"Das ist nicht gleich ein Zeichen für Unterdrückung"
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, kritisiert die jüngste Debatte über Stillen und Mütterideale als "zu ideologisch". An den Thesen der Feministin Elisabeth Badinter ärgere sie, dass die Schuld wieder auf die Frauen geschoben werde, sagte die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen.
Katrin Heise: Die französische Feministin Elisabeth Badinter macht in ihrem aktuellen Buch "Der Konflikt: Die Frau und die Mutter" das Stillen als Ausdruck eines neuen Mütterideals verantwortlich für die Stagnation der Gleichberechtigung. Nachdem wir gestern mit der deutschen Philosophin und Literaturprofessorin Barbara Vinken gesprochen haben, die die Meinung Badinters weitgehend teilt, will ich jetzt mit einer Mutter und Karrierefrau sprechen, die noch in der DDR sozialisiert wurde, Katrin Göring-Eckardt von Bündnis 90/Die Grünen, hat Familie und Karriere immer miteinander verbunden. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Schönen guten Morgen, Frau Göring-Eckardt!
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
Heise: Sie haben zwei Söhne, einer noch zu Zeiten der DDR geboren. Wie hielten Sie, wie hielten junge Mütter in Ihrem Umfeld das eigentlich damals mit dem Stillen?
Göring-Eckardt: Das war sehr unterschiedlich. Die DDR hat nicht unbedingt die Ideologie vertreten, dass Fertignahrung besser ist, aber es war in der Tat so, dass stillende Mütter nicht so richtig auf der Tagesordnung waren, zumal Kinder ja sehr früh in die Betreuung gebracht wurden. Für mich selbst und mein Umfeld, also so ein bisschen auch in der kirchlichen Oppositionsbewegung, war das eine Selbstverständlichkeit, aber ehrlich gesagt vor allen Dingen deswegen, weil es erstens sehr praktisch war, und weil zweitens man bei der Fertignahrung in der DDR auch nicht wissen konnte, wie viel Schadstoffe da nun wirklich drin waren.
Heise: Also einfach eine pragmatische Herangehensweise. Dieses Bild der Rabenmütter, was in Westdeutschland existierte für Frauen, die nicht stillen wollten, das existierte dann aber in der DDR auf keinen Fall?
Göring-Eckardt: Nein, das existierte nicht, und ich ... Ehrlich gesagt ist das ja auch immer in Wellenbewegungen, auch in der alten Bundesrepublik: Einmal sind diejenigen die Rabenmütter, die stillen, und einmal sind es diejenigen, die es nicht tun. Also ich habe so ein bisschen den Eindruck, da wird auch eine Diskussion an einer Frage hochgepuscht, die mit ganz anderen Themen zu tun hat.
Heise: Ja, das Stillen einfach im Zusammenhang mehr als Synonym zu sehen für die überfrachtete Erwartung an Mutter und ans Kind. Alles muss immer zum Allerbesten laufen, vor allem die Mutter kann was richten – das ist ja so was, was jetzt hier formuliert wird von Frau Badinter. So die eigene Rolle zu finden, also der Übergang zwischen berufstätige Frau sein und dann berufstätige Mutter sein – war das eigentlich für Sie mit vielen Gedanken, Zweifeln, Ängsten verbunden?
Göring-Eckardt: Natürlich war das so, und die Frage, wie viel berufstätig kann ich sein, will ich eigentlich sein, in welcher Form, wie viel können die Kinder fremdbetreut werden, wie viel will ich das selber tun mit meinem Mann gemeinsam – das ist immer eine Frage. Aber ehrlich gesagt: Die Frage stellen sich doch viele heute. Und ich habe sie mir auch so gestellt anhand der Fragestellung: Was will ich eigentlich selbst miterleben, und welche Dinge kann ich besonders gut und welche Dinge können vielleicht andere besonders gut? Ich fand immer, dass ich irgendwie im Bauklötze aufschichten nicht besonders gut bin, und dass das Leute machen können, die daran Spaß haben, die das gelernt haben, das gut zu tun, und dass ich mit meinen Kindern andere Dinge mache. Aber ehrlich gesagt habe ich den Eindruck: Die positive Haltung – ich möchte gern selbst entscheiden, ich möchte gern mir die Frage stellen dürfen, wie viel Zeit will ich mit meinem Kind verbringen –, das ist nicht gleich ein Zeichen für Unterdrückung, sondern es ist erst mal eine selbstbestimmte Fragestellung. Und danach kommen die Bedingungen, unter denen wir leben, und die sind nach wie vor in Deutschland nicht besonders gut, was die Kinderbetreuung in der Quantität, aber eben auch in der Qualität angeht. Und ich glaube, da ist viel eher das Problem.
Heise: Ja, ich möchte aber gerne noch mal auf das Stichwort Selbstbestimmung kommen, denn genau das, habe ich den Eindruck, bezweifelt ja Frau Badinter, dass das noch selbstbestimmt überhaupt entschieden wird, sondern dass unsere Gesellschaft halt ein Mutterideal immer mehr formt, immer mehr hin zum Natürlichen, immer mehr hin zu, ja, alles muss zum Besten gerichtet sein, dass die Frau eigentlich nicht mehr selbst entscheidet, sondern sich diesem Ideal halt unterordnen muss oder eben wirklich dagegen opponieren.
Göring-Eckardt: Also ich muss ehrlich sagen: Mir ist das zu ideologisch. Ich kenne viele Frauen, die Mütter werden und sagen: Das ist für mich eine wichtige Angelegenheit, ich habe mir lange Gedanken darum gemacht, viele haben auch lange gewartet, und jetzt will ich diese Zeit auch genießen. Und die will ich nicht irgendwie auf ewig genießen, da habe ich mir was vorgenommen, Kinder sind auch in der Regel ja unberechenbar wie alle Menschen und das kann auch anders werden. Aber sich die Zeit nehmen zu wollen gehört auch dazu, und das ist auch ein Teil von Selbstbestimmung. Und auf der anderen Seite ist das angebliche Mutterbild, was wir haben, doch überhaupt nicht mehr real, also natürlich fragen mich junge Frauen häufig: Wie haben Sie das gemacht? Wie hast du das gemacht, dass beides miteinander funktioniert hat? und dann erzähle ich das. Aber das sind alles welche, die niemals, nicht im Traum auf die Idee kämen, zu sagen: Ich will jetzt auf Karriere verzichten und ich kriege jetzt Kinder, und die auch nicht im Traum, wenn es denn praktisch wird, auf diese Idee kommen, sondern die dann häufig von den äußeren Umständen – und das ist nicht die Ideologie, sondern das sind die ganz praktischen Umstände, die mit mangelnder Kinderbetreuung et cetera zu tun haben –, die dann in eine Situation gedrängt werden, die sie sich nicht ausgesucht haben, und die aber auch nichts mit Ideologie zu tun hat.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Katrin Göring-Eckardt über das Thema "Der Konflikt: Die Frau und die Mutter". Frau Göring-Eckardt, zu DDR-Zeiten war es politisch gewollt, dass Frauen berufstätig sind. Der Staat hat auch einiges dafür getan, Kitas, werkseigene Kinderunterbringung und so weiter. Welche Rolle spielte eigentlich der Vater dabei, die Väter?
Göring-Eckardt: Na, die Väter konnten theoretisch irgendwie alles in Anspruch nehmen, was die Mütter auch in Anspruch genommen haben, aber im Grunde genommen war Muttersein, Haushalt und dann auch noch die Arbeit gleichzeitig Frauensache. Frauen kriegten sogar einen Tag frei im Monat, der Haushaltstag hieß, damals war das dann sozusagen auch manifestiert, dass sie sich gefälligst darum zu kümmern hatten. Also die angebliche Gleichberechtigung der Frau in der DDR, die war wirklich auf sehr, sehr wackligen Füßen, man sieht es daran, dass in den Führungspositionen genauso wenig Frauen waren wie in der alten Bundesrepublik. Und die Betreuung der Kinder war in einem Zustand, wo man in dem Fall dann wirklich ein schlechtes Gewissen haben konnte, ob man sein Kind in so eine Einrichtung geben will, und nur hoffen konnte, dass die entsprechende Erzieherin irgendwie das Beste draus macht, die es natürlich gegeben hat.
Heise: Sie haben eben das Stichwort Führungspositionen gegeben und Sie haben auch vorher gesagt, dass Sie mit jungen Frauen sprechen, die natürlich Karriere anstreben und trotzdem Kinder haben wollen und sich die Frage natürlich stellen: Wie verbinde ich beides? Beobachten kann man ja, dass es – was die Führungspositionen angeht – da doch nach wie vor wenig weibliches Personal gibt. Also das heißt doch: Der Konflikt ist da und ist nicht gelöst.
Göring-Eckardt: Ja.
Heise: Ist das wieder etwas, was eigentlich nur an die Politik rangetragen werden muss, also schafft die vernünftige Umstände?
Göring-Eckardt: Der Konflikt ist da und er ist nicht gelöst. Es ist ein imminent politischer Konflikt, und ich glaube, da kommen wir auch nicht dran vorbei, auch nicht, wenn wir es jetzt wieder auf die Frauen schieben. Das ärgert mich an diesen Thesen ungemein. Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht gelöst, sie sind schlecht, sie sind in einer Situation, wo wir irgendwie schon seit zehn Jahren gedacht haben, dass wir sie jetzt endlich überwinden. Und jetzt sind wieder die Frauen dran schuld, weil sie so ein idealisiertes Mutterbild haben und sich da hineinbegeben. Und diese neue, ja, Zuschreibung, diese neue Art von Diskriminierung – ich finde, die sollten wir einfach nicht mitmachen.
Heise: Sondern?
Göring-Eckardt: Sondern die Bedingungen ändern! Dass wir erstens genügend Kinderbetreuung brauchen, auch für die ganz Kleinen, ist zentral, und dass sie zweitens auch in einer Qualität sein muss, wo man nicht irgendwie dann morgens losgeht und sagt, um Gottes Willen, wo habe ich mein Kind jetzt da hingebracht, das sind doch viel zu wenig Erzieherinnen, die Situation äußerlich ist nicht in Ordnung und so weiter. Das führt zu völlig unnötigem Stress, und ich glaube, darüber reden wir jetzt lange genug, und die Investitionen in diesem Bereich sind nach wie vor extrem gering. Das geht in der Schule weiter. Die Ganztagsschule ist mitnichten ein Modell, was überall funktionieren würde oder auch nur angeboten würde, und wir müssen jetzt gar nicht über Bildungsstrukturen reden, sondern schlicht und ergreifend darüber, dass man auch die Möglichkeit hat, ganztäglich berufstätig zu sein, und dass auch da eine Betreuung und Bildung in guter Qualität stattfindet. Und insofern sind wir an der Stelle wirklich weit, weit hinten, und könnten auf einer ganz anderen Ebene über solche Fragen diskutieren, als wir das jetzt leider immer noch tun müssen.
Heise: Gleichberechtigung ist ja nicht immer nur die Gleichberechtigung auch im beruflichen Feld, sondern auch die Gleichberechtigung eben zu Hause, was den eventuell vorhandenen Partner angeht. Sehen Sie den denn genügend einbezogen?
Göring-Eckardt: Nein.
Heise: Und mit genügend Möglichkeiten auch ausgestattet?
Göring-Eckardt: Ja, gut, jetzt haben wir irgendwie die Vätermonate und das ist ja in der Sache auch ganz gut. Ich sage es jetzt mal ein bisschen spitz: Die schreiben dann fast alle ein Buch in der Zeit darüber, wie es gewesen ist. Und das kann natürlich nicht der Punkt sein. Und klar ist, dass wir ... da muss man auch, glaube ich, früh anfangen, dass wir den Frauen und Mädchen deutlich machen müssen: Gleichberechtigung heißt dann auch Gleichberechtigung. Viele wollen das, viele Männer trauen es sich übrigens auch nicht, weil es in ihren Unternehmen nach wie vor nicht besonders anerkannt ist, wenn sie sagen, ich muss jetzt die Kinder aus der Kita abholen, sondern nach wie vor erwartet wird, dass Männer bis spätabends Zeit haben und noch die 27. Sitzung um das gleiche Thema bestreiten. Also an der Stelle sind wir noch lange nicht so weit, wie wir sein sollten. Wir werden nicht in die Familien hineindirigieren können, aber an der Arbeitswelt können wir natürlich definitiv was verändern, und das muss auch geschehen.
Heise: Sagt Katrin Göring-Eckardt, sieht also vor allem politischen Handlungsbedarf. Vielen Dank, Frau Göring-Eckardt!
Göring-Eckardt: Ich danke Ihnen sehr, auf Wiederhören!
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
Heise: Sie haben zwei Söhne, einer noch zu Zeiten der DDR geboren. Wie hielten Sie, wie hielten junge Mütter in Ihrem Umfeld das eigentlich damals mit dem Stillen?
Göring-Eckardt: Das war sehr unterschiedlich. Die DDR hat nicht unbedingt die Ideologie vertreten, dass Fertignahrung besser ist, aber es war in der Tat so, dass stillende Mütter nicht so richtig auf der Tagesordnung waren, zumal Kinder ja sehr früh in die Betreuung gebracht wurden. Für mich selbst und mein Umfeld, also so ein bisschen auch in der kirchlichen Oppositionsbewegung, war das eine Selbstverständlichkeit, aber ehrlich gesagt vor allen Dingen deswegen, weil es erstens sehr praktisch war, und weil zweitens man bei der Fertignahrung in der DDR auch nicht wissen konnte, wie viel Schadstoffe da nun wirklich drin waren.
Heise: Also einfach eine pragmatische Herangehensweise. Dieses Bild der Rabenmütter, was in Westdeutschland existierte für Frauen, die nicht stillen wollten, das existierte dann aber in der DDR auf keinen Fall?
Göring-Eckardt: Nein, das existierte nicht, und ich ... Ehrlich gesagt ist das ja auch immer in Wellenbewegungen, auch in der alten Bundesrepublik: Einmal sind diejenigen die Rabenmütter, die stillen, und einmal sind es diejenigen, die es nicht tun. Also ich habe so ein bisschen den Eindruck, da wird auch eine Diskussion an einer Frage hochgepuscht, die mit ganz anderen Themen zu tun hat.
Heise: Ja, das Stillen einfach im Zusammenhang mehr als Synonym zu sehen für die überfrachtete Erwartung an Mutter und ans Kind. Alles muss immer zum Allerbesten laufen, vor allem die Mutter kann was richten – das ist ja so was, was jetzt hier formuliert wird von Frau Badinter. So die eigene Rolle zu finden, also der Übergang zwischen berufstätige Frau sein und dann berufstätige Mutter sein – war das eigentlich für Sie mit vielen Gedanken, Zweifeln, Ängsten verbunden?
Göring-Eckardt: Natürlich war das so, und die Frage, wie viel berufstätig kann ich sein, will ich eigentlich sein, in welcher Form, wie viel können die Kinder fremdbetreut werden, wie viel will ich das selber tun mit meinem Mann gemeinsam – das ist immer eine Frage. Aber ehrlich gesagt: Die Frage stellen sich doch viele heute. Und ich habe sie mir auch so gestellt anhand der Fragestellung: Was will ich eigentlich selbst miterleben, und welche Dinge kann ich besonders gut und welche Dinge können vielleicht andere besonders gut? Ich fand immer, dass ich irgendwie im Bauklötze aufschichten nicht besonders gut bin, und dass das Leute machen können, die daran Spaß haben, die das gelernt haben, das gut zu tun, und dass ich mit meinen Kindern andere Dinge mache. Aber ehrlich gesagt habe ich den Eindruck: Die positive Haltung – ich möchte gern selbst entscheiden, ich möchte gern mir die Frage stellen dürfen, wie viel Zeit will ich mit meinem Kind verbringen –, das ist nicht gleich ein Zeichen für Unterdrückung, sondern es ist erst mal eine selbstbestimmte Fragestellung. Und danach kommen die Bedingungen, unter denen wir leben, und die sind nach wie vor in Deutschland nicht besonders gut, was die Kinderbetreuung in der Quantität, aber eben auch in der Qualität angeht. Und ich glaube, da ist viel eher das Problem.
Heise: Ja, ich möchte aber gerne noch mal auf das Stichwort Selbstbestimmung kommen, denn genau das, habe ich den Eindruck, bezweifelt ja Frau Badinter, dass das noch selbstbestimmt überhaupt entschieden wird, sondern dass unsere Gesellschaft halt ein Mutterideal immer mehr formt, immer mehr hin zum Natürlichen, immer mehr hin zu, ja, alles muss zum Besten gerichtet sein, dass die Frau eigentlich nicht mehr selbst entscheidet, sondern sich diesem Ideal halt unterordnen muss oder eben wirklich dagegen opponieren.
Göring-Eckardt: Also ich muss ehrlich sagen: Mir ist das zu ideologisch. Ich kenne viele Frauen, die Mütter werden und sagen: Das ist für mich eine wichtige Angelegenheit, ich habe mir lange Gedanken darum gemacht, viele haben auch lange gewartet, und jetzt will ich diese Zeit auch genießen. Und die will ich nicht irgendwie auf ewig genießen, da habe ich mir was vorgenommen, Kinder sind auch in der Regel ja unberechenbar wie alle Menschen und das kann auch anders werden. Aber sich die Zeit nehmen zu wollen gehört auch dazu, und das ist auch ein Teil von Selbstbestimmung. Und auf der anderen Seite ist das angebliche Mutterbild, was wir haben, doch überhaupt nicht mehr real, also natürlich fragen mich junge Frauen häufig: Wie haben Sie das gemacht? Wie hast du das gemacht, dass beides miteinander funktioniert hat? und dann erzähle ich das. Aber das sind alles welche, die niemals, nicht im Traum auf die Idee kämen, zu sagen: Ich will jetzt auf Karriere verzichten und ich kriege jetzt Kinder, und die auch nicht im Traum, wenn es denn praktisch wird, auf diese Idee kommen, sondern die dann häufig von den äußeren Umständen – und das ist nicht die Ideologie, sondern das sind die ganz praktischen Umstände, die mit mangelnder Kinderbetreuung et cetera zu tun haben –, die dann in eine Situation gedrängt werden, die sie sich nicht ausgesucht haben, und die aber auch nichts mit Ideologie zu tun hat.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Katrin Göring-Eckardt über das Thema "Der Konflikt: Die Frau und die Mutter". Frau Göring-Eckardt, zu DDR-Zeiten war es politisch gewollt, dass Frauen berufstätig sind. Der Staat hat auch einiges dafür getan, Kitas, werkseigene Kinderunterbringung und so weiter. Welche Rolle spielte eigentlich der Vater dabei, die Väter?
Göring-Eckardt: Na, die Väter konnten theoretisch irgendwie alles in Anspruch nehmen, was die Mütter auch in Anspruch genommen haben, aber im Grunde genommen war Muttersein, Haushalt und dann auch noch die Arbeit gleichzeitig Frauensache. Frauen kriegten sogar einen Tag frei im Monat, der Haushaltstag hieß, damals war das dann sozusagen auch manifestiert, dass sie sich gefälligst darum zu kümmern hatten. Also die angebliche Gleichberechtigung der Frau in der DDR, die war wirklich auf sehr, sehr wackligen Füßen, man sieht es daran, dass in den Führungspositionen genauso wenig Frauen waren wie in der alten Bundesrepublik. Und die Betreuung der Kinder war in einem Zustand, wo man in dem Fall dann wirklich ein schlechtes Gewissen haben konnte, ob man sein Kind in so eine Einrichtung geben will, und nur hoffen konnte, dass die entsprechende Erzieherin irgendwie das Beste draus macht, die es natürlich gegeben hat.
Heise: Sie haben eben das Stichwort Führungspositionen gegeben und Sie haben auch vorher gesagt, dass Sie mit jungen Frauen sprechen, die natürlich Karriere anstreben und trotzdem Kinder haben wollen und sich die Frage natürlich stellen: Wie verbinde ich beides? Beobachten kann man ja, dass es – was die Führungspositionen angeht – da doch nach wie vor wenig weibliches Personal gibt. Also das heißt doch: Der Konflikt ist da und ist nicht gelöst.
Göring-Eckardt: Ja.
Heise: Ist das wieder etwas, was eigentlich nur an die Politik rangetragen werden muss, also schafft die vernünftige Umstände?
Göring-Eckardt: Der Konflikt ist da und er ist nicht gelöst. Es ist ein imminent politischer Konflikt, und ich glaube, da kommen wir auch nicht dran vorbei, auch nicht, wenn wir es jetzt wieder auf die Frauen schieben. Das ärgert mich an diesen Thesen ungemein. Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht gelöst, sie sind schlecht, sie sind in einer Situation, wo wir irgendwie schon seit zehn Jahren gedacht haben, dass wir sie jetzt endlich überwinden. Und jetzt sind wieder die Frauen dran schuld, weil sie so ein idealisiertes Mutterbild haben und sich da hineinbegeben. Und diese neue, ja, Zuschreibung, diese neue Art von Diskriminierung – ich finde, die sollten wir einfach nicht mitmachen.
Heise: Sondern?
Göring-Eckardt: Sondern die Bedingungen ändern! Dass wir erstens genügend Kinderbetreuung brauchen, auch für die ganz Kleinen, ist zentral, und dass sie zweitens auch in einer Qualität sein muss, wo man nicht irgendwie dann morgens losgeht und sagt, um Gottes Willen, wo habe ich mein Kind jetzt da hingebracht, das sind doch viel zu wenig Erzieherinnen, die Situation äußerlich ist nicht in Ordnung und so weiter. Das führt zu völlig unnötigem Stress, und ich glaube, darüber reden wir jetzt lange genug, und die Investitionen in diesem Bereich sind nach wie vor extrem gering. Das geht in der Schule weiter. Die Ganztagsschule ist mitnichten ein Modell, was überall funktionieren würde oder auch nur angeboten würde, und wir müssen jetzt gar nicht über Bildungsstrukturen reden, sondern schlicht und ergreifend darüber, dass man auch die Möglichkeit hat, ganztäglich berufstätig zu sein, und dass auch da eine Betreuung und Bildung in guter Qualität stattfindet. Und insofern sind wir an der Stelle wirklich weit, weit hinten, und könnten auf einer ganz anderen Ebene über solche Fragen diskutieren, als wir das jetzt leider immer noch tun müssen.
Heise: Gleichberechtigung ist ja nicht immer nur die Gleichberechtigung auch im beruflichen Feld, sondern auch die Gleichberechtigung eben zu Hause, was den eventuell vorhandenen Partner angeht. Sehen Sie den denn genügend einbezogen?
Göring-Eckardt: Nein.
Heise: Und mit genügend Möglichkeiten auch ausgestattet?
Göring-Eckardt: Ja, gut, jetzt haben wir irgendwie die Vätermonate und das ist ja in der Sache auch ganz gut. Ich sage es jetzt mal ein bisschen spitz: Die schreiben dann fast alle ein Buch in der Zeit darüber, wie es gewesen ist. Und das kann natürlich nicht der Punkt sein. Und klar ist, dass wir ... da muss man auch, glaube ich, früh anfangen, dass wir den Frauen und Mädchen deutlich machen müssen: Gleichberechtigung heißt dann auch Gleichberechtigung. Viele wollen das, viele Männer trauen es sich übrigens auch nicht, weil es in ihren Unternehmen nach wie vor nicht besonders anerkannt ist, wenn sie sagen, ich muss jetzt die Kinder aus der Kita abholen, sondern nach wie vor erwartet wird, dass Männer bis spätabends Zeit haben und noch die 27. Sitzung um das gleiche Thema bestreiten. Also an der Stelle sind wir noch lange nicht so weit, wie wir sein sollten. Wir werden nicht in die Familien hineindirigieren können, aber an der Arbeitswelt können wir natürlich definitiv was verändern, und das muss auch geschehen.
Heise: Sagt Katrin Göring-Eckardt, sieht also vor allem politischen Handlungsbedarf. Vielen Dank, Frau Göring-Eckardt!
Göring-Eckardt: Ich danke Ihnen sehr, auf Wiederhören!