"Das ist purer, blanker Machtmissbrauch"
Eine absolute Gleichbehandlung von Mensch und Tier fordert der österreichische Tierethiker Helmut F. Kaplan. Es sei nicht gerechtfertigt, mit Tieren gegen ihren Willen Versuche zu machen, die sie objektiv schädigten, die ihnen weh täten und in den allermeisten Fällen das Leben kosteten, sagt Kaplan.
Frank Meyer: An der Universität Bremen macht der Hirnforscher Andreas Kreiter Versuche an lebenden Affen. Dafür wird der Kopf eines Makaken aufgebohrt, unter Betäubung natürlich, dann wird eine Sonde in sein Gehirn eingeführt, sein Kopf wird fixiert, und dann muss dieser Affe Aufgaben lösen. In zwei Tagen läuft die Genehmigung für diese Versuchsreihe von Andreas Kreiter aus. Sie soll nicht verlängert werden, das hat die Bremer Bürgerschaft beschlossen. Die Uni Bremen klagt dagegen, der Konflikt zwischen dem Tierschutz auf der einen Seite und der Forschungsfreiheit auf der anderen wird nun also vor Gericht ausgetragen.
Hinter diesem Streit steckt auch die alte Frage: Haben Tiere Rechte, haben zum Beispiel diese Makaken das Recht auf körperliche Unversehrtheit? Darüber reden wir in einer Reihe von Gesprächen hier im "Radiofeuilleton", heute mit dem Tierethiker Helmut Kaplan aus Österreich. Er setzt sich für Tierrechte ein. Herr Kaplan, wie stehen Sie denn zu Tierversuchen, zu Tierversuchen, die den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes folgen?
Helmut F. Kaplan: Also ich lehne Tierversuche, wie wir sie heute verstehen, also mit Tieren, die natürlich kein Einverständnis geben können, grundsätzlich ab. Es gibt viele Gründe, ethische Gründe, die dagegen sprechen. Ich möchte zu einem ganz einfachen Gedankenexperiment aufrufen: Stellen wir uns einmal vor, uns überlegene Außerirdische kommen auf die Welt, also sie sind uns so überlegen, wie wir Tieren überlegen sind, vor allem in Bezug auf Macht, die kommen auf die Welt und die machen mit uns die Versuche, die wir mit Tieren machen.
Das würden wir, wenn wir uns jetzt ehrlich fragen, natürlich nicht als moralisch gerechtfertigt ansehen. Und aus dem gleichen Grund ist es auch nicht gerechtfertigt, dass wir gegenüber Tieren in der gleichen Konstellation gegen ihren Willen Versuche machen, die sie objektiv schädigen, die ihnen weh tun und in den allermeisten Fällen das Leben kosten.
Meyer: Aber wenn wir in der Konstellation bleiben, in der wir jetzt sind, Mensch und in diesem Fall Affen, wir haben über diese Frage auch mit dem Hirnforscher Professor John-Dylan Haynes gesprochen in unserer Sendung, und er hat uns dazu gesagt:
John-Dylan Haynes: In meinen Augen würde ich nicht sagen, dass es eine Quälerei ist, ich würde sagen, dass es eine Belastung ist. Eine Quälerei wäre es für mich, wenn man dem Tier starke Schmerzen zufügen würde, eine Quälerei wäre es für mich, wenn man das Ganze ohne wissenschaftliches Endziel tun würde. Dann wäre es in meinen Augen eine Quälerei. Aber das ist eine Belastung der Tiere, so wie wir zum Beispiel auch Pferde zum Rennsport trimmen und auch häufig Tiere bestimmten Belastungen aussetzen, so wird das in diesem Fall getan. Obwohl, man muss ganz offen es auch ansprechen, in diesem Fall ist die Belastung natürlich höher.
Meyer: Das sagt der Hirnforscher John-Dylan Haynes zu solchen Versuchen, wie sie an Affen in Bremen vorgenommen werden, es ist keine Quälerei, es ist eine Belastung. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung, Herr Kaplan?
Kaplan: Diese Einschätzung fügt sich nahtlos in das, was ich jetzt gelesen habe in Bezug auf die konkreten Versuche in Bremen von Professor Kreiter und von so einem Amtstierarzt. Also es ist unglaublich, was hier gesagt wird. In diesem Interview zum Beispiel, er sagt, es wäre Quälerei, wenn es kein wissenschaftliches Endziel gäbe. Ich weiß nicht, was dieser Mensch für eine Definition von Quälerei hat, aber wenn ich jemanden quäle und das ihm weh tut, wenn das Folter ist, dann ist das vollkommen unabhängig davon, ob es ein wissenschaftliches Endziel gibt.
Das ist genau das Gleiche, wie der Professor Kreiter sagt, das sei gar keine Belastung. Dieser Amtstierarzt, der nicht genannt werden will, sagt, es mache den Tieren sogar Spaß. Also das ist einfach ein Zynismus sondergleichen. Und auf dieser Ebene, glaube ich, die Aussage, es ist keine Quälerei, wenn es ein wissenschaftliches Endziel gibt, spricht ja für sich.
Meyer: Ja, aber wenn man fragt nach diesem Ziel, also diese Tierversuche in Bremen sollen dazu helfen, unter anderem vollständig gelähmten Menschen eine Kommunikation mit ihrer Umwelt zu ermöglichen. Es gibt andere Versuche, auch an Affen, die dazu dienen sollen, Demenzkranken zu helfen. Würden Sie denn sagen, alle diese Versuche darf man nicht vornehmen, selbst wenn man damit schwerkranken Menschen helfen könnte?
Kaplan: Genau so ist es. Der ethische Hund sozusagen liegt schon in diesen Abwägungsüberlegungen begraben. Und zwar Tierversuche allgemein und private Versuche im Besonderen sind ja großartige Anlässe, um die Inkonsequenz und Willkür, die wir da an den Tag legen, zu demonstrieren. Ich möchte das kurz ausführen anhand von Utilitarismus und Rechten. Der Utilitarismus geht davon aus, wir sollen Interessen maximieren, die Handlung ist richtig, die insgesamt für alle Betroffenen am meisten Glück beziehungsweise am wenigsten Leiden bringt. Die Gegenposition dazu ist das Rechte-Konzept, dass man sagt, Individuen haben individuelle Ansprüche, die sie genau vor solchen Maximierungen schützen. Wenn es einen Konflikt gibt zwischen Allgemeinwohl und Individualrechten, dann sagt das Rechte-Konzept, dann schützen die Individualrechte diese Rechtsträger, um sie vor solchen Maximierungen zu schützen.
Und genau das ist der Grund, warum Menschenversuche abgelehnt werden. Man sagt, jeder Mensch hat ein Recht, einen Anspruch für sich, gegen solche Maximierungen im Hinblick auf das Allgemeinwohl geschützt zu werden. Und bei Tierversuchen argumentiert man genau entgegengesetzt, man weist auf das Allgemeinwohl hin. Das ist so eine kolossale Willkür, die nur aus einem einzigen Grund nicht erkannt wird, weil diese Sichtweise genau unserer allgemeinen Sichtweise im Bezug auf Tiere entspricht, nämlich Tiere sind für den Menschen da.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Tierethiker Helmut Kaplan über die Rechte von Tieren. Aber wenn Sie sagen, wir müssen diesen großen Menschenaffen Rechte einräumen, wo ziehen Sie denn eine Grenze? Also es gibt ja Forscher, Zoologen, die sagen, Seelöwen sind zum Beispiel genauso intelligent oder ähnlich intelligent wie diese Menschenaffen. Andere sagen zum Beispiel, Tintenfische haben auch eine sehr große Intelligenz. Wo ziehen Sie dann die Grenze, welchen Tieren werden diese Grundrechte zugestanden, welchen nicht?
Kaplan: Es gibt überhaupt keine Grenze in dem Sinn. Alle Lebewesen, die leidensfähig sind beziehungsweise die Interessen haben, die haben ein Recht darauf, dass diese Interessen, die sie haben, moralisch ähnlich bewertet und behandelt werden, wie wir das bei vergleichbaren Interessen bei Menschen machen. Insofern gibt es überhaupt keine Grenze. Es hängt davon ab, welche Interessen Wesen haben. Und wenn ein Wesen leidensfähig ist, dann hat das ein Recht darauf, nicht zu leiden. Wenn es autonom ist, dann hat es ein Recht, ein autonomes Leben führen zu können. Wenn es ein Interesse daran hat, in Freiheit zu leben, dann hat es ein Recht darauf, in Freiheit zu leben.
Meyer: Das heißt, Ihrer Ansicht nach haben wir als Menschen kein Recht, irgendein Tier zu nutzen, zum Beispiel ein Tier zu essen oder Schädlinge zu bekämpfen?
Kaplan: Haben wir nicht, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil wir mit Menschen auf diesem Niveau das auch nicht machen würden. Und wir dürfen ja nicht vergessen, es gibt nicht diese Übergänge, also hier sind die Primaten, dann die Menschen und auf der anderen Seite die anderen Tiere, das sind alles Übergänge …
Meyer: Das heißt, es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Tier in Ihren Augen?
Kaplan: Es gibt keinen grundlegenden Unterschied, man muss in jedem einzelnen Fall sich genau ansehen, welche Interessen hat dieses Wesen, und dann hat es aufgrund des Gleichheitsprinzips das Recht, dass dieses Interesse gleich berücksichtigt wird, moralisch gleich gewichtet wird wie ein vergleichbares menschliches Interesse.
Meyer: Der große Tierfreund Albert Schweitzer hat mal geschrieben: "Um Dasein zu erhalten, muss ich mich des Daseins, das es schädigt, erwehren. Ich werde zum Verfolger des Mäuschens, das in meinem Haus wohnt, zum Mörder des Insekts, das darin nisten will, zum Massenmörder der Bakterien, die mein Leben gefährden können." Wie wollen Sie denn dieses Dilemma auflösen, dass es immer Konflikte gibt zwischen menschlichem Dasein und anderen Lebensformen, etwa bei Bakterien, die schwere Krankheiten auslösen?
Kaplan: Es gibt kein Dilemma. Schauen Sie sich einmal die Schlachthöfe an. Das sind ja nicht Tiere, vor denen wir uns erwehren müssen, das ist einfach unsinnig. In den allermeisten Fällen, zum Beispiel bei den Tieren, die uns täglich auf der Autobahn usw. begegnen zu den Schlachttransporten, da müssen wir uns nicht erwehren, da gibt es keinen ethischen Konflikt, das ist purer, blanker Machtmissbrauch.
Und wo es einen ethischen Konflikt gibt, da müssen wir das Gleiche machen, was wir im Bezug auf Menschen machen. Da gibt es auch schwierige Probleme. Es ist ja nicht so, dass es im Umgang mit Menschen keine schwerwiegenden ethischen Probleme gäbe. Ich nenne nur das Stichwort Organtransplantation, Prioritätenliste usw. Das heißt, es gibt viele schwierige ethische Probleme. Und da müssen wir eben in jedem einzelnen Fall und nach bestem Wissen und Gewissen bemühen, die ethisch rational zu lösen. Aber das müssen wir nicht nur im Bezug auf Menschen machen, sondern das müssen wir auch im Bezug auf Tiere machen. Aber das allermeiste, 99 Prozent aller betroffenen Tiere fallen überhaupt nicht in diese Kategorie, weil die uns überhaupt nicht gefährlich werden. Wir züchten sie ja, die Schweine und Hühner im Schlachthaus, die sind uns ja nicht gefährlich geworden und deshalb bringen wir sie um, sondern die züchten wir, um sie dann umzubringen.
Meyer: Welche Rechte haben Tiere? Der Tierethiker Helmut Kaplan sagt, auch Tiere haben das unbedingte Recht auf Leben. Herr Kaplan, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kaplan: Bitte schön.
Hinter diesem Streit steckt auch die alte Frage: Haben Tiere Rechte, haben zum Beispiel diese Makaken das Recht auf körperliche Unversehrtheit? Darüber reden wir in einer Reihe von Gesprächen hier im "Radiofeuilleton", heute mit dem Tierethiker Helmut Kaplan aus Österreich. Er setzt sich für Tierrechte ein. Herr Kaplan, wie stehen Sie denn zu Tierversuchen, zu Tierversuchen, die den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes folgen?
Helmut F. Kaplan: Also ich lehne Tierversuche, wie wir sie heute verstehen, also mit Tieren, die natürlich kein Einverständnis geben können, grundsätzlich ab. Es gibt viele Gründe, ethische Gründe, die dagegen sprechen. Ich möchte zu einem ganz einfachen Gedankenexperiment aufrufen: Stellen wir uns einmal vor, uns überlegene Außerirdische kommen auf die Welt, also sie sind uns so überlegen, wie wir Tieren überlegen sind, vor allem in Bezug auf Macht, die kommen auf die Welt und die machen mit uns die Versuche, die wir mit Tieren machen.
Das würden wir, wenn wir uns jetzt ehrlich fragen, natürlich nicht als moralisch gerechtfertigt ansehen. Und aus dem gleichen Grund ist es auch nicht gerechtfertigt, dass wir gegenüber Tieren in der gleichen Konstellation gegen ihren Willen Versuche machen, die sie objektiv schädigen, die ihnen weh tun und in den allermeisten Fällen das Leben kosten.
Meyer: Aber wenn wir in der Konstellation bleiben, in der wir jetzt sind, Mensch und in diesem Fall Affen, wir haben über diese Frage auch mit dem Hirnforscher Professor John-Dylan Haynes gesprochen in unserer Sendung, und er hat uns dazu gesagt:
John-Dylan Haynes: In meinen Augen würde ich nicht sagen, dass es eine Quälerei ist, ich würde sagen, dass es eine Belastung ist. Eine Quälerei wäre es für mich, wenn man dem Tier starke Schmerzen zufügen würde, eine Quälerei wäre es für mich, wenn man das Ganze ohne wissenschaftliches Endziel tun würde. Dann wäre es in meinen Augen eine Quälerei. Aber das ist eine Belastung der Tiere, so wie wir zum Beispiel auch Pferde zum Rennsport trimmen und auch häufig Tiere bestimmten Belastungen aussetzen, so wird das in diesem Fall getan. Obwohl, man muss ganz offen es auch ansprechen, in diesem Fall ist die Belastung natürlich höher.
Meyer: Das sagt der Hirnforscher John-Dylan Haynes zu solchen Versuchen, wie sie an Affen in Bremen vorgenommen werden, es ist keine Quälerei, es ist eine Belastung. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung, Herr Kaplan?
Kaplan: Diese Einschätzung fügt sich nahtlos in das, was ich jetzt gelesen habe in Bezug auf die konkreten Versuche in Bremen von Professor Kreiter und von so einem Amtstierarzt. Also es ist unglaublich, was hier gesagt wird. In diesem Interview zum Beispiel, er sagt, es wäre Quälerei, wenn es kein wissenschaftliches Endziel gäbe. Ich weiß nicht, was dieser Mensch für eine Definition von Quälerei hat, aber wenn ich jemanden quäle und das ihm weh tut, wenn das Folter ist, dann ist das vollkommen unabhängig davon, ob es ein wissenschaftliches Endziel gibt.
Das ist genau das Gleiche, wie der Professor Kreiter sagt, das sei gar keine Belastung. Dieser Amtstierarzt, der nicht genannt werden will, sagt, es mache den Tieren sogar Spaß. Also das ist einfach ein Zynismus sondergleichen. Und auf dieser Ebene, glaube ich, die Aussage, es ist keine Quälerei, wenn es ein wissenschaftliches Endziel gibt, spricht ja für sich.
Meyer: Ja, aber wenn man fragt nach diesem Ziel, also diese Tierversuche in Bremen sollen dazu helfen, unter anderem vollständig gelähmten Menschen eine Kommunikation mit ihrer Umwelt zu ermöglichen. Es gibt andere Versuche, auch an Affen, die dazu dienen sollen, Demenzkranken zu helfen. Würden Sie denn sagen, alle diese Versuche darf man nicht vornehmen, selbst wenn man damit schwerkranken Menschen helfen könnte?
Kaplan: Genau so ist es. Der ethische Hund sozusagen liegt schon in diesen Abwägungsüberlegungen begraben. Und zwar Tierversuche allgemein und private Versuche im Besonderen sind ja großartige Anlässe, um die Inkonsequenz und Willkür, die wir da an den Tag legen, zu demonstrieren. Ich möchte das kurz ausführen anhand von Utilitarismus und Rechten. Der Utilitarismus geht davon aus, wir sollen Interessen maximieren, die Handlung ist richtig, die insgesamt für alle Betroffenen am meisten Glück beziehungsweise am wenigsten Leiden bringt. Die Gegenposition dazu ist das Rechte-Konzept, dass man sagt, Individuen haben individuelle Ansprüche, die sie genau vor solchen Maximierungen schützen. Wenn es einen Konflikt gibt zwischen Allgemeinwohl und Individualrechten, dann sagt das Rechte-Konzept, dann schützen die Individualrechte diese Rechtsträger, um sie vor solchen Maximierungen zu schützen.
Und genau das ist der Grund, warum Menschenversuche abgelehnt werden. Man sagt, jeder Mensch hat ein Recht, einen Anspruch für sich, gegen solche Maximierungen im Hinblick auf das Allgemeinwohl geschützt zu werden. Und bei Tierversuchen argumentiert man genau entgegengesetzt, man weist auf das Allgemeinwohl hin. Das ist so eine kolossale Willkür, die nur aus einem einzigen Grund nicht erkannt wird, weil diese Sichtweise genau unserer allgemeinen Sichtweise im Bezug auf Tiere entspricht, nämlich Tiere sind für den Menschen da.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Tierethiker Helmut Kaplan über die Rechte von Tieren. Aber wenn Sie sagen, wir müssen diesen großen Menschenaffen Rechte einräumen, wo ziehen Sie denn eine Grenze? Also es gibt ja Forscher, Zoologen, die sagen, Seelöwen sind zum Beispiel genauso intelligent oder ähnlich intelligent wie diese Menschenaffen. Andere sagen zum Beispiel, Tintenfische haben auch eine sehr große Intelligenz. Wo ziehen Sie dann die Grenze, welchen Tieren werden diese Grundrechte zugestanden, welchen nicht?
Kaplan: Es gibt überhaupt keine Grenze in dem Sinn. Alle Lebewesen, die leidensfähig sind beziehungsweise die Interessen haben, die haben ein Recht darauf, dass diese Interessen, die sie haben, moralisch ähnlich bewertet und behandelt werden, wie wir das bei vergleichbaren Interessen bei Menschen machen. Insofern gibt es überhaupt keine Grenze. Es hängt davon ab, welche Interessen Wesen haben. Und wenn ein Wesen leidensfähig ist, dann hat das ein Recht darauf, nicht zu leiden. Wenn es autonom ist, dann hat es ein Recht, ein autonomes Leben führen zu können. Wenn es ein Interesse daran hat, in Freiheit zu leben, dann hat es ein Recht darauf, in Freiheit zu leben.
Meyer: Das heißt, Ihrer Ansicht nach haben wir als Menschen kein Recht, irgendein Tier zu nutzen, zum Beispiel ein Tier zu essen oder Schädlinge zu bekämpfen?
Kaplan: Haben wir nicht, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil wir mit Menschen auf diesem Niveau das auch nicht machen würden. Und wir dürfen ja nicht vergessen, es gibt nicht diese Übergänge, also hier sind die Primaten, dann die Menschen und auf der anderen Seite die anderen Tiere, das sind alles Übergänge …
Meyer: Das heißt, es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Tier in Ihren Augen?
Kaplan: Es gibt keinen grundlegenden Unterschied, man muss in jedem einzelnen Fall sich genau ansehen, welche Interessen hat dieses Wesen, und dann hat es aufgrund des Gleichheitsprinzips das Recht, dass dieses Interesse gleich berücksichtigt wird, moralisch gleich gewichtet wird wie ein vergleichbares menschliches Interesse.
Meyer: Der große Tierfreund Albert Schweitzer hat mal geschrieben: "Um Dasein zu erhalten, muss ich mich des Daseins, das es schädigt, erwehren. Ich werde zum Verfolger des Mäuschens, das in meinem Haus wohnt, zum Mörder des Insekts, das darin nisten will, zum Massenmörder der Bakterien, die mein Leben gefährden können." Wie wollen Sie denn dieses Dilemma auflösen, dass es immer Konflikte gibt zwischen menschlichem Dasein und anderen Lebensformen, etwa bei Bakterien, die schwere Krankheiten auslösen?
Kaplan: Es gibt kein Dilemma. Schauen Sie sich einmal die Schlachthöfe an. Das sind ja nicht Tiere, vor denen wir uns erwehren müssen, das ist einfach unsinnig. In den allermeisten Fällen, zum Beispiel bei den Tieren, die uns täglich auf der Autobahn usw. begegnen zu den Schlachttransporten, da müssen wir uns nicht erwehren, da gibt es keinen ethischen Konflikt, das ist purer, blanker Machtmissbrauch.
Und wo es einen ethischen Konflikt gibt, da müssen wir das Gleiche machen, was wir im Bezug auf Menschen machen. Da gibt es auch schwierige Probleme. Es ist ja nicht so, dass es im Umgang mit Menschen keine schwerwiegenden ethischen Probleme gäbe. Ich nenne nur das Stichwort Organtransplantation, Prioritätenliste usw. Das heißt, es gibt viele schwierige ethische Probleme. Und da müssen wir eben in jedem einzelnen Fall und nach bestem Wissen und Gewissen bemühen, die ethisch rational zu lösen. Aber das müssen wir nicht nur im Bezug auf Menschen machen, sondern das müssen wir auch im Bezug auf Tiere machen. Aber das allermeiste, 99 Prozent aller betroffenen Tiere fallen überhaupt nicht in diese Kategorie, weil die uns überhaupt nicht gefährlich werden. Wir züchten sie ja, die Schweine und Hühner im Schlachthaus, die sind uns ja nicht gefährlich geworden und deshalb bringen wir sie um, sondern die züchten wir, um sie dann umzubringen.
Meyer: Welche Rechte haben Tiere? Der Tierethiker Helmut Kaplan sagt, auch Tiere haben das unbedingte Recht auf Leben. Herr Kaplan, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kaplan: Bitte schön.