"Das ist natürlich absoluter Quatsch"
Zwar hätten Volksentscheide in der Schweiz Tradition und seien ein legitimes demokratisches Mittel, doch eine Abstimmung über Kunst ist für Olaf Mentzel "absoluter Quatsch". Der Objektkünstler befürchtet, dass dann das "gesunde Volksempfinden" und ein Programm à la "Brot und Spiele" dominiere.
Jürgen König: In Zürich soll ein Platz saniert werden, der Escher-Wyss-Platz, westlich der Innenstadt. Teil des Umbaus soll die Errichtung eines Kunstwerkes sein, den internationalen Wettbewerb dazu gewannen der deutsche Künstler Thomas Demand und der das Londoner Architekturbüro Caruso St. John. 5,9 Millionen Schweizer Franken soll das Projekt kosten. Der Entwurf sieht den Nachbau eines alten chinesischen Hauses, des sogenannten Nagelhauses, vor. Der Züricher Gemeinderat hat dem Projekt zugestimmt, dennoch wird es jetzt Sonntag auf Betreiben der Schweizerischen Volkspartei SVP einen Volksentscheid geben, ob das Nagelhaus gebaut werden darf oder nicht. Ein Volksentscheid über Kunst? Da zuckt man schon leicht zusammen und denkt, na ja, Kunst ist doch schon etwas, was sich eigentlich demokratischen Verfahren entzieht. Andererseits: Der öffentliche Raum gehört allen, die Kunst darin wird meistens mit Steuergeldern bezahlt. Sollte der Bürger da nicht mitentscheiden dürfen? Darüber spreche ich gleich mit dem Künstler Olaf Metzel.
Am Telefon in Italien ist jetzt Olaf Metzel, der mit seinen Kunstwerken und Installationen im öffentlichen Raum reichlich Erfahrung mit Protesten und überhaupt allgemeiner Erregung gemacht hat. Guten Morgen, Herr Metzel!
Olaf Metzel: Guten Morgen, Herr König!
König: Ein Volksentscheid über Kunst – wie denken Sie darüber?
Metzel: Ja, das ist natürlich absoluter Quatsch, ich meine, natürlich hat die Schweiz, was Volksentscheide betrifft, eine andere Tradition als in Deutschland man sie hat, aber trotzdem: Kunst und Volksabstimmung ist eine neue Variante und eigentlich überflüssig.
König: Aber wenn man den Schweizern doch nun schon Volksentscheide über Minarette, über Autobahnen, über Waffenexporte zugebilligt hat, warum nicht auch über Kunst?
Metzel: Ich glaube, Kunst ist etwas anderes, Kunst ist wichtig für die Diskussion, aber es sollte nicht in diese Richtung gelenkt werden, denn wir sind dann ganz schnell beim – man kennt das ja in Deutschland aus der Geschichte – beim sogenannten gesunden Volksempfinden, oder wir haben dann das Programm Brot und Spiele. Also Volksabstimmungen sind für sich per se ein ganz anderes Thema, ein legitimes demokratisches Mittel, aber bitte nicht in dem Zusammenhang.
König: Das heißt, die Menge kann nicht über Kunst entscheiden?
Metzel: Ach wissen Sie, die Leute, die am lautesten schreien und dann noch: "unsere Steuergelder", sind meist die, die meist gar keine Steuern zahlen. Das ist ja nun mal ein Fakt. Das habe ich übrigens selber immer wieder erlebt, wenn man dann auf die Leute zugeht, dann weichen sie zurück, weichen aus, stottern und Ähnliches. Ich meine, man kann solche Dinge auch hochpuschen. Entscheidend ist natürlich, dass Kunst für Diskussionen sorgen muss und sollte, in welcher Form auch immer. Aber hier vermengt man glaube ich Äpfel mit Birnen.
König: Habe ich selber erlebt, sagen Sie. Sie haben während der Fußball-WM in Deutschland 2006 den Schönen Brunnen in Nürnberg mit einer Installation aus alten Stadionsitzen verkleidet, was einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Oder ein anderes Beispiel von vielen: Sie haben unter anderem in Wien eine Bronze, einen Frauenakt mit Kopftuch auf einen Sockel gestellt und nannten das "Turkish Delight", also türkischer Honig. Das Kunstwerk wurde umgestoßen, es hagelte E-Mails voller Hass. Was meinen Sie, worin genau liegt das Provokative, liegt diese provokative Kraft von Kunst im öffentlichen Raum?
Metzel: Na ja, wie gesagt, man sollte keine Berührungsängste haben, man sollte auf die Leute zugehen, so habe ich es immer gehalten. Ich habe Diskussionen angeboten, Diskussionen vor 1000 Leuten durchgeführt. Entscheidend war für mich immer, dass solche Arbeiten temporär sind, das heißt, sie sind nicht auf ewig und Dauer angelegt, sondern wirklich nur für drei Monate oder damals im Zusammenhang so lange, wie die WM dauerte. Und von daher hat man schon eine andere Diskussionsbasis. Aber auch das kommt bei den Leuten nicht an.
Ich glaube, einen großen Anteil, dass Dinge eskalieren oder emotional werden, haben eben auch die Medien. Wenn eine Zeitung so schreibt, schreibt die andere so, und man steigert sich gegenseitig. Genauso ist es mit den politischen Parteien. Nur das ist eigentlich klassisch, das kennt man. Das nun in Verbindung mit Volksabstimmung zu bringen, finde ich fatal, weil Sie wissen, wie der Geschmack allgemein aussieht: Schauen Sie an Plätze in Gemeinden, schauen Sie sich die Kreisverkehre an, was da manchmal in der Mitte draufsteht, da braucht man drei Handtücher, um das nicht zu sehen. Und das ist die Richtung, in die es dann gehen könnte, und das ist eine Geschichte, was die Kunst betrifft.
Das andere ist Demokratieverständnis, und ich finde Volksabstimmungen sehr wichtig, wir haben in Deutschland auch ähnliche erlebt und Diskussionen, denken Sie nur ans Rauchverbot in Bayern, denken Sie jetzt an den Versuch, in Stuttgart eine Volksabstimmung herbeizuführen. Also das ist ein legitimes demokratisches Instrument, was meiner Ansicht nach missbraucht wird, um Dinge zu verhindern.
König: Wobei man ja unterstellen darf vielleicht, dass es der Schweizerischen Volkspartei gar nicht um die Kunst geht, sondern nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen.
Metzel: Natürlich, das kommt noch immer hinzu. Ich meine, es ist die Situation der Politiker. Ich weiß nicht, wie es in der Schweiz konkret ist, aber in Deutschland merkt man immer mehr, dass Politiker sich doch sehr entfernt haben von der Basis, von den Wählern, und die Wähler nun versuchen, selber sich deutlich zu artikulieren. Und da ist eine Möglichkeit die Volksabstimmung, und ich hoffe sehr, dass es in Stuttgart klappt zum Beispiel. Was anderes ist die Volksabstimmung in Bayern gewesen zum Rauchverbot. Hier versuchen andere, ihre Meinung anderen aufzuzwingen und anderen die Entscheidungsfreiheit zu nehmen, also das ist undemokratisch. Es heißt, man muss da differenzieren.
König: Sie sagten vorhin, Herr Metzel, Sie hätten große Diskussionen – ich weiß nicht, ob ich es richtig erinnere – vor 1000 Zuhörern geführt und mit den Menschen gesprochen. Können Sie mal ein Beispiel erzählen, wie solche Diskussionen über Kunst ablaufen oder wie Sie das erlebt haben?
Metzel: Also ich habe das zum Beispiel in Wien in einer großen Halle – ich weiß nicht, wie viele Leute, das war brechend voll und die Hälfte der Besucher waren Frauen mit Kopftüchern, und es ging natürlich um das Kopftuchprogramm. Und die Situation oder Diskussion und Situation war sehr entspannt, sehr sachlich, und letztendlich war eigentlich nur einer, der da ein bisschen aus der Reihe hüpfte, das war der türkische Botschafter, der aber dann von seinen eigenen Landsleuten, die in Österreich wohnen, fast ausgepfiffen wurde.
König: Also an Ihrem Frauenakt mit Kopftuch fand niemand etwas Anstößiges?
Metzel: Nein, und das Schöne war dann, am Ende der Diskussion standen viele Frauen dann Schlange, wollten nicht nur ein Autogramm, sondern mir ein Geschenk überreichen, nämlich Turkish Delight, den Konfektkasten, und für Fotos posieren. Also es kam immer wieder durch, es sind eigentlich nur die alten Machos, die da wieder durchdrehen, und ich finde, das war auch für mich das Thema, die Situation der Frau damals – das ist jetzt auch schon wieder zwei, drei Jahre her, ich weiß gar nicht, zwei Jahre mindestens, als die Diskussion eben aufkam – die Situation der Frau darzustellen, die ganz anders ist, als wie sie von Männern dargestellt werden.
Und sie sind eigentlich, sind selbstständig, sind wunderschön, und die Kopftücher sind ja nicht irgendwelche Lappen, das ist ja Chanel und Prada und Ähnliches. Dies ist auch eine Situation auch in Istanbul, ich war auch in Istanbul, die Arbeit steht ja mittlerweile in Istanbul, also von daher denke ich, sind Diskussionen wichtig, sie gehören dazu.
König: Also als Teil des Kunstwerks.
Metzel: Genau. Und meist ist es hinterher so, dass alle sagen, war eigentlich doch ganz toll und können wir es nicht doch behalten? Aber dann ist es schon zu spät. Und ich denke, jeder Kunst ihre Zeit, der Zeit ihre Kunst, wie es so schön heißt.
König: Vielen Dank, jede Zeit ihre Kunst.
Metzel: Der Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Zeit.
König: Der Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Zeit. Vielen Dank! Aus Anlass einer Volksabstimmung in Zürich über Thomas Demands Nagelhaus ein Gespräch mit dem Künstler Olaf Metzel, er ist auch Professor an der Akademie der bildenden Künste München. Herr Metzel, ich danke Ihnen!
Metzel: Ich danke Ihnen, Herr König!
Am Telefon in Italien ist jetzt Olaf Metzel, der mit seinen Kunstwerken und Installationen im öffentlichen Raum reichlich Erfahrung mit Protesten und überhaupt allgemeiner Erregung gemacht hat. Guten Morgen, Herr Metzel!
Olaf Metzel: Guten Morgen, Herr König!
König: Ein Volksentscheid über Kunst – wie denken Sie darüber?
Metzel: Ja, das ist natürlich absoluter Quatsch, ich meine, natürlich hat die Schweiz, was Volksentscheide betrifft, eine andere Tradition als in Deutschland man sie hat, aber trotzdem: Kunst und Volksabstimmung ist eine neue Variante und eigentlich überflüssig.
König: Aber wenn man den Schweizern doch nun schon Volksentscheide über Minarette, über Autobahnen, über Waffenexporte zugebilligt hat, warum nicht auch über Kunst?
Metzel: Ich glaube, Kunst ist etwas anderes, Kunst ist wichtig für die Diskussion, aber es sollte nicht in diese Richtung gelenkt werden, denn wir sind dann ganz schnell beim – man kennt das ja in Deutschland aus der Geschichte – beim sogenannten gesunden Volksempfinden, oder wir haben dann das Programm Brot und Spiele. Also Volksabstimmungen sind für sich per se ein ganz anderes Thema, ein legitimes demokratisches Mittel, aber bitte nicht in dem Zusammenhang.
König: Das heißt, die Menge kann nicht über Kunst entscheiden?
Metzel: Ach wissen Sie, die Leute, die am lautesten schreien und dann noch: "unsere Steuergelder", sind meist die, die meist gar keine Steuern zahlen. Das ist ja nun mal ein Fakt. Das habe ich übrigens selber immer wieder erlebt, wenn man dann auf die Leute zugeht, dann weichen sie zurück, weichen aus, stottern und Ähnliches. Ich meine, man kann solche Dinge auch hochpuschen. Entscheidend ist natürlich, dass Kunst für Diskussionen sorgen muss und sollte, in welcher Form auch immer. Aber hier vermengt man glaube ich Äpfel mit Birnen.
König: Habe ich selber erlebt, sagen Sie. Sie haben während der Fußball-WM in Deutschland 2006 den Schönen Brunnen in Nürnberg mit einer Installation aus alten Stadionsitzen verkleidet, was einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Oder ein anderes Beispiel von vielen: Sie haben unter anderem in Wien eine Bronze, einen Frauenakt mit Kopftuch auf einen Sockel gestellt und nannten das "Turkish Delight", also türkischer Honig. Das Kunstwerk wurde umgestoßen, es hagelte E-Mails voller Hass. Was meinen Sie, worin genau liegt das Provokative, liegt diese provokative Kraft von Kunst im öffentlichen Raum?
Metzel: Na ja, wie gesagt, man sollte keine Berührungsängste haben, man sollte auf die Leute zugehen, so habe ich es immer gehalten. Ich habe Diskussionen angeboten, Diskussionen vor 1000 Leuten durchgeführt. Entscheidend war für mich immer, dass solche Arbeiten temporär sind, das heißt, sie sind nicht auf ewig und Dauer angelegt, sondern wirklich nur für drei Monate oder damals im Zusammenhang so lange, wie die WM dauerte. Und von daher hat man schon eine andere Diskussionsbasis. Aber auch das kommt bei den Leuten nicht an.
Ich glaube, einen großen Anteil, dass Dinge eskalieren oder emotional werden, haben eben auch die Medien. Wenn eine Zeitung so schreibt, schreibt die andere so, und man steigert sich gegenseitig. Genauso ist es mit den politischen Parteien. Nur das ist eigentlich klassisch, das kennt man. Das nun in Verbindung mit Volksabstimmung zu bringen, finde ich fatal, weil Sie wissen, wie der Geschmack allgemein aussieht: Schauen Sie an Plätze in Gemeinden, schauen Sie sich die Kreisverkehre an, was da manchmal in der Mitte draufsteht, da braucht man drei Handtücher, um das nicht zu sehen. Und das ist die Richtung, in die es dann gehen könnte, und das ist eine Geschichte, was die Kunst betrifft.
Das andere ist Demokratieverständnis, und ich finde Volksabstimmungen sehr wichtig, wir haben in Deutschland auch ähnliche erlebt und Diskussionen, denken Sie nur ans Rauchverbot in Bayern, denken Sie jetzt an den Versuch, in Stuttgart eine Volksabstimmung herbeizuführen. Also das ist ein legitimes demokratisches Instrument, was meiner Ansicht nach missbraucht wird, um Dinge zu verhindern.
König: Wobei man ja unterstellen darf vielleicht, dass es der Schweizerischen Volkspartei gar nicht um die Kunst geht, sondern nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen.
Metzel: Natürlich, das kommt noch immer hinzu. Ich meine, es ist die Situation der Politiker. Ich weiß nicht, wie es in der Schweiz konkret ist, aber in Deutschland merkt man immer mehr, dass Politiker sich doch sehr entfernt haben von der Basis, von den Wählern, und die Wähler nun versuchen, selber sich deutlich zu artikulieren. Und da ist eine Möglichkeit die Volksabstimmung, und ich hoffe sehr, dass es in Stuttgart klappt zum Beispiel. Was anderes ist die Volksabstimmung in Bayern gewesen zum Rauchverbot. Hier versuchen andere, ihre Meinung anderen aufzuzwingen und anderen die Entscheidungsfreiheit zu nehmen, also das ist undemokratisch. Es heißt, man muss da differenzieren.
König: Sie sagten vorhin, Herr Metzel, Sie hätten große Diskussionen – ich weiß nicht, ob ich es richtig erinnere – vor 1000 Zuhörern geführt und mit den Menschen gesprochen. Können Sie mal ein Beispiel erzählen, wie solche Diskussionen über Kunst ablaufen oder wie Sie das erlebt haben?
Metzel: Also ich habe das zum Beispiel in Wien in einer großen Halle – ich weiß nicht, wie viele Leute, das war brechend voll und die Hälfte der Besucher waren Frauen mit Kopftüchern, und es ging natürlich um das Kopftuchprogramm. Und die Situation oder Diskussion und Situation war sehr entspannt, sehr sachlich, und letztendlich war eigentlich nur einer, der da ein bisschen aus der Reihe hüpfte, das war der türkische Botschafter, der aber dann von seinen eigenen Landsleuten, die in Österreich wohnen, fast ausgepfiffen wurde.
König: Also an Ihrem Frauenakt mit Kopftuch fand niemand etwas Anstößiges?
Metzel: Nein, und das Schöne war dann, am Ende der Diskussion standen viele Frauen dann Schlange, wollten nicht nur ein Autogramm, sondern mir ein Geschenk überreichen, nämlich Turkish Delight, den Konfektkasten, und für Fotos posieren. Also es kam immer wieder durch, es sind eigentlich nur die alten Machos, die da wieder durchdrehen, und ich finde, das war auch für mich das Thema, die Situation der Frau damals – das ist jetzt auch schon wieder zwei, drei Jahre her, ich weiß gar nicht, zwei Jahre mindestens, als die Diskussion eben aufkam – die Situation der Frau darzustellen, die ganz anders ist, als wie sie von Männern dargestellt werden.
Und sie sind eigentlich, sind selbstständig, sind wunderschön, und die Kopftücher sind ja nicht irgendwelche Lappen, das ist ja Chanel und Prada und Ähnliches. Dies ist auch eine Situation auch in Istanbul, ich war auch in Istanbul, die Arbeit steht ja mittlerweile in Istanbul, also von daher denke ich, sind Diskussionen wichtig, sie gehören dazu.
König: Also als Teil des Kunstwerks.
Metzel: Genau. Und meist ist es hinterher so, dass alle sagen, war eigentlich doch ganz toll und können wir es nicht doch behalten? Aber dann ist es schon zu spät. Und ich denke, jeder Kunst ihre Zeit, der Zeit ihre Kunst, wie es so schön heißt.
König: Vielen Dank, jede Zeit ihre Kunst.
Metzel: Der Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Zeit.
König: Der Zeit ihre Kunst und der Kunst ihre Zeit. Vielen Dank! Aus Anlass einer Volksabstimmung in Zürich über Thomas Demands Nagelhaus ein Gespräch mit dem Künstler Olaf Metzel, er ist auch Professor an der Akademie der bildenden Künste München. Herr Metzel, ich danke Ihnen!
Metzel: Ich danke Ihnen, Herr König!