"Das ist mir zu blöd"

Von Dirk Schneider |
In Hamburg hat die Schweizerin Martina Lenzin Illustration studiert, eine Band gegründet und ihr wichtigstes Thema als Zeichnerin gefunden: Musiker und Bands bei ihren Auftritten. Das Zeichnen im stillen Kämmerlein findet sie fürchterlich.
"Wenn es möglich wäre, würde ich sofort nur noch Musik machen. Ist leider nur noch viel brotloser."

Martina Lenzin sitzt in der Küche ihrer Wohngemeinschaft in der Hamburger Innenstadt. Ihr erstes Comicalbum ist erschienen, die Kritiker sind begeistert. Man könnte jetzt also schon erwarten, dass sie von neuen Projekten am Zeichentisch berichtet. Aber von wegen! Im Moment verbringt sie ihre Zeit am liebsten im Proberaum, mit ihrer Band Honeyheads. Martina Lenzin spielt Bass und singt.

"Das ist viel direkter, man sieht das Publikum vor der Bühne stehen. Und wenn man zeichnet, sitzt man halt zuhause, jahrelang, und irgendwann kommt ein Buch raus, und das steht dann in irgendeinem Buchladen, wo man auch nicht weiß, wer das kauft."

Drei Jahre hat die Zeichnerin ihrem Debüt mit dem Titel "rpm" geopfert. Es geht darin um ihr Lieblingsthema: Musik.

Großbritannien der 80er-Jahre, die Ära Thatcher. Es herrscht soziale Kälte, doch die Energie und die Wut von Punk sind noch nicht ganz verflogen. Der junge Tin gründet ein unabhängiges Musiklabel, um seine Lieblingsband zu veröffentlichen, jenseits von musikalischer Massenware und kommerziellen Interessen. Die Geschichte wird in Martina Lenzins Comic in Rückblenden erzählt: Eine junge Frau interviewt heute die gealterten Protagonisten.

"Das könnte ich sein, weil diese Christine in dem Buch ist ja auch so ein bisschen ungeschickt, weil sie diese Leute, die sie da interviewt, ja auch verehrt."

Ihre Verehrung für die britischen Independent-Musiker der 80er-Jahre hat sie dazu gebracht, die drei Jahre Arbeit an ihrem Buch durchzustehen:

"Man ist ein Fan, ein Fanatiker. Einerseits bin ich davon getrieben, anderen Leuten zu zeigen, wie toll eine Band sein kann oder wie toll eine Geschichte sein kann. Andererseits ist es natürlich auch: Ich erfreue mich daran, Bilder zu sehen, Musik zu hören."

Doch die 31-Jährige ist mehr als nur Fan. Die alten Ideale der Independent-Musikbewegung, eine Existenz abseits vom gesellschaftlichen und musikalischen Mainstream: Das ist ihr Leben.

"Ja also ich hab' tatsächlich überhaupt keine Lust auf das bestehende System."

Dass sie mit ihrer Kunst kein Geld verdient, stört sie nicht. Ihr Auskommen bestreitet Martina Lenzin mit verschiedenen Jobs. Nachmittags arbeitet sie zum Beispiel als Teilzeitkraft in einer Drogenhilfeeinrichtung:

"Da muss ich mich überhaupt nicht verbiegen. Ich hab' da nicht das Gefühl, dass ich da einer bösen Idee in die Hände arbeite. Ich kann mich anziehen, wie ich will, und so weiter."

Martina Lenzin ist eine zurückhaltende, fast etwas verschlossene Frau. Schwarzes Sweatshirt, schwarze Jeans und blass. Die braunen Haare sind kurz geschnitten, in der Mitte ihrer geraden, schmalen Nase steckt ein Ring. Sie sieht sie nicht aus wie Anfang 30, höchstens wie Mitte 20. Bevor sie auf eine Frage antwortet, denkt sie lange nach. Ob sie einmal einer Jugendbewegung angehört hat, kann sie allerdings schnell und entschieden verneinen:

"Nö, ich komm nicht aus 'ner speziellen Szene. Aus dem kargen, langweiligen Schweizer Flachland. Da gab’s so was nicht. Und mich gab’s da auch nicht."

Im Städtchen Baden bei Zürich ist Martina Lenzin aufgewachsen, in Luzern hat sie ihr Studium begonnen. Dass dort nicht ihr Leben spielt, wusste sie schnell. Der Umzug nach Hamburg war eine Flucht. In der Hafenstadt hat die junge Frau Illustration studiert, eine Band gegründet und ihr wichtigstes Thema als Zeichnerin gefunden. Klar wurde ihr das in der Astra-Stube, einem kleinen Club unter einer S-Bahn-Linie.

Hier arbeitet Martina Lenzin abends am Tresen, nur wenige Meter von der winzigen Bühne entfernt. Während der Auftritte zeichnet sie die Bands, die Blätter verschenkt sie anschließend an die Musiker.

"Und wenn die Bands dann meine Skizzen sehen, dann verstehen die das auf Anhieb erstmal nicht und fragen dann: Was ist das jetzt, ist das ein Entenschnabel? Und fragen mich das. Und och, das ist eben die Art und Weise, wie ich euch gesehen habe."

Martina Lenzins Figuren haben nämlich keine Nase und keinen Mund, sie haben Schnäbel. Gesichter liegen ihr nicht:

"Drum zeichne ich auch besonders gerne Bands, wenn möglich dass ganz besonders viele Kabel und Geräte auf der Bühne sind, das interessiert mich mindestens so sehr, wie ein Gesicht zu zeichnen."

Martina Lenzin geht ihren eigenen Weg. Rebellisch würde sie sich trotzdem nicht nennen.

"So ein krasser Charakter bin ich jetzt nicht, dass ich dies und das aufgeben würde, oder das Maul aufreißen oder gegen irgendwas auflehnen. Aber ich habe das Gefühl, so lange ich irgendeinem System, das ich nicht gut finde, nicht noch Antrieb verschaffe, dann bin ich einfach zufriedener."

Ähnlichkeiten der Autorin mit den idealistischen Protagonisten in "rpm" sind also nicht zufällig. Und vielleicht wagt Martina Lenzin sich ja doch noch an ein neues Comic-Projekt.

"Aber erstmal habe ich für meine eigene Gesundheit das Gefühl, es ist besser, mich nicht schon wieder drei Jahre zu verschanzen, überhaupt keine Freunde mehr zu sehen. Das ist mir zu blöd."

Das Buch "rpm" von Martina Lenzin ist im Reprodukt Verlag erschienen, hat 128 Seiten und kostet 15 Euro.