"Das ist nicht Schlager, das ist Pop"

Von Stephan Karkowsky |
Glamour, Kitsch und Ohrwürmer: Wer gewinnt am Samstag den Eurovision Song Contest in Baku? Der Journalist Jan Feddersen über die Chancen des deutschen Kandidaten Roman Lob, russische Stampfrhythmen und die Frage, warum die Aserbaidschaner keinen Sinn für Ironie haben.
Stephan Karkowsky: Alle reden nur noch über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan, und das nervt den Eurovision-Songcontest-Fan Jan Feddersen ganz gewaltig. Der findet zwar auch nicht gut, was alles falsch läuft da im Austragungsland des Wettbewerbs, aber die 120 Millionen Zuschauer in aller Welt, die wollen natürlich auch was über die Künstler hören und über den Wettbewerb als solchen. Deshalb soll es genau darum gehen heute. Ich begrüße in Baku den TAZ-Redakteur, NDR-Blogger und Autor bedeutender Standardwerke zum Thema. Jan Feddersen, Hallo!

Jan Feddersen: Ja, Hallo nach Berlin!

Karkowsky: Sie haben die Grand Prix, wie er damals noch hieß, noch vor Einführung des Farbfernsehens in Deutschland erstmals genossen. Ich habe gelesen, 1967 war Ihr erster. Wer hat gewonnen?

Feddersen: Sandie Shaw, "Puppet on a String".

Karkowsky: Mein erster war 1974, Cindy und Bert landeten ganz weit hinten, vorne standen Abba mit "Waterloo" und in den Pausen beglückten uns die Wombles mit "Remember your womble". Wissen Sie noch? Schön wars!

Feddersen: Genau. Ja, das erinnere ich noch, und Cindy und Bert waren nicht auf dem Höhepunkt ihres Könnens, muss man sagen, in Brighton.

Karkowsky: Ich bin dann irgendwann ausgestiegen, als ich Zappa und Pink Floyd entdeckt habe und Schlager plötzlich uncool fand. Sie nicht. Was ist da bei Ihnen schiefgelaufen?

Feddersen: Nein, ich glaube, bei Ihnen ist viel schiefgelaufen, würde ich mal vermuten. Also um jetzt mal die Bälle zwischen uns ein bisschen auf Geschwindigkeit zu bringen, das ist gar nicht Schlager. Das ist immer Pop gewesen, das ist immer Europa gewesen, das ist eine Eurovision. Und möglicherweise ist Zappa nur deswegen bei der Eurovision nie angetreten, weil er möglicherweise keinen Punkt bekommen hätte wie Cindy und Bert. Also – aber eben doch. Und diese schwedische Gruppe ist zu einer Poplegende geworden eben auch mithilfe des damals in Deutschland sogenannten Grand Prix Eurovision.

Karkowsky: Sehen Sie denn in dem Spektakel wirklich einen kulturellen Wert oder sehen Sie darin vor allem unfreiwillig unterhaltende, ich zitiere jetzt, "groteske Attraktionen", wie Arno Frank das heute auf "Spiegel online" nennt?

Feddersen: Ja, mein Freund Arno Frank darf das schreiben, dem sehe ich alles nach. Der findet auch sehr viele Musikgruppen, die ich seltsam finde, klasse. Das ist ein Scherz von ihm, würde ich mal sagen. Und selbstverständlich gibt es hier auch Groteskes und – es gibt überall auf der Welt Groteskes in ästhetischer Hinsicht, aber das hängt ja dann immer vom Auge des Betrachters ab und ich würde sagen, die einen fanden Lena grotesk oder auch Abba oder Celine Dion früher mal. Am Ende geht das wie beim Sport nur darum, wer hat die meisten Punkte, und wie die Meisterschale erkämpft wurde, ist viele Jahre später vollkommen gleichgültig.

Karkowsky: Gestern das Halbfinale, nun wissen wir also, wer am Finale teilnehmen wird. Trauern Sie einem der Ausgeschiedenen hinterher?

Feddersen: Na, ich habe ja so ein schlichtes Gemüt, sagen meine allerengsten Freunde und Angehörigen. Ich fand das sehr bedauerlich, dass diese Niederländerin Joan Franka ausgeschieden war. Das war ein sehr schlichtes, sehr freundlich vorgetragenes Kinderliedchen, aber ansonsten war das im Grunde genommen der einzige Verlust, den ich da jetzt persönlich zu beklagen hatte. Und ansonsten kamen viele Beiträge weiter, von denen allerdings nur einer wirklich eine Chance hat, im Finale morgen ganz weit vorne zu liegen, das ist die Schwedin Loreen mit ihrer sehr düsteren Nummer "Euphoria".

Karkowsky: Ist das denn auch Ihre Favoritin?

Feddersen: Nein, ich finde das zu perfekt. Also ich mag so dieses ganze Perfektionszeug nicht, was monatelang in allen möglichen Hinsichten durchgestyled wurde, also, es berührt mich nicht. Aber ich bin ja Demokrat, wenn sie gewinnen sollte, würde ich das natürlich auch respektieren, aber ich finde es ein bisschen zu stylish.

Karkowsky: Ich meine, so als Chronist des Songcontests müssten Sie doch nach all den Jahren mittlerweile schon nach den Halbfinals einigermaßen verlässliche Tipps auf den Sieger abgeben können, oder?

Feddersen: Nein. Ich bin ein ganz, ganz, ganz schlechter Prognostiker. Also ich weiß in dem ganzen Gebirge an Kaffeesatz, in dem man jetzt lesen müsste, weiß ich dann meistens gar nicht mehr Bescheid. Ich weiß, die Sieger – oder mein Gefühl signalisiert mir manchmal, dieses Lied könnte ganz gut vorne liegen, aber nach all den Tagen hier in diesem Baku, was nun, möchte ich ja in Deutschland mal – ich weiß gar nicht, ob man das sagen darf – wirklich hier nicht die Anmutung eines Nordkorea am Rande Europas hat. Es ist ein sehr freudiges, sehr frohes, sehr neugieriges Land. Also, ich habe mir so viele Lieder jetzt schon angeguckt, ich kann es nicht genau sagen, aber ich würde schätzen, dass die Russinnen, diese Großmütter, ich finde diesen Auftritt ja makaber eher, aber dass der sehr gute Chancen hat, zu gewinnen. Und ich glaube, dann wäre ich wirklich ein bisschen genervt.

Karkowsky: Warum wären Sie da genervt?

Feddersen: Weil ich dieses Stampfrhythmische, also so dieses Berechenbare, man könnte auch sagen, so dieses Kasatschokhafte – mag ich nicht. Und ich mag auf der Bühne keine Kinder, und ich mag auf der Bühne eigentlich auch keine ganz alten Leute, die dann außerdem auch noch einen auf Großeltern machen, also da bevorzuge ich doch eher den Briten Engelbert, der jetzt quasi auf seinem Altenteil noch mal antritt. Das ist wirklich was Cooles, was er singt, so ganz smart, also so wie Neil Diamond vor einigen Jahren auch noch mal sein Alterswerk veröffentlicht hat, so macht das jetzt Engelbert hier. Also das hat man an wirklich gereifter Qualität selten gesehen.

Karkowsky: Sie hören vor dem Finale des Eurovision Songcontest in Baku von dort Jan Feddersen, TAZ-Redakteur und Blogger auch für den NDR. Herr Feddersen, was ist mit der irischen Band, Jedward, Popduo, die sind schon zum zweiten Mal dabei. Wird denen das helfen?

Feddersen: Also ich glaube, die leben von der irrigen Annahme, dass man mit der Installation eines überdimensionierten Zimmerspringbrunnens auf der Bühne irgendeinen Punkt mehr erhalten könnte. Ich finde die beiden Jungs eigentlich, davon abgesehen, dass sie kaum singen können, aber darauf kommt es ja auch bei den hochgegelten Haaren nicht an. Das finde ich alles ein bisschen überdimensioniert und ein bisschen zu grell. Ich bin aber dennoch froh, dass sie dabei sind. Das tut im Grunde genommen dieser Diversität nur gut.

Karkowsky: Aserbaidschan möchte natürlich auch gern gewinnen zuhause mit Sabina Babayewa und "When the music dies". Ich hab mir sagen lassen, das sei ein recht langweiliger Track im Vergleich zum Vorjahr gewesen. Wollten die dieses Jahr absichtlich nicht gewinnen oder hat der vielleicht doch Chancen.

Feddersen: Nee. Aserbaidschan hat ein Lied geschickt, das diese Sängerin ehrt, die ist hier in Aserbaidschan eine große Pop-Nummer. Das hat ja sowieso alles auch mit Schlagern von früher nichts mehr zu tun. Das ist hier alles aus den großen weiten Welten des modernen Pop geschöpft und diese Aserbaidschanerin wurde so ausgewählt, dass sie einen würdigen Auftritt hat, aber dieses Land will schon aus Kostengründen nicht noch mal gewinnen. Das ist jetzt nicht spezifisch für Aserbaidschan, kein Land will zweimal hintereinander gewinnen. Das ist also von der Logistik her viel zu monströs.

Karkowsky: Die Logistik ist ein gutes Stichwort. Wie aserbaidschanisch ist diese Show denn eigentlich? Die Crystal Hall stammt vom deutschen Architekturbüro Gerkhan, die Berliner Firma Lichtvision illuminiert die Fassade. Es arbeiten deutsche Techniker und Aufnahmeleiter bei der Show. Und die Firma Brainpool produziert das Ganze. Gewinnt beim ESC 2012 vor allem die deutsche Wirtschaft?

Feddersen: Ja, ich habe das auch gedacht, das sei jetzt, sei im Grunde genommen fast so ein imperiales Unterfangen, das die Aserbaidschaner (…) sich jetzt Deutsche einladen, deutsche Spezialisten. Es handelt sich nur allerdings um Fachfirmen. Also man könnte sagen, Produktionsexperten. Kein Land in Europa, nicht Deutschland, nicht Großbritannien, auch nicht Russland könnten so eine Show alleine aus den technischen Mitteln heraus zustande bringen. Also man braucht im Grunde genommen, wie beim Sport, auch bei olympischen Spielen und Europameisterschaften wie demnächst in der Ukraine und in Polen braucht man immer Fernsehhilfe von außen. Weil hier sind Kameratechniken und hier sind Inszenierungsweisen der Regie am Wirken, die man normalerweise selbst als ein großer Sender wie die ARD oder ZDF niemals einfach so in den technischen Ausrüstungskammern hat. Und Brainpool hat hier geholfen. Der aserbaidschanische Einfluss ist aber dennoch ziemlich groß, würde ich sagen. Also man hat die Einspielfilmchen von Brainpool geändert, also zwischen den Acts gibt es, auf der Bühne ist das eine Umbaupause, und wir sehen dann am Fernsehschirm so kleine touristische Filmchen. Die sind den aserbaidschanischen Auftraggebern, die haben sie noch mal geändert, die wollten die Brainpool-Filme nicht. Ein bisschen zu grell und im Grunde genommen so ein bisschen zu propagandistisch geraten. Also, man hat hier in diesem Lande eigentlich keinen Sinn für Ironie und für diese eher ironische Lebensweise des Westens. Schade, aber – tja

Karkowsky: Dann wollen wir noch mal über die musikalischen Deutschen sprechen. Ralph Siegel hat ja nicht so richtig viel Erfolg gehabt mit seinem Beitrag für San Marino, aber was ist mit Roman Lob? Wird der vielleicht morgen doch gewinnen?

Feddersen: Ja, das Tragische ist hier ja, dass in Aserbaidschan einerseits, das ist sehr, sehr nützlich und das ist sehr gut gerade für die kämpfenden Menschenrechtler hier, dass hier viele deutsche Journalisten ganz, man könnte sagen, zynisch, man könnte sagen, professionell gesagt haben, also ich finde als Journalist Roman Lob so langweilig, da mach ich doch lieber einen auf Menschenrechte. Und was aber Roman Lob selbst anbetrifft, muss man sagen, er ist wirklich keine kafkaesk exotistisch anmutende Figur wie, sagen wir, Iggy Pop oder selbst so ein bisschen wie Lena. Er ist eine unauffällige deutsche Person, die 21 Jahre, ich glaube, jetzt 21 wird, und ist eben kein exaltiertes Persönchen, aber auf der Bühne fühlt er sich wohl und, salopp gesagt, entwickelt er da so was wie Charisma, sonst hätte er ja auch das deutsche "Unser Star für Baku"-Format nicht gewonnen. Und mir gefällt das gut, wie er auftritt. Das ist sehr suchend, das ist nicht perfekt, das hat was Charmantes. Muss man mal gucken, ob das Punkte bringt.

Karkowsky: Jan Feddersen, Chronist des Eurovision Songcontest, Blogger für die TAZ und den NDR aus Baku. Ihnen besten Dank!

Feddersen: Und ich bedanke mich!

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