nationalsozialismus, weil es sich um darstellende Künste handelt, die sind ja immer sehr biegsam und beugsam. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass Sponsoren besonders begehrlich darauf schielen, weil das etwas mit dem zu tun hat, was sie in ihrer Wirtschaft ja auch machen, höher, besser, weiter für die Aktionäre, und dann sitzen die Vorstandsvorsitzenden da und schauen den darstellenden Künstlern und Künstlerinnen zu, wie sie das nun produzieren. Sie nehmen sich davon auch Ideologie mit, glaube ich, und nehmen auch zuviel mit, denn die Sponsoren machen 10 Prozent des Budgets aus, nehmen aber 100 Prozent der PR-Leistung mit.
Hettinger: Dazu muss man, glaube ich, sagen, dass die Salzburger Festspiele eine öffentlich finanzierte Veranstaltung sind.
Streeruwitz: Ja, die wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Gesetz sogar erlassen, das den Bund, also den Staat Österreich, das Land Salzburg und die Stadt Salzburg verpflichten, diese Festspiele durchzuführen und finanziell zu fördern. Ich glaube, das Land muss 40 Prozent des Budgets tragen, und das kommt aus dem Fremdenverkehrsbudget, und das finde ich aber auch ganz richtig, denn das ist ja eine Fremdenverkehrsveranstaltung, das ist genauso wie brennende Berge, wie das halt veranstaltet wird in einem Bergdorf.
Ich glaube nicht, dass es so viel einbringt, wie da immer behauptet wird, aber das ist ja auch ganz klar. Wenn (…)Rentabilität von den Leuten gemacht wird, die das Interesse daran haben, dass das weitergeht und ihre persönliche Karriere damit betreiben, wird das ganz toll sein. Das ist ja alles ein eigenartiger Zustand, dass Wirtschaft sich selbst beschreiben kann und damit einfach die Rahmenkriterien der Selbstbeschreibung vorgeben kann und dann mit einem, ein sehr schönen Bild gezeichnet.
Wenn wir zum Beispiel Audi anschauen, bei Audi ist Kurzarbeit, Audi ist Hauptsponsor der Salzburger Festspiele, auf der Audi-Homepage stehen dann, wie sehr der Vorstandsvorsitzende und der vorstandsstellvertretende Vorsitzende wieder eine Opernaufführung genossen hat und danach in einem tollen Restaurant den Ausblick auf Salzburg gemeinsam mit Künstlern.
Hettinger: Das auf der Homepage habe ich auch gelesen, da wird dann eine Audi-Veranstaltung als der gesellschaftliche Höhepunkt der Festspiele bezeichnet. Ich frage mich halt: Was kommt davon beim gemeinen Zuschauer an, der da auch drinsitzt und der dann das auf sich wirken lässt, diese Aufführung? Ob da jetzt ein paar Leute von Audi drinsitzen oder nicht, das kommt doch so beim Endverbraucher, in Anführungszeichen, doch so in der Form gar nicht an?
Streeruwitz: Es ist ganz sicher mal ein demokratiepolitisches Problem, wenn zum Beispiel der Souverän, der das zahlt – also, alle Bürger und Bürgerinnen Österreichs zahlen da ganz schön dazu –, gar nicht erwähnt werden. Die Festspielpräsidentin bedankt sich immer bei den Sponsoren und dann irgendwann, ganz am Ende, erwähnt sie dann die Subventionsgeber. Aber das sind nicht die, die das zahlen, das sind die Politiker, die das Geld vergeben, aber nicht einzahlen, so gesehen ist das schon mal alles sehr seltsam. Und es geht schon, glaube ich, um einen symbolischen Wert: Wer kann da am meisten einsammeln? Und das hat etwas von Hofgesellschaft, also: Wer hat die höchste Frisur, wer hat die weiteste (…), ich glaube, das wird da gespielt.
Hettinger: Klingt so ein bisschen nach K und K.
Streeruwitz: Ja, aber das ist doch der Mythos, der hier mitverkauft wird, diese fürst-, erzbischöfliche Residenz hat diesen Flair des Höfischen, des genau definierten Oben und Unten, und ich bin immer erstaunt, wie die Touristen und Touristinnen sich in diesen "Jedermann" setzen und sich das vorsetzen lassen, der "Jedermann" als die zentrale Aufführung, die Folklore der Festspiele, ein Tölpeltheater, in dem der Schuldner den dramaturgischen Knoten knüpfen darf und danach vergessen wird, während der reiche Mann von schönen Frauen ins Grab und beim Sterben begleitet wird, bleibt die Frau des Schuldners übrig und wird auf den Strich gehen müssen, damit sie ihre Kinder ernähren kann.
Das ist einfach vergessen, Hofmannsthal hat da nicht einmal dran gedacht und das ist einfach so, wie es ist, und es ist so real und damit so fern, und ich glaube, da sind wir da, wo wir heute sind, dass wir die Realität eben nicht beschreiben können oder nicht dürfen, wie immer es ist, es ist jedenfalls … da ist Kurzarbeit und da ist unglaublicher Luxus, und ich glaube, dass die zwei Millionen, die da wahrscheinlich hinfließen, im Pensionsfonds von Audi auch ganz gut aufgehoben wären.
Und dann hat man halt nicht … ja, es geht doch um diesen Glanz, und der Glanz scheint das zu sein, was alle sehr gerne … Auch die Leute, die nicht im Glanz sind, stehen außerhalb und schauen auf den Glanz. Und da ist, glaube ich, etwas passiert, worüber wir uns Gedanken machen müssen, dass das zu keiner, nicht zu einer Missstimmung führt. Ich würde als Audi-Mitarbeiter einen ziemlichen Hass bekommen. Das scheint aber nun nicht der Fall zu sein.
Hettinger: Wenn ich Sie jetzt überspitzend interpretiere, dann bedeutet das: Die Salzburger oder die Österreicher mögen die Salzburger Festspiele auch deshalb so besonders, weil sie da noch mal so richtig hemmungslos Monarchie spielen können?
Streeruwitz: Weil sich das quasi natürliche Gefüge von oben und unten, von richtig und falsch autoritär vor sie stellt und sie darauf schauen können und sich nichts überlegen müssen, selbstverständlich. Autoritäre Persönlichkeiten lieben es, wenn ihnen das Richtige vorgeführt wird.
Hettinger: Wie geht die Öffentlichkeit in Österreich mit diesem Einfluss der Sponsoren auf die Festspiele um?
Streeruwitz: Ich glaube, die österreichische Öffentlichkeit hat irgendwie aufgegeben, sich wirklich damit zu beschäftigen. Die kritischen Stimmen winken ab und sagen, es ist einfach zu langweilig, und man will sich damit nicht beschäftigen, was ich gut verstehe. Auf der anderen Seite: Die sozialdemokratische Politik schmückt sich mit den Festspielen, aber wenn Sie sich vorstellen, dass drei Sozialdemokraten und -demokratinnen die Festspiele eröffnen, der Präsident, die Landeshauptfrau von Salzburg und die Bundesministerin für Kultur, dann kann man nur sagen, dass das Faktische dieser höfischen Kultur und des spanischen Hofszeremoniells sich offenkundig weit, bis an die Gründe der politischen Seelen erhalten hat, dass niemand sagt, ich mache das nicht. Die sollen das alleine machen.
Hettinger: Gerade den Sozialdemokraten hätte ich das jetzt nicht zwingend unterstellt, dass sie eine Affinität zu diesen überkommenen Strukturen haben.
Streeruwitz: Ja, aber es scheint doch etwas zu sein, als würde das Österreich sich nur darin beschreiben lassen, dass solche Festspiele eröffnet werden und die anderen Österreich damit beschreiben, dass sie dem zujubeln, als ob es Österreich nicht gäbe und das muss von den anderen erst gespielt werden.
Also, die Festspielbesucher stellen Österreich dadurch her, dass sie dasitzen und die Dirndl anziehen und die Abendkleider und in der Audiflotte vorgefahren werden und der Hauch der großen Welt einen Augenblick durch Salzburg weht, das dann ja wieder in den Winterschlaf verfällt und in die Arbeitslosigkeit, die da sehr hoch ist.
Hettinger: Welche Strukturen sind es, die solche Verhältnisse begünstigen?
Streeruwitz: Ich denke, das ist eine Struktur, die von lange her kommt und diese Aushöhlung der Person, des Österreichers und der Österreicherin als politisches Wesen ist ja nun über Jahrhunderte … das formt sich ja nicht so schnell, wenn Sie denken, dass die deutsche Vereinigung ein relativ junges Geschehen ist und damit aber dem deutschen Nationalismus einen unglaublichen Auftrieb gegeben hat, hat Österreich nichts Vergleichbares vorzuweisen, sondern nur diesen Übervater in der Hofburg, der alle zu Kindern macht, die abhängig sind von ihm.
Wir haben keine kritische Kultur, die sich auch von lange her, also, die Kant’sche Universität, wie Sie sie in Deutschland einfach haben als Ergebnis der Aufklärung, das hat es in Österreich nie gegeben. Wir kennen kaum österreichische Philosophen des 19. oder 18. Jahrhunderts und das hat alles erst im 20. Jahrhundert begonnen mit der Assimilierung der Juden und ist aber dann ja auch sofort beendet worden mit der Vertreibung.
Also, wir haben hier eine sehr, eine karge und hässliche Landschaft des Geisteslebens, die weiterwirkend gemacht wird, indem diese Repräsentationskultur einen übergroßen Einfluss genommen hat und wenn Sie nun anschauen, wie in Österreich zum Beispiel eine Weltmeisterschaft eröffnet wird vom Skifahren oder beim Skispringen, dann hat das, nimmt sich das diese Eröffnungen und diese Oper, was immer, zum Vorbild und macht das in einer, wie soll man sagen, heruntergekommenen Form, stellt es dann nach.
Am Ende ist es Bodypainting, was dann zum Beispiel bei der Europameisterschaft vom Fußball voriges Jahr in Wien dann ganz wichtig war, als wie der Körper hier eben in dieser komischen tänzerischen Selbstdarstellungsfunktion eingesetzt wird, und da sind wir wieder beim Sport. Ich glaube, wir müssen Kultur völlig anders denken und sagen: Das ist keine, das ist nicht Kultur, das ist Selbstdarstellung von Schichten, hat etwas Faschistoides dadurch und kann von Kunstkritik gar nicht erfasst werden, weil es keine ist.
Hettinger: Vielen Dank, die Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz über die Salzburger Festspiele im Klammergriff der Sponsoren. Ich danke Ihnen sehr!
Streeruwitz: Ich danke!